Inhalt. Editorial 3. Leitartikel. Recht. Praxis. Richterliche Aushebelung des Grundsatzes 4 in dubio pro reo Hans Giger
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- Lothar Holtzer
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1 Inhalt Editorial 3 Leitartikel Richterliche Aushebelung des Grundsatzes 4 in dubio pro reo Hans Giger Recht Strassenverkehrsrechts-Tagung Yann Moor Werkstattgespräche 20 Stadtverkehr eine Herausforderung für die Polizei Edit Seidl Praxis Rechtsprechung unter der Lupe 24 Andreas A. Roth STRASSENVERKEHR / CIRCULATION ROUTIÈRE 3/2014 1
2 Impressum Strassenverkehr ISSN: Circulation routière Interdisziplinäre Zeitschrift / Revue interdisciplinaire 6. Jahrgang Nr. 3/2014 Herausgeber Prof. em. Dr. iur. et Dr. phil. I Hans Giger, Universität Zürich, Rechtsanwalt Beirat lic. iur. Daniel Blumer, Rechtsanwalt, Kommandant der Stadtpolizei Zürich, Präsident der Verkehrskommission der Konferenz der Kantonalen Polizeikommandanten (KKPKS) Dr. rer. pol. Brigitte Buhmann, Direktorin, Beratungsstelle für Unfallverhütung lic. iur. Beat Hensler, a. Kommandant der Luzerner Polizei; a. Präsident der Konferenz der Kantonalen Polizeikommandanten der Schweiz ( KKPKS) Dr. iur. Thierry Luterbacher, Rechtsanwalt, CEO AXA ARAG lic. phil. I Peter-Martin Meier, Präsident Verkehrssicherheitsrat a. Bundesrat und Bundespräsident Dr. h.c. Adolf Ogi, Vorsteher des Eidgenössischen Verkehrs- und Energiedepartements Dr. iur. Frank Th. Petermann, Rechtsanwalt, Präsident der Vereinigung der Schweizer Medizinalrechtsanwälte lic. iur. Evalotta Samuelsson, Rechtsanwältin, Vorstandsmitglied der Unfallopfer- und Patientenrechtsberatungsstelle U.P. Prof. em. Dr. iur. Dr. h.c. mult. Herbert Schambeck, Universtiät Linz/Ö, Präsident des Bundesrates i.r. der Republik Österreich Prof. em. Dr. iur. Ivo Schwander, Professor für Internationales Privatrecht, Rechtsvergleichung und Schweizerisches Privatrecht, Universität St. Gallen Prof. Dr. med. Michael Thali, Executive MBA HSG, Direktor, Institut für Rechtsmedizin, Universität Zürich Prof. em. Dr. oec. Dr. phil. II Hugo Tschirky, Institut Technology and Innovation Management, Eidgenössische Technische Hochschule Zürich Urs Wernli, Zentralpräsident Auto Gewerbe Verband Schweiz Willi Wismer, Präsident Zürcher Fahrlehrer Verband Redaktion Chefredaktion Prof. em. Dr. iur. et Dr. phil. I Hans Giger, Universität Zürich, Rechtsanwalt Redaktioneller Ausschuss Prof. em. Dr. iur. et Dr. phil. I Hans Giger, Universität Zürich, Rechtsanwalt lic. iur. Manfred Dähler, Rechtsanwalt Prof. Dr. iur. André Kuhn, Professeur de criminologie et de droit pénal aux Universités de Lausanne et de Neuchâtel, Membre fondateur Centre interdisciplinaire de droit et d étude de la circulation routière CIDECR Schriftleitung Prof. Dr. iur. André Kuhn, Professeur de criminologie et de droit pénal aux Universités de Lausanne et de Neuchâtel, Membre fondateur Centre interdisciplinaire de droit et d étude de la circulation routière CIDECR (französisch) Redaktion Dr. iur. Roland Brehm, a. Lehrbeauftragter Universitäten Genf und Fribourg Prof. Dr. phil. I Amos S. Cohen, Verkehrspsychologe, Universität Zürich lic. iur. Manfred Dähler, Rechtsanwalt Prof. Dr. med. Volker