ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 DIE BUCHKRITIK. Manfred Velden: Hirntod einer Idee. Die Erblichkeit der Intelligenz.

Transkript

1 ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 DIE BUCHKRITIK Manfred Velden: Hirntod einer Idee. Die Erblichkeit der Intelligenz. Vandenhoeck & Ruprecht Verlag 19,99 Euro Rezension von Ulfried Geuter Dienstag, 21. Januar 2014 (14: Uhr)

2 Bitte beachten Sie: -2- Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR SWR 2 Die Buchkritik können Sie auch als Live-Stream hören im SWR 2 Webradio unter oder als Podcast nachhören: buchkritik.xml Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/ oder swr2.de

3 Von Ulfried Geuter -3- Seit einem Jahrhundert beschäftigen sich Forscher mit der Frage, in welchem Ausmaß Intelligenz erblich bedingt ist. Angaben reichen von 10 bis 90 Prozent. Einig ist man sich nicht. Und mehr als das, meint Manfred Velden in seinem kritischen Buch über die Erblichkeit der Intelligenz: Jeder meint, was er will. Die einen erklären die Intelligenz für weitgehend erbbedingt, andere für ein Ergebnis der Sozialisation. Und das, obwohl die Forschung beansprucht, mit empirischen Studien falsche von richtigen Meinungen zu trennen. Warum das so ist, darauf gibt Velden eine einfache und grundsätzliche Antwort: Die Frage nach der Erblichkeit der Intelligenz ist falsch gestellt. Das Problem dieser Frage beginnt damit, dass in der Psychologie keine Einigkeit darüber besteht, was

4 Intelligenz eigentlich ist. Außer das, was ein Test misst. -4- Gibt es überhaupt eine generelle Intelligenz? Oder hat sie unterschiedliche Felder, die voneinander unabhängig sind? Intelligenz nämlich ist ein Konstrukt, das heißt, sie ist das, was Wissenschaftler darunter verstehen. Und wie, fragt Velden zurecht, kann man ein Konstrukt vererben? Ein zweites Problem ist methodischer Natur. Alle Aussagen über Erblichkeit beruhen auf Daten zum statistischen Zusammenhang von Testergebnissen zwischen Verwandten, z. B. Eltern und ihren Kindern oder eineiigen gegenüber zweieiigen Zwillingen. Statistische Maße zum Zusammenhang zwischen diesen Werten, so die Kritik von Veldens, werden nun umgedeutet in Maße der genetischen Bedingtheit. Denn einen Beleg für die Erblichkeit aus der Genforschung, das heißt einen molekulargenetischen Nachweis gibt es nicht.

5 -5- Velden weiß, wovon er spricht. Er ist ein Fachmann, und er seziert scharfsinnig die methodischen Ungereimtheiten der Intelligenzforschung. Diese Forschung teilt in der Regel Messwerte auf in einen Prozentanteil für das Erbe und einen für die Umwelt. Das unterstellt, dass beide zusammen eine Summe bilden: x Prozent Erbe plus y Prozent Umwelt gleich 100 Prozent Intelligenz. Das aber, schreibt Velden, ist unwissenschaftlich. Denn Erbe und Umwelt interagieren in einer Weise miteinander, dass man den Faktor Erbe nicht herauslösen kann. Wenn man einen Stamm dummer Ratten und einen Stamm kluger Ratten unter 3 Bedingungen: Reizarmut, normal und viel Spiel mit anderen Tieren und Gegenständen heranzüchtet, bleiben unter der reizarmen Bedingung Jungtiere beider Stämme dumm, unter der angereicherten Bedingung werden beide klug, und nur unter der normalen

6 -6- Bedingung wird der ursprüngliche Unterschied zwischen beiden Stämmen in den Leistungen sichtbar.

7 Von der Umwelt hängt also ab, wie ein Erbe zur Geltung kommt. Weite Teile der Intelligenzforschung wollen genau das anzweifeln. Denn diese Forschung, davon handelt der zweite Teil von Veldens Buch, ist seit ihren Anfängen mit dem eugenischen Gedanken verbunden, gute Gene zu fördern. Sie geht nämlich zurück auf Darwins Cousin Francis Galton, der die eugenische Bewegung ins Leben rief. Kaum waren die ersten Statistiken über angeblich genetische Unterschiede zwischen Menschengruppen veröffentlicht, erließ der US-Bundesstaat Indiana 1907 das erste Gesetz zur Zwangssterilisierung. In den USA bestimmten auch die Ergebnisse von Intelligenztests an Rekruten im Ersten Weltkrieg darüber, welche Einwanderungsquoten für einzelne Länder festgelegt wurden: eine Trennung in genetisch mehr oder weniger erwünschte Länder. Velden hat den Mut zu sagen, dass die Intelligenzforschung ein dunkles Kapitel der Wissenschaftsgeschichte ist. Der vom englischen König geadelte Psychologe Sir Cyril Burt fälschte

8 SWR2 MANUSKRIPT nachweislich Daten von Zwillingsuntersuchungen. Er war an einem Programm beteiligt, aufgrund dessen in England ein Intelligenztest über die Schullaufbahn von Kindern entschied. Seit den 1960er Jahren zogen in den USA Intelligenzforscher gegen Programme zur schulischen Förderung schwarzer Kinder zu Felde. Ihr Argument: Schwarze Kinder schneiden in Tests schlechter ab, also besitzen sie eine erbbedingt geringere Intelligenz. Ein Fürsprecher dieses Rassismus war auch einer der weltweit bekanntesten Psychologen, der Engländer Hans- Jürgen Eysenck. Velden trägt seine Kritik in einer sachlich schlichten und verständlichen Art vor. Sein Plädoyer hingegen ist radikal: Weil die Forschung zur Erblichkeit der Intelligenz von falschen Annahmen ausgeht und weil sie bislang praktisch keinen anderen Sinn machte, als rassistische Ideen zu verbreiten, sollte man diese Forschung einstellen. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

9 SWR2 MANUSKRIPT Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.