Johann Natterers Beitrag zur Papageienkunde Brasiliens
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- Arthur Kästner
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1 Heute erinnert noch der Name der Natterer-Amazone (Amazona ochrocephala nattereri) an den österreichischen Forschungsreisenden Johann Natterers Beitrag zur Papageienkunde Brasiliens Detlev Franz, Wackernheim Johann Natterer ( ) war einer der wissenschaftlichen Forschungsreisenden, die Anfang des in 19. Jahrhunderts Brasilien bereisten. Im Folgenden soll ein Blick auf seine Biographie und seinen Beitrag zur Papageienkunde dieses Landes geworfen werden. Von Laxenburg nach Wien hann Natterer wurde schon als Kind von seinem Vater, dem die kaiserliche Vogelsammlung unterstand, in das Sammeln von Vögeln eingeführt. Er perfektionierte später seine Fähigkeiten im Sammeln und Präparieren und übertraf nach Ansicht von Stresemann im Hinblick auf seine Artenkenntnis alle zeitgenössischen Ornithologen (Rokitansky 1957) übernahm Karl von Schreibers ( ) die Leitung des Naturalien- Der am 9. November 1787 im niederösterreichischen Laxenburg geborene Jokabinetts. Natterer junior wurde auf eine Sammelexkursion nach Ungarn geschickt. Weitere Exkursionen, auf denen er nebenbei auch neue Vogelarten entdeckte, folgten. Obwohl er zu diesem Zeitpunkt schon ein Forscher von europäischem Rang war, ließen die skandalös-katastrophale Personalpolitik (Bauer 1978) beziehungsweise persönliche Animosität (Rokitansky 1957) nur den Status als Hilfs-Assistent für ihn zu. PAPAGEIEN 3/
2 Porträt von Johann Natterer Auf nach Brasilien Die österreichisch-bayerische Brasilienexpedition erschien Natterer als Ausweg. Am 9. April 1817 stachen er und Reisegefährten in See. Bei einem Zwischenaufenthalt in Spanien gesammelte Vogelbälge schickte er nach Wien, wo die neuen Arten von Coenraad Jacob Temminck ( ), später Direktor des Naturkundemuseums in Leiden, der in Wien zu Gast war, erstbeschrieben wurden (Rokitansky 1957). Am 5. November 1817 wurde Rio erreicht. Aus den Briefen, die Natterers Vorgesetzter Schreibers (1820) veröffentlichte, werden vor allem die bürokratischen Hindernisse deutlich, die eine Weiterreise ins Landesinnere verhinderten. Der Reisebericht seiner Mitreisenden Spix und Martius erschien bereits Natterer kehrte erst nach mehreren Verlängerungen, der zwangsweisen Auflösung der Expedition durch den österreichischen Gesandten, lebensgefährlichen Erkrankungen, Heirat und Geburt seiner Töchter, mehrfachen Verweigerungen der Weiterreise und politischen Unruhen 19 Jahre später nach Wien zurück. Ein Reisebericht Natterers fehlt leider. Natterer reiste über São Paulo nach Vila Boa de Goyaz (damals Hauptstadt der heutigen Provinz Goiás) und zurück nach Rio (Schreibers 1820). In den ersten vier Jahren des Aufenthalts blieb es zunächst bei der Erkundung der näheren Umgebung von Rio, Mato Grosso wurde erst im Oktober 1826 erreicht. Natterer und Sochor sind die ersten Ornithologen, die dort systematisch sammelten. Beide erkrankten schwer, und Sochor erlag seiner Krankheit. Wie nun sammelte Natterer in Brasilien? Neben eigener und fremder Jagd kaufte Natterer bei Einheimischen auch lebende Vögel, die dann entweder nach mehr oder weniger langer Haltung verstarben oder für die Sammlung getötet wurden. Beispiele für den Kauf lebender Tiere finden sich bei Pelzeln (1871). Er erwähnt dies bei Sonnensittich Aratinga solstitialis (Linnaeus, 1758) (Pelzeln: Conurus solstitialis), Blaubauchpapagei Triclaria malachitacea (Spix, 1824) (Pelzeln: Pionias cyanogaster), Gelbschenkel-Rostkappenpapagei Pionites leucogaster xanthomerius (Sclater, 1858) (Pelzeln: Pionias xanthomerus) und Diademamazone Amazona diadema (Spix, 1824) (Pelzeln: Chrysotis diadema). Wie