Vorwort. Jochen Kötter
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- Stefan Adler
- vor 6 Jahren
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2 Vorwort Der erste Satz des d-moll-klavierkonzertes von Brahms fesselt durch seine enorm durchdachte Architektur und seine beseelten Melodien. Konzeptionell zwischen Symphonie und Klavierkonzert angelegt, entstand er aus einer Sonate für zwei Klaviere. Die Faszination angesichts dieser ausgeklügelten Form, ihrem symmetrischen Gesamtkonzept sowie die Liebe zu seinen Themen haben zur Entstehung der vorliegenden Arbeit geführt. Grundsätzliche theoretische Analysen des Satzes gab es schon, z.b. von Carl Dahlhaus. Die vielschichtige Formanlage lässt jedoch recht unterschiedliche Formdeutungen zu, die genauer zu betrachten vielversprechend war. Von wem aber liessen sich neue fundierte Erkenntnisse über die Architektur des Werkes erwarten? Wer kannte den Satz am besten? Die Antwort war einfach wie naheliegend: Die großen Pianisten und Dirigenten, die sich zwangsläufig höchst intensiv mit dem Werk beschäftigt hatten. Erfreulicherweise stand durch deren Einbeziehung eine Bereicherung durch die künstlerisch-praktische Sichtweise der Interpreten in Aussicht. So kam der Entschluss zustande, einen Interpretationsvergleich zur Grundlage der Arbeit zu machen. Wie war es aber möglich, durch das Anhören verschiedener Aufnahmen Rückschlüsse auf die Form zu ziehen? Welcher Aspekt lässt in der Interpretation die Struktur am besten erkennen? - Die Entwicklung des Tempos! Eine deutliche Zäsur oder ein auffälliges Nachgeben im Tempo weißt auf eine Nahtstelle zwischen zwei Formteilen hin je stärker die Ausprägung dessen, desto größer die betroffenen Formteile. So entstand die Idee, mittels Metronom Tempokurven der wesentlichen Formabschnitte zu erstellen und für die Formbetrachtung zu Rate zu ziehen. Die Entscheidung zum Interpretationsvergleich führte zu einem Nebenziel dieser Arbeit: Das Aufspüren interpretatorischer Details sowie individueller Spielarten und Kunstgriffe der Interpreten. Diese Detailbetrachtung beeinflusste die Gliederung der Arbeit nicht unerheblich. Für die Nutzbarkeit als interpretatorisches Nachschlagewerk erwies es sich als praktisch, nach Formabschnitten entlang dem Notentext zu gliedern. Da man sich in der Regel innerhalb eines Formteil befindet, lässt sich auch die übermäßige Verwendung von Taktzahl-Angaben vermeiden was die Lesbarkeit deutlich verbessert. Jochen Kötter
3 Inhalt 1 Einleitung 1 Formschema nach C. Dahlhaus Entstehung 5 3 Erste Betrachtung 19 4 Themen 27 Vorstellung und Entwicklung der Themen...27 Formale Aufgaben der Themen...38 Sätze (Themengruppen) Orchester-Exposition 41 Tempogestaltung...41 Detailgestaltung...50 Formgestaltung der Orchester-Exposition Solo-Exposition 59 Tempogestaltung...59 Detailgestaltung Seitensatz 75 Tempogestaltung...75 Detailgestaltung Formgestaltung der Exposition 93 Übergang von der Orchester- zur Solo-Exposition...93 Hauptsatz-Exposition...95 Haupt- und Seitensatz-Exposition Durchführung 101 Tempogestaltung Detailgestaltung Reprise 117 Tempogestaltung...117
