Neuanfang. Er nahm mich fest in seine starken Arme und presste seine

Transkript

1 Neuanfang Er nahm mich fest in seine starken Arme und presste seine kalten, schönen Lippen auf meine. Seine Haut roch so männlich und unwiderstehlich und eines wusste ich, dieser Mann liebte nur mich. Achtung, Achtung, an Gleis 3 fährt nun ein, der Intercity Express von Hamburg-Altona nach München. Die Durchsage riss mich wie ein Blitz, aus meinen Gedanken. Oh man, ich liebte dieses Buch und kannte schon alles inund auswendig. Wie viele andere, war auch ich voll und ganz im Vampir-Fieber. Würde mich auch mal ein Mann so sehr lieben wie dieser Vampir seine Isabella? Nein, so etwas gab es in Wirklichkeit nicht. Genauso wenig wie es Vampire oder Werwölfe gab, aber ehrlich gesagt war mir das egal. Ich liebte dieses Buch einfach und las es nun schon zum fünften Mal. Der Zug kam an und ich stieg mit meinem alten Koffer ein. Hoffentlich gab es noch einen Sitzplatz, ich hatte nämlich keine Lust, mehrere Stunden zu stehen. Leider hatte ich vergessen einen Platz für mich zu reservieren, als ich das Ticket buchte. Ich hoffte zumindest, dass ich dieses eine Mal etwas Glück hatte. Ich ging durch den schmalen Gang, bis in den nächsten Waggon. Dort sah ich noch einen freien Platz ganz hinten - 5 -

2 links am Fenster, ansonsten waren alle Plätze belegt. Glück gehabt! Als ich meinen Koffer verstauen wollte und ihn mit meiner ganzen Kraft, oben auf die Gepäckablage heben wollte, öffnete er sich und der gesamte Inhalt fiel auf den Boden. So etwas kann auch wieder nur mir passieren, brummelte ich vor mich hin, als ich bemerkte wie sich eine Gruppe von Jugendlichen deswegen über mich lustig machte. Schaut mal, was die für hässliche Sachen hat. Die sollte sie mal lieber zur Altkleidersammlung bringen, lästerten sie. Das blonde Mädchen fing an zu lachen, als sie sah, dass ich rot wurde. Ihre Freundin lachte ebenfalls. Wer weiß wo die herkommt, vielleicht gibt es dort nichts Passendes, giftete sie. Nun lachten sie beide über mich. Mir war es einfach nur total peinlich. Was solche Mädchen immer hatten? Ja gut, ich hatte keine tollen schicken Markenklamotten, aber sie waren nicht kaputt oder so, halt gemütlich und bequem. Ich hatte mir für die lange Fahrt extra bequeme Sachen angezogen. Meine Lieblingslatzhose und ein weißes T-Shirt. Die langen, roten Haare hatte ich zu einem geflochtenen Zopf zusammengebunden. Die Sachen waren für die Fahrt angemessen, wenn ich überlegte wie lange ich nun in dem Zug sitzen würde. Die alte Dame, die mir gegenüber saß, stand auf und half mir meine Sachen wieder in den Koffer zu packen. Komm ich helfe dir, sagte sie und packte mit an. Sie lächelte freundlich und wir packten zusammen meine - 6 -

3 Sachen schnell wieder in den Koffer. Das ist sehr freundlich von Ihnen, danke schön, bedankte ich mich und hievte den Koffer nach oben. Nachdem mein Koffer nun endlich oben auf der Gepäckablage lag, setze ich mich auf meinen freien Platz. Ich bin übrigens Käthe, stellte sich die Dame bei mir vor. Möchtest du einen Keks?, fragte sie lächelnd und hielt mir dabei schon eine Dose selbstgebackener Kekse unter die Nase. Danke schön, sehr gerne. Mein Name ist im Übrigen Nora, Nora Marquardt, antwortete ich und nahm mir einen Keks. Die sind wirklich gut. Echt lecker, bemerkte ich und Käthe strahlte über das ganze Gesicht. Das Abteil war überfüllt mit Leuten, Koffern und Kinderwagen. Eine Frau stillte gerade ihr Baby und eine andere hatte wohl keine Zeit mehr, sich zu Hause fertig zu machen. Sie hatte ihre ganzen Schmink-Utensilien auf dem kleinen Tisch vor sich ausgebreitet und schminkte sich hier im Zug. Meiner Meinung nach vielleicht etwas zu viel, aber das musste sie selber wissen. Es roch auch etwas unangenehm hier, irgendwie nach Mottenkugeln. Kann ich das Fenster öffnen?, fragte ich Käthe. Sie nickte mir nur freundlich zu und aß weiter ihre Kekse. Die Dame mir gegenüber schien sehr nett zu sein. Sie war geschätzte 80 Jahre alt, hatte lange, graue Haare, die sie zu einem Knoten zusammengesteckt hatte. Jetzt merkte ich, dass sie es war, die so roch. Dass die alten Leute immer so einen eigenartigen Geruch an sich haben mussten. Irgendwie - 7 -

