Ich aber dachte, ich arbeitete vergeblich Predigt zu Jesaja 49, 4 im Bezirksgottesdienst am 14. Oktober 2012 in Wädenswil
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- Gerda Stieber
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1 Ich aber dachte, ich arbeitete vergeblich Predigt zu Jesaja 49, 4 im Bezirksgottesdienst am 14. Oktober 2012 in Wädenswil Kanzellesung Jesaja 49, 4 (Zürcher Bibel) Ich aber sprach: Vergeblich habe ich mich abgemüht, für nichts und wieder nichts meine Kraft verbraucht. Doch mein Recht ist beim HERRN und mein Lohn bei meinem Gott. Liebe Gemeinde Diese Worte stammen aus jenem Lied vom Gottesknecht, das wir in der ersten Lesung vorhin bereits gehört haben. Wer ist das, der da so redet? Der Prophet Jesaja, genauer der zweite Jesaja? Oder das Volk Israel, das bei der Entstehung dieser Schrift in Babylon gefangen war? Oder Jesus, auf den im Neuen Testament die Lieder vom Gottesknecht gedeutet werden? Jede dieser Deutungen macht auf ihre Weise Sinn. Heute aber lasst uns diese Worte auf uns selber deuten. Heute sollen sie unsere eigenen Worte werden. Denn es gibt wohl keine Person unter uns, die nicht schon irgendwann einmal genau dies gedacht oder auch gesagt hat: Vergeblich habe ich mich abgemüht, / für nichts und wieder nichts meine Kraft verbraucht. So etwas sagen wir nicht nur, wenn wir zum Beispiel eine kaputte Kaffeemaschine auseinandergeschraubt und in ihre teile zerlegt haben und dann merken: sie lässt sich nicht mehr reparieren. So etwas sagen wir in existenziellen Krisensituationen. Wenn uns ein Misserfolg, eine Enttäuschung, eine Krankheit oder ein Verlust zurückwirft. Das Gebäude dessen, was wir im Leben erreicht haben, kommt dann ins Wanken. Unsere Träume und Ziele rücken in die Ferne. Luftschlösser zerbrechen. Der Boden der Realität, auf dem wir dann aufschlagen, ist hart und glitschig. Die Sinnlosigkeit befällt uns; und zwar nicht nur die Gegenwart, sondern sie greift wie ein Krake in die Vergangenheit alles bisher Getane verliert scheinbar an Wert. Und sie greift in die Zukunft, vor der wie eine große Wand die Angst und unsere Vergänglichkeit stehen.
2 2 Es ist gut zu wissen, dass solche Gedanken und Gefühle auch den Menschen der Bibel, den Propheten, den Menschen im Exil, ja selbst Jesus nicht fremd waren. Hier sind sie ausgesprochen. Aber sie sind niemals das letzte Wort! Ich möchte von einem Leben erzählen, bei dem sich die Frage nach der Vergeblichkeit oder gar Sinnlosigkeit messerscharf stellt; wo sich aber Vergeblichkeit und Sinnlosigkeit auch genauso klar auflösen werden. Ich meine das kurze Leben der Sophie Scholl. Sie wurde im Mai 1921 geboren, wäre also heute 91 Jahre alt (wie zwei unserer heutigen Gottesdienstbesucher mit demselben Jahrgang). Wir kennen sie aber nur als Kind, Jugendliche und junge Frau, denn sie wurde keine 22 Jahre alt. Im Februar 1943 wurde sie in München, wie auch ihr Bruder Hans und ihr Freund Christoph Probst wegen Widerstands gegen das Nationalsozialistische Regime durch das Fallbeil hingerichtet. Der Grund war, dass sie die Widerstandsgruppe Die Weiße Rose gegründet, Flugblätter gegen Hitler gedruckt und diese an der Universität verteilt hatten. Sophie Scholl war eine warmherzige und lebensfrohe Person. Sie liebte die Natur und die Musik. Und sie war tief gläubig, auf der Suche nach ihrer persönlichen Beziehung zu Gott. Wenige Monate vor ihrem Tod schreibt sie in ihrem Tagebuch: Jeden Abend bete ich, dass (Gott) meinen Willen, den ich nicht aus meinen törichten Händen freiwillig lassen kann, mir herausreiße, um mich unter seinen zu stellen, den ich doch schon lange als gut erkannt habe und dem ich dienen möchte Um ein mitleidiges Herz bitte ich, wie könnte ich sonst lieben? Und meine ohnmächtige Liebe lege ich in Deine Hand, damit sie mächtig wird. ( )