Dittmann, Leitender Arzt Forensische Psychiatrie, Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel Prof. em. Dr. iur. et Dr. phil. I Hans Giger, Universität Zürich, Rechtsanwalt Dr. Markus Hackenfort, Projektleiter Unfallforschung, Zentrum für Verkehrs- und Sicherheitspsychologie am IAP der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW Prof. Dr. rer. nat. Lutz Jäncke, Ordinarius am Lehrstuhl für Neuropsychologie, Psychologisches Institut, Universität Zürich Prof. Dr. iur. Ueli Kieser, Rechtsanwalt, Titularprofessor an der Universität St. Gallen Prof. Dr. iur. André Kuhn, Professeur de criminologie et de droit pénal aux Universités de Lausanne et de Neuchâtel, Membre fondateur Centre interdisciplinaire de droit et d étude de la circulation routière CIDECR Prof. Dr. iur. Moritz Kuhn, Universität Zürich Cédric Mizel, avocat, Service des automobiles et de la navigation, Neuchâtel, Chargé d enseignement à l Université de Neuchâtel Rechtsanwalt Yann Moor, lic. iur., Prof. Giger & Dr. Simmen Rechtsanwälte, Zürich Fürsprecher Andreas A. Roth Prof. Dr. iur. Baptiste Rusconi, Université de Lausanne, avocat Prof. Dr. rer. publ. Dr. h.c. René Schaffhauser, em. Professor für Öffentliches Recht, Universität St. Gallen Prof. Dr. iur. Martin Schubarth, Universität Basel, Ancien Président du Tribunal fédéral, Avocat-Conseil Dr. iur. Philippe Weissenberger, Rechtsanwalt, Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. iur. Franz Werro, Universität Freiburg i.ü. und Georgetown University Law Center, Washington D.C. Dr. h.c. Hans Wiprächtiger, Rechtsanwalt, ehem. Bundesrichter Prof. Dr. iur. Piermarco Zen-Ruffinen, Doyen Faculté de droit, Université de Neuchâtel, Membre fondateur Centre interdisciplinaire de droit et d étude de la circulation routière CIDECR Auslandskorrespondenz Prof. Dr. iur. Christian Huber, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und Arbeitsrecht, RWTH Aachen RA Ulrike Karbach, Fachanwältin für Verkehrsrecht Dr. iur. Markus Schäpe, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht, Leiter ADAC Verkehrsrecht, München Redaktionsadresse Strassenverkehr/Circulation routière Postfach 3277, 8021 Zürich Tel , Fax redaktion.strassenverkehr@gmail.com Übersetzungen Leadübersetzungen in die französische Sprache LT LAWTANK, Laupenstrasse 4, 3001 Bern Abonnemente und Verlag Dike Zeitschriften AG, Zürich/St. Gallen Postadresse: Weinbergstrasse 41, 8006 Zürich Tel , Fax zeitschriften@dike.ch Erscheint 3-mal jährlich Abonnementspreise Jahresabonnement Schweiz: CHF 148. (inkl. Versandkosten) Jahresabonnement Ausland: Euro 110. (exkl. Versandkosten) für Studierende: CHF 49. (inkl. Versandkosten) Einzelheft: CHF 42. (exkl. Versandkosten) Kündigungen für die neue Abonnementsperiode sind schriftlich und bis spätestens 31. Oktober des vorangehenden Jahres mitzuteilen. Beanstandungen können nur innert 8 Tagen nach Eingang der Sendung berücksichtigt werden. Für durch die Post herbeigeführte Beschädigungen sind Reklamationen direkt bei der Poststelle am Zustellort anzubringen. Anzeigenverkauf und -beratung WINCONS AG Fischingerstrasse 66, CH-8370 Sirnach Tel. +41 (0) , Fax +41 (0) info@wincons.ch Alle Urheber- und Verlagsrechte an dieser Zeitschrift und allen ihren Teilen sind vorbehalten. Das Recht zum Nachdruck, zur Vervielfältigung, Mikroverfilmung, Übernahme auf elektronische Datenträger und andere Verwertungen jedes Teils dieser Zeitschrift steht ausschliesslich der Dike Zeitschriften AG zu. 2 STRASSENVERKEHR / CIRCULATION ROUTIÈRE 3/2014
