Liebe Unterstuetzer, Freunde, Verwandte, Bekannte und andere Interessierte,

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1 Liebe Unterstuetzer, Freunde, Verwandte, Bekannte und andere Interessierte, nachdem jetzt schon ein Grossteil meiner Zeit hier in Nicaragua abgelaufen, meine Festplatte leider kaputt gegangen ist und ich diesen Bericht noch einmal neu schreiben durfte, landet jetzt endlich mein dritter Rundbrief bei euch im Postkasten. Diesmal moechte ich aber gar nicht so viel ueber mich selbst und mein Leben hier berichten, sondern euch vielmehr einen Ueberblick ueber die Geschichte und die politische Situation des Landes geben. Zumindest dem Grossteil meiner Elterngeneration ist die sandinistische Revolution bestimmt noch in Erinnerung geblieben und diese und der Contrakrieg sind auch mit Sicherheit die spannensten Abschnitten der nicaraguanischen Geschichte, aber auch die aktuelle politische Situation ist durchaus spannend und bisher in Deutschland, so weit ich das von hier aus mitbekommen habe, weitgehend unbeachtet. DIE ZEIT VOR DER UNABHAENGIGKEIT Aber die nicaraguanische Geschichte faengt natuerlich nicht erst mit der sandinistischen Revolution an, schon um 1500 v.chr. war das Land grossflaechig besiedelt, zunaechst von verschiedenen indigenen Gruppen. An der Karibikkueste und im Norden des Landes, leben bis heute Misquito und Mayanga, indigene Bevoelkerungsgruppen fuer die Spanisch eine Fremdsprache ist. Auch viele Ortsnamen kommen aus dem Nahuátl, der Sprache der Atzteken kommt dann der Gil González de Ávila von Sueden aus ins Land und unterwirft die verschiedenen Staemme der spanischen Krone. Das Land wird fortan nach dem Stammesfuehrer Cacique Nicarao Nicaragua genannt. DIE UNABHAENGIGKEIT KOMMT FRUEH ABER NICHT LANGE Schon 1821 erlangt Zentralamerika und somit auch Nicaragua seine Unabhaengigkeit von Spanien, welche jedoch nicht lange ueberdauern sollte - schon ab 1893 beginnt José Santos Zelaya seine Diktatur aufzubauen. Schon ab der Unabhaengigkeit war seitens der USA, Grossbritannies, Deutschlands und Japans die Idee aufgekommen, die enge Verbindung zwischen den Ozeanen fuer den Bau eines Atlantik-Pazifik-Kanals auszunutzen. Dass Zelaya mit Deutschland und Japan tiefgehendere Verhandlungen aufnahm hat fuer Nicaragua zwei Jahrzehnte US-amerikanischer Militaerintervention zur Folge oder beeinflusst diese zumindest deutlich. Und damit landen wir auch schon im 19. Jahrhundert. Der Kanal wurde, wie wir alle wissen, trotzdem nicht in Nicaragua gebaut obwohl sogar ein Vertrag unterschrieben wurde, sondern in Panama, da die Verhandlungen mit Nicaragua durch immer neue Aufstaende und Wellen von Gewalt unterbrochen

2 werden. Der konservativen Regierung Zelayas steht eine Gruppe von liberalen Rebellen, darunter Augusto C. Sandino, der heutige Nationalheld, entgegen. Letzterer wird zum Fuehrer einer Langzeitrebellenkampagne gegen die Invasion durch die USA. DIE DYNASTIE DER DREI SOMOZAS Und tatsaechlich muessen die US-Truppen das Land verlassen. Allerdings steht der neue Gegener bereits bereit, die Guardia Nacional unter der Leitung von Anastasio Somoza Garcías, von den USA darauf trainierte Militaers Sandinos Rebellen zu unterdruecken. Als Sandino auf dem Nachhauseweg von Friedensverhandlungen von der Guardia ermordet wird, breitet Somoza seinen Einfluss so lange weiter aus, bis er alleiniger Machthaber im