Fall 5 (Marco Donatsch, 17./18. Oktober 2011)
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1 Fall 5 (Marco Donatsch, 17./18. Oktober 2011) Vorgehen bei der Fallbearbeitung: Analyse Sachverhalt Erfassung der Fragestellung Welche Rechtsfragen stellen sich? Erstellen einer Problemliste Lösung der Fragestellung: Begründung und Diskussion keine «Ergebnisorientiertheit» stattdessen: Problemerkennung und Vertretbarkeit der Argumentation unter Berücksichtigung von Lehre und Rechtsprechung 1
2 Analyse Sachverhalt Gesuch von X an Kantonsspital Z um Lohnnachzahlung (und zwar für eine in der Vergangenheit liegende, abgeschlossene Anstellungsperiode) Antwort Kantonsspital Z: Nichteintreten auf Gesuch, da Lohnzahlungen gemäss der rechtskräftigen Anstellungsverfügung erfolgt sei Gesetzmässige Lohneinreihung erfolgt per Anfang 2012 und damit nur für in diesem Zeitpunkt Angestellte nur pro futuro Frage 1: Wie ist die Rechtslage? Hat X Anspruch auf Lohnnachzahlungen 2
3 Thema: Fehlerhafte Verfügung ursprünglich oder nachträglich fehlerhaft Fehler in der Tatsachenermittlung oder in der Rechtsanwendung wie ist der SV zu würdigen? Rechtsfolgen einer fehlerhaften Verfügung Anfechtbarkeit / Nichtigkeit / Widerruf oder Wiedererwägung 3
4 Nichtigkeit Kumulativ drei Voraussetzungen: besonders schwerer Mangel Mangel muss offensichtlich oder zumindest leicht erkennbar sein Abwägung zwischen dem Interesse an der Rechtssicherheit und dem Interesse an der richtigen Rechtsanwendung bei falscher Lohneinreihung liegt gemäss Praxis VGr ZH keine Nichtigkeit vor 4
5 Regelfall der Anfechtbarkeit Verfügung muss grundsätzlich innerhalb der Rechtsmittelfrist angefochten werden. Eintritt der formellen Rechtskraft. Materielle Rechtskraft? Ist die Verfügung unabänderlich? Widerruf durch Behörde (materiellrechtliches Problem) Anspruch auf Wiedererwägung (Gesuch durch Betroffenen) Vgl. H/M/U, Rz
6 Änderung formell rechtskräftiger Verfügungen Vorgehen gemäss Tschannen/Zimmerli/Müller, 31 Rz. 20, 29 ff. Erster Gedankenschritt verfahrensrechtlicher Aspekt Bestehen ausreichende Gründe, auf die formell rechtskräftige Verfügung zurückzukommen? Bei Nichteintreten der Behörde auf Wiedererwägungsgesuch wann besteht ein Anspruch? Zweiter Gedankenschritt materiellrechtlicher Aspekt Prüfen der Änderungsgründe 6
7 Rückkommensgründe (erster Gedankenschritt) Rückkommensgründe gemäss Praxis BGr: Revisionsähnliche Gründe - Verbrechen/Vergehen - Urteil EGMR - Neue Tatsachen oder Beweismittel - Aktenkundige Tatsachen oder Beweismittel übersehen - Wesentliche Verfahrensfehler unrichtige Rechtsanwendung Nachträgliche Änderung des Sachverhalts Nachträgliche Änderung der Rechtslage 7
8 Anspruch auf Wiedererwägung Wiedererwägungsgesuch ist ein formloser Rechtsbehelf Anspruch auf Eintreten besteht (H/M/U, Rz. 1042, 1833): - Wenn sich die Umstände wesentlich geändert haben - Wenn der Gesuchsteller erhebliche Tatsachen oder Beweismittel namhaft macht, die im früheren Verfahren nicht bekannt waren oder die schon damals geltend zu machen für ihn unmöglich war oder keine Veranlassung bestand wie verhält es sich damit vorliegend? 8
