S042_CF_Bucherer :25 Uhr Seite 42 TEST UND TECHNIK

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2 Große kleine Welt Carl F. Bucherer Patravi EvoTec PowerReserve Die Patravi mit Gangreserveanzeige ruft Erinnerungen an Kindertage wach, die man gebannt vor der Modelleisenbahn verbracht hat. Doch diese Uhr birgt ganz andere Faszinationen als Berge und Kühe: beispielsweise ein Manufakturkaliber mit peripherem Rotor. Was sie unter Alltagsbedingungen zu bieten hat, muss der Test zeigen. Wie Abenddämmerung nach einem Herbsttag liegt das Schwarz über dem Zifferblatt der Patravi EvoTec PowerReserve. Wie Abenddämmerung in einer Stadt, denn die Gangreserveanzeige leuchtet Ampel-farben. Bewegt man die Krone, geht es los: Rot, Gelb Grün! Der Zeiger der Kleinen Sekunde beginnt seinen Lauf. Unter ihm arbeitet das Automatikwerk CFB A1002, von Zeit zu Zeit spürt man etwas von seinem Beben. Senkt sich schließlich Nacht über das Zifferblatt, erlöschen Kleine Sekunde, Wochentag, Großdatum und Gangreserveanzeige. Nur in den Indices und den Zeigerspitzen von Minute und Stunde brennt noch Leuchtmasse. Unter der Saphirglasglocke, in einem Edelstahlkissen Die Miniaturwelt der Patravi liegt unter einer Saphirglasglocke, deren gewölbte Form durch aufwändiges Schleifen entsteht. Den Rahmen bildet tadellos verarbeiteter Edelstahl, der aussieht und sich anfühlt wie ein angenehm festes Kissen. Seinem Innenleben kann kein Herbstabend-Schauer etwas anhaben, die Patravi kann ihren Träger sogar beim Schwimmen im Thermalbad begleiten: Bis fünf bar Druck bleibt sie wasserdicht. Trotz ihrer 44 auf 45 Millimeter Größe und der 139 Gramm Gewicht lässt sich die Carl F. Bucherer gut am (männlichkräftigen) Handgelenk mitnehmen. Dazu trägt auch das Kalbslederband bei: Seine Polsterung gibt sich zwar zu Beginn des Tragetests etwas starr, wird aber mit der Zeit anschmiegsamer. Außerdem hält sie die Schließe vom Handgelenk fern und macht so jedes Drücken unmöglich. Lediglich der Gummigeruch der Kautschuk-Schicht auf Krone und Lünette tut dem Tragekomfort einen kleinen Abbruch. Er sticht zu Beginn des Tests in die Nase, lässt im Lauf des Tests aber nach. UHREN MAGAZIN 10 /

3 Dafür bietet der Kautschuk der Krone eine weiche und griffige Oberfläche, die für Pluspunkte im Bedienkomfort sorgt. Den Abzug in dieser Kategorie verantwortet im Grund das Werk: Hat man die Zeit eingestellt und möchte die Patravi laufen lassen, verspringt beim Schließen der Krone der Minutenzeiger. Es fordert einige Geduld, ihn so lange hin und her zu bewegen und die Krone so vorsichtig und exakt gerade an ihren Platz zu schieben, bis das Zeigerspiel überlistet ist. Band wie Schließe fühlen sich habhaft an und lassen sich anstandslos bedienen sobald man die Funktionsweise der Schließe durchschaut. Das Band richtig einzufädeln ist zwar kein intuitiv erfassbarer Vorgang, verhilft aber zu sicherem Halt und hoher Passgenauigkeit. Geschraubte Federstege erleichtern zudem seinen Wechsel. An der Verarbeitung gibt es, bis auf Reste von Klebstoff am Futterleder, nichts auszusetzen. Die Fakten zu den Äußerlichkeiten in Kürze: Die Carl F. Bucherer punktet mit der Verarbeitung und Wertigkeit Dialektisch betrachtet: Das Zifferblatt punktet mit Appliken und Streifenschliff, nur der zerfaserte Druck des Wochentags gibt Anlass zu Kritik. Eigenheiten des Kalibers A1002: der periphere Rotor mit Stoßsicherungssystem DSA und die Sicherung CDAS für Teile der Feinregulierung. Gang Tragetest Carl F. Bucherer Mittlerer täglicher Gang + 3,0 s Zeitwaage