bei Maximilian zu Wied zu lesen ist, hielten Einheimische Papageien nicht nur zum Vergnügen, sondern auch als Hühnerersatz. Sie wurden teilweise gemästet, um sie dann später zu essen. Die Tiere wurden auf Märkten fern von Hafenstädten feilgeboten, also sicher nicht als Exportgut oder Ware für Forschungsreisende. Bei einigen wenigen Papageien ist auch die Jagdtechnik vermerkt, so wurde eine Mülleramazone Amazona farinosa (Boddaert, 1783) (bei Pelzeln 1871: Chrysotis farinosa) mit dem Blasrohr geschossen. Natterer war sehr gewissenhaft bei der Etikettierung der Bälge: Neben Fundort und Datum finden sich auch Angaben zur Augenfarbe und Bemerkungen zu den einzelnen Sammelstücken, was für die damalige Zeit sehr ungewöhnlich war. Von drei Hellroten Aras Ara macao (Linnaeus, 1758) (bei Pelzeln 1871: Sit- 96 PAPAGEIEN 3/2012
3 tace macao), die er am 19. Dezember 1830 an der Mündung des Rio Branco am linken Ufer des Rio Negro auf einer Vassaipalme, deren Früchte sie fraßen, ausmachte, schoss er zwei Tiere (Pelzeln 1871). Bei der Vassaipalme handelt es sich vermutlich um die heute als Assaipalme (Euterpe edulis) bezeichnete Palme, die nicht nur eine häufige Nutzpflanze in Brasilien ist, sondern deren Früchte auch von zahlreichen südamerikanischen Papageienarten gefressen werden. In zehn Transporten wurde Sammelgut nach Wien geschickt, darunter 7771 Vogelbälge. (Fitzinger 1868). Eine Auflistung findet sich in Tabelle 1. Die Rückkehr Natterers war durch politische Unruhen erzwungen. Im Herbst 1836 erreichte er mit Frau und Töchtern sowie weiteren 37 Kisten Sammelgut ein Schiff nach London. Die für die Menagerie bestimmten lebenden Tiere kamen vor der Abreise bei den Unruhen um, seinen persönlichen Besitz musste er zurücklassen (Rokitansky 1957). Zurück in Europa Der Ankunft in Wien folgte eine große Enttäuschung. Die Fachwissenschaftler und die Öffentlichkeit nahmen kaum Notiz von Natterer, und statt des in Aussicht gestellten Kustodenpostens erhielt er nur die Stelle eines Kustosadjunkten. Das Brasilianische Museum, das der Aufnahme seiner Sammlung diente, wurde geschlossen, er musste auch die dort befindliche Dienstwohnung räumen. Seine Frau und die beiden jüngeren Töchter starben (Scholler 1955, Rokitansky 1957). Natterer fand Trost in seiner Arbeit, er plante ein Conspectus Avium, eine kritische Übersicht aller damals bekannter Vogelarten. Hierzu besuchte er auf eigene Kosten 1838 die Naturkunde- Museen in Berlin, Kopenhagen, Lund, Stockholm und St. Petersburg folgten Aufenthalte in Museen in Süddeutschland und Frankreich sowie in London, Brüssel und Leiden. Hierbei baute er Tauschbeziehungen für das Wiener Museum auf und erwarb in dessen Auftrag Raritäten bei Naturalienhändlern (Scholler 1955, Rokitansky 1957). Am 17. Juni 1843 starb Johann Natterer in Wien. In der Literatur findet sich als Unter den Vogelbälgen, die Natterer nach Wien schickte, befand sich auch ein Exemplar der seltenen Diademamazone (Amazona diadema) Todesursache Blutsturz, auch in der Lunge (Scholler 1955, Rokitansky 1957) oder ein aus Brasilien mitgebrachtes Leberleiden (Strunden 1997). Im Oktober 1848 verbrannten erhebliche Teile seiner Aufzeichnungen und Manuskripte, als das Naturalienkabinett in Brand geschossen wurde (Rokitansky 1957). Trotzdem waren die Reste noch so umfangreich, dass August von Pelzeln Transport Zeitpunkt Anzahl Vogelbälge Jan Jan März März März Nov Mai Tab. 1: Zahl der Vogelbälge, die Natterer innerhalb von dreizehn Jahren nach Wien schickte (1871) schrieb, dass eine wünschenswerte vollständige Herausgabe am Kostenaufwand scheitere. Er wertete daher nur die Vogelsammlung und Teile der Notizen aus, zustande kam ein 560 Seiten starkes Buch. Zu jeder Vogelart finden sich darin kaum mehr als die Sammeldaten