3 Das Prinzip «in dubio pro reo» gilt als eine der Grundfesten unserer Rechtsprechung. Wer daran rüttelt, stellt nicht nur unser Rechtssystem in Frage, sondern demontiert das subtile Gefüge unseres Rechtsstaates und unterminiert das Vertrauen der Rechtsunterworfenen in die rechtsprechenden Organe. In «kreativer Rechtsprechung» hebelte nun ein kantonales Gericht diesen Grundsatz aus: Im Falle von vier untereinander bekannten Autofahrern, welche auf einer Fahrt in den Süden die Fahrzeuge mehrmals getauscht hatten, wurde einer wegen erhöhter Geschwindigkeit geblitzt. Auf den Radarbildern konnte der Schnellfahrer nicht identifiziert werden. Trotzdem wurde dem Fahrer A ein Strafbefehl zugestellt, worauf dieser eine gerichtliche Beurteilung verlangte. Daraufhin wurde das Verfahren gegen A sistiert und für den gleichen Tatbestand gegen B Anklage erhoben. Unser Leitartikel geht der Frage nach, ob einer der beiden Beteiligten verurteilt werden kann, ohne den Grundsatz «in dubio pro reo» zu verletzen, wird doch im schlimmsten Fall der Unschuldige verurteilt und der Schuldige freigesprochen. Ein breitgefächertes Themenspektrum zum Strassenverkehrsrecht bot die von der Universität Fribourg organisierte Fachtagung: Die Referenten spannten den Bogen von der Revision des Verjährungsrechtes über Online-Vergleichssysteme für Versicherungsprämien zu Fragen nach der Zuverlässigkeit polizeilicher Geschwindigkeitskontrollen, internationalprivatrechtlicher Aspekte bei Strassenverkehrsunfällen, der verschärften Strafbestimmung von Art. 80 SVG und zur aktuellen Rechtsprechung bezüglich Leistungskürzung in der Unfallversicherung. Die im Plenum analysierten Urteile im Straf- und Verwaltungsrecht sowie im Haftpflicht- und Versicherungsrecht zeigten einmal mehr die enorme Bedeutung des Strassenverkehrs für die unterschiedlichen Rechtsgebiete. Die stetig wachsende innerstädtische Verkehrsflut stellt nicht nur die Teilnehmenden und Anwohner mitunter auf eine harte Probe. Als Ordnungskraft ist vor allem die Polizei gefordert: der Verkehrsfluss muss geregelt, der Staueffekt vermieden und die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften durchgesetzt werden. Zudem bedingt die Konfrontation mit Betroffenen ein grosses Mass an Gelassenheit und psychologischem Geschick. Diesen Herausforderungen hat sich die städtische Verkehrspolizei täglich von neuem zu stellen, wie Hptm. Jan Ingold, Chef der Verkehrspolizei Zürich, im Rahmen der von unserem Periodikum organisierten «Werkstattgespräche» praxisnah erläuterte. Editorial Unsere Rubrik «Rechtsprechung unter der Lupe» widerspiegelt einerseits die Vielfalt und anderseits die grosse Menge der Konfliktsituationen, welche im Strassen ver kehr entstehen und deren rechtliche Beurteilung schlussendlich dem Bundesgericht zur Lösung vorgelegt wird. Erholsame Feiertage und konfliktfreie Mobilität auch im kommenden Jahr wünscht Ihnen Ihr Hans Giger, Herausgeber STRASSENVERKEHR / CIRCULATION ROUTIÈRE 3/2014 3
