Wirtschaftsnobelpreis 2010: Elfenbeinturm nein danke! 8. Forum Arbeitsmarkt Lübeck, 23. März 2011 Gesine Stephan
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1 Wirtschaftsnobelpreis 2010: Elfenbeinturm nein danke! 8. Forum Arbeitsmarkt Lübeck, 23. März 2011 Gesine Stephan
2 Der Wirtschaftsnobelpreis und die Nobelpreisträger 2010 Gestiftet von der Schwedischen Reichsbank Verleihung seit 1969 durch die Schwedische Akademie der Wissenschaften Peter A. Diamond Dale T. Mortensen Christopher A. Pissarides Mathematiker und Ökonom, Ökonom, Ökonom, Massachusetts Institute Northwestern University London School of Technology (MIT) in Illinois of Economics 2
3 Das Grundmodell des Arbeitsmarktes: Ein Elfenbeinturm! Vollkommener Arbeitsmarkt: Unverzüglicher Ausgleich von Angebot und Nachfrage über den Lohn (als Preis der Arbeit) Lohn Arbeitsangebot der Haushalte Lohn im Gleichgewicht Arbeitsnachfrage der Unternehmen Beschäftigung im Gleichgewicht Beschäftigung 3
4 Wofür wurde der Nobelpreis vergeben? Peter Diamond: Entwickelte Anfang der 70er Jahre eine Theorie für unvollkommene Märkte Unvollkommenheit: Informationsdefizite, Unsicherheit und Friktionen Unvollkommene Märkte: Suchprozesse spielen eine zentrale Rolle; durch längere oder intensivere Suche lässt sich das Matching (die Passgenauigkeit) von Angebot und Nachfrage verbessern Dale Mortensen und Christopher Pissarides: Wendeten in den 80er Jahren die Theorie systematisch auf den Arbeitsmarkt an Beispiele für weitere unvollkommene Märkte: Immobilienmarkt, Heiratsmarkt 4
5 In aller Kürze: Die Suchtheorie Wie gestalten sich Suchprozesse am Arbeitsmarkt? Lohnt es sich, trotz eines Stellenangebots weiter nach einem Job zu suchen? Wie lassen sich Länge und Intensität der Suche beeinflussen? 5
6 Die Suchtheorie betrachtet das Verhalten Einzelner Marktunvollkommenheiten: Arbeitssuchende wissen nicht von vornherein, wo der ihren Qualifikationen und Präferenzen entsprechende Arbeitsplatz mit den besten Konditionen ist Häufigkeit Verteilung erwarteter Löhne Anspruchslohn Lohn 6
7 Wie bestimmt sich der individuelle Anspruchslohn? Entscheidungsregel: Weitersuchen, solange der erwartete Ertrag der Suche über den erwarteten Kosten der Suche liegt Euro Kosten weiterer Suche Entgangene Löhne abzüglich Lohnersatzleistungen Ablehnen Anspruchslohn Akzeptieren Ertrag weiterer Suche Künftiger höherer Verdienst Angebotener Lohn 7
8 Eine Folgerung: Lohnersatzleistungen subventionieren die Suche Lohnersatzleistungen steigen Kosten der weiteren Suche sinken Der Anspruchslohn steigt Die Dauer der Arbeitslosigkeit nimmt zu Die Passgenauigkeit von Arbeitsstellen und Bewerbern verbessert sich 8
9 Nachgefragt: Der Anspruchslohn von Hartz IV Empfängern "Wie hoch müsste Ihr Nettomonatslohn mindestens sein, damit Sie noch bereit wären, dafür zu arbeiten? 6,42 7,58 7,19 6,72 Paare ohne Kinder Ein-Personen-Haushalt 6,13 6,07 0,00 2,00 4,00 6,00 Stundenlohn in Euro Quelle: Bender et al. (2009), Aktivierung ist auch in der Krise sinnvoll, IAB-Kurzbericht 19/2009, Panelbefragung Arbeitsmarkt- und Soziale Sicherung 2006/2007 9
10 In aller Kürze: Die Matching-Theorie Wie kommen Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage zusammen? Wieso gibt es gleichzeitig Arbeitslose und offene Stellen? Was passiert, wenn die Transparenz am Arbeitsmarkt steigt? 10
11 Ein Blick auf die Zahlen: Stabile Bestände am deutschen Arbeitsmarkt? Jan 00 Jan 01 Jan 02 Jan 03 Jan 04 Jan 05 Jan 06 Jan 07 Jan 08 Jan 09 Jan 10 Jan 11 Bestand Arbeitslose Bestand gemeldete offene Stellen Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Monatliche Zahlen für Gesamtdeutschland, Meldequote bei offenen Stellen: Zwischen 40 und 60 Prozent 11
12 Vereinfacht dargestellt: Am Arbeitsmarkt bewegt sich was Rückzug aus Erwerbsleben Neueintritte in den Arbeitsmarkt Arbeitslose Bestehende Arbeitsverhältnisse Einstellungen Ende Arbeitsverhältnis Matchingprozess Neu geschaffene Stellen Abbau von Stellen Ende Arbeitsverhältnis Offene Stellen 12