4 Detailgestaltung Formgestaltung der Durchführung und Reprise Auswertung 135 Zusammenwirken von Pianist und Dirigent Brahms Prinzipien und Mittel der Formgestaltung Auseinandersetzung mit Carl Dahlhaus Die Einspielungen im Überblick Anhang 155 Themenübersicht Quellen...158
5 Abbildungen Abb.1 Rhythmische Verwandtschaft der Themen 5 und Abb.2 Verwandtschaft der Orchesterüberleitung zu Thema II...21 Abb.3 Verwandtschaft von 6 und Solo-Episode nach Dahlhaus...22 Abb.4 Die Klavier-Oktavlinie variiert das Motiv Ib...23 Abb.5 Ableitung des staccato-bogens 4 von Abb.6 Harmonik im Bereich von I der Orchester-Exposition...28 Abb.7 Fusion der Motive Ia und Ib zu Iab...29 Abb.8 Chromatische Bassführung bei I in der Solo-Exposition...30 Abb.9 Verwandtschaft von 4 zu Abb.10 Herleitung von 4 aus Ü 4 und 4c...33 Abb.11 Entwicklung der Begleitfiguren aus Kopfmotiv Ia...36 Abb.12 Imitatorische Begleitung des Themas II...36 Abb.13 Die Begleitung des Seitensatzthemas II und Motiv Id...36 Abb.14 Verwandtschaft der Themen II und Abb.15 Celibidaches Höhepunkt des 2. Hauptthemen-Einsatzes...46 Abb.16 Verwandtschaft der Motive Ib und 4a...50 Abb.17 Phrasierung des Themas Abb.18 Zimermans metrische Verdichtung in Ü Abb.19 Der Leitton gis initiiert Zimermans metrische Verschiebung...64 Abb.20 Barenboim entdeckt eine Imitation des Themas 7 im Alt...66 Abb.21 Brendels Akzente im Vortakt zum Thema I im 2. Hauptsatz Abb.22 Arrangement der Triller im Hauptthema I...69 Abb.23 Rubinsteins Begleitung B 1 im Bereich Abb.24 Goulds Begleitstimme B 1 im Thema Abb.25 Thema II...83 Abb.26 Die Fortführung des Themas 6 im Seitensatz...86 Abb.27 Kempff bereitet den Bass der Terzenpassagen vor...87 Abb.28 Führung der Nebenstimmen unter den Quarten...88 Abb.29 Arrau am Beginn der Solo-Episode...89 Abb.30 Altstimmen zu Beginn der Solo-Episode...90 Abb.31 Goulds Achse c führt direkt in den Horneinsatz Abb.32 Kempffs ungewöhnliche Mittelstimme in der Solo-Episode...91 Abb.33 Formprägende Aspekte der Hauptsatz-Exposition...96 Abb.34 Symmetrie von Hauptsatz und Seitensatz...97 Abb.35 Aufbau der Exposition bei Rubinstein/Reiner...99 Abb.36 Aufbau der Exposition bei Zimerman/Bernstein Abb.37 Natürlicher agogischer Verlauf des Hauptthemas...103
6 Abb.38 Signaloktaven leiten die Durchführung ein Abb.39 Barenboims Raumausweitung in der Unisono-Oktavlinie Abb.40 Arrau entdeckt die Repetitionen im Achtelmotiv Id Abb.41 Aufteilung der Begleitfigur B 1 auf die Holzbläser Abb.42 Übergang vom Thema 3 mit Begleitung B 1 zum Thema Abb.43 Gilels spielt eine Variante des Themas Abb.44 Hansen und Kempff spielen im Bereich 4 gis statt g Abb.45 Leggiero-Klavier-Umspielung des Themas Abb.46 Erster Klavier-Anlauf Richtung Reprise in Ü Abb.47 Arraus Linie innerhalb der Kadenzakkorde zur Reprise Abb.48 Glenn Goulds Polyphonie im Thema 4 in der Reprise Abb.49 Katchen drängt die staccato-akkorde I in der Reprise Abb.50 Zimermans Akzente und Rubinsteins Bass in Takt Abb.51 Schematische Darstellung abzuwägender Formprinzipien Abb.52 Quasi-Hemiole vor dem Überleitungssatz Abb.53 Proportionen der Formteile
