New Yorkerin. Und waschechte New Yorker glauben an die didaktische Kraft des Sich-in- Grund-und-Boden-Schämens. Als sie ausstieg, nickte sie mir zu.
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- Rüdiger Blau
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2 New Yorkerin. Und waschechte New Yorker glauben an die didaktische Kraft des Sich-in- Grund-und-Boden-Schämens. Als sie ausstieg, nickte sie mir zu. Mehr Absolution wollte sie mir nicht zugestehen. Diese Frau hat mir einen Riesengefallen getan. Am selben Abend beschloss ich zu kündigen. Mein Job machte mich zu einem Unmenschen. Es gab nur noch eine Sache, die ich vorher erledigen musste: Henry von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten. Das erste Buch, das ich in meinem Leben geklaut habe, war Henry Millers Wendekreis des Steinbocks. Krebs und Steinbock waren in jenem Jahr kurz hintereinander bei Grove Press erschienen, doch Steinbock fand kurz vor Krebs seinen Weg in den Laden meines Vaters. Als Krebs dort auftauchte, stahl ich es
3 ebenfalls. Mein Vater besaß eines jener Geschäfte, die damals Tante-Emma-Läden hießen. Davon gibt es inzwischen nur noch wenige. Wir verkauften Bücher, Zeitschriften, Comics, Zeitungen, Zigarren, Zigaretten und Tabak, Süßigkeiten, Kaugummi, Grußkarten, rezeptfreie Medikamente, Limonade, Brot, Milch und was weiß ich. Wir hatten einen Resopaltresen, der sich durch den ganzen Laden zog, mit runden Barhockern davor und einer kleinen Küche sowie einem Limonadenausschank dahinter. Es gab Kaffee, Eier mit Speck, Suppe, Sandwiches, Mutters selbst gebackenen Kuchen, Eiscreme und alle Arten von angesagten Getränken der Fünfziger: Milchshakes, Malzmilch, Eisbecher, Cherry-Cola und Egg cream. Zubereitet in einem Raum, der kleiner war als
4 das Wohnzimmer meines Apartments. Seit ich etwa zehn Jahre alt war, arbeitete ich dort mit. Meine erste Aufgabe war, die Süßigkeitenregale aufzufüllen, die aktuellen Tageszeitungen auszupacken und aufzustapeln und die alten wieder einzupacken. Später wurde ich zu meiner großen Freude zu den Comics, Zeitschriften und Taschenbüchern befördert. Ein Gebiet, auf dem ich bereits so etwas wie ein Experte war von Man s Action, Saga und dem frühen Playboy über Famous Monsters of Filmland bis hin zu Mad und Cracked. In meinen Teenagerjahren durfte ich schließlich hinter dem Tresen stehen und Limonade ausschenken. Ich stahl Henry Da war ich sechzehn. Ich musste ihn stehlen, da mir meine Eltern niemals erlaubt hätten, ihn zu lesen. Von Henry Miller hatte ich aus einem längst
5 vergessenen Männermagazin erfahren. Der pornografische Künstler aus Paris, der sich mit der Zensur sowohl in Frankreich als auch hierzulande anlegte. Aufgrund des gottverdammten Comics Code wusste ich bereits sehr gut, was Zensur bedeutete, denn immerhin hatten diese Arschlöcher meine Lieblingslektüre ruiniert. Klare Sache den Mann musste ich lesen. Hinter unserem Haus gab es einen Wald, durch den ein Bach floss. Dort versteckte ich Henry unter einem Stein am Flussufer, eingeschlagen in Wachspapier. Jeden Tag nach der Arbeit oder dem Algebraunterricht ging ich zum Bach, sammelte ihn auf und nahm ihn mit mir tief in den Wald, um ein paar Seiten zu lesen. Steinbock war außerdem das erste Buch, das ich nippte, anstatt es hinunterzukippen.
6 Mir blieb auch mehr oder weniger nichts anderes übrig. Vieles fand ich unverständlich. Manche Sätze waren verwirrend lang und kompliziert. Bestimmte Wörter musste ich später zu Hause nachschlagen. Aber ich hielt durch, da ich wusste, dass ich hier etwas Leidenschaftliches und Brillantes vor mir hatte und erotisch war es auch. Ich begriff schnell, weshalb sie ihn verbrennen wollten. Henry war der erste wirklich subversive Autor, der mir unterkam es sei denn, man möchte Mickey Spillane als subversiv bezeichnen. Henry war wütend und fröhlich, philosophisch und pervers. Sex war für ihn reines Vergnügen und existierte um seiner selbst willen. Keine Liebe, keine Romanze schwächte seine glückspendende Macht. Und außerdem war Henry der Meinung, dass es mit Amerika zu Ende ging:
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