10 Lange Bezugsdauer von Arbeitslosengeld II Jobcenter betreuten Selbstständige über Jahre unzureichend
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1 Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) (Einzelplan 11) 10 Lange Bezugsdauer von Arbeitslosengeld II Jobcenter betreuten Selbstständige über Jahre unzureichend (Kapitel 1101 Titel und ) 10.0 Jobcenter haben selbstständig erwerbstätige Arbeitslosengeld II- Empfänger oftmals über Jahre hinweg nicht in die Arbeitsvermittlung einbezogen. Dies trug dazu bei, dass die Leistungsberechtigten ihre Hilfebedürftigkeit nicht überwanden und weiter Arbeitslosengeld II bezogen. Auch wenn die selbstständige Erwerbstätigkeit nur geringe Einkommen erbrachte und keine realistische berufliche Perspektive bot, nahmen die Jobcenter dies hin und boten den Selbstständigen überwiegend keine andere Tätigkeit an. Der Bundesrechnungshof erwartet von den Jobcentern, dass sie ihre bestehenden Möglichkeiten intensiver ausschöpfen, selbstständig erwerbstätige Arbeitslosengeld II-Empfänger nach angemessener Zeit in eine abhängige Beschäftigung zu vermitteln. Sollten diese Anstrengungen nicht erfolgreich sein, hält der Bundesrechnungshof eine gesetzliche Neuregelung für zweckmäßig Grundsicherung für Arbeitsuchende Fördern und Fordern Auf Personen, die Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende haben (Leistungsberechtigte), sind nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) die Grundsätze des Förderns und Forderns anzuwenden. Dies gilt unabhängig davon, ob eine Person eine selbstständige Tätigkeit ausübt oder abhängig beschäftigt ist. Selbstständige Leistungsberechtigte müssen des-
2 2 halb wie alle anderen Arbeitslosengeld II-Empfänger nach den geltenden gesetzlichen Regelungen sämtliche Möglichkeiten ausschöpfen, ihre Hilfebedürftigkeit und damit den Bezug von Arbeitslosengeld II zu beenden oder zumindest zu verringern. Dazu ist es ihnen auch zuzumuten, ihre Tätigkeit zugunsten einer zur Verfügung stehenden abhängigen Beschäftigung aufzugeben. Dies gilt nur dann nicht, wenn begründete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass durch die selbstständige Tätigkeit künftig die Hilfebedürftigkeit beendet werden kann. Die Jobcenter müssen das Einkommen aus der selbstständigen Tätigkeit auf das Arbeitslosengeld II anrechnen. Das Einkommen Selbstständiger ist dadurch geprägt, dass es monatlich schwankt. Deshalb wird Selbstständigen das Arbeitslosengeld II zunächst auf der Grundlage eines geschätzten Einkommens vorläufig bewilligt. Später müssen die Selbstständigen ihr tatsächlich erzieltes Einkommen angeben und nachweisen. Auf dieser Grundlage entscheidet das Jobcenter abschließend über das Arbeitslosengeld II für den Bewilligungszeitraum. Weisungsrechte und Aufsichtsbefugnisse Die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende haben gegenüber den Jobcentern ein Weisungsrecht. Gegenüber den sogenannten gemeinsamen Einrichtungen unter den Jobcentern sind die Bundesagentur für Arbeit (Bundesagentur) und die zuständigen kreisfreien Städte und Kreise weisungsbefugt. Das BMAS führt die Aufsicht über die Bundesagentur. Gegenüber den Jobcentern der zugelassenen kommunalen Träger sind die kommunalen Träger weisungsbefugt. Die Aufsicht hierüber obliegt den zuständigen Landesbehörden. Perspektive der selbstständigen Erwerbstätigkeit
