Die Wärmebehandlung von Stahl - Fakten, Informationen und Simulationsberechnungen

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1 Die Wärmebehandlung von Stahl - Fakten, Informationen und Simulationsberechnungen mit der Datenbank StahlWissen Peter Sommer, Dr. Sommer Werkstofftechnik GmbH, Issum Einleitung Die Bedeutung der universellen Einsetzbarkeit des Werkstoffs Stahl ist in starkem Maße mit seiner Wärmebehandelbarkeit verbunden. Je nach Fertigungsschritt sind durch gezielte Wärmebehandlungen die Bearbeitbarkeit und Umformbarkeit optimierbar oder es werden für die Nutzungsphase z.b. Festigkeit und Verschleißbeständigkeit eingestellt. Die unterschiedlichen Zielsetzungen einer Wärmebehandlung werden durch definierte Temperatur-Zeit-Atmosphäre-Zyklen realisiert. Die Wärmebehandlungsprozesse werden an sehr vielen Stählen mit unterschiedlicher chemischer Zusammensetzung, Abmessung und Form in einer sehr differenzierten Anlagen- und Chargiertechnik durchgeführt. Die Anzahl der Freiheitsgrade ist fast unbegrenzt. Es lag daher nahe, für die Prozesstechnik der Wärmebehandlung eine rechnerunterstützte Lösung zu entwickeln, in der die metallkundlichen Grundzusammenhänge für die gesamte Palette unterschiedlicher Stahlwerkstoffe mit den Möglichkeiten realer Anlagentechnik kombiniert sind. Bereits bei der ersten Entwicklung einer Datenbanklösung zeigte sich sofort, dass eine reine Datensammlung keinesfalls ausreichend ist, die Vorgänge bei der Wärmebehandlung praxisgerecht zu erfassen. Bild 1: Eröffnungsbildschirm der Werkstoffdatenbank StahlWissen -NaviMat

2 In Werkstoffdatenblättern finden sich durchaus nützliche Angaben über Temperaturbereiche für die unterschiedlichsten Wärmebehandlungsverfahren. Während für die Austenitisierungstemperaturen diese Angaben noch einen gewissen Informationswert haben, versagen Werkstoffdatenblätter vollständig, wenn für eine konkrete Charge z.b. ein vollständiger Vergütungszyklus in einer bestimmten Ofenanlage festgelegt werden muss. Dafür sind sowohl die normenzulässigen Streuungen in der chemischen Zusammensetzung, die unterschiedlichen Bauteilquerschnitte und -formen, die Anlagentechnik und Chargenzusammenstellung verantwortlich. Selbst bei identischen Serienteilen führt eine Vermischung von zwei unterschiedlichen Schmelzchargen mitunter zu gravierenden Eigenschaftsstreuungen. Die Standardinformationen in Form von Werkstoffdatenblättern liefern demnach einen grundsätzlichen Überblick über das Eigenschaftsprofil und sind z.b. dem Konstrukteur für seine Werkstoffauswahl eine nützliche Hilfe, da zum Zeitpunkt der konstruktiven Gestaltung alle nachfolgenden wärmebehandlungsrelevanten Einflussgrößen eher unbekannt sind. In der Datenbank StahlWissen sind daher die Werkstoffinformationen in verschiedene Anwendungsbereiche gegliedert. Seit über 15 Jahren existiert die reine Datensammlung mit inzwischen ca Bildschirmseiten an Informationen, Bild 1, [1]. Diese Informationen sind unterschiedlichster Art und es würde den Rahmen dieses Berichts sprengen, diese auch nur beispielhaft aufzulisten. Die Datenbank ist beim Anwender lokal installier- und unbegrenzt nutzbar. Es können jedoch auch individuelle Eigenschaftsprofile von Stählen internetbasiert bezogen werden. Das hinterlegte Eigenschaftsprofil aller in der Datenbank