Staat ist. Fuer vier Jahrzehnte lebt das nicaraguanische Volk nun unter der Familiendynastie von Vater und zweien seiner Soehne. Die Somozas bereichern sich in dieser Zeit so sehr, dass ihr Landbesitz so gross wie El Salvador ist. DIE SANDINISTISCHE REVOLUTION Erst 1961 gruendet Carlos Fonseca Amador, prominente Figur aus den antisomozistischen Studentenaufstaenden in den fuenfziger Jahren, gemeinsam mit anderen Aktivisten, darunter alten Kampfpartnern Sandinos, die Frente Sandinista de Liberación Nacional, kurz FSLN, die nach eigenen Angaben Sandinos Kaempfe und Ideologien aus den 20er und 30er Jahren wieder aufgreift. Die durch die FSLN organisierten Unternehmungen sind zwar zunaechst desastroes, nach und nach gewinnt die Organisation jedoch sowohl an Erfahrung als auch an Anhaengern und entwickelt sich zu einem wuerdigen Gegner Somozas. Mit einem starken Erdbeben im Jahr 1972, das Managua zu grossen Teilen komplett zerstoerrt, steigt auch die oeffentliche Kritk an der Regierung, da der Diktator sich die auslaendische Hilfe groesstenteils selbst in die Taschen steckt. Mittlerweile hat sich neben der FSLN noch eine zweite wichtige Oppositionsgruppe, die Unión Democrática de Liberación unter der Leitung von Pedro Joaquín Chomorro, dem Besitzer der groessten Tageszeitung La Prensa, gegruendet. In einer Allianz beider Parteien werden zwei Jahre nach dem Erdbeben fuehrende Personen des Somoza-Regimes gekidnapped, was mit einer brutalen Angriffsreihe beantwortet wird, der sowohl Carlos Fonseca als auch Joaquín Chomorro zum Opfer fallen. Doch das tut dem Kampf gegen das Somoza-Regime keinen Abbruch, im Gegenteil, es heizt ihn weiter an, denn wenig spaeter finden in vielen wichtigen Staedten Aufstaende gegen die Guardia Nacional statt. Gleichzeitig bildet die Allianz der verschiedenen Oppositionsgruppen eine provisorische Regierungin San José formt, die durch verschiedene

3 lateinamerikanische und europaeische Staaten anerkannt und mit Hilfsguetern und (teilweise mit) Waffen unterstuetzt wird. Im entscheidenden Jahr 1979 kann die Opposition dann immer mehr Staedte einnehmen, am 17. Juli flieht Somoza (Sohn des Somozas, der die Diktatur begruendete) und zwei Tage spaeter nehmen die Sandinisten Managua ein. Der 19. Juli ist heute Nationalfeiertag des Landes, an dem ganze Prozessionen an Menschen nach Managua pilgern. Somoza wurde ein Jahr spaeter von sandinistschen Agenten in Paraguay entdeckt und ermordet. DIE SCHWIERIGKEITEN NACH DER REVOLUTION UND DIE KONTRAKRIEGE Was sie vorfanden war jedoch ein ernuechterndes Bild Armut, Heimatlosigkeit, Analphabetismus, fehlende Gesundheitsvorsorge... Etwa Menschen waren in den Revolutionskaempfen ums Leben gekommen, Menschen verloren ihr Heim. Um dem Staat eine Regierung zu geben wird zunaechst eine Junta, ein Vorstand aus Mitgliedern der verschiedenen revolutionaeren Gruppen geformt. Nachdem die Koalition in den 80er Jahren jedoch im Streit zerbricht ist der Vorstand fortan FSLNintern. Daniel Ortega, der heutige Praesident, wird als Coordinator bestimmt. Die Vereinigten Staaten versuchen zunaechst sich mit der neuen Regierung gut zu stellen und versichern 75 Millionen Dollar Notfallhilfe. Nicaragua hingegen bindet sich nicht an die USA sondert verschaerft die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion und Kuba, unterstuetzt wohl sogar salvadorensische linke Rebellengruppen mit Waffen. Mit