ZO ZU 9H 6H 3H bei Vollaufzug nach 24 Stunden Gang Amplitude Gang Amplitude + 3,8 s ,4 s ,3 s ,8 s 289 0,0 s ,9 s ,8 s ,6 s ,0 s ,4 s 248 X D DVH DI + 2,6 s ,0 s 265 4,3 s 37 1,2 s 41-2,5 s + 0,7 s - 2,0 s + 1,2 s Erklärung Gangergebnis Horizontale Lagen: ZO Zifferblatt oben, ZU Zifferblatt unten. Vertikale Lagen: 9H neun Uhr oben (Krone unten), 6H sechs Uhr oben (Krone links), 3H drei Uhr oben (Krone oben). X Durchschnitt der Werte (mittlerer täg - licher Gang), D Differenz zwischen dem größten und dem kleinsten Wert, DVH Differenz zwischen dem Mittelwert der vertikalen und dem Mittelwert der horizontalen Lagen, DI Differenz zwischen 6H und ZO. 44 UHREN MAGAZIN 10 /2011

4 ihres Gehäuses, am Band stören lediglich sichtbare Überbleibsel vom Verkleben. Ihr Tragekomfort überzeugt beinahe restlos: Einen kleinen Abzug verschuldet der anfänglich anstrengende Kautschuk- Geruch. Der Bedienkomfort der Patravi fällt ordentlich aus; ihn schmälern lediglich das Spiel des Minutenzeigers und die komplexe Funktionsweise der Schließe. Architekturblöcke und Asphalt Lassen wir uns nun in den Bann ziehen von dämmrigen Ecken, dem Wechsel bunter Schlaglichter, von hell erleuchteten Fenstern und betrachten wir das Zifferblatt der Patravi genauer. Auch über seine Farben hinaus ähnelt es einer geradlinig urbanen Landschaft: Das Blatt mit Sonnenschliff bildet einen asphaltglatten Untergrund; applizierte Indices und Rahmen für Kleine Sekunde, Großdatum und Gangreserveanzeige bilden die Architektur. Außer dem etwas zerfaserten Druck des Wochentags finden sich keine Mängel an der Verarbeitung. Kissenförmige Skalen stehen mal mehr, mal weniger nah bei den Zeigern. Der Ablesbarkeit der Patravi schadet das nicht. Die starken Abstände und Farbkontraste der Skalen zeigen die Zeit sofort und genau. Da die Markierungen der Kissenform des Gehäuses folgen, gibt es keine wirklich ausgewogene Zeigerlänge für die Patravi. Durch ihre deutlichen Spitzen tragen der Stunden- und Minutenzeiger trotzdem zur klaren Ablesbarkeit bei. Neben diesen leuchten bei Nacht nur die Stundenindices, dank der großzügigen Skalierung lässt sich die Zeit aber fast minutengenau schätzen einzige Ausnahme bildet der dunkle Winkel bei der Gangreserveanzeige. Unter der dämmrigen Kulisse arbeitet, wie oben erwähnt, das Automatikkaliber CFB A1002. Es ist ständig ein wenig in Eile und läuft vor allem nach Ruhephasen zu schnell: Der Vorgang liegt beim Tragetest zwischen plus einer und plus vier Sekunden pro Tag. Immer ein wenig Eile Nach einer knapp eintägigen Ruhepause erhöht er sich auf plus sieben Sekunden, kehrt aber bis zum darauffolgenden Tag in den gewohnten Bereich zurück. Auch auf der Zeitwaage zeigt das CFB A1002 seine Tendenz zur Hast, doch nach 24 Stunden Gangdauer ohne Aufzug Nachts minutengenau abschätzbar: Große Abstände der Indices helfen beim Ablesen, nur bei der Gangreserveanzeige herrscht Unklarheit. geht es höchstens 4,6 Sekunden vor. Beunruhigender fällt die Amplitude aus: Bei Vollaufzug bewegt sie sich in der Lage Zifferblatt unten mit 316 Grad an der Grenze zum Prellen. Trotzdem fallen die Gangwerte der Carl F. Bucherer insgesamt sehr gut aus, sie hätte rein rechnerisch sogar das Zeug zum Chronometer: Der mittlere tägliche Gang von plus 3,3 Sekunden, die mittlere Gangabweichung von 1,8 Sekunden, die Differenz zwischen vertikalen und horizontalen Lagen (-0,9 Sekunden) und die größte Differenz zwischen dem mittleren täglichen Gang und einem der Gänge (3,3 Sekunden) liegen innerhalb der C.O.S.C.-Toleranzen.