4 rochen sie doch alle gleich. Ich grinste sie an, denn sie sollte es nicht bemerken, dass mir ihr Geruch etwas unangenehm war. Die Kleidung die sie trug, war alt, aber gut gepflegt. Es saß alles perfekt. An der Nase hatte sie eine kleine Warze, die aber nicht so schlimm aussah. Sie passte einfach in ihr Gesicht. Sie erinnerte mich an meine Großmutter Ann. Ein trauriges Gefühl stieg in mir hoch, wenn ich an sie dachte. Meine liebe Oma Ann, wegen ihr saß ich nun hier in diesem Zug. Nein, ich will jetzt nicht traurig sein, sagte ich zu mir selbst und schaute mir weiter die Leute an, mit denen ich nun einige Zeit meines langweiligen Lebens zusammen im Zug verbringen würde. Die beiden Mädchen, die sich vorhin noch über mich lustig gemacht hatten, saßen mit zwei Jungen zusammen. Alle waren sehr gut gekleidet. Das blonde Mädchen hatte einen Pferdeschwanz, den sie mit einer roten Schleife zusammengebunden hatte. Sie sah hübsch aus, auch wenn sie eine eingebildete Ziege war. Die enge Jeans und das rote Top schmeichelten ihrer dünnen Figur. Sie würde sich bestimmt den ganzen Tag den Finger in den Hals schieben, damit sie nicht zunahm. Ich grinste leicht, bei dem Gedanken, ihr würde die Kotze im Halse stecken bleiben. Ihre Freundin war eine dunkelhaarige Kopie von ihr. Sie hatte ebenfalls ein enge Jeans, aber ein blaues Top an und ebenfalls einen Pferdeschwanz, den sie natürlich mit einer - 8 -

5 blauen Schleife zusammengebunden hatte. Wie albern. Musste bei solchen Mädchen immer alles stimmen, konnte nicht wenigstens eine einen Pickel, eine Brille oder eine Zahnspange haben. Ich merkte wie mir der Neid leichte Röte ins Gesicht pumpte und mein Herz schneller klopfen ließ. Das war immer so ungerecht, solche Mädchen hatten einfach alles. Ihre Begleiter sahen mehr als perfekt aus, so als wären sie aus einer Modezeitschrift für Männermode entsprungen. Einer von ihnen war schwarzhaarig und er trug ein weißes Hemd, das oben leicht aufgeknöpft war. Er wollte wohl, dass man damit seinen wohlgeformten Oberkörper besser erkennen konnte. Er schien sehr stolz auf sein Aussehen zu sein. Immer wieder schaute er zum Fenster um sich darin zu spiegeln und grinste leicht. Was für ein Angeber. Den anderen Jungen konnte ich leider nicht richtig erkennen. Er saß mit dem Rücken zu mir und genau am Fenster. Er hatte dunkelbraune Haare und eine sehr moderne Frisur. Seine Haare standen leicht stachlig nach oben. Auch wenn ich ihn nicht wirklich erkennen konnte, empfand ich ihn irgendwie sympathischer, als die andern drei. Als die Gruppe bemerkte, dass ich zu ihnen eine ganze Weile hinüberschaute, zischten die Mädchen mich böse an und die Blonde verdrehte die Augen und murmelte leise etwas vor sich hin. Was, das konnte ich leider nicht verstehen. Meine Güte, kann man nicht mal vor sich hinträumen und Leute beobachten? Was hatten sie wohl für ein Problem? - 9 -