Newsletter Arbeitsrecht
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- Evagret Schumacher
- vor 8 Jahren
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1 Inhalt: Arbeitgeber darf nicht auf Dateien des Betriebsrates zugreifen Seite 2 LAG Düsseldorf, Beschluss vom , Az.: 4 TaBV 87/11 Auch freigestellte Betriebsräte haben Anspruch auf Zeiterfassung Seite 3 LAG München, Beschluss vom , Az.: 3 TaBV 56/11 Leiharbeit im Dauerzustand für das ArbG Leipzig wohl kein Problem Seite 4 Arbeitsgericht Leipzig, Beschluss vom , Az.: 11 BV 79/11 Alles beim Alten Beamten steht immer noch kein Streikrecht zu Seite 6 OVG Münster, Urteil vom , Az.: 3d A 317/11.O Diskriminierung nach dem AGG muss innerhalb von 2 Monaten geltend gemacht werden Seite 7 BAG, Urteil vom , Az.: 8 AZR 160/11 Schwerbehindert oder nicht? Zur Frage nach der Schwerbehinderung im bestehenden Arbeitsverhältnis Seite 9 BAG, Urteil vom , Az.: 6 AZR 553/10 Verlust von Urlaubsansprüchen bei länger dauernder Arbeitsunfähigkeit Ergänzung zum Newsletter vom März 2012 Seite 10 LAG Hamm, Urteil vom ; Az.: 16 Sa 1176/09 Seite 1
2 Arbeitgeber darf nicht auf Dateien des Betriebsrates zugreifen LAG Düsseldorf, Beschluss vom , Az.: 4 TaBV 87/11 Orientierungssatz: Der Betriebsrat verwaltet seine Dateien selbst. Ohne seine Zustimmung hat der Arbeitgeber kein Zugriffsrecht auf die Dateien des Betriebsrates. Die Parteien haben darüber gestritten, ob der Arbeitgeber auf Daten auf dem Betriebsratslaufwerk des EDV-Systems zugreifen darf. Der Arbeitgeber hatte vermutet, dass ein nicht freigestelltes Betriebsratsmitglied eine achtseitige Stellungnahme in einem Kündigungsschutzverfahren während der Arbeitszeit verfasst hat und sah dies als Arbeitszeitbetrug an. Die Stellungnahme befindet sich auf dem Betriebsratslaufwerk. Der Arbeitgeber wollte deshalb festgestellt haben, dass er die vollständige Dokumentenhistorie der Stellungnahme auf dem Betriebsratslaufwerk zurückverfolgen darf, ohne dass der Betriebsrat zustimmen müsse. Das LAG lehnte den Antrag ab. Der Arbeitgeber habe nicht das Recht, in die Dateien des Betriebsrats Einsicht zu nehmen. Der Betriebsrat verwalte seine Dateien genauso wie seine sonstigen schriftlichen Unterlagen eigenverantwortlich, weil er als Interessensvertreter der Beschäftigten ein eigenständiges und unabhängiges Organ sei. Es spiele dabei auch keine Rolle, dass das Datenlaufwerk, auf dem die Betriebsratsdateien gespeichert sind, dem Arbeitgeber gehöre. Im Umgang mit EDV in der Betriebsratsarbeit geht es auch darum, die Sphären zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat voneinander abzugrenzen. Diese Entscheidung fügt sich in eine ganze Reihe von Gerichtsbeschlüssen ein, die alle eine klare Grenze zwischen den Daten des Betriebsrates und denen des Arbeitgebers ziehen. Das BAG hat bereits 1997 entschieden, dass eine Kontrolle des Betriebsrats und Weisungen an ihn durch den Arbeitgeber sowie durch den betrieblichen Datenschutzbeauftragten unzulässig sind, weil sie mit der Stellung des Betriebsrates als eigenständiges Organ nicht zu vereinbaren sind. Naturgemäß bestehen Interessenskonflikte zwischen Seite 2 von 12