13 Ein Blick auf die Zahlen: Viel Bewegung am deutschen Arbeitsmarkt! Jan 00 Jan 01 Jan 02 Jan 03 Jan 04 Jan 05 Jan 06 Jan 07 Jan 08 Jan 09 Jan 10 Jan 11 Zugänge Arbeitslose Zugänge gemeldete offene Stellen Abgänge Arbeitslose Abgänge gemeldete offene Stellen Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit, Monatliche Zahlen für Gesamtdeutschland, Meldequote bei offenen Stellen: Zwischen 40 und 60 Prozent 13
14 Die Matching-Theorie betrachtet den Arbeitsmarkt als Ganzes Matching-Technologie: Bestimmt, wie viele Arbeitsverhältnisse bei einer bestimmten Zahl Arbeitsloser und offener Stellen abgeschlossen werden Lohn Lohn im Gleichgewicht Lohnsetzung Verhandlungsmacht Angebot offener Stellen gleichgewichtiges Verhältnis offene Stellen / Arbeitslose θ* Offene Stellen / Arbeitslose 14
15 Was passiert, wenn die Transparenz am Arbeitsmarkt zunimmt? Die Matching-Technologie verbessert sich Unternehmen können offene Stellen schneller und billiger besetzen Arbeitsuchende können schneller einen passenden Arbeitsplatz finden Unternehmen schaffen mehr offene Stellen Arbeitsuchende verbessern ihre Verhandlungsposition Bei jeder Zahl offener Stellen gibt es weniger Arbeitslose, gleichzeitig steigt der Lohn 15
16 Es gibt gleichzeitig Arbeitssuchende und offene Stellen Theoretische Beveridge-Kurve: Beschreibt die gleichgewichtige Beziehung zwischen Arbeitslosenquote und Offener-Stellen-Quote bei einer gegebenen Matching-Technologie Offene- Stellen- Quote Offene- Stellen- Quote Verbesserung der Konjunktur Verbesserung des Matchings θ* Arbeitslosenquote θ* Arbeitslosenquote 16
17 Die empirische Beveridge-Kurve wandert seit 2006 nach innen Quelle: Deutsche Bundesbank, nach Ausgangsdaten der Bundesagentur für Arbeit, Gebietsstand: Westdeutschland 17
18 Arbeitsmarktpolitische Folgerungen Eine Theorie für die Hartz-Reformen? Wie kann die Arbeitsverwaltung zum Matching-Prozess beitragen? 18
19 Eine Theorie für die Hartz-Reformen Ansatzpunkt Hartz-Reformen Suchprozess Volkswirtschaft Vermittlung und Beratung Fördern und Fordern von Arbeitslosen Lohnersatzleistungen Umorganisation der Bundesagentur für Arbeit, verstärkte Einbindung privater Vermittler Frühzeitige Arbeitssuchendenmeldung, strengere Zumutbarkeitregelungen, Förderprogramme etc. Arbeitslosengeld 2 statt Sozial- und Arbeitslosenhilfe, kürzere Bezugsdauern beim Arbeitslosengeld 1 Matching-Prozess verbessert sich, Suchkosten sinken allgemein Suchintensität Arbeitsloser steigt, Anspruchslöhne sinken Suchkosten Arbeitsloser steigen, Anspruchslöhne sinken Löhne steigen, Arbeitslosigkeit sinkt Arbeitslosigkeit sinkt Löhne sinken, Arbeitslosigkeit sinkt, Matching- Qualität sinkt 19
20 Nachgefragt: Konzessionsbereitschaft nach den Hartz-Reformen Betriebsbefragungen 2005 und 2006, wie sich die Bereitschaft arbeitsloser Bewerber, Zugeständnisse bei der Entlohnung zu machen, gegenüber dem Vorjahr verändert hat in Prozent gestiegen gesunken Quelle: Kettner/Rebien (2009), Job Safety first? Zur Veränderung der Konzessionsbereitschaft von arbeitslosen Bewerbern und Beschäftigten aus betrieblicher Perspektive, OPO Diskurs
21 Die Arbeitsvermittlung schafft Transparenz und fördert Qualifikation Beratung Vermittlung Information Anpassung Qualifikation an betriebliche Bedarfe Beiträge zur Berufsorientierung Jobbörse Integrationsarbeit Arbeitgeberservice Berufs- informationszentren Arbeitsmarkt- monitor Selbstinformationsmedien Förderung von Weiterbildung Sonderprogramme (WeGebAU, IFlaS) Verbessertes Matching am Arbeitsmarkt 21
22 Fazit 22
23 Die Nobelpreisträger: Ein Stück weit weniger Elfenbeinturm Marktergebnisse: Unterscheiden sich in einer Welt mit Unsicherheit und Friktionen grundlegend von denen einer Welt mit perfekt informierten Menschen Institutionen, die Vermittlungsprozesse ankurbeln: Können die gesamtwirtschaftliche Arbeitsmarktperformanz verbessern Zeiten des Fachkräftemangels: Unterstützung des Matchings gewinnt für Unternehmen an Bedeutung Der Schönheitsfehler im Nobelpreis: Robert Shimer (University of Chicago) hat berechnet, dass die Konjunkturschwankungen von Arbeitslosigkeit und offenen Stellen in den USA zehnmal höher sind als das Modell vorhersagt Es bleibt für zukünftige Nobelpreisträger noch genug zu tun! 23
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