der Wahl Ronald Reagens zum US-Praesidenten (1981) wird die Stimmung zwischen Nicaragua und den USA eisig, alle Hilfen werden ausgesetzt und es wird mit dem Aufbau kontrarevolutinoaerer militaerischer Gruppen begonnen oder zumindest dabei geholfen. Letztere sind zunaechst hauptsaechlich aus EX-Guardia-Soldaten zusammen gesetzt ist, spaeter auch von neutralen Personen, und agieren von Costa Rica und Honduras aus. Gleichzeitig bedroht Honduras sein Nachbarland mit einer Invasion. Die Reaktion kann man sich ausmalen - die Sandinisten bauen ebenfalls ein Militaer auf und erhalten dafuer finanzielle Hilfen seitens der linken Verbuendeten Kuba und UdSSR. Als 1984 CIA-Plaene auftauchen, die die Zerstoerung aller nicaraguanischen Haefen planen, wird die USA vom internationalen Gerichtshof verklagt. Im selben Jahr finden in Nicargua die ersten Praesidentenwahlen nach der Revolution statt. Diese werden jedoch von fuehrenden Nicht-Sandinisten wegen dem Vorwurf der Medienmanipulation boykottiert (im spaeter folgenden Buergerkireg wird tatsaechlich der Notzustand deklariert und die Zensur eingefuehrt). Wie auch immer, Ortega gewinnt die Wahlen mit 63% der Stimmen, in der Nationalversammlung hat die FSLN eine aehnliche Mehrheit. Daraufhin wird seitens der USA ein Handelsembargo eingefuehrt, das letztendlich fuenf Jahre dauern soll und die nicaraguanische Wirtschaft extrem schwaecht. Sogar als der US-Congress weitere Hilfe an die Contras ablehnt soll Reagon seine Privatfehde mit Nicaragua weitergefuehrt haben und die Contras heimlich weiter unterstuetzen, indem die CIA illegal Waffen an den Iran verkauft und den Gewinn den Militaers zusteckt. Den Skandal als das auffliegt kann man sich vorstellen! Nun muss diese Hilfe endgueltig gestoppt werden, das Handelsembargo bleibt.

4 Nach vielen gescheiterten Friedensverhandlungen kann 1987 zumindest ein Vertrag zwischen den zentralamerikanischen Staaten, Costa Rica, El Salvador, Nicaragua, Guatemala und Honduras, geschlossen werden. DER MACHTVERLUST DER SANDINISTEN UND DIE FOLGENDEN JAHRE Ende der 80er Jahre ist die Wirtschaftslage in Nicaragua denkbar schlecht, der Buergerkrieg, das Handelsembargo sowie die Ineffizienz eines zentralisierten Wirtschaftssystems fuehren eine sinkende Produktion und steigende Arbeitslosigkeit mit sich. Um endlich eine ueberzeugende Mehrheit zu erlangen stoesst Ortega Neuwahlen an. Die Sandinisten unterschaetzen jedoch die Desillusion und Kriegsmuedigkeit des Volkes, die die Gewinne der Nachrevolutionszeit vergessen lassen. In den ersten Jahren nach der Revolution hatte die FSLN naemlich eine Vielzahl von Reformen und Kampagnen eingefuehrt, die die kommunistisch gepraegten Ziele umsetzten sollten und auch deutliche Fruechte zeigten: Das Landgut reicher Nicaraguaner und vor allem das Somozas wurde an das Volk aufgeteilt, die Analphabetismusquote sank von 50% auf 13%, Impfkampagnen deckten auch die hintersten Ecken des Landes ab, die Kindersterblichkeit konnte um ein Drittel gesenkt werden... Doch all dies half nichts, fuer grosse Teile der Sandinisten und der Bevoelkerung ueberraschend gewann Violeta Barrios de Chamorro, Frau an der Spitze der ein Jahr zuvor gegruendeten Partei Unión Nacional Opositora (UNO), 1990 die Praesidentschaftswahlen mit 55% der Stimmen. Die USA hatten zuvor versprochen bei einem Sieg der UNO das Handelsembargos aufzuheben sowie 100 Millionen