HEUSCHRECKEN: DIE MINNESÄNGER VON SCHLOSS HERBERSTEIN

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1 IN HERBERSTEIN 103 HEUSCHRECKEN: DIE MINNESÄNGER VON SCHLOSS HERBERSTEIN GEORG DERBUCH Nemt, frowe, disen kränz..." Abb. 80: Der Bestand der einst in der Steiermark recht seltenen Gottesanbeterin (Mantis religiosa) nimmt seit den 1980er Jahren stetig zu. Foto: J. Gepp...so beginnt eines der bekanntesten Lieder des Minnesängers Walther von der Vogelweide. Mit solchen Worten und mit einem betörenden Gesang versuchte er, die Herzen der Frauen zu gewinnen und um sie zu werben. Minnesänger reisten im Mittelalter von Burg zu Burg und brachten dort ihre Lieder dar. Sicherlich wurde auch das Schloss Herberstein von Minnesängern besucht. Heutzutage gibt es keine fahrenden Ritter mehr, die dem adeligen Anwesen ihre Aufwartung machen, und doch wimmelt es rund um das Schloss nur so von Minnesängern". Hier und in weiten Teilen des Europaschutzgebietes Herberstein kann man Ihren Gesang" hören. Es ist der Gesang der Heuschrecken. Sie singen ihre Liebeslieder, um - wie damals die Minnesänger - Weibchen zu betören. Minnesänger benutzten verschiedenste Instrumente zur Begleitung Ihrer Lieder, und auch die Heuschrecken in Herberstein haben unterschiedliche Möglichkeiten, ihren Gesang zu erzeugen. Die Feldheuschrecken, wie etwa der Bunte Grashüpfer (Omocestus viridulus) oder der Heidegrashüpfer (Stenobothrus lineatus). erzeugen ihr Zirpen, indem sie mit einem oder beiden Hinterschenkeln über die Flügel strei-

2 104 NATURBESONDERHEITEN Abb. 81: Männchen oder Weibchen? Bei Roesels Beißschrecke (Metrioptera roeseli ) ist die Frage relativ einfach zu beantworten: deutlich ist das für die Weibchen (hier die seltene Form mit langen Flügeln) typische Eilegerohr zu erkennen. Foto: T. FrieG chen. Dabei reibt eine gezähnte Leiste auf der Innenseite der Schenkel über eine erhöhte Ader des Vorderflügels. Diese Feldheuschrecken haben als Instrument sozusagen ein Streichinstrument, eine Fiedel, mit der sie ihre Melodie erzeugen. Im Mittelalter gab es aber neben der Fiedel auch noch andere Saiteninstrumente. So wurde von den Spielleuten die Dreh- oder Radleier verwendet. Auch Heuschrecken haben mehrere Möglichkeiten, ihr Streichinstrument" zu benutzen, etwa das Aneinanderreihen der leicht angehobenen Vorderflügel. Bei fast allen Langfühlerschrecken, zu denen auch die Feldgrille (Gryllus campestris) und die Zwitscherschrecke (Tettigonia cantans) zählen, entsteht der Gesang auf diese Art. Eine Schrillleiste mit Querrippen auf dem einen Flügel wird über eine Schrillkante auf dem anderen Flügel gestrichen. Berücksichtigt man die Größe einer Feldgrille und den Radius, innerhalb dessen ihr Gesang im Frühjahr zu hören ist, so könnte man, wüsste man es nicht besser, fast vermuten, dass hier die Musik elektronisch verstärkt wird. Dabei halten sich diese geschickten Musiker" nur an die Gesetze der Physik; denn durch zwei membranose Flächen, die treffend Harfe" und Spiegel" genannt werden, verstärkt sich der durch die Feldgrille hervorgebrachte Ton. Bei den meisten anderen Laubheuschrecken wird der Ton nur durch einen Resonanzboden, den Spiegel, verstärkt. Eine Art, die Große Schiefkopfschrecke (Ruspolia nitidula), singt besonders laut und zudem auch noch besonders hoch. Die Frequenz ihres Gesanges liegt sogar nahe an der Schwelle zum Ultraschall. Diese Heuschrecke, die in Europa vor allem aus dem Mittelmeergebiet bekannt ist, galt noch vor wenigen Jahren in der Steiermark als sehr selten und wurde auf der österreichischen Roten Liste - eine solche Liste gibt an, inwieweit eine Art gefährdet ist - als

3 IN HERBERSTEIN 105 stark gefährdet" eingestuft. In den letzten Jahren konnten immer mehr von diesen laut musizierenden Tieren gefunden werden; mittlerweile ist ihr Gesang in großen Teilen der südlichen und östlichen Steiermark keine Seltenheit mehr. Schlaginstrumente gehörten wohl zu den ersten Musikinstrumenten. Auch in der mittelalterlichen Musik der Minnesänger waren zahlreiche Schlaginstrumente in Gebrauch, wie etwa das Tamburin. Man mag es nicht für möglich halten, aber sogar ein derartiges Instrument wird von den Heuschrecken verwendet. Die Gemeine Eichenschrecke (Meconema thalassinum) etwa nutzt die Blätter von Laubbäumen, auf denen sie sitzen, als Trommeln und erzeugen so ihren ganz charakteristischen Gesang". Diese Töne sind jedoch recht leise und können nur aus einer Entfernung ab etwa 1 Meter gehört werden. Überdies singen" diese Spielleute bevorzugt in der Nacht; dies erschwert es uns, sie dabei zu belauschen. Will man die Eichenschrecke sehen, so nützt es nichts, wie bei der Suche nach anderen Grashüpfern die Wiesen oder das Buschwerk zu untersuchen - sie lebt nämlich nur auf Bäumen. Dort versteckt sie sich tagsüber auf der Unterseite von Blättern. Erst im Dunkeln wagt sie wieder, ihr Ständchen vorzutragen. All diese Heuschrecken singen, um Weibchen anzulocken, mit denen sie sich paaren können. Dies ist wohl der Hauptgrund für den Gesang. Wie die Minnesänger sind sie sehr stolz, denn sie tragen nur ihr eigenes Lied vor und kämen nie auf die Idee, das Lied einer anderen Heuschreckenart zu singen. Jeder Heuschreckengesang ist arttypisch und so mit dem Gesang einer anderen Art nicht zu verwechseln. So weiß das Weibchen der Gewöhnlichen Strauchschrecke (Pholidoptera griseoaptera), wo das zu ihr passende Männchen sitzt, und das Weibchen der Roesels-Beißschrecke Abb. 82: Ein Männchen der Kleinen Goldschrecke (Euthystira brachyptera) - die Art lebt gleichermaßen in sumpfigen Wiesen wie in langgrasigen Trockenrasen. Folo:T.Fneß