3 3 Im Kreis ihrer Geschwister und Freunde macht sie sich Gedanken über die Zeit nach dem Ende Hitlers und des Krieges. Aber sie sollte sie nicht mehr erleben. Es wurde kurzer Prozess mit ihnen gemacht. Nicht einmal eine Woche verging zwischen Verhaftung und Hinrichtung. Aus diesen Tagen gibt es manches Denkwürdige zu berichten. Vor einigen Jahren wurde ein bemerkenswerter Film über diese letzten Tage gedreht, den wir im kommenden Februar anlässlich ihres 70. Todestages hier in der Reihe Kino in der Kirche aufführen werden (Regie: Marc Rothemund, Julia Jentsch als Sophie Scholl). Hier einige Begebenheiten aus diesen Tagen: - Ihre Eltern durften sie wie durch ein Wunder noch einmal im Gefängnis besuchen. Die Mutter sagte beim Abschied: Gelt, Sophie: Jesus. Und Sophie antwortete: Ja, aber du auch. - In der Nacht vor ihrer Hinrichtung schlief Sophie tief und fest. Am Morgen erzählte sie ihrer Zellengenossin einen Traum: Sie trug an einem schönen Sonnentag ein Kind in einem langen weißen Kleid zur Taufe. Der Weg zur Kirche führte einen steilen Berg hinauf. Aber fest und sicher trug sie das Kind. Gänzlich unerwartet tat sich auf einmal eine Gletscherspalte auf. Sie hatte gerade noch Zeit, das Kind auf die gesicherte Seite zu legen, dann stürzte sie in die Tiefe. (vgl. Hermann Vinke, Das kurze Leben der Sophie Scholl, Ravensburg 1987, S. 157). - Es wird erzählt, dass Sophie an diesem milden Februarmorgen ohne mit der Wimper zu zucken zur Hinrichtung ging. Der Scharfrichter sagte, so etwas habe er noch nie gesehen (ebd. 165) Liebe Gemeinde, noch immer kann die Frage gestellt werden: Was hat das alles bewirkt? Geheime Treffen? Flugblätter? Der Krieg ging damals noch über zwei Jahre bis zum bitteren Ende weiter. Millionen starben noch. Der Widerstand an der Münchner Universität wurde nicht fortgesetzt. Wäre es nicht besser gewesen, diese jungen Leute hätten den Krieg überlebt und sich am Wiederaufbau danach beteiligt? War das Risiko zu groß? Gaben sie ihr Leben umsonst hin? Ich möchte zur Antwort auf diese Frage aus einem Gespräch mit der jüdischen Schriftstellerin Ilse Aichinger zitieren, die damals mit ihrer Mutter in Wien wohnte. Sie erzählt, wie sie damals die Plakate gesehen hat, auf denen die zum Tode Verurteilten Mitglieder der Widerstandsgruppe Die weiße Rose aufgezählt und als Hochverräter angeprangert wurden. Sie sagte wörtlich: Ich kannte keinen dieser Namen. Aber ich weiß,
4 4 dass von ihnen eine unüberbietbare Hoffnung auf mich übersprang. Das geschah nicht nur mir Ich war in einigen Jugendgruppen, in denen das wie ein Fanal wirkte. Es hat vielen auch noch zu sterben geholfen, in Hoffnung zu sterben geholfen. Und den anderen zu leben, trotzdem. Es war wie ein geheimes Licht, das sich über das Land gebreitet hatte und wie ein Glück. Ich erinnere mich, dass ich einmal um diese Zeit auf der Straße ging und einen Bekannten traf, der sagte: Strahlen Sie nicht so! Sonst werden Sie jetzt noch verhaftet. So war es. Wir hatten keine große Chance zu überleben. Aber das war es eben nicht. Es war