Handreichung Barrierefreiheit im Verkehr: Was die Kommunen konkret tun können
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- Magdalena Schräder
- vor 6 Jahren
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1 Handreichung Barrierefreiheit im Verkehr: Was die Kommunen konkret tun können Mit seiner Kampagne Weg mit den Barrieren! kämpft der Sozialverband VdK für umfassende Barrierefreiheit in Bund, Ländern und Kommunen. Ein Schwerpunktthema der Kampagne ist die Barrierefreiheit im Verkehrsbereich. Im Faktenblatt Barrierefreiheit im Verkehr sind die zentralen bundespolitischen Forderungen beschrieben. Aber auch die Kommune muss viel tun, weil gesetzliche Verpflichtungen und Fristen zur Umsetzung bestehen. 1. Rechtliche Grundlagen Der Nahverkehrsplan (NVP) ist das wichtigste Planungsinstrument für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Er beinhaltet die Ziele und Rahmenvorgaben sowie die Anforderungen an Umfang und Qualität des Verkehrsangebots, das in der Verantwortung der Kommunen bzw. der kommunalen Aufgabenträger liegt. Hierbei handelt es sich um den Linienverkehr in der Regel mit Omnibussen, Straßenbahnen, Stadtbahnen, Hoch- und U- Bahnen. Der NVP ist nicht zuletzt Grundlage für die Beantragung und Genehmigung von Linienverkehren. Für die Kreis- und Ortsverbände des VdK stellt der NVP ihrer Kommune besondere Chancen für die Interessenvertretung und gestalterische Einflussnahme zur Umsetzung von Barrierefreiheit dar. Vorgaben zur Barrierefreiheit in den NVP und zur Mitsprache bei deren Aufstellung sind bundesweit im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) geregelt. Mit der Novellierung dieses Gesetzes, in Kraft getreten im Januar 2013, sind diese Bestimmungen weitgehender und konkreter als noch im alten PBefG gefasst. Die zentrale Aussage lautet: Der Nahverkehrsplan hat die Belange der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Menschen mit dem Ziel zu berücksichtigen, für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs bis zum 1. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen ( 8 Abs. 3 PBefG). Mit dieser Bestimmung will der
2 Gesetzgeber der UN-Behindertenrechtskonvention entsprechen, die die Mitgliedsstaaten zu einem Höchstmaß an Barrierefreiheit verpflichtet. Schon seit 2002 mussten im NVP die Belange mobilitätseingeschränkter Menschen mit dem Ziel berücksichtiget werden, eine möglichst weitreichende Barrierefreiheit für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs zu erreichen. Die generelle Verpflichtung ist also für die Aufgabenträger nicht neu, auch wenn es nun um die vollständige Barrierefreiheit geht. Neu ist die gesetzte Frist bis 1. Januar 2022, die die Aufgabenträger nur einhalten können, wenn sie jetzt zügig mit der Er- bzw. Überarbeitung ihres NVP beginnen. Die Zielgruppe der in ihrer Mobilität eingeschränkten Menschen ist im weiten Sinne zu verstehen: Gemeint ist u. a. die hohe und stetig wachsende Zahl älterer Mitbürger, die gehbehindert und von denen viele auf einen Rollator angewiesen sind. Auch wenn darüber hinaus nur noch sensorisch eingeschränkte Menschen genannt sind, sollte grundsätzlich keine Gruppe von Personen mit Einschränkungen unberücksichtigt bleiben. So sind z. B. auch kognitiv beeinträchtigte Menschen betroffen, wenn sie z. B. Schwierigkeiten bei der Kommunikation oder Orientierung haben. Die vollständige Barrierefreiheit muss durch die Anwendung der allgemein anerkannten Regeln der Technik definiert und konkretisiert werden, z. B. durch die einschlägigen Normen zum barrierefreien Bauen und vergleichbare Regelwerke. Im Nahverkehrsplan werden Aussagen über zeitliche Vorgaben und erforderliche Maßnahmen getroffen. Bei der Aufstellung des Nahverkehrsplans sind die vorhandenen Unternehmer frühzeitig zu beteiligen; soweit vorhanden sind Behindertenbeauftragte oder Behindertenbeiräte, Verbände der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkten Fahrgäste und Fahrgastverbände anzuhören. Ihre Interessen sind angemessen und diskriminierungsfrei zu berücksichtigen ( 8 Abs. 3 PBefG). Das Recht auf Anhörung haben die Behindertenbeauftragten und -beiräte genauso wie die Behindertenverbände, so dass hier gerade auch der VdK mit seinen Kreis- und Ortsverbänden zur Beteiligung aufgerufen ist.