3 Arbeitgeber und Betriebsrat, sodass sich beide Parteien unabhängig voneinander ihre Meinung bilden können müssen. Deshalb sind die Dateien des Betriebsrats für den Arbeitgeber tabu. Auch freigestellte Betriebsräte haben Anspruch auf Zeiterfassung LAG München, Beschluss vom , Az.: 3 TaBV 56/11 Orientierungssatz: Auch freigestellte Betriebsratsmitglieder müssen die vertraglich geschuldete Arbeitszeit einhalten. Deshalb gelten auch für sie Betriebsvereinbarungen, die Zeiterfassungssysteme regeln. Arbeitgeber und Betriebsrat haben darüber gestritten, ob die freigestellten Betriebsratsmitglieder an der elektronischen Zeiterfassung teilnehmen dürfen. Zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber wurde eine Betriebsvereinbarung zum Zeitdatenmanagement-System TARIS (BV TARIS) geschlossen, in der die Arbeitszeiterfassung der Beschäftigten geregelt ist. Daneben können Beschäftigte freiwillig in Vertrauensarbeitszeit arbeiten und auf eine Arbeitszeiterfassung TARIS verzichten. Die Betriebsratsmitglieder erfassten ihre Arbeitszeit elektronisch nach der BV TARIS. Als sie von ihrer normalen Tätigkeit freigestellt wurden, erklärte der Arbeitgeber, dass eine Arbeitszeiterfassung nach TARIS für die Betriebsratsmitglieder nun nicht mehr erforderlich sei. Eine Arbeitszeiterfassung fand somit nicht mehr statt mit der Folge, dass ihnen Reisezeit nicht gutgeschrieben wurde. Der Betriebsrat verlangt deshalb, die freigestellten Betriebsratsmitglieder an der elektronischen Zeiterfassung teilnehmen zu lassen. Das LAG gab dem Betriebsrat Recht. Durch die Freistellung gem. 38 BetrVG wird das Betriebsratsmitglied nur von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellt, nicht aber von den sonstigen Pflichten aus dem Arbeitsvertrag, wie z.b. der Einhaltung der Arbeitszeit. Das ergibt sich neben dem Wortlaut auch aus dem Zweck der Vorschrift: Die Freistellung dient dazu, Betriebsratsaufgaben erfüllen zu können. Deshalb ist nicht einzusehen, warum Seite 3 von 12
4 freigestellte Betriebsratsmitglieder nicht auch am im Unternehmen üblichen Zeiterfassungssystem teilnehmen sollen. Dem Beschluss ist zuzustimmen. Es ist kein Grund ersichtlich, warum freigestellte Betriebsräte bezüglich ihrer Arbeitszeit anders behandelt werden sollten als alle anderen Arbeitnehmer. Und wenn eine andere Behandlung noch dazu führt, dass den Betriebsräten Reisezeit nicht gutgeschrieben werden würde, handelt es sich um eine im Zweifel strafbare Behinderung der Betriebsratsarbeit. Auch die Fahrtzeiten zu anderen Betriebsstätten gehören zur Aufgabenerfüllung liegen und sind deshalb als Arbeitszeit zu werten. Gleichwohl kann es auch Gründe geben, dass freigestellte Betriebsratsmitglieder nicht an der Arbeitszeiterfassung teilnehmen. In diesem Fall muss die Betriebsvereinbarung dies ausdrücklich klarstellen. Zugleich sollten die Freigestellten ihre Arbeitszeit dann selbst aufzeichnen, damit sie im Streitfall nachweisbare Unterlagen haben. Leiharbeit im Dauerzustand für das ArbG Leipzig wohl kein Problem ArbG Leipzig, Beschluss vom , Az.: 11 BV 79/11 Orientierungssatz: 1 Abs. 1 S. 2 AÜG verbiete nicht die dauerhafte Einstellung von Leiharbeitnehmern dies ergibt die Auslegung. Die Verlängerung des befristeten Einsatzes eines Leiharbeitnehmers stellt kein Nachteil im Sinne von 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG dar, selbst wenn die Einstellung mit Verlusten von Rechtspositionen verbunden wäre. BMW und der Betriebsrat des Werkes Leipzig haben über den Einsatz von 33 Leiharbeitnehmern gestritten. BMW beabsichtigt für das Jahr 2012 im Werk Leipzig ca Leiharbeitnehmer einzusetzen, davon 33 als Produktionsmitarbeiter im Presswerk. Diese 33 Arbeitnehmer waren dort bereits bis zum als Leiharbeitnehmer eingesetzt. Der Betriebsrat verweigerte seine Zustimmung zur Einstellung dieser 33 Leiharbeitnehmer im Presswerk, weil dieser Einsatz nicht mehr vorübergehend im Sinne von 1 Abs. 1 Satz 2 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) sei. Die Seite 4 von 12