US-Dollar Finanzhilfe bereitzustellen. Ortega beklagt zwar vieles, geht aber letztendlich friedlich. So kommt es dass der Buergerkrieg zum Erliegen kommt und in den folgenden sechs Jahren Chamorro, die Witwe des ermordeten Oppositionsfuehrers und Prensa-Besitzers Joaquín Chomorro, versucht das Land vollstaendig zu vereinigen und allen Interessen zu entsprechen. Doch die wirtschaftliche Entwicklung bleibt sehr langsam. Trotzdem kann sich die FSLN auch in den folgenen Wahlen nicht durchsetzen. Als neuer Kandidat der UNO gewinnt Arnoldo Alemán, der massiv in die Infrastruktur investiert und die Groesse des Militaers deutlich reduziert. Er wird jedoch der Korruption ueberfuehrt. Da aber auch die Sandinisten mit einem massiven Imageproblem zu kaempfen haben (Ortega wird von seiner Stieftochter der sexuellen Vergewaltigung angezeigt), schliessen die beiden Parteien einen Pakt schliessen, der ihren Politikern Immunitaet verspricht und jede weitere Untersuchung verbietet. Obwohl viele Sandinisten aus der Fruehrevolutionszeit sich spaetestens jetzt von Ortega abwenden bleibt dieser in der Partei wichtig. In den folgenden Wahlen, erfindet Ortega sich also neu, deklariert die FSLN als Partei von Frieden und Liebe mit pinken Wahlplakaten und blumenverzierten Bannern und so sind sie bis heute noch und muss trotzdem seine dritte Niederlage in Folge wegstecken. Es gewinnt Enrique Bolaños, Vizepraesident unter Alemán. Bolaños versucht zunaechst die Korruption im Land zu senken und stellt seinen Amtsvorgaenger vor Gericht, der zu 20 Jahren Haft verklagt wird.

5 DIE WIEDERWAHL ORTEGAS Allerdings wird Bolaños letztendlich selbst der Korruption angeklagt, das Misstrauen in die UNO und die immer neuen neoliberalen Reformen steigt, es ist Zeit fuer die Rueckkehr der Linken und, nachdem der andere linke Kandidat, in den viele Hoffnungen gesteckt wurden, nur vier Monate vor den Wahlen an einem Herzinfarkt stirbt, fuer die Rueckkehr Ortegas im Jahr Der Beginn der Amtszeit zeichnet sich durch viel Aktivitaet aus. Venezuelas Praesident Hugo Chavez verspricht wirtschaftliche Hilfe und Ortega versucht gute Beziehungen mit den USA zu behalten. Dann beginnt er jedoch das Parlament zu umgehen, was bei der nicaraguanischen Menschenrechtsorganisation CENIDH grosse Besorgnis hervor ruft. Viele Nicaraguaner beginnen an dem Sinn und der Umsetzbarkeit der revolutionaeren Ziele ueberhaupt zu zweifeln. Bei den Kreiswahlen im Jahr 2008 wird offensichtlich maechtig gemauschelt, die internationalen Hilfen werden daraufhin eingefroren, was Ortega zu dem Kommentar bewegt, Nicaragua fuehle sich ohne die Hilfe freier. Gleichzeitig muss er sich auch noch keine groesseren Sorgen machen, denn Venezuela verspricht die fehlende Hilfe zu ersetzen. Der grosse Coup folgt schon bald, denn Ortega schafft es durch Halbrichtigkeiten eine Verfassungsreformen durchzusetzen, die ihm das Antreten zu einer Wiederwahl ermoeglicht. Und 2011 ist es dann so weit, zum ersten Mal in der nicaraguanischen nachrevolutionaeren Geschichte wird ein Praesident wiedergewaehlt. UND SO SIEHT ES HEUTE AUS Und damit sind wir auch schon in der heutigen Zeit angekommen, im Jahr 2013, in einer spannenden Situation. Die Frage ist, ob es Nicaragua schaffen wird eine Demokratie zu bleiben oder sich zu einer zu entwickeln oder ob es sich im Gegenteil in eine Diktatur stuerzt. Immer mehr Nicaraguaner sprechen ihre