Gabriel Barylli. Echtzeit. Roman. LangenMüller
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- Berndt Richter
- vor 6 Jahren
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Transkript
1 Gabriel Barylli Echtzeit Roman LangenMüller
2 Guten Morgen, Isabell Es ist vier Uhr früh Ich weiß, dass du noch schläfst. Aber irgendwann muss man ja anfangen mit dem Tag Und so fange ich eben jetzt an. Mit dir zu reden. Guten Morgen Isabell Jetzt hast du deinen Computer eingeschaltet und entdeckst diese . Aber das ist keine geschriebene , das ist eine gesprochene . Ich sitze nämlich in meinem Zimmer, vor meinem Computer und spreche in ein Mikrofon. Und das, was ich sage, kommt bei dir als an. Ist das nicht phantastisch?! Das spart die Mühe, jedes Wort hinzuschreiben. Mit den Fingern und den Tasten, und nach drei Stunden bekommt man auch keine Gelenkschmerzen in den Händen, wenn man spricht anstatt zu schreiben. Ja, Isabell, so ist das. Heute. In meinem Zimmer. Um vier Uhr früh. Vier Uhr und fünf Minuten. Seit fünf Minuten rede ich jetzt schon mit meiner besten Freundin. Mit meiner einzigen Freundin. Das hilft mir zu vergessen. Wie weit weg du bist. Von mir. Von dort, wo ich lebe. Von dort, wo wir gemeinsam gelebt haben. 5
3 Du hast deinen Mann genommen und bist einfach weggegangen. In eine andere Stadt. Mit deinem Mann. Ohne mich zu fragen! Verzeih, das war nur ein kleiner Scherz. Aber dass du jetzt schon zu lange fort bist, ist kein Scherz. Für mich. Dass du so lange fort bist, tut mir immer noch weh. Wenn ich an dich denke. Darum möchte ich wieder einmal mit dir reden. Und nicht nur schreiben. Du antwortest ohnehin schon so lange nicht mehr auf das, was ich dir schreibe. Also rede ich jetzt mit dir. Dann kannst du ja entscheiden, ob du antworten willst. Oder nicht. Dazu musst du dir eben dieses neue Computersystem kaufen. Ja?! Isabell?! Wirst du das tun?! Es ist ganz einfach. Und es ist erst seit zwei Wochen auf dem Markt. Du kaufst dir ein paar Kabel und Kästchen und ein Mikrofon und schließt das Ganze an deinen Computer an und setzt dich hin und redest einfach los. Mit deiner besten Freundin. Deiner einzigen Freundin. Die ganz weit weg gezogen wohnt seit vier Jahren. Und wenn du Glück hast, dann antwortet sie. Endlich. Endlich einmal. Ja, das könntest du tun. Und wenn du dir zum 357. Mal angehört hast, dass es mir leidtut, dass ich damals deinen Stefan Aber wir müssen jetzt wirklich nicht über diese alten dummen Zeiten reden. Wirklich nicht. Ich beschreibe dir lieber erst einmal, wo ich bin und wo ich sitze und wie es aussieht bei mir. In meiner neuen Wohnung. Ja!! Ich bin in einer neuen Wohnung. Du hast 6
4 ganz richtig gelesen. In einer neuen Wohnung. Ich habe ein nettes Apartment gefunden. In einem Neubau. Etwas mehr am Stadtrand gelegen. Ein Zimmer. Also eigentlich sind es ein und ein halbes Zimmer. Genau genommen eigentlich zwei Zimmer. Ein nettes Zweizimmerapartment habe ich jetzt. Mit einer kleinen Küche. In dem zweiten Zimmer. Das nutze ich also demnach als Wohnküche. Und die Fenster zeigen von der Stadt weg. Hinaus. In die Ferne. Und wenn ich mich weit aus dem Fenster lehne, dann kann ich die Sonne untergehen sehen. Das habe ich so gerne. Den Sonnenuntergang. Das haben wir! so gerne, muss es heißen. Nicht wahr?! Isabell? Wir haben den Sonnenuntergang doch immer so gerne gehabt. Wir zwei. Und wenn ich mich ganz weit aus dem Fenster lehne, dann kann ich ihn sehen. Und an dich denken. Und unsere Zeit. Früher. Na ja. Gut. Und in meiner Wohnung habe ich mir alles recht hübsch gemacht. Du weißt doch, wir haben immer gesagt:»männer kommen und gehen die eigene Badewanne bleibt bestehen.