5 betroffenen Leiharbeitnehmer würden zudem benachteiligt, weil für sie als Nicht- Festangestellte die bestehenden Betriebsvereinbarungen nicht gelten. BMW klagte deshalb auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrates. Das Arbeitsgericht gab BMW Recht und ersetzte die Zustimmung des Betriebsrates. Das Gericht sah in 1 Abs. 1 S. 2 AÜG keine Norm, die die dauerhafte Einstellung von Leiharbeitnehmern verbiete. Dem Wort vorübergehend komme lediglich klarstellende Bedeutung bezüglich des Begriffs Leiharbeit zu. Der Gesetzgeber habe bewusst keine Höchstfristen für die Überlassung von Leiharbeitnehmern festgesetzt. Auch aus der europäischen Leiharbeitsrichtlinie ergebe sich nichts anderes. Demnach sollen die Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen, um aufeinander folgende Überlassungen zu verhindern, mit denen die Regelungen der Richtlinie umgangen werden sollen. Ein grundsätzliches Verbot der dauerhaften Überlassung würde die Richtlinie allerdings nicht regeln. Außerdem sieht das Gericht keine Benachteiligung der Leiharbeitnehmer, da eine Einstellung immer etwas Positives sei, selbst wenn die Einstellung mit Verlusten in Rechtspositionen verbunden wäre. Dieser Beschluss geht vollkommen an der Realität vorbei. Die Ansicht des Gerichts, dass eine Einstellung als Leiharbeitnehmer besser sei als gar nicht eingestellt zu werden, grenzt an Zynismus, insbesondere in Hinblick auf die Zahlen bei BMW: Das Leipziger Werk hat einen extrem hohen Leiharbeiteranteil. 1/3 der gesamten Belegschaft sind Leiharbeitnehmer. Viele arbeiten schon seit langem dort, teilweise bis zu neun Jahren. Der Grundgedanke für die Einstellung von Leiharbeitnehmern ist es, Arbeitsspitzen abzufangen. Dass solche Spitzen bis zu neun Jahre andauern können, ist eine ganz neue Interpretation von Spitzen, die BMW da vornimmt. Da liegt der Verdacht eines Missbrauchs im Hinblick auf das AÜG nahe. Darüber hinaus kommt dem Begriff vorübergehend in 1 Abs. 1 S. 2 AÜG keine rein klarstellende Funktion zu wie das Gericht meint. Er stellt vielmehr einen unbestimmten Rechtsbegriff dar. Der Gesetzgeber verwendet bewusst solche Begriffe, um es den Gerichten zu überlassen, diesen Begriff auszulegen und den teilweise sehr vielschichtigen Sachverhalten anzupassen. Diese Arbeit hat das Gericht versucht zu umgehen. Dennoch haben inzwischen drei weitere Kammern des Arbeitsgerichts Leipzig mit Beschlüssen vom und für insgesamt weitere 389 Leiharbeitnehmer BMW Recht gegeben. Der Betriebsrat ist jeweils in die Beschwerde gegangen bleibt nur zu hoffen, dass die Richter beim Sächsischen LAG etwas mehr Enthusiasmus bei der Auslegung dieses Begriffes mitbringen und mehr Sensibilität für den Missbrauch von Leiharbeit zeigen. Unterstützung vom Gesetzgeber ist dabei nicht Seite 5 von 12
