Fall 03 - "Überraschung "
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- Ferdinand Vogel
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1 Arbeitsgemeinschaft Staatsrecht Wiss. Mitarbeiterin Anna Mrozek Fall 03 - "Überraschung " LÖSUNSSKIZZE Die Bundeskanzlerin kann die Gegenzeichnung verweigern, soweit sie berechtigt ist, die Verfassungsmäßigkeit zu prüfen und wenn das Gesetz insofern tatsächlich gegen die Verfassung verstößt. I. Gegenzeichnungspflicht nach Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG? 1. Gegenzeichnender? Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG: durch wen ist gegenzuzeichnen (feststeht nach dem Wortlaut nur: nicht durch den Bundespräsidenten)? => nach h.m. Rückgriff auf Art. 58 Satz 1 GG: durch Bundeskanzler oder zuständigen Bundesminister (bzw. 29 Abs. 1 Satz 1 GO BReg: durch Bundeskanzler und zuständigen Bundesminister also: jedenfalls auch durch Bundeskanzler 2. Prüfungsrecht? Wortlaut: ausdrückliche Regelung allenfalls in Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG "... nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zustande gekommenen Gesetze werden vom Bundespräsidenten nach Gegenzeichnung ausgefertigt usw.... " einerseits: Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG ordnet an, daß nur verfassungsm. Gesetze gegengez. werden andererseits: Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG ordnet für "Gegenzeichnung" nur Reihenfolge, vgl. Arg. Fall 1 => Wortlaut nicht eindeutig Systematik: Amtseid, Art. 64 Abs. 2, 56 Satz 2 GG: einerseits:... Grundgesetz... wahren und verteidigen... andererseits: nur im Rahmen verliehener Kompetenzen (... meine Pflichten... ), vgl. Arg. Fall 1 Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG: einerseits: Bundeskanzler als Teil staatlicher Gewalt andererseits: Prüfung der Verfassungswidrigkeit von Gesetzen in erster Linie dem BVerfG, vgl. hierzu vor allem Art. 93
2 Abs. 1 Nr. 2; 100 GG (sog. Normverwerfungsmonopol ), vgl. Arg. Fall 1 => auch bei systematischen Betrachtungen keine Eindeutigkeit der Bedeutung Antragsrecht, Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG: einerseits: Bundeskanzler kann Bundesregierung bewegen, eine Organstreitverfahren anzustrengen andererseits: nicht durchsetzbar => auch bei systematischen Betrachtungen keine Eindeutigkeit der Bedeutung Historie/Sinn und Zweck: einerseits: andererseits: Gegenz. soll trad. Einheitlichkeit der Staatsführung garantieren: formell vom Staatsoberhaupt vorzunehmende Handl., die materiell in Kompetenz der Reg. fallen werden von dieser gebilligt und verantwortet: möglich: Bundeskanzler bescheinigt Authentizität des Gesetzestextes und Verfassungsmäßigkeit Vetorecht liefe dem Willen des Parlam. zuwider => i.e.: Prüfungsrecht (-), a.a. vertretbar HILFSGUTACHTEN II. Verfassungsmäßigkeit fraglich, ob das Gesetz bis dahin (genauer: bis zum Zeitpunkt der Gegenzeichnung) formell und materiell verfassungsmäßig ist 1. Formelle Verfassungsmäßigkeit a. Gesetzgebungskompetenz grds. Art. 30, 70 GG Länder (1) Geschriebene Kompetenz? (a) Ausschließliche Kompetenz des Bundes?... nach Art. 71, 73 GG nicht ersichtlich (b) Konkurrierende Kompetenz des Bundes?... nach Art. 72, 74 GG nicht ersichtlich (c) Rahmenkompetenz des Bundes?... nach Art. 72, 75 GG nicht ersichtlich 2
3 (d) Sonst? Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG? Ermächtigung, Formen der Volksabstimmung durch Gesetz zu regeln? dagegen spricht: Art. 38 Abs. 3 GG (Kompetenz des Bundes zum Erlaß des BWahlG wird ausdrücklich geregelt: (1) überflüssig, soweit Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG Kompetenz enthielte bzw. (2) zum BWahlG wird ausdrücklich ermächtigt, zur Festlegung von Volksabstimmungen dagegen nicht Art. 79 Abs. 1, 2 GG? Ermächtigung, Formen der Volksabstimmung durch Gesetz zu regeln? ( ), Art. 79 Abs. 1, 2 GG gilt nur für GG-Änderung (2) Ungeschriebene Kompetenz? (a) Kompetenz kraft Sachzusammenhangs (Erweiterung "in die Breite") eine dem Bund zugewiesene Materie kann nicht geregelt werden, ohne daß eine ihm nicht ausdrückl. zugewiesene Materie gleich mitgeregelt wird => diese Materie ist nicht ersichtlich; insbesondere kann von der Gesetzgebungskompetenz des Art. 38 Abs. 3 GG ohne weiteres "isoliert Gebrauch gemacht" werden (b) Annexkompetenz (Erweiterung "in die Tiefe") eine dem Bund nicht ausdrückl. zugewiesene Materie ist in einer ihm zugewiesene Materie enthalten => ebenfalls ( ), vgl. Arg. unter (b) (c) Kraft Natur der Sache? Materie muß begriffsnotwendig durch Bundesgesetz geregelt werden, Zweckmäßigkeit genügt nicht (z.b. Bundeshauptstadt und Bundessymbole) => Volksabstimmung auf Bundesebene kann nur vom Bund geregelt werden Gesetzgebungskompetenz (+) 3