3 3 Der Bundesrechnungshof prüfte anhand von rund 600 Fällen, wie die Jobcenter selbstständig erwerbstätige Arbeitslosengeld II- Empfänger betreuten. In fast zwei Drittel der Fälle, in denen Selbstständige ihre Tätigkeit seit mehr als zwei Jahren ausübten, untersuchten die Jobcenter nicht, ob diese Tätigkeit (noch) einen realistischen Weg darstellte, um in absehbarer Zeit die Hilfebedürftigkeit zu überwinden. Die Jobcenter erläuterten gegenüber dem Bundesrechnungshof, selbstständig erwerbstätigen Arbeitslosengeld II-Empfängern sei oftmals nur sehr schwer zu verdeutlichen, dass sie nicht dauerhaft eine unrentable selbstständige Tätigkeit fortführen und parallel Arbeitslosengeld II beziehen könnten, sondern sich eine abhängige Beschäftigung suchen müssten. Die geltenden Regelungen enthalten hierzu keine Frist, sondern belassen den Jobcentern Abwägungs- und Ermessensspielräume. Entwicklung und Berechnung des selbstständig erworbenen Einkommens Bei einer weiteren Prüfung von annähernd 300 Fällen stellte der Bundesrechnungshof fest, dass das bei den Jobcentern dokumentierte Einkommen selbstständig erwerbstätiger Arbeitslosengeld II-Empfänger in 80 % der Fälle dauerhaft auf niedrigem Niveau stagnierte oder sogar sank. So erzielten die selbstständig erwerbstätigen Arbeitslosengeld II-Empfänger oft ein monatliches Einkommen unter 450 Euro; etwa zwei Drittel hiervon bezogen seit mehr als vier Jahren durchgehend Arbeitslosengeld II. Für eine Weiterbewilligung reichte den Jobcentern in der Regel zum Teil über Jahre hinweg, dass die Selbstständigen die Erwartung erklärten, ihre Einkünfte künftig steigern zu können. Unterlagen, die diese Erwartungen hätten stützen können, forderten die Jobcenter in der Regel nicht. Sie boten den Selbstständigen überwie-
4 4 gend keine andere Tätigkeit an, mit der die Hilfebedürftigkeit hätte beendet oder zumindest reduziert werden können. Nachweise über die Betriebseinnahmen und -ausgaben, die Selbstständige in der abschließenden Erklärung über ihr tatsächliches Einkommen angaben, sowie zahlungsbegründende Unterlagen waren nur bei einzelnen Jobcentern vorhanden. Die Jobcenter hatten zumeist die Angaben in der jeweiligen abschließenden Erklärung abgehakt, ohne zu dokumentieren, mit welcher Art von Nachweis die jeweilige Betriebseinnahme oder -ausgabe belegt worden war. Die Jobcenter betonten den vergleichsweise hohen Bearbeitungsaufwand bei den Fällen selbstständig erwerbstätiger Leistungsberechtigter; insbesondere sei es sehr zeitaufwendig, das Einkommen umfassend zu überprüfen. Vorschlag der Bundesagentur: gesetzliche Neuregelung Aus Sicht der Bundesagentur könnte eine gesetzliche Neuregelung die Jobcenter entlasten. Demnach sollte ein selbstständig erwerbstätiger Arbeitslosengeld II-Empfänger nach Ablauf einer bestimmten Frist verpflichtet sein, alle zumutbaren Beschäftigungen anzunehmen und an allen zumutbaren Integrationsmaßnahmen teilzunehmen. Die Jobcenter könnten dann die Leistungsberechtigten besser dazu bewegen, in stärkerem Ausmaß auch nach einer abhängigen Tätigkeit zu suchen. Nach Fristablauf müsse jeder Selbstständige auf eine solche Tätigkeit verwiesen werden können. So sollten die bislang konfliktträchtigen und komplexen Einzelfallentscheidungen vermieden werden. Zudem würde damit die Rechtsanwendung vereinfacht und vereinheitlicht Die Jobcenter haben die Möglichkeiten des geltenden Rechts nicht ausgeschöpft, selbstständig erwerbstätige Arbeitslosengeld II-