6 zu erwarten: Die Bundesregierung hat auf eine Kleine Anfrage der Linken am geantwortet, dass vorübergehend als flexible Zeitkomponente ohne eine genaue Höchstüberlassungsdauer zu definieren sei und auch weiterhin eine nicht von vornherein zeitlich befristete Überlassung von Zeitarbeitnehmern möglich sei (Bundestags-Drucksache 17/8829 vom ). Und die ansonsten sehr ausführliche Geschäftsanweisung der Bundesagentur für Arbeit zum AÜG vom Dezember 2011 enthält zum Begriff vorübergehend keinerlei Ausführungen. Alles beim Alten - Beamten steht immer noch kein Streikrecht zu OVG Münster, Entscheidung vom ; Az.: 3d A 317/11.O Orientierungssatz: Beamte haben in Deutschland kein Streikrecht. Dies ergibt sich auch nicht abgeleitet aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Die Klägerin ist eine verbeamtete Lehrerin. Sie hat im Jahr 2009 drei Tage ohne Genehmigung ihres Dienstherrn an Warnstreiks der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) teilgenommen. Dementsprechend hatte sie an diesen drei Tagen keinen Unterricht erteilt. Ihr Dienstherr hat ihr daraufhin eine Geldbuße von Euro auferlegt. Dagegen wehrte sich die Klägerin. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf als erste Instanz gab der Klägerin Recht. Das OVG Münster hat dieses Urteil jetzt kassiert. Der Klägerin stünde als deutsche Beamtin kein Streikrecht zu. Die in Art. 9 Abs. 3 GG geregelte Koalitionsfreiheit werde durch die in Art. 33 Abs. 5 GG verankerten Grundsätze des Berufsbeamtentums eingeschränkt. Zu diesen Grundsätzen gehöre unter anderem die Treuepflicht des Beamten gegenüber dem Dienstherrn. Damit die Funktionsfähigkeit des Staates aufrecht erhalten bleiben könne, dürfe ein Beamter deshalb nicht streiken. Das Streikverbot gelte unabhängig davon, welche konkrete Funktion der einzelne Beamte ausübe, denn allein der Status als Beamter sei entscheidend. Die Regeln aus der EMRK und der dazu ergangenen Rechtsprechung könnten daran nichts ändern, weil sie in der Gesetzeshierarchie unter dem Grundgesetz stehen. Seite 6 von 12
7 Mit diesem Urteil folgt das OVG Münster der ständigen Rechtsprechung, nach der Beamte generell nicht streiken dürfen. Dieses Streikverbot beruht aber auf einer tradierten verfassungsrechtlichen Sichtweise und bedarf dringend der Überholung. Das Urteil des Verwaltungsgerichtes Düsseldorf aus dem letzten Jahr (Az.: 31 K 3904/10.O) stellte einen ersten Versuch dar, in die richtige Richtung zu denken. Nach Ansicht des Düsseldorfer Gerichts begehe ein streikender Beamter zwar ein Disziplinarvergehen, es dürfen aber keine Sanktionen wie z.b. Geldbußen verhängt werden. Damit war praktisch ein Streikrecht für Beamte gegeben. Das generelle Streikverbot für Beamte verstößt nämlich gegen Europarecht, weil die EMRK ein Streikverbot nur für solche Beamte vorsieht, die dem Kernbereich staatlichen Handelns zuzuordnen sind. Gemeint sind damit z.b. Strafverfolgungsbehörden wie die Polizei, aber nicht Lehrer. Diese dürfen nach der EMRK ebenfalls streiken. Hier ist der Gesetzgeber aufgefordert zu handeln. Ansonsten bleibt zu hoffen, dass in nächster Zeit der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Gelegenheit erhält sich hierzu zu äußern. Diskriminierung nach dem AGG muss innerhalb von zwei Monaten geltend gemacht werden BAG, Urteil vom , Az.: 8 AZR 160/11 Orientierungssatz: Die in 15 Abs. 4 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) enthaltene Zwei-Monats-Frist zur Geltendmachung von Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche begegnet keinen rechtlichen Bedenken und ist daher von jedem Arbeitnehmer zu beachten. Der Kläger hat sich im Saarland auf eine ausgeschriebene Stelle als Lehrkraft beworben und dabei ausdrücklich auf seine anerkannte Schwerbehinderteneigenschaft hingewiesen. Er wurde nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen und erhielt am eine Absage. Am verlangte der Kläger vom Saarland Schadensersatz und Entschädigung, weil die Vermutung bestünde, dass er durch die Nichteinladung wegen seiner Behinderung benachteiligt werde. Das Saarland verweigerte die Zahlung, weil die Geltendmachung verfristet sei. Seite 7 von 12
8 Das BAG ließ die Klage bereits an der in 15 Abs. 4 AGG geregelten Zwei-Monats- Frist scheitern. Innerhalb dieser Frist müssten die Ansprüche aus dem AGG geltend gemacht werden. Der Kläger hätte mit Erhalt der Absage am Kenntnis von den Indizien einer Benachteiligung gehabt, weil er bereits bei der Bewerbung auf die Schwerbehinderteneigenschaft hingewiesen hatte. Über die Zwei-Monats-Frist zur Geltendmachung von Schadensersatz- und Entschädigungsansprüchen herrscht seit Einführung des AGG Streit. Das BAG hatte bereits 2009 (Urteil v , Az. 8 AZR 705/08) angenommen, dass diese Frist rechtmäßig sei und ist dabei zu Recht auf vielerlei Kritik gestoßen. Im Juli 2010 (Urteil vom , Rs. C- 246/09, Bulicke) entschied der EuGH im Rahmen einer Vorlage durch das LAG Hamburg, dass die Zwei-Monats-Frist dann rechtmäßig ist, wenn die Frist 1. Nicht weniger günstig ist als die für vergleichbare innerstaatliche Rechtsbehelfe im und 2. Die Festlegung des Fristlaufs die Rechte aus der Richtlinie nicht unmöglich macht oder erschwert. Die Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, sei allerdings Sache der nationalen Gerichte. Eigentlich hätte das Gericht, wie auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur gefordert, die Zwei-Monats-Frist an der Günstigkeit scheitern lassen müssen. Vergleichbare Ansprüche auf Schadensersatz im BGB wie z.b. 280 oder 823 BGB verjähren nämlich erst in drei Jahren. Wieso hier eine so kurze Zwei-Monats-Frist gelten soll, ist nicht einzusehen. Das BAG stellte für den Fristbeginn außerdem auf den Erhalt des Ablehnungsschreibens ab, weil der Kläger ab diesem Zeitpunkt Kenntnis hatte. In anderen Fällen kann das allerdings nicht so einfach angenommen werden, weil der Bewerber z.b. bei einer Geschlechterdiskriminierung erst später erfährt, wer die begehrte Stelle bekommen hat. Es bleibt offen, wie die Arbeitsgerichte in solchen Fällen entscheiden werden. Im Ergebnis ist es trotz der offenkundigen Europarechtswidrigkeit ratsam, die in 15 Abs. 4 AGG enthaltene Zwei-Monats-Frist zu wahren, solange das BAG an dieser Rechtsprechung festhält. Seite 8 von 12
9 Schwerbehindert oder nicht? Zur Frage nach der Schwerbehinderung im bestehenden Arbeitsverhältnis BAG, Urteil vom , Az.: 6 AZR 553/10 Orientierungssatz: Der Arbeitgeber darf im bestehenden Arbeitsverhältnis nach der Schwerbehinderung fragen. Verneint der Beschäftigte wahrheitswidrig seine Behinderung, kann er sich im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses nicht mehr darauf berufen. Der Kläger, der einen Grad der Schwerbehinderung von 60 % aufweist, war als Angestellter beschäftigt. Über seinen Arbeitgeber wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Bei