4 Leitartikel Richterliche Aushebelung des Grundsatzes in dubio pro reo Hans Giger** Inhalt I. Problemstellung 4 II. Tatbeständliche Ausgangslage 5 III. Beweiserhebungen 5 IV. Beweiswürdigung 5 V. Tatbestandsanalyse 6 A. Objektivierte Tatbestandsfeststellungen 6 B. Würdigung der tatbeständlichen Fakten durch die Polizeiorgane 6 C. Kritische Analyse 6 1. Verwertung der Aussagen 6 a. Bestandesaufnahme der Aussagen 6 b. Fehlen schlüssiger Ergebnisse 6 2. Verwertung des Bildmaterials 6 a. Bestandesaufnahme der Wertungsmassstäbe 6 b. Fehlen schlüssiger Ergebnisse 7 3. Fazit: Fehlen schlüssiger Beweise für die Täterschaft 7 D. Konsequenzen des Beweisnotstandes 7 1. Ausgangslage 7 2. Konfrontationseinvernahmen 7 3. Sowohl-als-auch-Prinzip 8 VI. Normative Analyse 8 A. Problemstellung 8 B. Konkurrenz möglicher Lösungskonzepte 8 1. Bestehen eines Grundsatzkonfliktes 8 2. Konfliktlösung: Analyse der Möglichkeiten 8 a. Vorbemerkungen 8 b. Positive Prozessvoraussetzung 8 c. Negative Prozessvoraussetzungen: Existenz von Prozesshindernissen 9 aa. Grundsatz von ne bis in idem 9 bb. Verletzung des Beschleunigungsgebots 9 d. Bedeutung anerkannter Prinzipien 10 aa. Nemo tenetur se ipsum accusare 10 bb. Unschuldsvermutung 10 cc. In dubio pro reo 10 dd. Gleichbehandlungsgebot 11 ee. Willkürverbot 11 ff. Opportunitätsprinzip 11 C. Ergebnis der Normanalyse 12 VII. Fazit: Rechtslage 12 VIII. Literatur 13 Alternative Verurteilung bei Ungewissheit hinsichtlich der Täterschaft* Vier Personen, drei Männer A, B und C sowie die Frau D unternahmen mit vier unterschiedlichen Autos eine Reise in den Süden, wobei sie die Motorfahrzeuge nach Zwischenhalten jeweils unter sich austauschten. Im Verlauf der Fahrt wurde ein Fahrer mit einer Geschwindigkeit von 117 km/h statt der erlaubten 80 km/h geblitzt. Es folgten die polizeilichen, dann die staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen. Das dem Fallprotokoll u.a. beiliegende Fotomaterial liess keine wesentlichen Erkennungsmerkmale der Personen für die Identifizierung des Täters zu. Auch die anschliessende Befragung brachten keine wesentlichen Erkenntnisse. All die in Frage Stehenden erklärten, an der markierten Stelle nicht mit dem Tatfahrzeug gefahren zu sein. Zuerst wurde A als Täter ein Strafbefehl zugestellt. Als dieser Einsprache erhob, erfasste man nun für den gleichen Tatbestand B. Das Verfahren gegen A wurde in der Folge sistiert und gegen B, der dem gegen ihn ausgesprochenen Strafbefehl ebenfalls mit einer Einsprache begegnete, Anklage erhoben. Der Autor dieses Beitrags untersucht nun in diesem Zusammenhang unter Beizug beinah sämtlicher Maximen vorab des Strafrechts die bestehenden Möglichkeiten. Was geht vor: Muss die Klage fallen gelassen werden. Darf in kreativer Rechtsprechung einer der Beteiligten verurteilt werden? Es besteht ja nur eine Alternative: Im schlimmsten Fall führt sie zur Verurteilung des Schuldlosen und Freisprechung des Schuldigen. I. Problemstellung Die Strassenverkehrssituation und vorab das mit diesem Beitrag anvisierte automobilistische Ereignis spielte sich auf unseren Strassen auf eine Art und Weise ab, die doch so meine ich erheblich vom