4 b. Gesetzgebungsverfahren Einleitungsverfahren (1) Initiativrecht durch G-Fraktion nach Art. 76 Abs. 1, 2. Alt. GG (+), vgl. auch, 76 Abs. 1, 10 Abs. 1 GO BT (2) Ordnungsgemäße Initiative (+) Hauptverfahren (3) Beschluß des Bundestages (+) (4) Mitwirkung des Bundesrates zustimmungspflichtig? ausdrückliche Regelung ( ), stets so bei ungeschriebenen Kompetenzen, vor allem "Kraft Natur der Sache" => Mitwirkung hier auch sonst nicht erforderlich beachte: Abschlußverfahren noch im Gange c. Zwischenergebnis Gesetz bis hierher formell verfassungsmäßig 2. Materielle Verfassungsmäßigkeit a. Verstoß gegen Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG "repräsentative Demokratie" (= Sachfrage wird von durch das Volk gewählten Repräsentanten entschieden) "direkte Demokratie" (Sachfrage wird durch das Volk entschieden) Wortlaut "... vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rspr.... " Ausgangspunkt: "Volk" i. S. d. Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG? gemeint ist Bundesvolk Abstimmungen : Sachentscheidungen durch die Aktivbürgerschaft selbst auch Volksbegehren, Volksentscheid Wortlaut schließt direkte Demokratie jedenfalls nicht aus 4
5 Systematik näher geregelt wird im GG auf Bundesebene nur Repräsentativdemokratie, vgl. Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Art. 38 ff., 76 ff. GG Aber: Abstimmungen in Art. 29 Abs. 2, 118, 118 a GG geregelt; "direktdemokratische Elemente" werden als mit Art. 28 Abs. 1 Satz 1 ("Homogenitätsprinzip"), 20 Abs. 2 Satz 2 GG ohne weiteres vereinbar angesehen; auch gibt es Volksentscheide auf Ländereben, was keinen Verstoß gegen Art. 28 Abs. 1 S 1 GG darstellt; allerdings trifft in Art. 29 Abs. 2, 118, 118a GG nicht das Volk i.s.d. Art. 20 Abs. 2 GG die Entscheidung, sondern nur ein betroffener Teil der Bevölkerung, so dass Art. 29 Abs. 2, 118, 118a GG gar nicht als eine Abstimmung i.s.d. Art. 20 ABs. 2 GG anzusehen ist (str.) Repräsentativdemokratie ist im GG vorgesehen und verfassrechtl. handhabbar näher ausgestaltet Art. 38ff GG Direktdemokratie = zwar grds. vorgesehen, nicht aber handhabbar verfassungsrechtl. ausgestaltet => spricht eher dafür, daß Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG "direktdemokratische Elemente" (nur) unter dem Vorbehalt erlaubt, daß sie auf Verfassungsebene näher ausgestaltet werden Historie Antrag (Zentrum) auf nähere verfassungsrechtliche Ausgestaltung "direktdemokratischer Elemente" wurde (dreimal) abgelehnt; Antrag auf Festlegung des GG ausschließlich auf "Repräsentativdemokratie" aber ebenfalls => nicht eindeutig Sinn und Zweck Ausschließlichkeitsverhältnis zwischen "Direkt-" und "Repräsentativdemokratie", möglich also nur eine "entweder oder" (weil nur das eine oder das andere funktionieren kann)? Kombination aber ohne weiteres denkbar; INDESSEN: angesichts der näheren Ausgestaltung der "Repräsentativdemokratie" in den Art. 38 ff und 76 ff. GG wohl erforderlich, daß dieses 5