9 Anspruch auf Wiedererwägung Bei falscher Rechtsanwendung? Lohneinreihung gemäss Anstellungsverfügung betrifft ein in der Vergangenheit liegendes und heute nicht mehr bestehendes Rechtsverhältnis Unterscheidung Dauerverfügung / urteilsähnliche Verfügung (Tschannen/Zimmerli/Müller, 31 Rz. 40) BGE 98 Ia 568 E. 5b: könnte allenfalls dann ausnahmsweise abgewichen werden, wenn sie zu einem stossenden und dem Gerechtigkeitsgefühl zuwiderlaufenden Ergebnis führen würden. 9
10 Anspruch auf rückwirkende Lohnnachzahlungen gestützt auf Art. 8 Abs. 1 BV? Das allgemeine Rechtsgleichheitsgebot verschafft nicht unmittelbar ein subjektives Recht auf einen rechtsgleichen Lohn, sondern nur einen Anspruch auf Beseitigung der Ungleichheit. Daher kein Anspruch auf rückwirkende Ausrichtung einer rechtsgleichen Besoldung (vgl. BGE 131 I 105 E. 3.6 f.) 10
11 Diskussion/Würdigung Gesetzmässige Lohneinreihung erfolgt erst ab 2012 Niemand erhält rückwirkende Lohnnachzahlungen Rechtsgleichheitsgebot ist daher nicht verletzt Die Nichtgewährung der Lohnnachzahlung führt daher wohl nicht zu einem stossenden und dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderlaufenden Ergebnis Sachverhalt unterscheidet sich massgeblich vom Entscheid VGr ZH, 8. Juli 2009, PB , 11
12 Hinweis zum Vertrauensschutz Vorraussetzungen: Vertrauensgrundlage Vertrauen in das Verhalten der staatlichen Behörden was nützt es X, wenn er darauf Vertrauen dürfte, dass die Anstellungsverfügung Bestand hat? Vertrauensbetätigung hat X gestützt auf sein Vertrauen eine Disposition getätigt? Interessenabwägung 12
13 Frage 2: Rechtsmittel Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten: 1. Liegt ein zulässiges Anfechtungsobjekt vor (Art. 82 BGG)? 2. Geht der Entscheid von einer zulässigen Vorinstanz aus (Art BGG)? Beachte auch Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG. 3. Liegt kein Ausschlussgrund nach Art BGG vor? 4. Liegt ein zulässiger Beschwerdegrund vor (Art. 95 ff. BGG)? 5. Ist die beschwerdeführende Person zur Beschwerde berechtigt (Art. 89 BGG)? - Art. 89 Abs. 1 lit. a BGG - Art. 89 Abs. 1 lit. b BGG - Art. 89 Abs. 1 lit. c BGG 6. Beschwerdefrist (Art. 100 f. BGG) und Beschwerdeform (Art. 42, 106 BGG) 13
14 Frage 2: Rechtsmittel Subsidiäre Verfassungsbeschwerde Liegt ein zulässiges Anfechtungsobjekt vor (Art. 113 BGG: nur Entscheide letzter kantonaler Entscheide)? Liegt ein zulässiger Beschwerdegrund vor (Art. 116 BGG: Verletzung verfassungsmässiger Rechte)? Beschwerdeberechtigung - Art. 115 lit. a BGG - Art. 115 lit. b BGG (rechtlich geschütztes Interesse) 4. Ist der kantonale Instanzenzug ausgeschöpft und ist keine der drei Einheitsbeschwerden zulässig (Art. 113 BGG)? 5. Beschwerdefrist (Art. 117 i.v.m Art. 100 BGG) und Beschwerdeform (Art. 42, 106 BGG) 14
15 Diskussion Art. 85 BGG Die Beschwerdelegitimation des Gemeinwesens ist nach Art. 89 Abs. 1 BGG gegeben, wenn dieses in gleicher oder zumindest ähnlicher Weise berührt wird wie ein privater Arbeitgeber. Dies ist bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten im Bereich des öffentlichen Personalrechts grundsätzlich zu bejahen (BGE 134 I 204). Was gilt für die subsidiäre Verfassungsbeschwerde? soweit ersichtlich keine Entscheide dazu 15
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