alltäglichen Geschehen abweicht und insbesondere der juristischen Erfassung einige Probleme verschafft: Es haben diese Vorkommnisse weniger mit der Geschichte der Strafrechtserfassung als vielmehr mit Geschichten aus dem Alltag polizeilicher Ermittlungen zu tun, die signalisieren, dass sich Lösungskonzepte nicht stets eindeutig aus der Rechtsanwendung ergeben. Dürfen sich so die spezifische Fragestellung die verantwortlichen Instanzen im Sinne des Leitsatzes «Corrigez la fortune» dazu verleiten lassen, gewissermassen im Sinne einer kreativen Untersuchungs- und Entscheidungspraxis Schicksal zu spielen? * Ergänzte Fassung des im Jusletter vom 6. Oktober 2014 erschienenen Beitrags. ** Prof. em. Dr. iur. et Dr. phil. I Hans Giger, E.C.L., Universität Zürich, Rechtsanwalt. 4 STRASSENVERKEHR / CIRCULATION ROUTIÈRE 3/2014
5 Recht Strassenverkehrsrechts-Tagung 2014 Yann Moor* Inhalt I. Einleitung II. Ausgewählte Beiträge A. Die Revision des Verjährungsrechts B. Wie zuverlässig sind polizeiliche Geschwindigkeitskontrollen? C. Wie «sicura» ist die verschärfte Strafbestimmung von Art. 90 SVG? D. Übersicht über die Rechtsprechung III. Schlussbemerkung I. Einleitung Die Tagung wurde durch das Referat von Thomas Probst über die derzeitig hängige und teilweise bereits wieder überholte Revision des Verjährungsrechts eröffnet, gefolgt von einer Analyse von Christian Bock und Walter Fasel in Bezug auf die Zuverlässigkeit polizeilicher Geschwindigkeitskontrollen aus Sicht des Eidgenössischen Instituts für Metrologie. Den Teilnehmern bot sich am Nachmittag die Möglichkeit, aus drei Veranstaltungen deren zwei auszuwählen: Zur Auswahl stand das Referat von Andreas Furrer über Internationalprivatrechtliche Aspekte bei Strassenverkehrsunfällen 1, Vincent Brüllharts Vortrag über die Rechtsstellung von Internet-Vergleichsdiensten für Versicherungen 2 und Bettina Kahls Übersicht der Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung 3. Abge- * Yann Moor, lic. iur., Rechtsanwalt, yann.moor@gigersimmen.ch, Giger & Simmen Rechtsanwälte, Zürich. 1 Andreas Furrer, Internationalprivatrechtliche Aspekte bei Strassenverkehrsunfällen, in: Thomas Probst/Franz Werro (Hrsg.), Strassenverkehrsrechts-Tagung 2014, Freiburg 2014, S. 157 ff. 2 Vincent Brulhart, Die Rechtsstellung von Internet-Vergleichsdiensten für Versicherungen Ein Überblick über die Regelungen im Versicherungsvermittlungsrecht, in: Thomas Probst/Franz Werro (Hrsg.), Strassenverkehrsrechts-Tagung 2014, Freiburg 2014, S. 129 ff. 3 Bettina Kahl, Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung und Weiteres aus der Bundesgerichtspraxis, in: Thomas Probst/Franz Werro (Hrsg.), Strassenverkehrsrechts-Tagung 2014, Freiburg 2014, S. 191 ff. Das Departement für Privatrecht der Universität Freiburg i.