7 Diagramme Kurve 1 Tempoverlauf des 1. Hauptsatzes von Rubinstein/Reiner...44 Kurve 2 Tempoverlauf des 1. Hauptsatzes von Zimerman/Bernstein Kurve 3 Tempoverlauf des 1. Hauptsatzes von Kempff/Konwitschny...45 Kurve 4 Tempoverlauf des 1. Hauptsatzes von Barenboim/Celibidache...45 Kurve 5 Tempoverlauf des Überleitungssatzes von Zimerman/Bernstein...49 Kurve 6 Tempoverlauf des Überleitungssatzes von Rubinstein/Reiner...49 Kurve 7 Tempoverlauf der Solo-Exposition von Rubinstein/Reiner Kurve 8 Tempoverlauf der Solo-Exposition von Zimerman/Bernstein Kurve 9 Tempoverlauf der Solo-Exposition von Kempff/Konwitschny Kurve 10 Tempoverlauf im Seitensatz von Horowitz/Walter Kurve 11 Tempoverlauf im Seitensatz von Rubinstein/Reiner Kurve 12 Tempoverlauf im Seitensatz von Zimerman/Bernstein Kurve 13 Tempoverlauf im Seitensatz von Ashkenazy/Haitink Kurve 14 Tempoverlauf im Seitensatz von Pollini/Böhm...79 Kurve 15 Tempoverlauf im Seitensatz von Gilels/Jochum...79 Kurve 16 Tempoverlauf im Seitensatz von Kempff/Konwitschny...79 Kurve 17 Arraus Ruhebereich zwischen Orchester- und Solo-Exposition...94 Kurve 18 Tempoverlauf der Durchführung bei Rubinstein/Reiner Kurve 19 Tempoverlauf der Durchführung bei Zimerman/Bernstein Kurve 20 Tempoverlauf der Durchführung bei Gelber/Schmidt-Isserstedt 102 Kurve 21 Tempoverlauf der Durchführung bei Gilels/Jochum Kurve 22 Tempoverlauf der Reprise bei Rubinstein/Reiner Kurve 23 Tempoverlauf der Reprise bei Zimerman/Bernstein Kurve 24 Tempoverlauf der Reprise bei Hansen/Fricsay Kurve 25 Tempoverlauf der Coda bei Rubinstein/Reiner Kurve 26 Tempoverlauf der Coda bei Zimerman/Bernstein
8 1 1. Einleitung Ziel des vorliegenden Interpretationsvergleichs ist die Entdeckung neuer Form-Aspekte durch Zuhilfenahme der Erkenntnisse interpretierender Künstler, Der Vergleich bietet zugleich die Möglichkeit, nach außergewöhnlichen, interpretatorisch-kreativen Ansätze zu suchen, die auch für die Interpretation anderer Werken von Nutzen sein könnten. Aus dem Zusammenwirken von Dirigent und Pianist lassen sich zudem einige grundsätzliche Denkansätze über die Entwicklung eines gemeinsamen Klangbildes herausfinden. Der Begriffe Struktur wird hier in seiner umfassender Auslegung verwendet. er beinhaltet die Großform, Detailgestaltung, Phrasierung der Themen, aber auch die Gewichtung polyphoner Stimmen. Ebenso meint Struktur hier dynamiksche Verhältnisse, etwa zwischen Klavier und Orchester oder zwischen Streichern und Holzbläsern (Klangstruktur). Als Hauptmittel für die Gewinnung architektonischer Erkenntnisse aus den Aufnahmen werden Tempoverlaufs-Diagramme verwendet. Diese sind unter Zuhilfenahme des Metronoms erstellt und besitzen daher systembedingt eine gewisse Ungenauigkeit. Besonders im Seitensatz mussten noch zusätzliche Vereinfachungen der Kurven vorgenommen werden, um ein auswertbares Ergebnis erzielen zu können. Es war für mich sehr spannend, herauszufinden, in wieweit diese Tempo-Diagramme in der Praxis neue Erkenntnisse für die Formanalyse beisteuern könnten. In der Behandlung des Klaviers unterscheidet sich dieser Konzertsatz erheblich von seinen klassisch-romantischen Vorgängern. Schon die Entstehungsgeschichte (Sonate für zwei Klaviere > Symphonie > Klavierkonzert