Gedanken laut aus: Wir leben nicht mehr in einer Demokratie! Und tatsaechlich lassen sich spaetestens seit der zweiten Amtszeit Ortegas einige beunruhigende Ereignisse beobachten. Die Arbeit der internationalen und nationalen Nichtregierungsorganisation wird wohl zum Teil eingeschraenkt, finanzielle Hilfen werden gestrichen und teilweise der Zugang zu Informationen erschwert. Fuer mich ist es sehr befremdlich, dass in jedem Fernseh- oder Radiointerview immer dem Staat und der Regierung gedankt werden muss. Es heisst auch die Presse koenne nicht mehr komplett frei arbeiten. Um das Volk auf die Seite der Regierung zu bringen werden zum Beispiel zu Ostern und zu Weihnachten Vieh und Basislebensmittelkoerbe an die arme Bevoelkerung gespendet, fuer die Kinder gibt es in den Vierteln oeffentliche Piñatas. Allerdings bringen all diese Geschenke im Allgemeinen keine langfristigen positiven Folgen mit sich, denn der Reis und das Oel wird aufgebraucht und wenn kein Geld da ist, um das Vieh zu ernaehren, kommt es auch auf den Teller.

6 Fuer viele im Land schockierend war in den letzten Wochen die Reaktion auf eine Protestaktion von Senioren, deren Renten aus finanziellen Gruenden nicht ausgezahlt werden koennen. Die Senioren protestierten Tag und Nacht vor dem Gesundheitsministerium und wurden dabei von Studenten unterstuetzt. Vor etwa drei Wochen jedoch griff die sandinistische Jugend die aelteren Buerger und Studenten an, waehrend die Polizei angeblich nichtstuend daneben stand. Es gab Sachschaeden und Verletzte, ein Grossteil der Bevoelkerung und die Kirchen solidarisierte sich mit den Protestanten. Die Proteste haben zwar nichts direkt mit der Regierung zu tun und auch die sandinistische Jugend agiert weitgehend Unabhaengig, aber fuer mich zeigt es die Bewegung und die Verwirrtheit der Bevoelkerung. Bei den letzten Kreiswahlen im November 2012 haben einige meiner Freunde mit anderen jungen Menschen dazu aufgerufen, die Wahlen zu boykottieren, denn sie sind mit der Regierung unzufrieden, aber finden auch keine gute Alternative in der Opposition. Viele sind den sandinistischen Ideen eben immer noch treu, verdanken der nachrevolutionaeren Zeit viel und koennen deshalb die FSLN auch nicht verraten. KRIEGS- UND REVOLUTIONSERINNERUNGEN Nicaragua ist ein Land, in dem jeder ueber 30 den Buergerkrieg noch mit eigenen Augen miterlebt hat, die Erinnerungen an Zeiten, in denen man quasi nichts hatte sind wach. Aber auch die sandinistische Revolution ist nicht viel laenger her und damit die Zeit, in der ploetzlich Kinos in die hintersten Winkel des Landes gebracht wurden, in der dem indigenen Erbe ploetzlich Bedeutung zugesprochen wurde, in der jeder Kuenstler oder Schriftsteller sein konnte. Als wir mit der Arbeit einmal einen Ausflug in einen Kreis etwa 3 Stunden nord-oestlich von Jinotega gefahren sind, erzaehlten mir einen Kollegin wie sie in dieser Gegend bei der Kaffeeernte geholfen hatte (aus Solidaritaet wurden nach der Revolution Freiwillige, vor allem Schueler und Studenten, aufs Land geschickt, um den Armen Baeuern bei der Ernte zu helfen), wie sie mit mehreren Jugendlichen in einer Scheune uebernachteten oder manchmal auch unter freiem Himmel, weil dort die Sterne so schoen zu sehen waren, welches Lied sie immer sangen und ueber das Radio, die einizige Verbindung zur Aussenwelt, hoerten, wie sie unter den anderen Jugendlichen ihre erste