ü. führte am 24./25. Juni 2014 die Strassenverkehrsrechtstagung durch, wobei sich die deutschsprachige Tagung einmal mehr durch ein breites Spektrum an ebenso interessanten wie aktuellen Themen auszeichnete. Mit vorliegendem Beitrag soll die Tagung resümiert und der gleichzeitig erschienene Tagungsband kurz rezensiert werden. rundet wurde der erste Tag der Tagung durch den Beitrag von Gerhard Fiolka, der sein Referat der Frage widmete, wie «sicura» die verschärfte Strafbestimmung von Art. 90 SVG ist. Am nächsten Vormittag kamen die Teilnehmer in den Genuss einer Übersicht über die wichtigsten Urteile, die seit der letzten Tagung im Jahr 2012 in den relevanten Rechtsgebieten ergangen sind, konkret im Haftpflicht- (Arnold F. Rusch) und Privatversicherungsrecht (Andrea Eisner-Kiefer) sowie im Verwaltungs- (Gerhard Fiolka) und Strafrecht (Andreas A. Roth). In der Folge soll ein kurzer Überblick über den Inhalt (der «obligatorischen») Beiträge gewonnen werden. II. Ausgewählte Beiträge A. Die Revision des Verjährungsrechts 4 Tagungsleiter Thomas Probst informierte über die von der angestrebten umfassenden Reform noch übriggebliebenen konkreten Änderungen der Revision des Verjährungsrechts und begrüsste beispielsweise die geplante Verlängerung der relativen Verjährungsfrist für Ansprüche aus unerlaubter Handlung und ungerechtfertigter Bereicherung auf drei Jahre 5 und die Streichung des Ausnahmekatalogs von Art. 128 OR (fünfjährige Verjährungsfrist für «geläufige» Forderungen von Arbeitnehmern, Anwälten, Ärzten, Handwerkern etc.) uneingeschränkt. Ebenso positiv wertete der Referent die Umformulierung von Art. 60 Abs. 2 OR als eine sinnvolle Vereinfachung an der neuralgischen Schnittstelle zwischen Privat- und 4 Vgl. Thomas Probst, Die Revision des Verjährungsrechts und die Behandlung von Spätschäden, in: Thomas Probst/Franz Werro (Hrsg.), Strassenverkehrsrechts-Tagung 2014, Freiburg 2014, S. 1 ff. 5 Art. 67 Abs. 1 sowie Art. 128 Entwurf-OR. 14 STRASSENVERKEHR / CIRCULATION ROUTIÈRE 3/2014
6 Recht Werkstattgespräche Stadtverkehr eine Herausforderung für die Polizei Leitung: em. Prof. Dr. iur. et Dr. phil. I Hans Giger, E.C.L., Universität Zürich Impulsreferat: Hauptmann lic. iur. Jan Ingold, Chef der Verkehrspolizei der Stadtpolizei Zürich Edit Seidl* Probleme aus dem Bereich des Stadtverkehrs sind schon seit Jahrzehnten aus dem Dornröschenschlaf erwacht: Der innerstädtische Verkehr verstopft die Strassen, Wege und auch Trottoirs. Güterverkehr, Autobusse und Trams, der motorisierte Individualverkehr mit Autos, Motorrädern jeder Gattung und Motorvelos wie auch der Langsamverkehr mit Velos, Rollbrettern und noch vielen anderen Abwandlungen von Fortbewegungsmitteln sind täglich, zum Teil auch nachts, unterwegs, um Distanzen zu überwinden, die wir nicht als Fussgänger bewältigen wollen. Letztere dürfen aber als Verkehrsteilnehmer nicht unterschätzt werden: Als schwächstes, weitgehend ungeschütztes Mitglied der Mobilitätsgemeinschaft geniesst der Fussgänger weitgehende Privilegien, vorab den Vortritt auf Fussgängerstreifen, die in vielen Fällen extensiv, mitunter auch provokativ, erzwungen werden. Zu Stosszeiten ergiessen sich Fussgänger zum Teil als «Masse» wellenartig vom Bahnhof etwa in der Grossstadt Zürich in das gesamte Gelände. Gewiss, für die motorisierte Verkehrsregelung um Staueffekte zu vermeiden gibt es Gesetze, Verordnungen und Reglemente, die den Teilnehmern durch ein ganzes Netz von Vorschriften kanalisieren. Im Hinblick etwa auf die gemeinsame Nutzung von Trottoirs, Fusswegen und Plätzen durch Fussgänger, Velo, Roller, Blade u.a.m. fehlen entsprechende rechtliche wie auch verkehrstechnische