und kurze Bemerkungen. Natterer und die Papageienkunde Rein quantitativ war Natterers Brasiliensammlung ein großer Beitrag auch zur Papageienkunde des 19. Jahrhunderts: Unter den Vogelbälgen in circa Arten waren 556 Papageienbälge in 59 Arten (Pelzeln 1871). Mit diesem Zuwachs katapultierte sich die Wiener Vogelsammlung in die Spitzengruppe der größten europäischen Sammlungen, Berlin und Frankfurt konnten erst etwa 1900 gleichziehen (Haffer 2001). Von den 59 von Natterer gesammelten Papageienarten trägt in Pelzelns Buch nur Conurus rhodogaster heute: Pyrrhura perlata (Spix, 1824) das Autorenkürzel Natterer. Keine weitere Papageienart wurde von ihm beschrieben. Vor Natterers Reiseantritt 1817 waren 33 heute valide brasilianische Papageienarten und -unterarten be- PAPAGEIEN 3/
4 schrieben, nach Ende seiner Reise 60. Vom Ende seiner Reise bis zu seinem Tod 1843 wurde keine neue brasilianische Papageienart beschrieben, die heute valide ist. Die These, dass Natterers Material noch während seiner Reise von anderen zu Erstbeschreibungen genutzt wurde und ihm so seine Arten geklaut wurden, verdient einen kurzen Blick. Indizien dafür sind Temmincks Erstbeschreibungen von Material aus dem Zwischenstopp, gestützt durch Natterers Charakterisierung Temmincks als geltungs- und ruhmsüchtiger Speziesraffer (Brief von 1815 nach Rokitansky 1957). Dass Natterer Material nach Wien schickte, bevor er dort selbst ankam, fügt zum Motiv die Möglichkeit hinzu. Die Realität spricht allerdings gegen diese These: Keine der zwischen Beginn seiner Reise und seinem Tod erstbeschriebene brasilianische Papageienart beruht auf seinem Sammlungsmaterial. Erst 1864, also deutlich nach Natterers Tod, wurden in seinem Material neue Papageienformen entdeckt und beschrieben. Im Naturhistorischen Museum Leiden, wo Temminck Direktor war, liegen die Typusexemplare von Psittaculus chrysosema Schlegel, 1864 (1829 gesammelter Holotypus, RMNH 87939) heute Brotogeris chrysopterus chrysosema (Schlegel, 1864), Conurus phoenicurus Schlegel, 1864 (Syntypen, RMNH und RMNH 88098, 1826 und 1825 gesammelt) heute Pyrrhura molinae phoenicura (Schlegel, 1864) sowie Conurus rhodogaster Sclater, 1864 (Syntypus, RMNH 88099, gesammelt 1829) heute Pyrrhura perlata, Synonym Pyrrhura rhodogaster (Sclater, 1864) (Hoek Ostende et al. 1997). Der damals übliche Tausch von Vogelbälgen durch wissenschaftliche Sammlungen auch zwischen Wien und Leiden ist gut belegt (Pelzeln 1890). Der größte Teil von Natterers Balgmaterial wurde von dem Ornithologen August von Pelzeln ausgewertet Das bekannteste Beispiel einer Nattererschen Papageienform ist aber die Nattereramazone, heute: Amazona ochrocephala nattereri (Finsch) Otto Finsch ( ) beschrieb die Art so: Psittacus (Chrysotis) Nattereri. Stirn, Kopfseiten and Kehle blaugrün; Flügelbug und Flügelspiegel roth; Schwingen am Ende schwarzblau; alle übrigen Theile grün; nur die Endhälfte des Schwanzes, mit Ausnahme der zwei mittelsten Federn, gelbgrün. Schnabel horngrau, die Basis des Oberschnabels jederseits gelblichweiss, Spitze schwärzlich; Füße braungrau. [ ] Die ausführliche Beschreibung dieser seltenen Art, welche ich der freundlichen Mittheilung des Herrn von Pelzeln verdanke, behalte ich mir für meine Monographie der Papageien vor, die in nächster Zeit völlig zum Abschluss kommen wird. Das einzige jetzt im Wiener Museum befindliche Exemplar verdanken wir dem um die Ornithologie Süd-Amerika s hoch verdienten Johann Natterer. Es wurde von ihm in Brasilien bei Mamoré Cacheira da Bananeiro erlegt und schon von diesem Forscher sehr richtig als besondere Art erkannt u. s. n. thalassina in seine Notizen eingetragen. Die blaugrüne Färbung ist in der That ganz besonders charakteristisch und lässt keine Verwechselung