der Verfahrenseröffnung reichte der Beklagte einen Fragebogen durch die Belegschaft, in dem die vorliegenden Daten über die einzelnen Arbeitnehmer überprüft und gegebenenfalls ergänzt werden sollten. Dort war u.a. die Angabe zum Vorliegen einer Schwerbehinderung aufgeführt, die der Kläger verneinte. Aufgrund eines Interessensausgleichs wurde dem Kläger anschließend gekündigt. Der Kläger hielt die Kündigung für unwirksam, weil das Integrationsamt der Kündigung nicht zugestimmt hatte und legte deshalb Kündigungsschutzklage ein. Das BAG hielt die Kündigung für wirksam. Zwar fehle die Zustimmung des Integrationsamtes, was die Kündigung grundsätzlich unwirksam mache. Der Kläger habe sich aber widersprüchlich verhalten, weil er die Frage nach der Schwerbehinderung im Vorfeld der Kündigung verneint, sich dann aber im Rahmen der Klage darauf berufen habe. Ein solch widersprüchliches Verhalten verstoße gegen 242 BGB (Treu und Glauben). Deshalb könne sich der Kläger bei dieser Kündigung nicht mehr auf seine Schwerbehinderteneigenschaft berufen. Der Arbeitgeber dürfe im bestehenden Arbeitsverhältnis auch nach der Schwerbehinderung fragen. Denn der Arbeitgeber habe bestimmte Pflichten gegenüber Schwerbehinderten: Er müsse zum Schutz der Schwerbehinderten im Rahmen der Sozialauswahl nach 1 Abs. 3 KSchG die Schwerbehinderung berücksichtigen und die Zustimmung des Integrationsamtes für die Kündigung einholen. Deshalb verstoße eine solche Frage auch nicht gegen das Diskriminierungsverbot aus 3 Abs. 1 S. 1 AGG. Seite 9 von 12
10 Bei der Frage nach der Schwerbehinderung muss unterschieden werden, ob der Arbeitgeber im Rahmen des Einstellungsgespräches oder im laufenden Arbeitsverhältnis nach der Behinderung fragt. Wie diese Entscheidung zeigt, ist im bestehenden Arbeitsverhältnis die Frage nach der Schwerbehinderung zulässig. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Schwerbehinderte mehr als sechs Monate beschäftigt ist, weil er dann seinen Sonderkündigungsschutz erworben hat. Die Frage nach der Schwerbehinderung im Rahmen des Einstellungsgesprächs hat das BAG auch für zulässig erachtet. Diese Entscheidung liegt allerdings schon 17 Jahre zurück. Seit dem wurden das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX eingeführt. Demnach dürfen Schwerbehinderte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligt werden. Deshalb dürfte die Entscheidung heute keinen Bestand mehr haben. In seiner letzten Entscheidung hat das BAG die Frage allerdings offengelassen (vgl. BAG, Urteil vom AZR 396/10 in unserem Newsletter von November 2011). Verlust von Urlaubsansprüchen bei länger dauernder Arbeitsunfähigkeit Update zum Newsletter vom März 2012 LAG Hamm, Urteil vom , Az.: 16 Sa 1176/09 Der bei der Beklagten als Schlosser beschäftigte Kläger ist seit Januar 2002 arbeitsunfähig erkrankt. Im August 2008 wurde das Arbeitsverhältnis einvernehmlich beendet. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Einheitliche Manteltarifvertrag für die Metallund Elektroindustrie NRW Anwendung. Dort ist u.a. geregelt, dass nicht genommener Urlaub nach drei Monaten des Folgejahres erlischt. Konnte der Urlaub wegen einer Erkrankung nicht genommen werden, gilt ein Übertragungszeitraum von 15 Monaten. Der Kläger verlangt Urlaubsabgeltung für die Jahre 2006, 2007 und 2008 von jeweils 35 Arbeitstagen. Das Arbeitsgericht hatte dem Kläger die verlangte Urlaubsabgeltung zugesprochen. Im Berufungsverfahren hat das LAG Hamm zunächst dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob Urlaubsansprüche für langjährig erkrankte Arbeitnehmer angesammelt werden können. Nach dem Urteil des EuGH (das sog. Schulte -Urteil) hat das LAG Hamm jetzt entschieden. Seite 10 von 12
