Dokumentation des Forums Was ist dran an der Altersarmut?
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- Kerstin Junge
- vor 8 Jahren
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1 Dokumentation des Forums Was ist dran an der Altersarmut? Bürgermeisterin Birgit Jörder wies in ihrer Begrüßungsansprache auf die großen gesellschaftlichen Herausforderungen, die zur Sicherung angemessener materieller und sozialer Lebensverhältnisse der älteren Generationen im Ruhestand in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu bewältigen sind, hin. Altersarmut sei dabei ein gesamtgesellschaftliches Thema, das auch die Jüngeren betreffe, die sich gerade in Zeiten zunehmender unbeständiger Beschäftigungsverhältnisse mehr und mehr sorgen: Wie sieht die Zukunft aus? Reicht die Rente auch für uns, die kommenden Generationen, aus, wenn wir aus dem Erwerbsleben ausscheiden? Der Armutsbegriff beziehe sich aber nicht ausschließlich auf Fragen der finanziellen Absicherung- ebenso wichtig sei die Möglichkeit zur Teilhabe am sozialen Leben in der Gemeinschaft dies gelte auch ganz besonders für kranke und pflegebedürftige Menschen. Zur Bewältigung der Herausforderungen des demografischen Wandels habe man in Dortmund schon sehr früh mit der Einrichtung von Seniorenbüros in allen zwölf Stadtteilen neue Lösungswege beschritten. Die Seniorenbüros dienen dabei sowohl als erste Anlaufstelle für ältere Menschen und ihre Angehörigen und haben auch bundesweit durch die Einbindung zahlreicher institutioneller Akteure sowie der Förderung von Stadtteilbezug und ehrenamtlichem Engagement Vorbildfunktion entwickelt. Durch die Bereitstellungen eines nahezu flächendeckenden Netzes an Seniorenbegegnungsstätten in städtischer sowie wohlfahrtsverbandlicher Trägerschaft werde den Bedürfnissen älterer Menschen nach sozialer und kultureller Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in besonderer Weise in Dortmund Rechnung getragen. Elisabeth Brand legte in ihren Begrüßungsworten als Vorsitzende des Seniorenbeirates auf die Feststellung Wert, dass Armut keine gesellschaftliche Randerscheinung sei, sondern den einzelnen Menschen und die Kommune, die mit steigenden Sozialleistungen belastet wird, betreffe. Daher sei es, so auch die Position des Seniorenbeirates,
2 unabdingbar, dass trotz aller schwieriger finanzieller Rahmenbedingungen diejenigen, die auf ein langes Erwerbsleben zurückblicken, auch in Würde altern können und hier der Rotstift nie angesetzt werden dürfe. Im Folgenden gab Thomas Keck; Erster Direktor Deutsche Rentenversicherung Westfalen unter dem Titel Rentenentwicklung und Perspektiven einen umfassenden Überblick über die aktuelle wie prognostizierbare Rentenentwicklung. Altersarmut sei heute kein Massenphänomen und sollte es auch künftig nicht werden. Der beste Schutz gegen Altersarmut seien angemessene Löhne in der Erwerbsphase und durchgängige Beitragszahlungen, denn, so Keck, was ich in der Erwerbsphase nicht erwirtschaftet habe, kann ich im Alter nicht nachholen, denn die Rente folge dem Erwerbseinkommen. Demnach sei es folgerichtig, die Ausweitung der Minijobs ebenso wie die Möglichkeit der Einbeziehung Selbständiger in die gesetzliche Rentenversicherung zu überprüfen- insbesondere die sog. Soloselbständigen und Kleinunternehmer seien aufgrund häufig fehlender privater Vorsorgeleistungen während der Erwerbsphase zunehmend von finanziellen Problemen in der nachberuflichen Lebensphase betroffen. Gleiches gelte auch für Menschen, die längere Phasen der Arbeitslosigkeit in ihrer Erwerbsbiografie erleben mussten, ganz besonders auch für langzeitarbeitslose Menschen. Während Keck darauf hinwies, dass aus seiner Sicht das Niveau der Erwerbsminderungsrenten angehoben werden sollte, betonte er auch, dass Rehabilitation und Gesundheitsförderung ebenfalls wichtige Bausteine des Rentenversicherungsträgers zur Wiederherstellung langfristiger Erwerbsfähigkeit seien, die zur Sicherung von angemessenen Renteneinkünften beitragen. Prof. Dr. Gerhard Bäcker, Sozialwissenschaftler aus Duisburg, ging in seinem anschließenden Vortrag Ursachen und Folgen einer neuen Altersarmut auf die unterschiedlichen Dimensionen der Altersarmut ein. Altersarmut bedinge häufig das Unterschreiten des