StahlWissen vorhandenen Werkstoffe ist im Internet unter zu recherchieren. Die Recherche ist frei zugänglich und kostenfrei, bezahlt werden müssen lediglich die jeweils individuell angeforderten Werkstoffdaten. Das Auffinden der Werkstoffe kann über unterschiedlichste Suchstrategien erfolgen und eine internationale Umschlüsselung war schon immer möglich. Der Nutzer kann zudem an jeder Stelle der Datenbank eigene Daten und Informationen hinzufügen. Eine Aktualisierung der Daten erfolgt monatlich und kann jederzeit über das Internet erfolgen. Dies ist Stand der Technik seit vielen Jahren und wird weltweit genutzt. Berechnung von Wärmebehandlungsprozessen mit der Datenbank StahlWissen Die in der Datenbank Stahlwissen eingestellten Daten werden durch umfangreiche wärmebehandlungsrelevante Berechnungs- und Bewertungsverfahren erweitert und liefern dem Anwender ein wertvolles Werkzeug bei der Festlegung und Optimierung von Wärmebehandlungen sowie einen Überblick darüber, welche Eigenschaften erreichbar sind, wenn es hierzu keine dokumentierten Literaturangaben gibt. Nachfolgend sollen hierzu einige Beispiele angeführt werden. Über ein integriertes FEM-Berechnungsprogramm sind Temperaturfelder in Bauteilen für eine beliebig kombinierbare Wärmebehandlungsfolge berechenbar, Bilder 2 und 3. Alle für die Berechnung erforderlichen thermophysikalischen Daten werden aus der Datenbank entnommen. Als Besonderheit muss dabei die Bereitstellung der temperaturabhängigen Wärmeübergangskoeffizienten aller in der Wärmebehandlungstechnik verwendeten Wärmebehandlungsmittel angesehen werden. Diese Funktionen wurden durch umfangreiche experimentelle Messungen in Zusammenarbeit mit Wärmebehandlungsbetrieben ermittelt und für den Anwender als aufrufbare Datensätze hinterlegt. Ein round robbin test des IWT, Bremen belegte die gute Vergleichbarkeit der unterschiedlichen mathematischen Methoden [2]. Die Berechnung von Temperatur-Zeit-Zyklen dient in erster Linie der Ermittlung wirtschaftlicher Prozesszeiten und zeigt gleichzeitig die Risiken auf, die durch Wärmespannungen verursacht wer-

3 den. Dieser Programmteil der Temperaturfeldberechnung führt noch nicht zur Simulation von Werkstoffeigenschaften. Bild 2: Eigene Definition eines Wärmebehandlungsprozesses Bild 3: Temperatur-Zeit-Folge einer Bainitisierung im Salzwarmbad Das in Bild 3 dargestellte Temperaturprofil kann auch in das isothermische ZTU-Schaubild des betreffenden Stahls projiziert werden, Bild 4. Das ZTU-Schaubild ist ein experimentell aufgenommenes ZTU-Schaubild, welches mit den berechneten Temperatur-Zeit-Zyklen verknüpft wird. Hieraus lassen sich z.b. Erkenntnisse über die erforderliche Umwandlungsdauer zur Beendigung der Bainitumwandlung und die dann zu erwartende Härte ablesen. Diese Vorgehensweise entspricht genau der praktischen Handhabung mit experimentellen ZTU-Schaubildern. Bild 4: Isothermisches ZTU-Schaubild mit berechnetem Umwandlungsende und Ermittlung der Härte Bild 5: Kontinuierliches ZTU-Schaubild mit berechneten Abkühlungskurven und Ermittlung der Anschreckhärte Für kontinuierliche ZTU-Schaubilder erfolgt ein analoger Berechnungsvorgang, Bild 5. Im experimentellen ZTU-Schaubild des betreffenden Stahls können für eine beliebige Abmessung und ein beliebiges Abkühlmedium die Rand- und