4 106 NATURBESONDERHEITEN Abb. 83: Extrem lange Beine und Fühler hat Boscis Zartschrecke (Leptophyes boscii); im Gegensatz dazu sind die Flügel (braune Bereiche) stark reduziert. Foto: A. Koschuh (Metrioptera roeselii), wo sie ihren Liebhaber" zu suchen hat. Nochmals zurück zu den mittelalterlichen Minnesängern: Nicht nur das Werben um die Frau war ein Grund für den Minnesang, auch wurden Wettbewerbe ausgefochten". Im Jahre 1206, so berichtet die Legende, gab es auf der Wartburg einen historischen Sängerkrieg unter berühmten Minnesängern. In diesem Wettkampf galt die Regel, dass der schlechteste Sänger noch am selben Tag vom Henker hingerichtet werden sollte. Auch unter Heuschrecken gibt es Sängerkriege. Hierbei kommt es zwischen rivalisierenden Männchen, wie es z. B. beim Braunen Grashüpfer (Chorthippus brunneus) sehr häufig zu beobachten ist, zu einem Wechselgesang. Heuschrecken messen sich dadurch in ihrer Stärke mit anderen, bis einer der Kontrahenten aufgibt. Nur die Strafe für den Verlierer ist nicht so streng, das schwächere Männchen muss lediglich den Platz räumen und sich ein neues Revier suchen. Wie auch unter uns Menschen, gibt es manche Heuschrecken, die scheinbar viel Lärm um nichts machen, wie die Rotflügelige Schnarrschrecke (Psophus stridulus). Diese fliegt bei Störung auf und erzeugt beim Fliegen ein schnatterndes Geräusch. So irritiert sie mit ihrem zischenden Lärm und den dabei rot aufleuchtenden Flügeln einen etwaigen Feind. Man sieht, die Lauterzeugung hat unter Heuschrecken mitunter durchaus auch einen existentiellen Sinn. Interessant ist es auch, wie die Heuschrecken den Gesang ihrer Artgenossen wahrnehmen können. Die Kurzfühlerschrecken haben ihr Gehörorgan auf der Seite des Hinterleibes, wohingegen das der Langfühlerschrecken auf den Schienen des ersten Beinpaares lokalisiert ist. Man könnte also sagen, Heuschrecken hören mit dem Bauch oder mit den Knien".

5 IN HERBERSTEIN 107 Übrigens sei hier vermerkt, dass mit insgesamt 24 nachgewiesenen Heuschrecken-Arten das Gebiet um Herberstein ungemein artenreich ist. Besonders wertvoll sind dabei die trockenen Wiesen und der halboffene Trockenhang - hier wimmelt es im Sommer nur so von Sängerknaben" aller Art. Eine Art des Europaschutzgebiets, die zwar nicht direkt zu den Heuschrecken zählt, aber mit ihnen sehr nahe verwandt ist, soll auch noch erwähnt werden. Gemeint ist die Gottesanbeterin (Mantis religiosa). Viele würden sie wahrscheinlich mit Raubrittern" vergleichen, und tatsächlich ist sie eine große Jägerin unter den Insekten; selbst kleine Schlangen, Eidechsen und Spitzmäuse gehören zu ihrer Beute. Oft hört man auch von der Grausamkeit und vom Kannibalismus des Weibchens der Gottesanbeterin, die ihre Männchen bei der Begattung - im wahrsten Sinne des Wortes - vernaschen. Dies kommt aber nach neuesten Erkenntnissen in freier Wildbahn nur sehr selten und nur in Zeiten extremen Hungers vor. Jedwede der Gottesanbeterin vorgeworfene Grausamkeit" dient letztlich nur dem Überleben und hat mit dem menschlichen Begriff Grausamkeit an sich nichts zu tun. Außerdem, wie sagt der berühmte tschechische Dichter Jan Skacel: In die Liebe geht man wie in den Krieg und nichts garantiert uns, dass wir zurückkehren. Und wenn, dann ob ganz." Sie führten ein abenteuerliches Leben, die Minnesänger; und auch unsere Minnesänger", die Heuschrecken rund um das Schloss Herberstein tun es noch. Erweisen Sie ihnen die Ehre, nehmen Sie sich etwas Zeit und lauschen Sie ihrem Gesang. Ich bin mir sicher, Sie werden es genießen. Abb. 84: Die mit Felsen durchsetzten bunten Magerwiesen im Tierpark beheimaten mehr als 20 Heuschreckenarten. Foto: E. Heikenwälder