mit einer anderen Art zu. Der noch am nächsten stehende Ps. guatemalae Hartl. mit blauer Stirn und Oberkopf unterscheidet sich sofort durch den Mangel des rothen Flügelbuges (Finsch 1864). Natterer hatte also die Form bereits in Brasilien als neu identifiziert. Ein Mangel an papageienkundlicher Kompetenz kann also nicht der Grund sein, dass seine herausragende Sammlung relativ wenig neue Papageienarten erbracht hat und keine von ihm heute gültig beschrieben wurde. Die Gründe liegen in den äußeren Umständen dem Zeitpunkt und der Dauer seiner Reise: Natterer reiste im Grunde zu spät und zu lang, Wied und Spix waren kürzer unterwegs, waren früher zurück, hatten ihre Sammlung schneller ausgewertet oder anderen zur Auswertung überlassen. Natterer wurde sicher auch durch den Materialreichtum seiner Sammlung behindert. Sein Versuch eines Conspectus Avium, in dem sich dann die Möglichkeit der Erstbeschreibung ergeben hätte und für das er weiteres Material sichtete, blieb durch seinen Tod im Planungsstadium stecken. Vielleicht war auch das Werk zu groß angelegt. Insofern war vielleicht der Weg, den Finsch beschritt, nämlich noch während der Arbeit an seiner Monographie der Papageien neue Arten vorab schnell zu beschreiben, eine erfolgreichere Strategie war jedenfalls Eile geboten, wie zeitgleiche Erstbeschreibungen von Schlegel und Sclater aus dem Material vermuten lassen. Literatur Bauer, K. (1978): Natterer Johann. In: Österreichisches Biographisches Lexikon (ÖBL), Band 7 (Lieferung 31), Wien, S Finsch, O. (1864): Über drei neue Vogelarten. J. Ornithol. 12: Fitzinger, L. J. (1868): Geschichte des kais. könig. Hof Naturalien-Cabinetes zu Wien. III. Abtlg.: Periode unter Kaiser Franz I. von Österreich von 1816 bis zu dessen Tode Sitzungsberichte der math. naturwissenschaftl. Klasse der kaiserl. Akademie der Wissenschaften, LVIII, I. Abtlg.: Haffer, J. (2001): Ornithological research traditions in central Europe during 98 PAPAGEIEN 3/2012
5 Ein von Natterer gesammeltes Rotbauchsittich-Exemplar wurde 1864 von dem bekannten Ornithologen Sclater unter dem Namen Conurus rhodogaster wissenschaftlich beschrieben the 19th and 20th centuries. J. Ornithol. 142 Sonderheft 1: Hoek Ostende, L. W. van den, R. W. R. J. Dekker & G. O. Keijl (1997): Typespecimens of birds in the National Museum of Natural History, Leiden. Part 1. Non-Passerines. NNM Tech. Bull. 1, 30, xii.: Kuhl, H. (1820): Conspectus Psittacorum. o. O. Pelzeln, A. von (1871): Zur Ornithologie Brasiliens. Resultate von Johann Natterers Reisen in den Jahren 1817 bis Wien. Pelzeln, A. von (1890): Geschichte der Säugethier- und Vogel-Sammlung des k. k. naturhistorischen Hofmuseums. Annalen k. k. naturh. Hofmuseum 5: Pelzeln, A. von, & L. von Lorenz (1864): Typen der ornithologischen Sammlung des k. k. naturhistorischen Hofmuseums. IV. Teil (Schluss). Rokitansky, G. (1957): Johann Natterer, Erster Ornithologe Österreichs. J. Orn. 98: Scholler, H. (1955): Johann Natterer zum Gedächtnis. Festrede zur Enthüllung einer Gedenktafel an Natterers Geburtshaus in Laxenburg, gehalten am 19. Mai In: Ann. Naturhist. Mus. Wien, Bd. 60: Schreibers, K. von (1820): Nachrichten von den kaiserlich österreichischen Naturforschern in Brasilien und ihrer Betriebsamkeit. Brünn. Spix, J. B. von ( ): Avium Species Novae. München. Strunden, H. (1997): Nattereramazone Amazona ochrocephala nattereri benannt nach Dr. h. c. Natterer. PAPAGEI- EN 10: Wagler, J. G. (1832): Monographia Psittacorum. Abhandlungen der Mathematisch-Physikalischen Klasse der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 1. Anschrift des Autors: Detlev Franz Im Kirschgarten Wackernheim Fotos: Seiten 95, 97 und 99 von Th. Arndt PAPAGEIEN 3/
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