«in der neuen Wohnung habe ich eine sehr lustige Badewanne. Man muss in ihr sitzen. Das Bad ist sehr interessant angelegt. Irgendwie in die Ecke gebaut. Und in einer Ecke ist eben meine Sitzbadewanne. Und da sitze ich drinnen. Abends. Wenn es mir kalt ist. Und wenn man die Knie an die Brust zieht, ist das ein sehr lustiges Gefühl. In der alten Wohnung in der Stadt war die Badewanne ja auch in der Ecke vom Bad. In der musste 7
5 man liegen. Und wenn ich sehr müde war, dann bin ich manchmal eingeschlafen. Ich hätte ertrinken können. Das kann mir in der neuen Badewanne nicht passieren. Ja. Und der Vormieter hat mir seinen Esstisch dagelassen und zwei Stühle. Korbstühle. So Korbstühle, die eigentlich im Garten stehen. Aber die hat er dagelassen und jetzt habe ich das Gefühl, dass ich im Garten sitze. In meiner Küche. Und die Korbstühle knirschen immer ein wenig, wenn man sich reinsetzt. Zwei Stück habe ich. Also wenn du mal wieder kommst, hast du einen Stuhl bei mir. Da können wir dann sitzen und reden. Über die Zeiten. Die alten. Und die neuen. Wenn du mal kommst Isabell Kommst du mal wieder?! Wenn ja, ruf mich bitte rechtzeitig vorher an, damit ich mich darauf vorbereiten kann. Innerlich und äußerlich! Das war ein kleiner Scherz Ich würde dann nämlich den Marmorkuchen kaufen, den du so gerne zum Kaffee isst. Den in der blauen Packung, mit dem hübschen Bild auf der Verpackung. Wo man erkennt, mit wie viel Schokolade er gemacht ist. Und dann würde ich den guten Kaffee kaufen. Den in der grün-goldenen Packung. Mit der Krone vorne drauf. Ja? Ist das eine Idee?! Wäre dir das recht? Würdest du mir sagen, wenn du mal vorbeischauen möchtest?! Dann musst du nur anrufen. Oder schreiben. Eine . Oder einfach mit mir reden. In dein»neues«mikrofon. Dann kann ich mich vorbereiten. Wenn du mal wieder kommst Und dann habe ich mein Bett. Mein Bett habe ich 8
6 aus der alten Wohnung mitgenommen. Ich kann in keinem Bett schlafen, in dem ein Vormieter geschlafen hat. Das geht nicht. Das ist du weißt schon. Mein altes Bett passt ganz genau in mein Schlafzimmer. Das Bett ist ja sehr groß und so habe ich die Schlafzimmertür ausgehängt und weggebracht. Die Tür hat nämlich gegen das Bettende geschlagen und man konnte die Türe nicht ganz aufmachen, weil mein Bett nun mal so groß ist. Jetzt wirkt es sehr großzügig, wenn man in die Wohnung kommt. Offen. Meine neue Wohnung ist sehr offen. Das ist das Gefühl, das du in meiner Wohnung hast. Offenheit. Und so kann ich auch vom Bett durch die offene Tür auf den Fernseher schauen. Der steht neben dem Klapptisch. Also, meinem Esstisch. Den hat der Vormieter auch dagelassen. Zu den Korbstühlen. Das ist so ein Blechtisch mit Klappfüßen. Diese Tische stehen eigentlich im Garten. Aber ich habe ihn übernommen, weil er so gut zu den Stühlen passt. Und weil ich so das Gefühl habe, immer im Garten zu sitzen. Tagaus, tagein. Und wenn ich mal Platz haben möchte, kann ich ihn ganz schnell zusammenfalten und wegstellen. Ja Die Wände habe ich in der Farbe gelassen, die mein Vormieter hatte. Grün. So ein warmes Lindgrün. Auch sehr beruhigend und natürlich. Du siehst, ich sitze auf meinen Korbstühlen, an meinem Gartentischchen im Grünen und rede mit dir. Ist das nicht toll?! Sofa habe ich keines. Das hat der Vormieter mitgenommen. Ist auch wirklich besser so. Da habe ich 9
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