Kapitel 1 Treten Sie näher

Transkript

1 Kapitel 1 Treten Sie näher Elin Torger / Sebastian Romert, Makrofotografie, dpunkt.verlag, ISBN BILD SEBASTIAN ROMERT

2 Hätten Sie gedacht, dass man an einer schlammigen Pfütze ein so reizvolles Foto schießen kann? Canon PowerShot S3 IS, 72 mm (entspr. 432 mm), Makrovorsatz Raynox DCR-250 (+8), ISO 80, Blende 6,3, 1/200 s 1 Auf die Knie Beim Makrofotografieren gibt fast jeder Gegenstand ein potenzielles Motiv ab auch wenn im Voraus nicht immer ganz leicht zu erkennen ist, welches Objekt es wert sein könnte, die Kamera zu zücken. Was aus einiger Entfernung interessant scheint, resultiert möglicherweise in einem ziemlich langweiligen Bild, während dort, wo man sich nicht viel verspricht, Spitzenaufnahmen entstehen können. Nehmen wir das Beispiel einer etwas unappetitlich wirkenden Schlammpfütze in hellem, starke Reflexionen erzeugenden Sonnenlicht. Natürlich hat man hier nicht wirklich Lust, sich mit der Kamera auf den Boden zu werfen. Aber die Makrowelt ist ein ganz eigenes Universum. Die geringe Schärfentiefe, die man durch die große Nähe zum Objekt erzielt, macht aus dem Hintergrund eine abstrakte Komposition aus Licht, Farben sowie angedeuteten Formen. Und die Insekten, die man im Morast zunächst nur erahnt, werden zu riesigen Monstern in einer Welt wie von einem anderen Stern. Was normalerweise nachteilig ist, kann sich auf der Makroebene vorteilhaft auswirken. Um gute Fotos zu machen, brauchen Sie nicht besonders weit zu gehen es reicht völlig, dass Sie zu kriechen beginnen. 10 BILD SEBASTIAN ROMERT

3 2 Entdecken Sie die Makrowelt durch den Sucher Hier finden Sie ein weiteres schönes Beispiel dafür, in welcher Weise man sich Objekten nähern und die Welt durch den Sucher erkunden kann. Aus einiger Entfernung sieht eine Kiefernnadel vielleicht nicht besonders interessant aus. Aber wer sie aus der Nähe durch den Sucher seiner Kamera betrachtet, entdeckt ihr Motivpotenzial. Mithilfe besonders geringer Schärfentiefe kann auch ein alltägliches Objekt als wunderbar abstraktes Bild dargestellt werden. Die Möglichkeiten sind unendlich: Hintergrund, Komposition, Schärfentiefe und Vergrößerung alle diese Aspekte tragen zu einer einzigartigen Aufnahme bei. Die Lage der Schärfeebene ist in sämtlichen fotografischen Bereichen von zentraler Bedeutung. In der Makrofotografie kommt ihr aber eine besonders entscheidende Rolle zu: Denn Bruchteile eines Millimeters können darüber entscheiden, ob ein Bild gut oder schlecht wird. Die Spitze einer Kiefernnadel: Aus einem vermeintlich langweiligen Motiv wurde ein spannendes abstraktes Bild. Wenn man mit einer geringen Schärfentiefe arbeitet, kann einem bereits der leiseste Windhauch einen Strich durch die Rechnung machen. Deshalb wurde dieses Foto nicht unmittelbar am Waldrand sowie windgeschützt auf Bodenhöhe aufgenommen. Canon PowerShot S3 IS, 72 mm (entspr. 432 mm), Makrovorsatz Raynox DCR-250 (+8), ISO 80, Blende 3,5, 1/320 s BILD SEBASTIAN ROMERT 11 Elin Torger / Sebastian Romert, Makrofotografie, dpunkt.verlag, ISBN