3 Die Anhörung sollte nicht als einmaliger Termin der Zustimmung bzw. Ablehnung eines fertiggestellten NVP verstanden werden. Stattdessen ist eine frühzeitige Beteiligung in allen Phasen der Aufstellung eines neuen bzw. der Fortschreibung eines bestehenden NVP notwendig, denn nur so können Inhalte der Barrierefreiheit eine angemessene und diskriminierungsfreie Berücksichtigung erfahren. Keine Regel ohne Ausnahmen: Die Länder können nach 62 Abs. 2 PBefG die Frist zum 1. Januar 2022 zum Erreichen vollständiger Barrierefreiheit verlängern, wenn dies nachweislich aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen unumgänglich ist. Sie können zudem Ausnahmetatbestände bestimmen, die eine Einschränkung der Barrierefreiheit rechtfertigen. Eine Verlängerung der Frist und die Benennung von Ausnahmetatbeständen müssen politisch durchgesetzt werden und können nur über eine vom Landtag oder Senat zu verabschiedende gesetzliche Regelung erfolgen. Hier empfiehlt sich ein Blick in das jeweilige Landes-Nahverkehrs- oder ÖPNV-Gesetz. Eine weitere Ausnahme betrifft die Aufstellung des NVP auf kommunaler Ebene: Die Frist zum 1. Januar 2022 für die vollständige Barrierefreiheit gilt nicht, wenn im NVP Ausnahmen konkret benannt und begründet werden (nach 8 Abs. 3). Mit der Bestimmung zu Ausnahmen ist die Regel nicht per se außer Kraft gesetzt. Pauschale Ausnahmen sind hier unzulässig vielmehr müssen Ausnahmen konkret benannt und begründet werden, d. h. es muss eine Abwägung zu anderen Belangen und ein Entscheidungsprozess z. B. auf Grund finanzieller Möglichkeiten stattfinden. 2. Praktische Hinweise für die Interessenvertretung Ein Nahverkehrsplan (NVP) wird vom Kreistag oder Stadtrat als Aufgabenträger verabschiedet und in der Regel von der Verwaltung herausgegeben. Er ist in den meisten Fällen im Internet veröffentlicht oder über das zuständige Amt, z. B. für Kreis- oder Stadtentwicklung, -planung oder -verkehrsplanung, zu beziehen. Über den NVP hinaus ist es hilfreich, das Nahverkehrs- oder ÖPNV-Gesetz des
4 jeweiligen Bundeslandes und die darin enthaltenen Aussagen zur Barrierefreiheit und zur Aufstellung von NVP zu kennen. Die Laufzeit eines NVP beträgt in der Regel 5 Jahre. Er wird dann neu oder fortgeschrieben. Eine möglichst baldige Beschäftigung mit dem derzeit geltenden NVP empfiehlt sich in jedem Fall, da unter der Maßgabe der vollständigen Barrierefreiheit bis zum Stichtag 1. Januar 2022 die Aussagen praktisch jeden NVP überprüft, ergänzt und weiterentwickelt werden müssen. Der Zuwachs an Qualität, der in Bezug auf die Barrierefreiheit erreicht werden muss, erfordert Zeit für die gemeinsame Erarbeitung und Abstimmung zwischen den verschiedenen Akteuren. Dazu gehören z. B. Vertreter der zuständigen Ämter, politischen Fraktionen, Ortsvorsteher, Verkehrs- und anderer Wirtschaftsunternehmen, Verkehrsverbünde, Gutachter- und Planungsbüros, der Fahrgast- und Umweltschutzverbände, die Behinderten-, Frauen- und Seniorenbeauftragten sowie Vertreter der Behindertenverbände. In vielen Kommunen gibt es Gremien wie Arbeitskreise oder Beiräte z. B. für Mobilität und Verkehr, Nahverkehrsplanung oder für den ÖPNV. Soweit noch nicht geschehen, sollten die Kreis- und Ortsverbände des VdK Kontakt zu diesen Gremien aufnehmen, um dort mitzuarbeiten. Wenn solche Arbeitskreise nicht bestehen, ist es ratsam, den Weg zur Mitsprache bei der Aufstellung des NVP über (Ober-) Bürgermeister, Landräte, Kreistags- oder Stadtratsmitglieder oder die Leitung zuständiger Ämter der Verwaltung zu suchen. 3. Inhaltliche Hinweise zur Barrierefreiheit in Nahverkehrsplänen Das Ziel, eine vollständige Barrierefreiheit im ÖPNV zu erreichen, sollte schon in der Einleitung benannt werden. Hier ist der Hinweis angebracht, dass ein barrierefreier ÖPNV mehr Komfort und Zugänglichkeit für alle Fahrgäste bedeutet. Außerdem: Nicht nur dauerhaft mobilitätseingeschränkte Menschen, zu denen die große Gruppe älterer Mitbürger zählt, sind besonders betroffen, sondern z. B. auch Personen mit kleinen Kindern oder mit schwerem Gepäck. Inhalte zur Barrierefreiheit sollten in möglichst allen weiteren Kapiteln und Abschnitten des NVP, die die Belange mobilitätseingeschränkter Fahrgäste angehen oder angehen können, enthalten sein, z. B.:
5 Verkehrspolitische Ziele Hier sollte u. a. unmissverständlich die Aussage getroffen werden, dass bei allen Planungen sowie Modernisierungs- und Investitionsmaßnahmen die Umsetzung der vollständigen Barrierefreiheit angestrebt wird. Dies gilt besonders für die Haltestelleninfrastruktur, den Fahrzeugeinsatz und die Fahrgastinformation. Bestandsaufnahme Unter der Maßgabe der Barrierefreiheit sollten die oben genannten Bereiche zumindest grob und quantitativ bewertet werden. Hierzu gehört z. B. eine Übersicht, auf welchen Linien wie viele der Haltestellen stufenlos erreichbar und mit Leitsystemen für blinde und sehbehinderte Menschen ausgestattet sind und welche Bordhöhe jede Haltestelle aufweist. Mängel- oder Schwachstellenanalyse Im Rahmen einer Mängel- oder Schwachstellenanalyse sollten Defizite aufgedeckt werden, die durch zukünftige Maßnahmen abgebaut werden müssen. Um die Mängel konkret benennen zu können, werden qualitative Bewertungskriterien oder Anforderungsprofile zu den einzelnen Handlungsfeldern benötigt, wie: Haltestellen Fahrzeuge Fahrplangestaltung, Taktdichte, Anschlüsse an Verknüpfungspunkten Flexible Bedienformen durch Kleinbusse, Taxen und Mietwagen Fahrgastinformation und Service Die Darstellung einzelner Anforderungsprofile würde den Rahmen dieser Handreichung sprengen. Hilfreiche Übersichten dazu finden sich in Barrierefreiheit in Nahverkehrsplänen des ÖPNV in Rheinland-Pfalz Handreichung für kommunale Behindertenbeauftragte und -beiräte, Verbände und Selbsthilfegruppen behinderter Menschen (noch auf Basis des alten PBefG) und Vollständige Barrierefreiheit im ÖPNV Hinweise für die ÖPNV-Aufgabeträger zum Umgang mit der Zielbestimmung des novellierten PBefG.
6 Maßnahmen mit Finanz- und Zeitrahmen Für die Laufzeit des NVP müssen konkrete Einzelmaßnahmen bzw. Maßnahmenbündel benannt werden, die umzusetzen sind. Dabei müssen die verkehrspolitischen Ziele und die erforderlichen Verbesserungen, die sich aus der Bestandsaufnahme und der Mängelanalyse ergeben, berücksichtigt werden. Maßnahmen, die zur vollständigen Barrierefreiheit notwendig wären, aber während der Laufzeit des NVP z. B. aus wirtschaftlichen Gründen nicht durchsetzbar erscheinen, müssen ausdrücklich benannt und begründet werden. Es empfiehlt sich, Prioritätenlisten zu erstellen, die noch im Gültigkeitszeitraum des neuen oder fortzuschreibenden NVP zu realisieren sind. Vorhaben mit weniger hohem Rang werden für längerfristige Zeithorizonte geplant, sollten aber ebenfalls angegeben werden, um eine nachhaltige und kontinuierliche Entwicklung zur vollständigen Barrierefreiheit erkennen zu lassen. Zur gebotenen Verbindlichkeit der Planung gehören nicht zuletzt Angaben über die veranschlagten Kosten für die Maßnahmen sowie Aussagen darüber, wie diese finanziert werden können. Dies gilt auch für jede Einzelmaßnahme zur Barrierefreiheit. Spezielles Kapitel zur Barrierefreiheit Das Erreichen der vollständigen Barrierefreiheit, die das PBefG verlangt, ist nur mit vielfältigen Anstrengungen in allen Handlungsfeldern des ÖPNV zu erreichen. Zur besseren Übersichtlichkeit und systematischen Darstellung aller relevanten Maßnahmen sowie der Ausnahmen empfiehlt sich zusätzlich ein eigenes Kapitel zur Barrierefreiheit. Berlin, im Januar 2016
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