5 Fassen wir also rasch zusammen, was sich unter der Glasglocke der Patravi EvoTec PowerReserve abspielt bevor wir in den urbanen Untergrund von Konstruktion, Modifikation und Finissage des A1002 hinabsteigen. Alles in Ordnung an der Oberfläche Das aufwändig gestaltete und weitgehend sauber verarbeitete Zifferblatt holt fast alle möglichen Punkte. Kleine Abzüge gibt es für den unsauberen Druck des Wochentags und die Nachtablesbarkeit, die im Bereich der Gangreserveanzeige ausbleibt. Form und Größe der Zeiger lassen so wenig zu wünschen übrig wie die Skalen, die bei Nicht intuitiv erfassbar, dafür sicher und komfortabel: Die Faltschließe lässt sich erst nach eingehender Betrachtung ihrer Funktionsweise bedienen. Tag eine komfortable Ablesbarkeit bieten. Auch am Gangverhalten der Patravi EvoTec PowerReserve gibt es nur wenig auszusetzen. Ihr mittlerer täglicher Gang liegt bei akzeptablen plus drei Sekunden, lediglich die Amplitude sollte zumindest bei Vollaufzug etwas niedriger sein. Um in das Automatikkaliber A1002 einzutauchen, genügt es, die Patravi umzudrehen. Durch das Saphirglas eröffnet sich eine Gegenwelt zu den Schatten des Zifferblatts: Metall schimmert und glänzt, Satinflächen wechseln mit matten und sonnengeschliffenen, dazwischen blitzen polierte Schraubenköpfe. Strahlende Welt im Untergrund Der Verzicht auf traditionelle Stilmittel wie Bläuungen und Streifenschliffe erzeugt eine nüchterne Ästhetik, die die gerade Linienführung der Brücken noch vertieft. Bis auf einen Kratzer und eine Macke zeigt die Verarbeitung keine Mängel. Unter dem Unruhreif steht die Bezeichnung des Basiskalibers: Das A1000 entwickelte man bei Carl F. Bucherer Technologies SA dem seit 2007 hausinternen Werkehersteller als Grundstock für ein Sortiment von Manufakturkalibern. Diese unterscheiden sich durch Module, sprich Komplikationen. Als Basisfunktionen gibt das A1000 Stunde, Minute und Kleine Sekunde vor. Das A1002 der Patravi EvoTec Power Reserve ist also mittels konstruktivem Aufbau um die Anzeige von Wochentag, Datum und Gangreserve erweitert. Wie das A1000 zeichnet es sich durch einen peripheren Rotor aus, der am Rand des Saphirglasfensters im Boden der Patravi um den Kern des Werks kreist. Diese Form des Aufzugs erlaubt einen Panoramablick auf das Werk, wie ihn sonst nur Handaufzugsuhren bieten. Ihre Realisierung forderte

6 Daten Uhr Hersteller Referenznummer Funktionen Gehäuse Durchmesser Höhe Gläser Wasserdichtheit Band Anstoßbreite Schließe Gesamtgewicht Modellvarianten Fehler am Testmodell Daten Werk Basis-Kaliber produziert seit Durchmesser Höhe Steine Gangreserve Unruh Frequenz Form Spirale Spiralform Stoßsicherung Feinregulierung Zierschliffe Kanten angliert Skelettiert Schrauben gebläut/poliert Modulaufbau Chronometer-Prüfung Qualitätssiegel Preiskategorie Preis der Testuhr Bewertung Patravi EvoTec PowerReserve Carl F. Bucherer Montres S. A Stunde, Minute, Kleine Sekunde, Tag, Großdatum, Gangreserveanzeige Edelstahl, Lünette aus Kautschuk 44,14 x 45,14 mm 14,34 mm beidseitig Saphirglas, oben gewölbt und beidseitig entspiegelt 5 bar Kalbsleder 23,90 mm Faltschließe 139,0 g mit Edelstahlband Euro, Gehäuse in Rotgold Euro Zehnerscheibe des Datums schaltet einen Tag zu spät CFB A1002, Automatik CFB A ,00 mm 6,30 mm 33 Rubine 55 Stunden Glucydur A/h = 3 Hz Reif, dreischenklig, geschlossen Nivaflex 1 Anachron flach Incabloc Rücker Mattierungen, Satinierungen, Sonnenschliff teilweise nein nein/ja für Datum, Tag, Gangreserveanzeige nein nein bis Euro Euro [5,34] Pro Verarbeitung/Wertigkeit