6 Modell funktionsfähig bleibt (da diese Regelungen sonst überflüssig würden, d.h. erforderlich "harmonische Auslegung") => spricht eher dafür, daß "direktdemokratische Elemente" (in Grenzen) zulässig sein sollen ZWISCHENERGEBNIS: "direktdemokratische Elemente" sind m. E. unter 2 Voraussetz. mit Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG vereinbar: (1) Erhaltung der Funktionsfähigkeit der "Repräsentativdemokratie", anges. des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG, besonders aber der Art. 38 ff. und 76 ff. GG (jedenfalls, solange diese Vorschriften nicht auch geändert werden) (2) Einführung auf Verfassungsebene, vgl. Art. 79 Abs. 1 und 2 GG; a.a. vertretbar [eine Verfassungsänderung wäre nicht durch Art. 79 Abs. 3 GG ausgeschlossen; Arg. Wie oben, vor allem Wortlaut Art. 20 Abs. 2 GG] DAMIT: (1) 4 DemG lediglich konsultative Befragung des Volkes (Meinungsforschung); Entscheidung über das Gesetzesvorhaben liegt beim Parlament; keine rechtliche Bindungswirkung. => "Repräsantivprinzip" gar nicht berührt, also Verstoß gegen Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG (-) (2) 3 DemG echte "Volksgesetzgebung": Volk trifft Entscheidung anstelle des Parlamentes => hierdurch zwar wohl noch nicht die Funktionsfähigkeit "Repräsantivprinzip" gefährdet, vgl. oben unter (1), wohl aber fehlt es den Regelungen an Verfassungsrang, vgl. oben unter (2); a.a. vertretbar (3) 2 DemG ebenfalls Teil einer echten Volksgesetzgebung : Initiativrecht des Volkes, Erweiterung des Art. 76 Abs. 1 GG => hierdurch zwar wohl noch nicht die Funktionsfähigkeit "Repräsantivprinzip" gefährdet, vgl. oben unter (1), 6
7 wohl aber fehlt es den Regelungen an Verfassungsrang, vgl. oben unter (2); a.a. vertretbar nicht 4, wohl aber 2, 3 DemG verstößt gegen Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG; a.a. gut vertretbar b. Verstoß gegen Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG "... an Aufträge und Weisungen nicht gebunden... " (1) 4 DemG zwar keine rechtliche Bindung (Volksvertreter können selbst entscheiden), möglicherweise aber ein faktischer Druck (Unbeliebtheit; gefährdete Wiederwahl), der ggf. dazu führt, daß Mandat nicht mehr frei ausgeübt wird? => keine Beeinträchtigung des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG, da "Druck" ohnehin auf die Volksvertreter ausgeübt wird (Mißbilligung eines Gesetzgebungsverfahrens durch Meinungsumfragen, Demonstrationen aber auch durch Lobbyistengruppen bzw. Fraktionsdisziplin u.ä.) (2) 3 DemG Ausübung des freien Mandats erfolgt ausschließlich "im Rahmen des Legitimationsumfangs" => in den Fällen des 3 DemG wird den Volksvertretern ein derartiger Auftrag nicht mehr erteilt; also ebenfalls keine Beeinträchtigung des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG weder 4 noch 3 DemG verstößt gegen Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG c. Verstoß gegen Art. 77 Abs. 1 Satz 1 GG "... Bundesgesetze werden vom Bundestage beschlossen... " (= Folge der näheren Ausgestaltung ausschließlich der "Repräsentativdemokratie" auf Verfassungsebene; d.h. müßte mit Einführung echter "direktdemokratischer Elemente" Änderung erfahren; macht deutlich: Einführung muß Verfassungsrang haben, vgl. oben) (1) 4 DemG für 4 DemG gilt dies gar indessen nicht: Gesetzgebung bleibt hierdurch beim Parlament => 4 DemG verstößt nicht g. Art. 77 Abs. 1 Satz 1 GG 7
8 (2) 3 DemG dag. 3 DemG mit Wortlaut unvereinbar => Verstoß gegen Art. 77 Abs. 1 Satz 1 GG nicht 4, wohl aber 3 DemG verstößt gegen Art. 77 Abs. 1 Satz 1 GG d. Verstoß gegen Art. 78 GG "... vom Bundestage beschlossenes Gesetz kommt zustande, wenn der Bundesrat zustimmt... " (wenn Zustimmungsgesetz) (1) 4 DemG durch 4 DemG nicht beeinträchtigt => 4 DemG verstößt nicht g. Art. 78 GG (2) 3 DemG nach 3 DemG steht "Gesetz einem vom Bundestage beschlossenen gleich"; d.h. aber: es ist so zu tun, als liege ein Bundestagsbeschluß i. S. d. Art. 77 Abs. 1 Satz 1 GG vor; das Gesetzgebungsverfahren ist weiter nach den 78 ff. GG zu durchlaufen; ALSO: bei zustimmungsbedürftigen Gesetzen (dem Inhalt nach) muß der Bundesrat zustimmen BEACHTE: anders, soweit es hieße: Gesetz "gilt als erlassen" bzw. "tritt in Kraft" o. ä. => so aber kein Verstoß gegen Art. 78 GG (gleiches gilt für 2 DemG; Gesetzgebungsverfahren wird nach der Gesetzesinitiative fortgesetzt)) weder 4 noch 3 DemG verstößt gegen Art. 78 GG II. f. Zwischenergebnis das DemG ist materiell verfassungswidrig, da 3 gegen Art. 20 Abs. 2 Satz 2, 77 Abs. 1 Satz 1 GG verstößt 3. Zwischenergebnis DemG ist verfassungswidrig Ergebnis bei Bejah. des Prüfungsrechts: Gegenzeichnung kann verweigert werden) 8
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