grosse Liebe fand... Eine fast maerchenhafte Geschichte von Jugend und Freiheit - waeren da nicht die Kaempfe gewesen, die nur wenige Kilometer weiter stattfanden... Immer wieder musste man sich in den Haeusern verstecken und tatsaechlich ist ein Bruder ebenjener Kollegin, der fuer die sandinistische Armee kaempfte, kaum aelter als sie, etwa 15km weiter noerdlich bei den Kaempfen ums Leben gekommen. Die etwas aelteren fingen dann an zu erzaehlen, wie sie waehrend der Alphabetisierungskampagnen als Studenten bei einer Familie vom Land mehrere Monate lang lebten, um ihnen Grundzuege des Lesens und Schreibens beizubringen. Die Erinnerungen sind nach wie vor lebhaft, genauso wie die derer, die im Buergerkrieg kaempften, die zu jeder Narbe an ihrem Koerper eine Geschichte zu erzaehlen haben... Tatsaechlich hat jede nicaraguanische Familie im Kontrakrieg Opfer zu beklagen gehabt, manchmal auf beiden Seiten, denn es war nicht unselten, dass in der selben Familie ein Sohn fuer die Sandinisten und einer fuer die Kontras kaempfte.

7 UND IN ZUKUNFT? Es wird abzuwarten sein was passiert, aber beispielsweise wird gemunkelt, dass bei den naechtsen Wahlen nun nicht mehr Daniel Ortega, sondern seine Frau Rosario Murillo, die wohl schon jetzt die Faeden in den Haenden haelt, antreten wird. Nach dem Tot Chavez ist auch die langfrisitige Entwicklung der venezolanischen Wirtschaftshilfe weiter abzuwarten, denn Nicaragua ist immer noch das zweitaermste Land Lateinamerikas nach Haitii. Einige versprechen sich die grosse Rettung durch den Bau des Kanals, der nach ueber hundert Jahren nun wohl doch noch gebaut werden soll - viele internationale und nationale Kommentare sind jedoch auch kritisch. Denn die Rechte ueber den Kanal wurden fuer einhundert Jahre an eine chinesische Firma verkauft und wie die Chinesen ihre eigene Bevoelkerung zum Teil behandeln, wissen wir alle. Auch wurden die Landrechte weitgehend mitverkauft, das heisst, wenn ein Gelaende fuer den Bau des Kanals, eines Zugangsweges oder fuer Material gebraucht wird, muss es zu Niedrigstpreisen an die Chinesen verkauft werden. Ausserdem wird der Kanal wohl durch das Territorium indigener Bevoelkerung fuehren, weshalb die Menschen, ohne gefragt zu werden, umgesiedelt werden muessen. An die Naturschaeden ist gar nicht zu denken - Arten werden verschwinden, grosse Flaechen an Regenwald abgeholzt, eine Schleuse durch das Land geschaffen, die auch Hurrikanes den Weg ins Land erleichtert... Aber vielleicht schafft man es ja auch die Schaeden in Grenzen zu halten, dem Land zu einem wirtschaftlichen Aufstieg zu verhelfen und neue Arbeitsplaetze zu schaffen. Das waere zumindest zu hoffen! Und mit diesem eher nachdenklichen Schluss ueberlasse ich euch euren Gedanken, ich hoffe, ich konnte euch zumindest ein wages Bild ueber die Geschichte Nicaraguas verschaffen, sodass ihr, wenn ihr das naechste Mal etwas ueber dieses kleine Land hoert, ein offenes Ohr habt und mit den Geschehnissen schon etwas mehr anzufangen wisst... Und dann koennt ihr anfangen uns jetzt allen ganz fest die Daumen zu druecken, denn, wie ich euch bereits berichtet hatte, fahren wir nach Panama, wo einer unserer Jugendlichen an den Zentralemerikanischen Leichtathletikmeisterschaften teilnehmen wird. UND MORGEN GEHT ES LOS!! Der Bericht wird folgen... Liebe Gruesse, eure Kirsten

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