Beitrag: Befristete Arbeitsverträge Ende der Unsicherheit?

Transkript

1 Manuskript Beitrag: Befristete Arbeitsverträge Ende der Unsicherheit? Sendung vom 13. Februar 2018 von Anne Herzlieb, Reinhard Laska, Tonja Pölitz und Peter Theisen Anmoderation: Bis Karneval wollten die Koalitionsunterhändler von Union und SPD fertig sein, auch, um dem Spott der Narren zu entgehen. Rechtzeitig zu Altweiberfastnacht stand zwar der Koalitionsvertrag, aber der Mummenschanz ging dann erst richtig los - der Mummenschanz um Posten. Und der sorgt seither für Spott und Schaden, besonders bei der SPD. Dabei waren die Genossen zunächst stolz auf das Erreichte. Drei Schlüsselressorts, und bei dem sozialdemokratischen Herzthema, Arbeitsverträgen mit Befristung, ein - Zitat - "wirklicher Durchbruch". Anne Herzlieb und Tonja Pölitz fragen nach: Was bringt dieser wirkliche Durchbruch den Arbeitnehmern mit befristeten Verträgen wirklich? Text: O-Ton Uwe Feder, Lehrer in Hessen: Ja, hier sieht man schön, dass ganz viele Verträge hintereinander kamen, insgesamt sechs an der einen Schule, an der anderen zwei. Und hier endete der Vertrag vor den Sommerferien. Ja, insgesamt sind es jetzt doch elf Verträge geworden. Ja, da kommt ne ganze Menge zusammen. Uwe Feder war seit mehr als zehn Jahren Vertretungslehrer für Sport und Biologie immer befristet bis zu den nächsten Ferien, auch an dieser Schule in Schwalbach. Der neue Vertrag kam immer erst kurzfristig - ein paar Tage vor Schulbeginn. Man hat ja so einen gewissen Plan in seinem Leben, was man machen möchte, was man im nächsten Jahr machen möchte. Und das geht nicht. Die Verträge sind oft nur so drei, vier Monate und man weiß nicht, wenn er zu Ende ist, wann kommt der nächste - und kommt der nächste.

2 Uwe Feder vertrat kranke Lehrer. Für die Schule ist das ein sogenannter Sachgrund, seinen Arbeitsvertrag zeitlich zu befristen so lange und so oft Bedarf besteht. Unabhängig davon, wie gut er seinen Job als Lehrer macht und wie beliebt er bei den Schülern ist. Sie kommen auf den Schulhof und dann kleben gleich fünf Kinder an einem dran. Das macht natürlich was mit einem, aber ich wusste ja, wenn ich sehr intensiv mich kümmere und vielleicht auch mal Elterngespräche mache, die sehen mich nach ein paar Monaten. Also, in ein paar Monaten bin ich dann weg. O-Ton Heike B., Sachberaterin in Brandenburg: Die Leute sind eingearbeitet, die machen ihre Arbeit gut und werden dann sozusagen wieder vor die Tür gesetzt. Ich find das Quatsch. Und dann fängt man an, die nächsten einzuarbeiten, die von der Straße kommen. Die Arbeit ist ja da, ist ja nicht so, dass die Arbeit nicht da ist. Heike B. weiß nie, wie lange sie ihren Job hat und will deshalb nicht erkannt werden. Die 31-Jährige arbeitet mit Kettenverträgen in einem Jobcenter irgendwo in Brandenburg. Der Sachgrund hier: Heike B. vertritt in dem Jobcenter eine Kollegin, die ihrerseits im Sozialamt einen kranken Kollegen vertritt. Eine absurde Konstruktion: Der Sachgrund für den Sachgrund, genau. Das heißt also, Sie hängen jetzt an einem Kollegen, der im Sozialamt krank ist? Ja, genau! Weil dann Ihre Kollegin, die dort ist, die Sie vertreten, wieder auf den Arbeitsplatz zurückkehrt, auf dem Sie sitzen, wenn die wiederkommt? Dann bin ich weg. Wie schnell? Ich glaube 14 Tage.

3 14 Tage Kündigungsfrist. Heike B. ist eine von 2,8 Millionen Arbeitnehmern, die einen befristeten Vertrag haben. O-Ton Prof. Gerhard Bosch, Arbeitsmarktexperte, Universität Duisburg-Essen: Wir haben einen gespaltenen Arbeitsmarkt, auf der einen Seite gute tarifliche Arbeitsverhältnisse, auf der anderen Seite einen skandalösen Umgang mit Beschäftigten, die in Unsicherheit leben, befristete Arbeitsverträge haben, ihr Leben nicht planen können, ihre Familienplanung zurückstellen müssen. Das betrifft vor allem die nachwachsende Generation und das ist wirklich skandalös. O-Ton Norbert Blüm, CDU, ehemaliger Arbeitsminister: Es ist immer noch besser befristet Arbeit als unbefristet arbeitslos. Norbert Blüm, ehemaliger Arbeitsminister. Mitte der 80er Jahre ist die Arbeitslosigkeit auf dem Höchststand. Das Beschäftigungsförderungsgesetz soll das ändern. Fast 20 Jahre später schafft Gerhard Schröders Agenda 2010 noch mehr befristete Verträge. Münster: Meines Wissens nach sollte das Gesetz Arbeitsplätze schaffen, indem Arbeitgeber motiviert werden, leichter Leute einzustellen und deshalb mehr Leute einzustellen. Es gibt keinerlei Nachweis dafür, dass das Gesetz Arbeitsplätze geschaffen hat. Das halte ich für ein ganz großes Problem. Das heißt, man macht das seit über 30 Jahren, ohne den Nachweis zu führen, dass es wirklich etwas bringt. Fest steht: Vor allem der Staat als Arbeitgeber stellt überdurchschnittlich häufig nur befristet ein. Jede zweite Neueinstellung im Öffentlichen Dienst war 2016 befristet. So wurden zwischen 2007 bis 2015 in den Geschäftsbereichen aller Bundesministerien und des Kanzleramts feste Stellen abgebaut - im gleichen Zeitraum hat sich Zahl der befristeten Verträge verdoppelt. Frontal 21 hat die Bundesministerien gefragt: Wie viele Mitarbeiter sind aktuell in Ihrem Geschäftsbereich befristet? Ein paar Beispiele: Das Innenministerium meldet befristet Beschäftigte, das Wirtschaftsministerium 1.732, das Gesundheitsministerium das ist unter den Tarifbeschäftigten jeder vierte. Und das Arbeitsministerium bestätigt 245 befristete Mitarbeiter.