Kernabkühlung berechnet und in das Schaubild eingezeichnet werden. Alternativ zu konkreten Abschreckmitteln sind auch die physikalischen Kennwerte wie Wärmeübergangskoeffizient, H-Wert oder Lambda-Wert definierbar. Aus den Kenndaten des ZTU-Schaubilds selbst werden dann die Informationen zur Abschreckhärte berechnet. Dieser Teil der Datenbank und des Berechnungssystems eignet sich in besonderer Weise zur Ermittlung der Härtbarkeit an konkreten Bauteilen. Der Wärmebehandler kann den Einsatz eines be-

4 stimmten Abschreckmittels überprüfen, jedoch kann sich auch der Konstrukteur vergewissern, ob der eingeplante Stahl in der vorliegenden Abmessung martensitisch umgewandelt werden kann. Vollständige Simulationsberechnungen erfolgen in einer Programmerweiterung mit der Bezeichnung StahlRegression. Für die Gruppe der Baustähle wird in diesem Programm eine vollständige Berechnung der Gefügeausbildung und der daraus resultierenden mechanischen Eigenschaften über Regressionsformeln berechnet. Ein beispielhafter Berechnungsvorgang soll die Abläufe verdeutlichen, Bild 6. Bild 6: Modellbildung zur Berechnung mechanischer Eigenschaften Bild 7: Temperaturfeldberechnung eines Zahnprofils Innerhalb der zulässigen Analysengrenzen lassen sich beliebige Stähle modellieren bzw. analytisch zusammenstellen. Die vorhandene Analysendatenbank liefert Mittel- und Grenzwerte, es können aber auch individuelle Schmelzanalysen verwendet werden. Die Geometrien sind von einfachen Stäben, Rohren und Blechen bis hin zu komplexen Bauteilen, z.b. Zahnrad definierbar, Bild 7. Der Wärmebehandlungsprozess kann in Einzelschritten entweder individuell festgelegt werden oder es können vordefinierte Standardprozesse wie Normalisieren Härten oder Vergüten ausgewählt werden. Im ersten Berechnungsschritt erfolgt zunächst erneut die Temperaturfeldberechnung bzw. die Berechnung des Temperaturverlaufs an einer beliebigen Bauteilposition. Parallel wird das Zeit- Temperatur-Umwandlungsverhalten in Form eines berechneten kontinuierlichen ZTU-Schaubilds ermittelt. Aus den berechneten Temperatur-Zeit-Kurven und dem Umwandlungsverhalten werden dann die Umwandlungsgefüge und die entsprechenden Eigenschaften berechnet. Die Datenbasis für dieses Berechnungsmodell wurde zusammen mit dem Edelstahlwerk Buderus in Wetzlar ermittelt. Die Berechnungen lassen sich in sehr unterschiedliche Zielsetzungen unterteilen. Es können Stähle mit deren spezifischer Wärmebehandlung nachträglich berechnet werden, um z.b. im Schadensfall die gemessenen Daten den Angaben der Wärmebehandlung gegenüberzustellen. Der gleiche Berechnungsvorgang findet auch in der Konstruktion Anwendung, wenn das Eigenschaftsprofil für einen bestimmten Werkstoff und ein konkretes Bauteil ermittelt werden soll, Bild 8. Diese Berechnungsmöglichkeit wird nicht nur bei der Werkstoffauswahl innerhalb der Konstruktion verwendet, sondern dient bereits in vielen Unternehmen als Bewertungshilfe bei der Prüfung von Anfragen. Mitunter werden von Stählen nicht erreichbare Eigenschaftsforderungen verlangt, die über eine einfache Berechnung überprüft werden können. Eine jederzeit nachvollziehbare und auch vom Anfragenden selbst durchführbare Berechnung liefert für beide Vertragspartner eine Entschei-