3 soziokulturellen Minimums in mehreren Lebensreichen: Wohnung, Pflege, Gesundheit, soziale Teilhabe. Problematisch an der Altersarmut sei auch, dass die Menschen, die einmal davon betroffen sind, häufig dauerhaft in dieser Lebenssituation verbleiben. Bäcker unterscheidet zwischen altersicherungsexternen Risikofaktoren, wie z.b.: Umbrüche auf dem Arbeitsmarkt; Niedriglohn; Minijobs; Langzeitarbeitslosigkeit; Leiharbeit; durchbrochene Erwerbs- und Versicherungsbiografien und alterssicherungsinternen (also systembedingten) Risikofaktoren wie beispielsweise den Abbau der Schutzwirkung der Rentenversicherung und die kontinuierliche Absenkung des Rentenniveaus. Insbesondere aber seien Reformen auf dem Arbeitsmarkt erforderlich, auch wenn diese erst langfristig greifen. Unter Altersarmut ist demnach so Bäcker- nicht nur Einkommensarmut verstehen, allerdings lassen sich ohne ausreichendes Einkommen Defizite und Unterversorgungslagen nicht lösen. Alterssicherung ist daher auch mehr als Armutsvermeidung und ist in einer alternden Gesellschaft zwangsläufig mit steigenden Kosten verbunden. In der sich anschließenden, von Kay Bandermann -WDR-Landesstudio - moderierten Diskussionsrunde mit Bundesminister a.d. Walter Riester, Thomas Keck, Prof.Dr. Gerhard Bäcker sowie der Dortmunder Sozialdezernentin Birgit Zoerner standen Fragen der Stabilisierung des Arbeitsmarktes insbesondere Mindestlohndebatte, Minijobs, Erwerbslosigkeit-, der Notwendigkeit der Ausweitung der Rentenversicherungspflicht, der Beitragsentwicklung, der privaten Rentenvorsorge sowie struktureller Altersarmutsrisken im Mittelpunkt.
4 Moderator Kay Bandermann eröffnete die Diskussionsrunde zunächst mit den Fragestellungen, ob denn die Regierungen die Rentner im Stich ließen und ob die sog. Riesterrente die Lücken im Versorgungssystem schließen könne. Walter Riester wies nochmals darauf hin, dass die Rentenhöhe sich auf Basis der während der Erwerbsphase geleisteten Einzahlungen in das Rentensystem errechne. Die nach ihm benannte Riesterrente könne dabei sehr wohl einen wichtigen Beitrag zur zusätzlichen Versorgungssicherheit leisten. Allerdings gab es so räumte Riester auch selbstkritisch ein - bei der Einführung und Umsetzung wie bei jedem neuen Verfahren- natürlich auch gewisse Probleme- so sei dieses zusätzliche Versorgungsinstrument für Personengruppen, die erst ab dem 50. Lebensjahr entsprechende Verträge abschließen würden, sicherlich weniger geeignet. Letztlich bedürfe es guter Beratung, damit Menschen sich für dieses Instrument entscheiden können und somit durch die Ergänzung zu gesetzlichen Altersvorsorgeleistungen die Möglichkeit haben, den bisherigen, während der Erwerbsphase erreichten Lebensstandard auch noch im Rentenalter annähernd aufrecht zu erhalten. Riester betonte aber auch, dass es rechnerisch angesichts des derzeitigen Rentenniveaus natürlich eine Illusion sei, den Lebensstandard alleine durch Rentenzahlungen der gesetzlichen Rentenversicherung ohne jegliche zusätzliche weitere Absicherung aufrechterhalten zu können. Mit Spannung verfolgten die Besucherinnen und Besucher in der Folge die engagierten und sehr authentisch wirkenden Schilderungen Riesters, der einerseits seine damaligen politischen Zielvorstellungen erläuterte, so beispielsweise auch die Einbeziehung Aller also auch der Selbständigen und Beamten- in die gesetzliche Rentenversicherung, aber auch deutlich machte, dass er seine gesamtkonzeptionellen Vorstellungen von Rentenpolitik aufgrund zahlreicher unterschiedlicher Interessenlagen nicht in allen Teilen durchsetzen konnte. Widerstand habe es bspw. bei der Besteuerung und Einbeziehung in die gesetzliche Rentenversicherung der damaligen 620,--DM-Beschäftigungsverhältnisse oder der Einbeziehung Selbständiger in die gesetzliche
5 Rentenversicherung - von Arbeitgeberverbänden und weiteren Selbständigenvertretern wie von der Opposition gegeben. Aber auch die Gewerkschaften stellten sich gegenüber Riesters Vorstellungen hinsichtlich der Besteuerung und Sozialversicherungspflichtigkeit von Schicht-und Nachtzuschlägen quer. Letztlich machte Walter Riester und traf damit auf die Zustimmung der weiteren Diskussionsteilnehmer- auch deutlich, dass die aktuellen Rentenversicherungsbeiträge wohl spätestens 2015 wieder ansteigen werden, um das derzeitige Rentenniveau zu erhalten und erteilte gleichzeitig populistischen und nur kurzfristig aufrecht zu erhaltenden Wahlversprechungen, die die finanziellen Erfordernisse des demografischen Wandels außer Acht ließen, eine klare Absage. Einigkeit bestand bei allen Diskussionsteilnehmern auch darüber, dass die