5 5 Empfänger, die über längere Zeit kein bedarfsdeckendes Einkommen erzielt hatten, in eine abhängige Beschäftigung zu vermitteln. Die Jobcenter hätten regelmäßig prüfen müssen, ob die Fortführung einer selbstständigen Tätigkeit im Einzelfall (noch) einen realistischen Weg darstellte, um in absehbarer Zeit die Hilfebedürftigkeit des jeweiligen Selbstständigen zu überwinden. Sie hätten dabei auch in den Blick nehmen müssen, wie sich das anzurechnende Einkommen bisher entwickelte. Indem sie dies unterließen, nahmen sie in Kauf, dass die Leistungsberechtigten ihre Hilfebedürftigkeit nicht überwanden und weiter Arbeitslosengeld II bezogen. Weder die Bundesagentur oder die zugelassenen kommunalen Träger noch die Aufsicht führenden Behörden haben das festgestellte Vorgehen der Jobcenter verhindert. Das Arbeitslosengeld II könnte den selbstständigen Leistungsberechtigten zugleich Wettbewerbsvorteile gegenüber ihren Mitbewerbern verschaffen. Ihr persönlicher Bedarf ist (zumindest teilweise) durch das Arbeitslosengeld II gedeckt. Dies könnte es ihnen unter Umständen ermöglichen, niedrigere Preise für ihre Waren und Dienstleistungen zu verlangen. Das Verfahren, mit dem die Jobcenter feststellen müssen, in welcher Höhe Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit auf das Arbeitslosengeld II anzurechnen ist, ist sehr aufwendig. Die Jobcenter haben sich diesem Aufwand entzogen, indem sie vertiefende Unterlagen zum geschätzten voraussichtlichen Einkommen in der Regel nicht anforderten. Inwieweit sie von den Selbstständigen Nachweise über die tatsächlichen Betriebseinnahmen und -ausgaben verlangt haben, ließ sich wegen der mangelhaften Dokumentation der Jobcenter
6 6 nicht feststellen. Daher ist nicht ausgeschlossen, dass Selbstständige Leistungen erhielten, ohne die Voraussetzungen hierfür zu erfüllen. Insgesamt hat der Bundesrechnungshof die bisherigen Vermittlungsbemühungen der Jobcenter gegenüber den selbstständig erwerbstätigen Arbeitslosengeld II-Empfängern für nicht ausreichend gehalten. Um den Grundsätzen des Förderns und Forderns künftig besser gerecht zu werden, hat der Bundesrechnungshof eine gesetzliche Regelung für erwägenswert gehalten. Diese sollte zum Ziel haben, dass die Jobcenter Selbstständige nicht mehr unangemessen lange Arbeitslosengeld II beziehen lassen, ohne sie in ihre Vermittlungsbemühungen einzubeziehen Das BMAS hat dem Bundesrechnungshof dahingehend zugestimmt, dass die Jobcenter ihre Beratung und Aktivitäten konkret auf die Belange der Leistungsberechtigten auch Selbstständiger ausrichten müssen. Die im Gesetzesvorschlag der Bundesagentur angesprochene Pflicht, alle zumutbaren Beschäftigungen anzunehmen und an allen zumutbaren Integrationsmaßnahmen teilzunehmen, ergebe sich bereits aus dem geltenden Regelwerk. Nach Ansicht des BMAS sei den Besonderheiten im Umgang mit selbstständigen Leistungsberechtigten bereits jetzt durch die Ausführungen in den geltenden schriftlichen Weisungen der Bundesagentur Rechnung getragen. Danach solle bei Selbstständigen spätestens nach einem Jahr seit dem erstmaligen Bezug von Arbeitslosengeld II überprüft werden, ob es zum Überwinden der Hilfebedürftigkeit geboten sei, sie in eine abhängige Beschäftigung zu vermitteln. Sofern sich die selbstständige Tätigkeit für die Zukunft als nicht tragfähig herausstelle und deren konzeptionelle Neuausrichtung