4 Münster: Im Öffentlichen Dienst kann man das durchaus steuern. Das sind politische Entscheidungen: Mach ich davon Gebrauch oder nicht. Das ist ähnlich wie bei der Reform der Leiharbeit 2003, dass man eben radikal die Türen aufmacht und dadurch auch ein verändertes Klima schafft. Also, die Bereitschaft, Leute massenhaft zu befristen, wird verstärkt durch so eine Freigabe. Das soll sich jetzt ändern. Sind bislang Befristungen mit und ohne Sachgrund möglich, sollen künftig Mitarbeiter ohne Sachgrund statt zwei nur noch anderthalb Jahre befristet werden dürfen. Mit Sachgrund - wie etwa bei Elternzeit- und Krankheitsvertretung oder bei Mittelbegrenzung im Öffentlichen Dienst - kann ein und derselbe Mitarbeiter bisher unendlich oft befristet beschäftigt werden. Diese Kettenbefristungen sollen begrenzt werden auf fünf Jahre. Ein richtiger Schritt, für Experten aber zu wenig. O-Ton Prof. Gerhard Bosch, Arbeitsmarktexperte, Universität Duisburg-Essen: Ich glaube, man braucht ne stärkere Dosis. Man hechelt sozusagen der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes hinterher. O-Ton Charlotte S., Berufsberaterin in Berlin, Originalton nachgesprochen: Als ich begriffen habe, wie die Arbeitsverhältnisse sind bei öffentlich finanzierten Projekten, da bin ich aus allen Wolken gefallen. Wir haben in Berlin einen rot-rot-grünen Senat und ich habe das Gefühl, die schauen weg. Die schieben die Verantwortung weg und uns zu privaten Trägern. Charlotte S. arbeitet seit zwei Jahren als Berufsberaterin, im Auftrag des Berliner Senats, allerdings ausgelagert an einen privaten Bildungsträger ihr Vertrag befristet. Das hat Konsequenzen. Für Charlottes Wohnung müssen immer noch ihre Eltern bürgen - und das mit 31. O-Ton Charlotte S., Berufsberaterin, Originalton nachgesprochen: Wenn ich mich weg bewerbe, dann stelle ich fest, dass es viele Stellen gibt, die dieselben Bedingungen bieten befristet wie mein Job jetzt auch. Die Versprechen der Großen Koalition - Charlotte S. glaubt nicht, dass sich am Arbeitsmarkt wirklich etwas ändert. Auch für Heike B. sind die Vorhaben nicht mehr als ein Schritt in die richtige Richtung. Sie befürchtet, die Mitarbeiter werden dann nur noch schneller ausgetauscht.

5 Es wird einfach nur kürzer befristet. Und die Kollegen sind dann eben nur noch 1,5 Jahre da, anstatt zwei Jahre, und dann kommen die nächsten. Was anderes wird s nicht sein, daran ändert sich ja an der Personalpolitik im Öffentlichen Dienst nichts. Es hat ja nichts damit zu tun, dass jetzt Arbeitsstellen geschaffen werden. Forscher vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung schätzen, es könnten befristete Verträge weniger geben, wenn der Koalitionsvertrag umgesetzt wird. Doch das hätte die Regierung auch einfacher haben können. O-Ton Christian Hohendanner, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung: Unsere Idee ist folgende: Wenn Arbeitgeber befristen wollen, dann können sie das auch weiterhin nach der aktuellen Rechtslage tun, sie müssen aber dann einen höheren Beitrag in die Arbeitslosenversicherung bezahlen. Und in der Summe hätte man dann eben einen Anreiz für unbefristete Beschäftigungen. Münster: Indem man nicht nur sagt, du darfst es nicht, sondern es wird auch sau teuer, du kriegst einen Sonntagszuschlag, das kostet das Doppelte die Stunde. Diese Dinge sind möglich, die müssen wir diskutieren. Uwe Feder wollte nicht mehr warten. Seit drei Wochen arbeitet er nicht mehr als Lehrer. Er therapiert nun verhaltensauffällige Kinder - als Selbstständiger. Schluss mit befristeten Verträgen. Ich habe für mich entschieden, dass das einfach aufgrund der Erfahrung und auch aufgrund der Perspektive nicht der Weg ist, den ich weitergehen möchte. Das ist mir einfach zu unsicher, also, obwohl der Mangel ja da ist, das weiß man ja, der Mangel an Lehrer und die steigenden Schülerzahlen sind da. Aber ich möchte diese Unsicherheit nicht weiter haben. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.