Regulatoren weitgehend. «Sich in der Stadt fortzubewegen löst unterschiedliche Gefühle aus: Den Einen freut s, den Anderen fürchtet s und dem Dritten stinkt s», so fasste es der Referent Hptm Jan Ingold, Chef Verkehrspolizei der Stadtpolizei Zürich, in der Einladung kurz und prägnant zusammen. Eine gut funktionierende, stadtverträgliche Mobilität ist die zentrale Voraussetzung für die Lebensqualität in der Stadt Zürich. Wohl niemand widerspricht diesem Grundsatz des Mobilitätsprogramms der Stadt Zürich «Stadtverkehr 2025». Umso kontroverser ist dafür die Diskussion, * Prof. Edit Seidl, Mediatorin IPR-HSG, Herausgeberin. Der grossstädtische Verkehr unterliegt eigenen Gesetzmässigkeiten, werden doch die zur Verfügung stehenden Verkehrswege nicht nur von den Ein- und Anwohnern genutzt, sondern es ergiesst sich tagtäglich ein Strom von Pendlern, der das Verkehrsaufkommen in den Stosszeigen um ein Vielfaches anschwellen lässt. Um diese Verkehrsströme in den Griff zu bekommen, hat die Stadt Zürich ein Mobilitätsprogramm «Stadtverkehr 2025» erarbeitet, mit dessen Umsetzung die Verkehrspolizei betraut ist. Sie muss informieren, leiten, schützen, durchsetzen und nicht selten auch anhören. Jeder Verkehrsteilnehmende hat seine eigene Meinung zum geltenden Verkehrsregime, und zu jedem Anspruch gibt es auch ein diametrales Bedürfnis eines anderen Verkehrsteilnehmers. Der Referent zeigte auf, welche Herausforderungen sich der Polizei im Stadtverkehr stellen und auf welche Weise sie versucht, diesen gerecht zu werden. Hptm Jan Ingold, Chef Verkehrspolizei der Stadt Zürich, betont die Wichtigkeit des Augenmasses im Umgang mit Verkehrsteilnehmenden. wenn es um das «Wie» geht. Am Ende der Umsetzung jeder Verkehrsstrategie ist die Polizei: Sie muss informieren, leiten, schützen, durchsetzen und nicht selten auch anhören. Denn jeder Verkehrsteilnehmende hat zum geltenden Verkehrsregime seine berechtigten Ansprüche und Sorgen. Und zu jedem Anspruch gibt es auch ein diametrales Bedürfnis eines anderen Verkehrsteilnehmenden. Angesichts dieser Sachlage war und ist es mehr als nur sinnvoll, als Referenten für die Veranstaltung der periodischen Werkstattgespräche «Strassenverkehr» den Chef der Verkehrspolizei der Stadtpolizei Zürich, Hauptmann 20 STRASSENVERKEHR / CIRCULATION ROUTIÈRE 3/2014
7 Praxis Rechtsprechung unter der Lupe Andreas A. Roth* Entzug der Blaulichtbewilligung (BGer 1C_35/2013, ) Das Bundesgericht bestätigt seine Praxis, wonach die Bewilligung zum Anbringen von Blaulichtern und Wechselklanghorn grundsätzlich nur für Fahrzeuge der Feuerwehr, der Polizei, der Sanität oder des Zolls zu erteilen ist (SVG 8 I und 27 II; VRV 97). Eine solche Bewilligung kann zwar auch für andere, diesen gleichgestellte und ausgerüstete Dienst- oder Privatfahrzeuge erteilt werden (VTS 110 II/a und 220II). Aber es ist Zurückhaltung zu üben. Die besondere Warnwirkung und die Vorrechte solcher Art ausgerüsteter Fahrzeuge kann nur erhalten bleiben, wenn die Verwendung dieser Signale einem engen Kreis vorbehalten bleibt. Auch wenn sie nicht Gesetzeskraft haben, sind die Weisungen des UVEK vom sowie das Merkblatt gleichen Datums massgebend. Eine einmal erteilte Bewilligung kann auch widerrufen