7 7 keinen Erfolg verspreche, müsse gemeinsam mit dem Leistungsberechtigten die Integration neu geplant werden. Die Weisungen der Bundesagentur gälten zwar nur für die gemeinsamen Einrichtungen, nicht aber für die Jobcenter der zugelassenen kommunalen Träger. Das BMAS werde die Problematik aber mit den Ländern in einer bereits bestehenden Arbeitsgruppe erörtern. Das BMAS ist der Auffassung, das Arbeitslosengeld II habe aufgrund seiner Höhe keinen entscheidenden Einfluss auf den Wettbewerb zwischen den selbstständigen Leistungsberechtigten und anderen Selbstständigen. Mit Blick auf die von der Bundesagentur angeregte gesetzliche Neuregelung hat das BMAS erklärt, es halte diese nicht für sinnvoll und erforderlich. Es sieht die Gefahr, dass die Jobcenter bei einer starren Frist nicht mehr so individuell bewerten und entscheiden können, ob die selbstständige Tätigkeit fortführungswürdig ist. Dies könnte es erschweren, die Hilfebedürftigkeit der Leistungsberechtigten zu überwinden oder zu reduzieren Der Bundesrechnungshof bekräftigt, dass die Jobcenter sich bereits nach geltendem Recht verstärkt bemühen müssen, diejenigen selbstständig Erwerbstätigen, die bereits längere Zeit Arbeitslosengeld II erhalten, zu vermitteln. Die vom BMAS angekündigte Erörterung der Problematik in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe könnte ein erster Schritt sein, um die Situation zu verbessern. Die Prüfungen durch den Bundesrechnungshof haben jedoch gezeigt, dass die schriftlichen Weisungen allein nicht ausreichen. Es
8 8 ist vielmehr erforderlich, dass die Bundesagentur und die zugelassenen kommunalen Träger das geltende Recht und die dazu ergangenen Weisungen bei den Jobcentern durchsetzen und nachhalten. Um dies zu erreichen, müssen das BMAS und die zuständigen Landesbehörden im Aufsichtswege auf die Bundesagentur oder die zugelassenen kommunalen Träger entsprechend Einfluss nehmen. Wenn die Jobcenter die gesetzlichen Möglichkeiten nutzen und selbstständige Leistungsberechtigte vermehrt in eine geeignete abhängige Beschäftigung vermitteln, wird auch der hohe Verwaltungsaufwand deutlich zurückgehen. Außerdem werden dadurch Einflüsse auf den Wettbewerb zwischen den Selbstständigen vermindert. Die Auffassung des BMAS, das Arbeitslosengeld II habe aufgrund seiner Höhe keinen entscheidenden Einfluss auf den Wettbewerb, teilt der Bundesrechnungshof nicht. Selbstständig tätige Arbeitslosengeld II-Bezieher müssen anders als ihre Wettbewerber ihren Lebensunterhalt nicht allein aus mit ihrer Tätigkeit erzielten Gewinnen bestreiten. Somit können sie ihre Produkte günstiger anbieten als ihre Wettbewerber. Sollte es jedoch nicht gelingen, durch die Anstrengungen der Jobcenter, der Träger und der Aufsichtsbehörden die Situation zu verbessern, hält es der Bundesrechnungshof weiterhin für zweckmäßig, eine gesetzliche Regelung zu schaffen. Diese sollte darauf abzielen, dass die Jobcenter selbstständige Leistungsberechtigte schneller vermitteln und diese nicht mehr unangemessen lange Arbeitslosengeld II beziehen. Wie von der Bundesagentur vorgeschlagen, könnte eine solche gesetzliche Neuregelung eine Frist enthalten. Eine Ausnahmeregelung könnte Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung tragen. Konkrete, mit eindeutigen Rechtsfolgen verbundene Vorgaben würden sowohl die Jobcenter als auch die selbstständig erwerbstätigen Arbeitslosengeld II- Empfänger motivieren, berufliche Alternativen neben oder außerhalb der selbstständigen Tätigkeit ernsthaft zu prüfen. Die Chan-
9 9 cen, die Hilfebedürftigkeit zu überwinden oder zu reduzieren, würden dadurch nicht eingeschränkt. Denn bis zur Vermittlung in eine angemessene abhängige Beschäftigung könnte die selbstständige Tätigkeit fortgeführt werden.
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