Stabilisierung des Arbeitsmarktes und in der Folge gesicherte Beschäftigungsverhältnisse ebenso wie die Einführung gesetzlicher Mindestlöhne hier verwies Riester auch auf gute Erfahrungen in anderen europäischen Ländern - und strukturelle Verbesserungen im Bereich von geringfügiger Beschäftigung neben gesetzlicher und individueller Altersvorsorge die wesentlichen Eckpfeiler zur Finanzierung eines funktionierenden Alterssicherungssystems seien. Ob es mittelfristig gelingen könne, auch Selbstständige und Beamte in die gesetzliche Rentenversicherung miteinzubeziehen, sei zum derzeitigen Zeitpunkt nicht prognostizierbar, wäre aber aus Riesters Sicht weiterhin notwendig. Auch Thomas Keck sprach sich nicht generell gegen die Einführung gesetzlicher Mindestlöhne aus, wies aber darauf hin, dass in der Folge Verbraucherpreise steigen könnten. Dieser Aspekt, so Keck, werde der Öffentlichkeit aber häufig verschwiegen. Birgit Zoerner, Sozialdezernentin der Stadt Dortmund, erläuterte, dass auch in Dortmund mehr ältere Menschen als früher ergänzende Unterstützung erhalten. Dies müsse aber nicht unbedingt ein Indiz dafür sein, dass derzeit mehr Menschen in Dortmund von Altersarmut als früher betroffen seien vielmehr habe sich die Stadt Dortmund sehr bemüht, Schwellenängste abzubauen und so ältere Menschen in
6 Notlagen ermutigt, benötigte Hilfen auch in Anspruch zu nehmen. In diesem System spielen die Seniorenbüros mit ihren umfangreichen Beratungsangeboten und ihrem hohen Grad stadtteilorientierter Vernetzung und Ehrenamtlichkeit eine wichtige Rolle. Zoerner macht auch deutlich, dass die Stadt Dortmund zwar durch die allgemeinen Sozialausgaben auch für ältere Menschen sowie die Bereitstellung einer Vielzahl von Beratungsangeboten und Seniorenbegegnungsstätten die notwendigen Kosten zu tragen hat. Unabhängig hiervon sei aber von zentraler Bedeutung, dass eine gute kommunale Politik für ältere Menschen nicht alleine am finanziellen Aufwand zu messen sei vielmehr müsse es weiter gelingen, den erfolgreich beschrittenen Weg des solidarischen Miteinanders der Generationen in der Stadtgesellschaft fortzusetzen dazu bedürfe es über die Bereitstellung infrastrukturell notwendiger finanzieller Mittel hinaus eben auch der Aktivierung bürgerschaftlichen Engagements, der Nachbarschaftshilfe in den Quartieren und der Vernetzung der kommunalen, verbandlichen, ehrenamtlichen und sowie privaten Akteure in diesem Bereich. Prof.Dr. Gerhard Bäcker stimmte den Ausführungen zur Bedeutung ehrenamtlichen bürgerschaftlichen Engagements grundsätzlich zu, gab aber zu bedenken, dass nicht alle professionellen Aufgaben einfach auf Ehrenamtliche übertragen werden dürfen. Im Hinblick auf die Struktur von Stadtteilen sei es sinnvoll, in einer Mischung zu leben: jung alt - arm reich; die Gesamtsolidarstruktur in einer Gemeinde sei wichtig. In der anschließenden Diskussion, an der sich nun auch die Besucherinnen und Besucher rege beteiligten, berichtete Carola Urban, Mitarbeiterin des Seniorenbüros Hörde, auch von den täglichen Erfahrungen in den Seniorenbüros. So kämen häufig ältere Menschen oder deren Angehörige in die Beratungssprechstunden, die aufgrund von Krankheit und Pflegebedürftigkeit und darauf basierender notwendiger Inanspruchnahme von kostenpflichtigen Hilfen und Dienstleistungen von erheblichen materiellen und sozialen Einschränkungen betroffen seien, obwohl sie dem Grunde nach gute Rentenleistungen erhielten.
7 Am Ende der Veranstaltung waren sich alle Beteiligten einig, dass der demografische Wandel die Gesellschaft in den nächsten Jahren und Jahrzehnten vor große Herausforderungen stellen wird. Diese Aufgaben seien, so die Diskussionsteilnehmer, in finanzieller Hinsicht nicht nur alleine durch rentenpolitische, sondern frühzeitig auch durch arbeitsmarktpolitische Instrumente zu bewältigen. Darüber hinaus sind sozial-und gesellschaftspolitische Weichenstellungen angefangen von der Bildungs-und Familienpolitik über kommunale Infrastrukturmaßnahmen bis zur Förderung bürgerschaftlichen Engagements notwendig. Es wurde deutlich, dass die Bewältigung der Herausforderungen des demografischen Wandels als ressortübergreifende zukunftssichernde Querschnittsaufgabe zu begreifen ist. Irmtraud Kuhnt, Mitglied im ehrenamtlichen Redaktionsteam des TREFFPUNKT, der Zeitung im WHH (Herausgeber: Förderverein des WHH) und Viktor Kidess (Leiter des WHH).
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