kein Überleben. Es war das Leben selbst, das uns durch diesen Tod der Geschwister scholl und ihrer Gefährten angesprochen hat. (Vinke 180f.) Liebe Gemeinde, vielleicht macht dieser Bericht ein wenig deutlich, dass unsere normalen menschlichen Masstäbe bei der Frage nach dem Sinn eines Tuns versagen. Der Liedermacher Konstantin Wecker hat es aus meiner Sicht treffend ausgedrückt, als er über die Geschwister Scholl sang: Es ging ums Tun und nicht ums Siegen. Es ging darum, selbst Mensch zu bleiben inmitten einer unmenschlichen und scheinbar übermächtigen Wirklichkeit. Nach menschlichen Maßstäben mag das vergeblich und sinnlos sein, ein Vergeuden an Kraft und Leben. Aber wie sagte schon der Gottesknecht in dem alten Text wie um sich selbst zu widersprechen, als er meinte, es sei alles vergeblich: Doch mein Recht ist beim HERRN und mein Lohn bei meinem Gott. Das, ihr Lieben, ist der Kern christlicher Hoffnung, dass das Tun des Gerechten niemals vergeblich oder gar sinnlos ist. Dafür steht eben jener Knecht Gottes ein, welcher im Zentrum unseres Glaubens steht: Jesus Christus. Auch er vertraute darauf, dass sein Weg ans Kreuz und sein Tod als Verlassener und Hinausgedrängter, dass damit auch sein Anlieben gegen die Wirklichkeit dieser Welt alles andere als vergeblich war. Und Gott bestätigte dies und erweckte ihn zu neuem Leben. Noch einmal kurz zurück: Wenige Minuten vor ihrer Hinrichtung durften Sophie und Hans Scholl sowie ihr Freund Christoph Probst sich noch einmal kurz sehen. Christoph sagte dabei: Ich wusste nicht, dass Sterben so leicht sein kann. In wenigen Minuten sehen wir uns in der Ewigkeit wieder. (Vinke 165)
5 5 Ja, das ist unsere christliche Hoffnung. Und doch ist dies nicht nur etwas für die Ewigkeit nach dem Tod. Diese Hoffnung reicht tief hinein in unsere Wirklichkeit und lässt uns schon hier leben getröstet und menschlich leben. Mich hat in letzter Zeit das Zeugnis einer Frau beeindruckt, die in einem kleinen Bergdorf im Graubünden wohnt. Oberhalb ihres Dorfes wurde eine Unterkunft für abgewiesene Asylbewerber eingerichtet. Leute aus verschiedensten Ländern dämmern dort in völliger Perspektivlosigkeit vor sich hin. Sie dürfen das Dorf nicht verlassen, dürfen nicht arbeiten, dürfen nicht bei den Dorfbewohnern übernachten. Trotzdem hat diese Frau mit ihrem Mann einen Treff für diese Leute bei sich eingerichtet und versucht etwas zu helfen, Farbe in deren Leben zu bringen. Als sie im Interview gefragt wurde, warum sie das alles mache, es sei doch ein recht vergeblicher und sinnloser Kampf, die Situation ist so von der Mehrheit des Volkes gewollt und irgendwann werden diese Leute ja sowieso ausgeschafft; da antwortete sie: Der Kampf, den ich hier führe, ist zuerst ein Kampf, bei dem es darum geht, mir meine eigene Menschlichkeit zu erhalten Darauf kommt es an, dass wir uns hier in diesem Leben menschlich erhalten, wie übermächtig die Wirklichkeit, auch die Misserfolge oder Schicksalsschläge sein mögen. Dabei dürfen wir so unbeirrt sein, wie beispielsweise die Freunde des Gelähmten, die das Dach abdecken und ihn auf der Bahre zu Jesus herabließen. Das schien zunächst auch vergeblich und sinnlos, Aber: Es geht es ums Tun und nicht ums Siegen, immer, auch bei uns. Unser Recht ist beim Herrn und unser Lohn bei unserem Gott. Amen.
Also: Wie es uns geht, das hat nichts mit dem zu tun, ob wir an Gott glauben.
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