4 3 Zoomen Sie heran Halt! Werfen Sie die verblühten Tulpen noch nicht weg! Die Pflanzen können noch als wunderbares Motiv herhalten. Freilich machen die welken Blumen in ihrer Vase und im harten Licht zunächst keinen besonders erquicklichen Eindruck. Aber das lässt sich ändern. Wie? Der Allround-Tipp in diesem Buch lautet: Gehen Sie näher heran! Dazu brauchen Sie sich noch nicht einmal vom Fleck zu rühren. Benutzen Sie vielmehr ein Zoomobjektiv. Oder wählen Sie, wenn Sie eine Systemkamera mit Festbrennweitenobjektiven verwenden, eines mit längerer Brennweite. Mit einem solchen Objektiv ergibt sich bei gleichem Motiv und unveränderter Kameraposition ein völlig anderes Bild. Durch die starke Vergrößerung ist die Schärfentiefe geringer perfekt für Darstellungsgegenstände dieser Art. Die Elemente im Vordergrund sind dann nicht mehr im Weg, sondern tragen zu einem sanften, diffusen Eindruck bei. Und das Blatt im Hintergrund verschwimmt und scheint Farben und Licht zu versprühen. Dies ist ein weiteres Beispiel für ein Bild, das so nicht vorherzusehen war. Blicken Sie also möglichst oft durch den Sucher! Untersuchen Sie die Bildmöglichkeiten welker Tulpenblüten mittels eines Objektivs mit längerer Brennweite. Canon PowerShot S3 IS, 72 mm (entspr. 432 mm), Makrovorsatz Raynox DCR-150 (+4), ISO 80, Blende 3,5, 1/5 s 12 BILD SEBASTIAN ROMERT

5 Eine Stelle, zwei Bilder. Was nasse Hosenknie ausmachen können! Canon PowerShot S3 IS, 72 mm (entspr. 432 mm), Makrovorsatz Raynox DCR-150 (+4), ISO 80, Blende 5, 1/500 s 4 Überall verstecken sich Bilder An einem feuchten Herbsttag hält gewöhnliches Gras viele schöne Motive für Sie bereit. Wenn es kalt wird, bilden sich an Grashalmen oft kleine Tautropfen. Fangen Sie sie mit Ihrer Kamera ein, bevor die Sonne sie wegtrocknet! Wer sich noch nie mit der Makrofotografie auseinandergesetzt hat, kommt vielleicht gar nicht auf die Idee, stehen zu bleiben und sich für einen näheren Blick ins Gras zu knien. Bei diesem Foto wurde ein schönes rotes Herbstlaubblatt als Hintergrund verwendet. Das Blatt dient als farbenfroher Fond; die Tropfen heben sich vom Blatt ab und spiegeln es gleichzeitig in Miniaturformat. BILD SEBASTIAN ROMERT 13 Elin Torger / Sebastian Romert, Makrofotografie, dpunkt.verlag, ISBN

6 5 Man nehme, was man hat Auch im Kühlschrank, zwischen übrig gebliebenen Lebensmitteln, findet man Kamerafutter. Ein mit Frischhaltefolie abgedeckter Salatteller ist nicht gerade ein Alltagsmotiv. Besonders inspirierend sieht er auch nicht aus. Wirklich nicht? Betrachten Sie den Teller durch den Sucher. Der Anblick wird Sie überraschen: Die kleinen Kondenswassertropfen an der Folie wirken wie Organismen in einer mikroskopischen, pastellfarbenen Welt. Indem man Teller mit unterschiedlich gefärbten Resten benutzt, die Frischhaltefolie verdellt oder sie einschneidet, kann man das Motiv leicht variieren. Natürlich ist auch die Lichtquelle von wesentlicher Bedeutung. Oft braucht man sich gar keine Mühe mit Kunstlicht zu machen. In diesem Fall konnte man sich mit dem durchs Fenster fallenden Tageslicht begnügen. Bei schwachem Licht greifen Sie am besten zum Stativ (siehe Tipp 9). Canon PowerShot S3 IS, 65 mm (entspr. 390 mm), Makrovorsatz Raynox DCR-250 (+8), ISO 80, Blende 5,6, 1/3 s 14