11 Das LAG Hamm ist dem EuGH gefolgt und hat die Beklagte verurteilt, den Urlaub für die zurückliegenden 15 Monate abzugelten. Die Begrenzung des Übertragungszeitraums auf 15 Monaten im Tarifvertrag sei nämlich nicht zu beanstanden. Ein darüber hinaus gehender Abgeltungsanspruch, d.h. für 2006 und einen Teil von 2007, stehe dem Kläger allerdings nicht zu. Hintergrund für die Klage auf Urlaubsabgeltung für diesen Zeitraum war die vorausgegangene Schultz-Hoff -Entscheidung des EuGH (Urteil vom , Rs. C-350/06 und C-520/06), nach der Urlaubsabgeltungsansprüche nicht erlöschen, wenn ein Arbeitnehmer bis zum Ende des Übertragungszeitraums arbeitsunfähig war. Demnach hätte man zunächst meinen können, dass Urlaubsansprüche über mehrere Jahre angesammelt werden können. Mit dem Schulte -Urteil (Urteil vom , Rs. C-214/10) hat der EuGH seine erste Entscheidung konkretisiert und damit gleichzeitig auch eingeschränkt hat. Nach Ansicht des EuGH aus dem Jahr 2011 komme es für den Urlaubsanspruch nach Ablauf der Frist darauf an, ob der Anspruch noch eine positive Wirkung als Erholungszeit habe. Für den zeitlichen Rahmen verwies er unter anderem auf Art. 9 des Übereinkommens Nr. 132 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO), wonach bezahlter Jahresurlaub spätestens 18 Monate nach Ablauf des Jahres, für das der Urlaubsanspruch erworben wurde, zu gewähren und zu nehmen [ist]. Auch das LAG Baden-Württemberg (Urteil vom , Az.: 10 Sa 19/11; siehe Newsletter von März 2012) hat das Schulte - Urteil so ausgelegt, wie es das LAG Hamm in dieser Entscheidung getan hat. Aktuell hat das BAG jedoch wieder einen anderen Aspekt aufgebracht: Nach einem Urteil vom Az. 9 AZR 652/10) unterliegt der Abgeltungsanspruch für nicht genommenen Urlaub nicht den Verfallfristen des Bundesurlaubsgesetzes (d.h. 15 Monate nach 7 Abs. 3 BUrlG), sondern als reiner Geldanspruch den Verjährungsfristen des BGB und/oder tariflichen Ausschlussfristen. Der Kläger konnte den Urlaub nicht mehr nehmen, weil ihm der Arbeitgeber gekündigt hatte. Zur Übertragbarkeit auf die Abgeltung wegen Arbeitsunfähigkeit werden wir in einem der nächsten Newsletter etwas sagen können, wenn die Urteilsgrunde des BAG vorliegen. Kleiner Tipp am Rande: Die private Nutzung von Computer-Software des Arbeitgebers ist für Beschäftigte steuerfrei nach einer Änderung des Einkommenssteuergesetzes gestellt. Dies gilt auch, wenn der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern Datenverarbeitungsgeräte wie Smartphones oder Tablets überlässt ( 3 Nr. 45 EStG). Seite 11 von 12
12 Verantwortlich im Sinne des Presserechts V.i.S.d.P. Dr. Frank Lorenz, silberberger.lorenz, kanzlei für arbeitsrecht, grabenstraße 17, Düsseldorf unsere rechtsanwältinnen und rechtsanwälte dr. uwe silberberger dr. frank lorenz jörg towara anne quante michael schmidt-busse deike twelsiek stefan greif daniel-nabil hay jennifer witthoff magdalene dawid Seite 12 von 12
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