lässt dies erahnen. Der Solopart ist keineswegs voller selbstdarstellerischer, virtuoser Brillanz, wie es das Publikum damals gewohnt war. Vielmehr ist das Klavier hier als wichtigstes Instrument innerhalb des Orchesters, dessen gleichberechtigter Widerpart und Mitstreiter in der Entwicklung der musikalischen Gedanken. Bei der Interpretation des Klavierkonzerts treffen zwei Interpreten mit Gestaltungsideen aufeinander. Eine erstklassige Interpretation gerade dieses vorliegenden, symphonisch angelegten Satzes hängt erheblich vom gelungenen Zusammenfinden beider Künstler zu einer gemeinsamen Interpretation ab. Im großen und ganzen sind Klavier und Orchester noch nicht so kunstvoll verzahnt, wie es vielleicht später im zweien Klavierkonzert zu beobachten ist. Auch hat dieser Satz noch nicht ganz den Figurenreichtum seines Nachfolgers. Er überzeugt vielmehr durch die feinsinnige bis überaus kraftvolle Ausformung der Charaktere seiner Themen, die entsprechende Unterstützung durch einen wohlüberlegt treffenden Klaviersatz sowie seine höchst intensive, dramaturgisch mitreißende Ausdrucksstärke.
9 2 Einleitung An den formal wichtigen Stellen wird der Klavier-Solo-Einsatz (oder die Führung des Klaviers) als formbildenden Parameter eingesetzt. 1 Auch sind dem Klavier die einzigen improvisatorisch frei wirkenden Stellen zugedacht: die beiden Solo-Episoden sowie das Rezitativ in Takt 361. Die vorliegenden Einspielungen entstanden in der Zeitspanne von ! Begriffe Alle Benennungen und Kürzel von Themen, Sätze oder Formteilen sind in erster Linie im Hinblick auf die Anschaulichkeit gewählt. So sind die Hauptthemen zur besseren Wiedererkennung mit römischen (I, II), alle weiteren Themen mit arabischen Ziffern bezeichnet. Neue Motive, die aus mehreren Motiven oder Motivelementen zusammen gesetzt sind, werden assoziativ nach ihren Herkunftsmotiven benannt. In diesem Sinne sind auch Begriffe wie Gegenthema (als ein stetiger Gefährte des Hauptthemas, also nicht unbedingt die eng gefasste Verwendung des Begriffes im Sinne des Themendualismus) oder Orchester-Introduktion (als Gegenstück zur Solo- Introduktion) zu verstehen. Der Begriff Satz wie in Hauptsatz, Überleitungssatz, Seitensatz, Schluss-Satz wird als Synonym für Themengruppe verwendet. Beispiele für Abkürzungen I = Hauptthema I 3 = Nebenthema 3 Ia = Motiv Ia, Teil des Hauptthemas I Icd = Die Motive Ic und Id Ü 6 = Überleitung mit Material das Themas 6 B 1 = Begleitfigur 1 Hs, Ss, Üs Exp., Df, Repr Orch = Hauptsatz, Seitensatz, Überleitungssatz = Exposition, Durchführung, Reprise = Orchester Als Ausgangspunkt für die formale Untersuchung soll das Formschema von C. Dahlhaus dienen. 1 In der Solo-Introduktion, im Seitenthema, am Beginn der Durchführung und am Beginn der Reprise
10 Formschema nach C. Dahlhaus 3 Formschema nach C. Dahlhaus Exposition I 3 4 I I [d] d a > b > d e D d [d] A/a e > f F Seitensatz Solo Tutti II 6 6/II II 6 Ü F F > Ges F A F Des F B F Durchführung I F d a a cis b > h d Reprise I [d] d e fis fis > Seitensatz Solo Tutti II 6 6/II II 6 Ü D D > Es > D Fis D B D d g Coda I 5 (6) g A d
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