1512 Die Bündner im Veltlin, in Bormio und in Chiavenna Buchvernissage vom 22. November 2012 im Brandissaal in Chur
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- Marta Schuster
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1 1512 Die Bündner im Veltlin, in Bormio und in Chiavenna Buchvernissage vom 22. November 2012 im Brandissaal in Chur Ansprache von Martin Jäger, Regierungsrat Sehr geehrte Damen und Herren Cari amici del Grigioni italiano, della Valtellina e della sua storia liebe Freunde der Bündner Geschichte Im Namen der Regierung des Kantons Graubünden begrüsse ich Sie an diesem speziellen Anlass, an dieser Buchvernissage des Tagungsbandes, mit der aus der Sicht des Jahres 2012 speziellen Jahrzahl A nome del Governo del Cantone dei Grigioni porgo a tutti i Valtellinesi qui residenti, e a quelli venuti da lontano, un caloroso saluto. Mit grosser Freude habe ich diese zweite Einladung angenommen, nicht nur im Sommer an der Tagung in Poschiavo, sondern nun auch hier in "meinem" Chur eine kurze Ansprache zu halten. Seit meiner Jugend im Prättigau haben mich geschichtliche Ereignisse und ihre Hintergründe immer speziell fasziniert. Wenn ich nicht den Weg der Politik gegangen wäre, hätte ich wohl gerne eventuell Geschichte studiert. Ich kann mich heute immerhin damit trösten, dass die Kulturförderung im Allgemeinen und die Geschichte im Besonderen ich denke hier zum Beispiel an die Museen oder an das Staatsarchiv zum Aufgabenbereich meines Departementes gehören, des Erziehungs-, Kultur- und Umweltschutzdepartements also, für das ich als Vorsteher verantwortlich sein darf.
2 Cari presenti, geschätzte Anwesende Fast drei Jahrhunderte lang waren die Leute, die im Territorium des heutigen Kantons Graubünden oder in der Provinz Sondrio lebten, Teil eines einzigen Staates, und die aktuelle Landesgrenze zwischen der Schweiz und Italien, die wir heute kennen, existierte damals natürlich nicht, nicht so. Der gemeinsame Weg dieser Bevölkerungsgruppen durch die Geschichte nahm 1512 seinen Anfang, also genau vor 500 Jahren. Im Monat Juni jenes Jahres besetzten Bündner Truppen das Veltlin, Bormio und Chiavenna und vertrieben die vorherige französische Besatzungsmacht. Im Juni dieses Jahres nun wurde in Tirano und in Poschiavo eine Tagung mit Veltliner und Bündner Historikern abgehalten. Dabei wurden geschichtliche Ereignisse aufgearbeitet, über die neuesten Forschungsergebnisse berichtet. Heute Abend werden die Ergebnisse dieser Tagung, die "Atti" sozusagen, also die Tagungsakten, einem interessierten Publikum vorgestellt. Sie werden sich bestimmt fragen, warum wir Ereignisse, die 500 Jahre zurück liegen, heute erneut in Erinnerung rufen. Ein Jahrestag oder ein Jubiläum geschätzte Damen und Herren gibt uns immer die Gelegenheit, über das nachzudenken, was gewesen ist, was nun ist und was noch werden könnte. Erlauben Sie mir also, die runde Jahreszahl von 500 Jahren zum Anlass zu nehmen, einige kurze Überlegungen anzustellen. Was 1512 genau vorgefallen ist, das haben die Historiker für die Tagung eingehend aufgearbeitet.