Gehäuse Ablesbarkeit bei Tag hoher Bedien- und Tragekomfort Manufakturkaliber Gangverhalten Tragetest/Zeitwaage mehrere konstruktive Spezialitäten Contra relativ hoher Preis eingeschränkte Nachtablesbarkeit Zeigerspiel von den Entwicklern bei Carl F. Bucherer, in andere Richtungen zu denken als beim herkömmlichen Zentralrotor: Die Kraftübertragung und Sicherung der kreisförmigen Lagerung gegen Stöße charakterisieren unter anderem das Projekt. Im wörtlichen Sinn greifen diese Punkte ineinander: Die innere Seite des kreisförmigen Rotors ist mit einem gezackten Profil, einer Innenverzahnung ausgestattet. Damit greift die Schwungmasse in jeder Position in ein Übertragungsrad ein, das die Bewegungsenergie zum Aufzug der Feder an das Räderwerk weitergibt. Von außen erkennt man das Übertragungsrad an der Incabloc-Stoßsicherung, in der sein Zapfen lagert; unsichtbar für den Betrachter sitzt ihr Gegenpart unter dem Rad. Die Stoßsicherungen erlauben es dem Übertragungsrad, bei eventuellen Stößen einer seitlichen Verschiebung des Rotors zu folgen. Den Rotor selbst schützt die so genannte Dynamic Shock Absorbtion (DSA) vor unsanften Einwirkungen. Das Stoßfängersystem von Carl F. Bucherer Technologies SA beruht auf drei Kugellagern, die mit Keramikkugeln arbeiten. In jedem der Lager sitzt ein Stift mit einer umlaufenden Kerbe in Form eines gekippten V, die als Lauffläche des Rotors dient. Die Kugellager können sich leicht zur Seite und vor allem senkrecht zur Platine verschieben. So gleichen sie Stöße aus, sobald die Schwungmasse an ihre Lauffläche gedrückt wird. Eine weitere hausinterne Konstruktion ist das patentierte Sicherungssystem für die Feinregulierung im Kaliber CDF A1000, das auch im A1002 zum Einsatz kommt. Das so genannte Central Dual Adjusting System (CDAS) hält den Rückerzeiger und den Spiralklötzchenträger in Position, auch wenn gröbere Kräfte auf das Werk einwirken. Zur Bewertung des Kalibers CFB A1002: Gemeinsam mit der Eigeninitiative von Carl F. Bucherer holen die Besonderheit des peripheren Rotors samt notwendiger Zusatzentwicklungen und sein wie der Praxistest zeigt reibungsloses Verhalten im Alltag alle möglichen Punkte für die Konstruktion. Einzige, aber sehr kleine Mängel am Werk der Patravi EvoTec PowerReserve sind zwei Unsauberkeiten in der Verarbeitung. Beeindruckende Straßenzüge mit wenigen unschönen Ecken Wie das Kaliber schlägt sich die ganze Uhr in diesem Test: Die Patravi holt in allen Disziplinen die meisten zu vergebenden Punkte, kassiert aber immer wieder auch kleinere Abzüge: für den unsauberen Druck des Wochentags, eine Fehlstelle in der Stundenskala bei Nacht, Klebereste am Band, den Kautschukgeruch der Krone und Zeigerspiel. Diese sind aber lediglich unschöne Ecken am Gesamtbild der Carl F. Bucherer, denen ihre positiven Eigenschaften wie ganze Straßenzüge gegenüberstehen: Zum weitgehend hohen Bedien- und Tragekomfort kommen eine saubere Verarbeitung und hochwertige Anmutung des Gehäuses; das aufwändig und im Großen ordentlich verarbeitete Zifferblatt rundet mit benutzerfreundlich geformten Zeigern und komfortabler Tagablesbarkeit das Ergebnis ab. Obwohl die Patravi EvoTec PowerReserve an eine Miniaturwelt unter Saphirglas erinnert einschließlich des Kalibers A1002, dessen Rotor wie eine Eisenbahn kreist, erweist sie sich im Test als tüchtige Begleiterin. Wobei: Jene Zeitgenossen, die gerne auf liebevoll gestaltete Modellwelten schauen, werden ihrem Charme erst recht erliegen. Text: Gwendolyn Benda Fotos: Zuckerfabrik Fotodesign UHREN MAGAZIN 10 /