5 dungssicherheit. Diese Anwendungen und Einsatzmöglichkeiten liegen sämtlich noch vor der eigentlichen Wärmebehandlung. Für diese Prozesse sind in Abhängigkeit der Sollvorgabe und den bereits genannten Werkstoff- und Bauteilkenngrößen die erforderlichen Temperatur-Zeit-Zyklen berechnungsfähig. Insbesondere steht dabei die Ermittlung der erforderlichen Anlasstemperatur im Vordergrund. Bei größeren Chargenaufbauten mit verschiedenen Bauteilen und unterschiedlichen Stählen kann unter Berücksichtigung der jeweils zulässigen Spannweiten eine optimale Anlasstemperatur berechnet werden. Hierdurch stehen Optimierungswerkzeuge auch für die wirtschaftliche Zusammenfassung von anzulassenden Chargen zur Verfügung. Bild 8: Berechnetes Profil der Streckgrenze und Zugfestigkeit Bild 9: Berechneter Einfluss des Legierungselements Nickel auf die Härte nach dem Abschrecken Damit sind die Berechnungsmöglichkeiten des Programms StahlRegression aber noch nicht erschöpft. Die Wirkung einzelner Legierungselemente bei ansonsten gleicher Grundanalyse lässt den Einfluss dieser Elemente auf die mechanischen Eigenschaften in einem kontinuierlichen Spektrum erkennen, Bild 9. Über diese Methode sind Werkstoffoptimierungen auch in der Automobilindustrie durchgeführt worden [3]. Voraussetzung für die erfolgreiche Anwendbarkeit in einem Wärmebehandlungsbetrieb ist die realistische Abbildung der Umgebungsbedingungen. Eine Vermessung der Ofen- und Abschreckanlagen ist dabei in den meisten Fällen unumgänglich. Die bisher vorgestellten Berechnungsmodelle waren geeignet, Wärmebehandlungsprozesse ohne Veränderung der chemischen Zusammensetzung im Rand zu berechnen. Das Einsatzhärten stellt die noch immer bedeutendste thermochemische Wärmebehandlung dar. Für das Gasaufkohlen mit nachfolgender Einsatzhärtung existieren daher ebenfalls spezielle Berechnungsprogramme. Diese Berechnungsprogramme eignen sich auch zur online-optimierung und zur Steuerung von Wärmebehandlungsprozessen. Abschließend sei eine StahlWissen -Ergänzung vorgestellt, die in Zusammenarbeit mit dem Unterausschuss für Metallographie beim VDEh entstanden ist. Die 1984 in Buchform erschienene De Ferri Metallographia wurde als Gefügeatlas mit allen lichtmikroskopischen Abbildungen in digitaler Form reproduziert und steht auf einer CD-ROM als Beispielsammlung von Gefügen zur Verfügung.

6 Bild 10: Gefügeabbildung aus der Gefügedatenbank MetalloROM Die Erläuterungen zu den Gefügen wurden durch den Ausschuss bereits teilweise überarbeitet und in der Gefüge-CD ergänzt. Das Bild 10 zeigt hierzu ein Beispiel. Auch dieses System bietet eigene Ergänzungsmöglichkeiten und kann nahezu jedes grafische Format darstellen und archivieren. Zusätzlich zu den Datensatzkennzeichnungen können über einen Stichwortkatalog die dargestellten Gefüge beschrieben und wieder aufgefunden werden. Literatur [1] P. Sommer, Die Datenbank StahlWissen - das neue Navigationssystem für den Werkstoff Stahl, 17. Aachener Stahlkolloquium 2002, Seite [2] Th. Lübben, M.Lohrmann, S. Segerberg, P. Sommer (2002, Band: 57, HTM), Erarbeitung einer Richtlinie zur Wärmeübergangsbestimmung beim Gasabschrecken, Carl Hanser Verlag. Seite: [3] W. Grimm, P. Sommer, Pre-Computation of Material Characteristics of large Forgings made from Tempering Steels, Proceedings 14 th International Forgemaster Meeting IFM 2000, Wiesbaden, p