3 Ich will nur in Erinnerung rufen, dass die Bündner Amtsleute, die damals das Veltlin mit Bormio und Chiavenna im Namen des Freistaates der Drei Bünde verwalteten, dabei nicht immer eine glückliche Hand hatten, vor allem auch in der Ausübung der Justiz. Und wie wir alle wissen, führten die schlechte Verwaltung, die Missbräuche und vor allem auch die persönliche Habgier in der Konsequenz im Jahre 1797 zur Abspaltung, zum Verlust dieser Gebiete. Heute noch, wenn man in Graubünden vom Veltlin redet, wird immer wieder jener Zeit nachgetrauert und der schwere Verlust beklagt. Wie wäre es, wenn das Veltlin noch zu Graubünden gehören würde? Diese Gedanken verraten ein weit verbreitetes Gefühl: Mit der Abspaltung dieser südlichen Gebiete vom Freistaat der Drei Bünde haben wir eben etwas Einmaliges, etwas Wertvolles verloren. Mit dem Veltlin, Bormio und Chiavenna hätte der Kanton Graubünden heute definitiv ein anderes politisches Gewicht innerhalb der Schweiz. Ausserdem würden sich unsere Südtäler, die "Valli del Grigioni italiano" nicht so einsam fühlen, wenn sie im Rücken die Gebiete der heutigen Provincia di Sondrio hätten. Und schliesslich wäre die italienische Sprache und Kultur auch in der Eidgenossenschaft deutlich stärker vertreten. Aus diesem Grunde war ich nicht nur überrascht, sondern hatte auch mit einer gewissen spitzbübischen Freude eine Aussage des Presidente della Provincia di Sondrio zur Kenntnis genommen und dies auch schon bei meinem Grusswort im Juni in Poschiavo erwähnt.
4 Der Präsident Massimo Sertori sagte nämlich vor einiger Zeit in etwa, dass wenn der italienische Staat die Provinz Sondrio abschaffen sollte, die Veltliner sich überlegen könnten, ob sie sich nicht besser Graubünden oder der Schweiz anschliessen sollten. Die Aussage war selbstverständlich als Provokation gedacht, aber trotzdem: Viele Bündner sähen es durchaus nicht ungern, wenn die Veltliner sich weiterhin einige Gedanken in dieser Richtung machen würden. So oder so: Wir können auf jeden Fall mit Genugtuung feststellen, dass in den letzten Jahrzehnten die Zusammenarbeit, die kulturellen und wirtschaftlichen Austauschbeziehungen zwischen der Provincia di Sondrio und Graubünden spürbar intensiver geworden sind. Was mich besonders beeindruckt hat, ist dass diese Zusammenarbeit nicht von oben herab diktiert wurde, sondern sozusagen spontan von unten gewachsen ist. Es handelt sich um Kontakte, die aus konkreten Bedürfnissen der Bevölkerung auf beiden Seiten der Grenze entstanden sind. Ein Zeichen, dass Beziehungen, trotz historischer Zäsuren und territorialen Abspaltungen, wachsen und gedeihen können. Ich könnte Ihnen eine ganze Liste von grenzüberschreitenden Initiativen und Projekten aufzählen. Im kulturellen Bereich beispielsweise die filarmonica avvenire Brusio mit ihrem Jungmusikantenorchester, ein eindrücklich grosses Ensemble, dessen hervorragendes Jahreskonzert ich dieses Jahr in Brusio besuchen konnte. So viele Jungmusikanten wie kaum sonstwo in Graubünden, von beiden Seiten der Grenze! Oder im Bildungsbereich: Da denke ich an grenzüberschreitende Kindergartenprojekte im Bergell oder an das nuovo Centro tecnologico del legno in Poschiavo.
5 Solche Projekte sind der Beweis, dass ein gutes Einvernehmen und eine erfolgreiche Zusammenarbeit auch über existierende Grenzen hinweg möglich sind. Es sind Austauschbeziehungen unter gleichberechtigten Partnern entstanden, und nicht mehr zwischen Herren und Untertanen. Ich bin überzeugt, dass dank der Intensivierung dieser guten Beziehungen die Grenze, die immer noch Graubünden von der Provincia di Sondrio trennt, auch in Zukunft immer mehr von ihrem Gewicht verlieren wird, und vielleicht eines schönen Tages sogar ganz verschwinden wird. Ich komme zum Schluss: Ich danke den Promotoren, die diese Veranstaltungen rund um diesen 500-Jahr-Gedenkanlass organisiert haben und wünsche allen weiterhin eine exzellente Zusammenarbeit, über alle Grenzen hinweg. Ihnen danke ich für Ihre Aufmerksamkeit.
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