werden, wenn die Voraussetzungen nicht oder nicht mehr erfüllt sind (BGer 1C_232/200, , beim Grosstier-Rettungsdienst; BGer 1C_548/2001, bei den «Mobilen Ärzten»). Das galt nun auch für die A. S.A., deren statutarischer Zweck die Leistung medizinischer Dienste aller Art im Interesse der Patienten ist. Der Widerruf verstiess nicht gegen die Gewerbefreiheit (BV 27 II). Für die A. S.A. bestand kein grösseres Interesse an einem Blaulicht als für andere Ärzte auch. Es stand ihr überdies frei, ihre Fahrzeuge den Erfordernissen entsprechend nachzurüsten und sich der Notrufnummer 144 anzuschliessen, um dann ein neues Gesuch zu stellen. Ausländisches Fahrverbot (BGer 1C_392/2013, ) Anlässlich einer Verkehrskontrolle in Österreich ergab der Vortest bei X. einen Alkoholgehalt von 0.67 mg/l. Die darauf angeordnete Atemluftmessung mit dem Alkomaten verweigerte er. Strafrechtlich wurde er zu einer Geldstrafe von verurteilt. Administrativrechtlich auferlegt ihm das zuständige Verkehrsamt ein Fahrverbot auf die Dauer von sechs Monaten. Österreich kennt in ähnlicher Weise wie die Schweiz ein zweigleisiges Verfahren von Straf- und Administrativrecht. Darauf war X. im Strafverfahren, bei dem er in mündlicher Verhandlung angehört wurde, aufmerksam gemacht worden. Wenn er darauf das falsche Rechtsmittel erhob (Einsprache statt Berufung), wurde der Strafbescheid rechtskräftig. Auch für die schweizerischen Administrativbehörden gilt damit der Bindungsgrundsatz. Der gegen X. angeordnete dreimonatige Entzug des Führerausweises (SVG 16c bis i.v.m. 16c I/d) war mithin nicht zu beanstanden. Diabetes (BGer 1C_840/2013, ) Nach den Richtlinien der Schweizerischen Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetes soll der Führerausweis für die 1. und 2. medizinische Gruppe nur erteilt werden, wenn keine wesentliche Hyperglykämie besteht. Bei einer Behandlung mit möglicher Hyperglykämiegefahr ist die Fahreignung für die Kategorien D und D1 ausgeschlossen. Für die Kategorien C, C1 und BPT müssen günstige Verhältnisse in dem Sinne gegeben sein, dass stabile Verhältnisse und zuverlässige Einhaltung der Verhaltensregeln gemäss Merkblatt für Fahrzeuglenker mit Diabetes gewährleistet sind. Diese Richtlinien haben indessen keine Gesetzeskraft. Den zuständigen Behörden kommt ein erheblicher Ermessensspielraum zu. Es sind die konkreten Verhältnisse und beruflichen Bedürfnisse genau abzuklären. I.c. ging es um einen Buschauffeur. Dessen Hausarzt bestätigte eine günstige Prognose bei einem zuletzt gemessenen HbA1c-Wert von 6,8 % (Grenzwert: 6,5 %). Darauf bejahte das SVSA VD die Fahreignung für die 1. und die 2. Gruppe. Nachdem sich aber der Vertrauensarzt auf die erwähnten Richtlinien berufen hatte, widerrief das SVSA die Eignung für die 1. Gruppe und bestätigte sie für die 2. Gruppe nur unter Auflagen. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde des Chauffeurs gut. Ein solcher Entscheid hätte erst nach eingehender Abklärung erfolgen dürfen. Offen bleibt, ob das dem Chauffeur, dem inzwischen die Arbeitsstelle gekündigt worden war, auch etwas nützte. * Andreas A. Roth, Fürsprecher, Bern. 24 STRASSENVERKEHR / CIRCULATION ROUTIÈRE 3/2014
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