Exzessive Mediennutzung im Kontext der Erziehungs- und Familienberatung
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- Kasimir Bäcker
- vor 8 Jahren
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1 Exzessive Mediennutzung im Kontext der Erziehungs- und Familienberatung Holger Robbers Dipl.-Soz.päd.; System. Einzel-, Paar- und Fam.therap. Beratungsstelle Lichtblick Bad Belzig, Werder/H.
2 Gliederung kurze Vorstellung meines Arbeitsbereichs Mein Kind ist computersüchtig! Umgang mit der Diagnose das Erstgespräch: 4 Herangehensweisen 3 mögliche Lösungen
3 Beratungsstelle Lichtblick Träger: GFB (Jugendhilfeverbund Potsdam) Erziehungs- und Familienberatung (EFB) nach 17,18 und 28 SGB VIII seit 1998 für den Landkreis Potsdam-Mittelmark 2 Standorte: Bad Belzig und Werder/H. Beratung für Kinder, Jugendliche, Eltern, andere Verwandte und Bezugspersonen Fachberatung für päd. Mitarbeiter/-innen aus Kita, Hort, Schule, Jugendhilfeeinrichtungen Onlineberatung (seit 2002) Diagnostik nach 35a SGB VIII
4 freiwillig Zugang (Möglichkeit der angeordneten Beratung durch das Familiengericht oder Jugendstrafgericht) Schweigepflicht gilt auch innerhalb einer Familie d.h. Kontakt mit anderen (Jugendamt, Schule, SpD o.a.) nur mit Schweigepflichtentbindung, auch die Eltern erfahren nicht was das Kind / der/die Jugendliche in der Einzelberatung gesagt hat auch anonyme Beratung möglich kostenlos diese Bedingungen gelten für alle EFBn
5 Multiprofessionelles Team Sozialpädagogen/-innen Psychologinnen Erziehungswissenschaftlerinnen alle mit therapeutischen Weiterbildungen: Systemische Einzel-, Paar und Familientherapie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie (verhaltenstherapeutisch, tiefenpsychologisch) Erwachsenenpsychotherapie (tiefenpsychologisch) Mediation
6 Mein Kind ist computersüchtig! Was ist Computersucht? Skepsis gegenüber der Diagnose (wenn im Folgenden von Computern/PC die Rede ist, ist immer auch Zeit am Smartphone, vorm Fernseher u.a. eingeschlossen)
7 Diagnose / Maßstäbe? Beispiel: das Jugendamt Nürnberg hat im Dezember 2011 eine Broschüre mit dem Titel Jugendliche und Computersucht Ständig Stress um den PC? herausgegeben ( findet sich unter ) darin Checkliste für Jugendliche:
8 Checkliste für Kinder u. Jugendliche (Zitat) Ich verbringe schon seit längerem täglich mindestens 5 Stunden meiner Freizeit am PC. Wegen meiner PC-Leidenschaft habe ich häufig Ärger in der Schule oder am Arbeitsplatz, mit den Eltern, Freunden oder meinem Partner. Wirklich Spaß habe ich nur beim Spielen, Chatten und Surfen. Ohne PC bin ich lustlos, traurig und fühle mich oft einsam. Vor den Anforderungen und Kontakten in der wirklichen Welt habe ich manchmal sogar etwas Angst. Kontakte pflege ich vor allem online. Mit Menschen, die ich sehen und anfassen kann, spreche ich nicht so gern. Die Zeit, die ich am PC verbringe, wird immer länger. Egal wo und mit wem ich zusammen bin ich denke dabei nur noch an den Computer und was ich jetzt gerade verpasse. Wenn ich länger nicht spielen, chatten oder surfen kann, bin ich unzufrieden, fühle mich nervös, gereizt oder sogar aggressiv. Ist der PC an, verbessert sich meine Stimmung sofort. Trifft mindestens ein Statement auf dich zu, solltest Du etwas tun.
9 ab wie vielen Trifft auf mich zu! bin ich computersüchtig /- abhängig? ab wie vielen Trifft auf mich zu! können wir von einem riskanten Konsum sprechen? welches Verhalten ist normal? Wer sollte was tun der Jugendliche? das geht davon aus, dass ein gefährdeter Jugendlicher sich mit dieser Broschüre befasst gehen diese Jugendlichen in eine Beratungsstelle? wohl eher nicht bei uns kommen die Eltern an
10 Wenn es eine Diagnose Computersucht gäbe, oder wir von einem riskanten Konsum sprechen könnten ändert sich dadurch etwas für die Beratung? die Eltern, die sich an uns wenden, kommen, weil sie sich angesichts des Verhaltens ihres Kindes hilflos fühlen sie wollen wissen, wie sie reagieren können unabhängig davon, ob es eine Diagnose Computer- /Mediensucht gibt oder nicht
11 Herangehensweise im Erstgespräch: Fragen nach der Sorge Was befürchten Sie für Ihre Kinder? Was ist die Sorge? Was ist die hinter den Sorgen liegende Angst? oft ist es die Sorge um die Schulleistungen dahinter die Angst vor dem sozialen Abstieg des Kindes Wie realistisch ist die Angst? Wodurch würde die Angst kleiner? Es ist Ihre Angst nicht das Kind ist dafür verantwortlich dass Sie weniger Angst haben Wie können Sie das Verhältnis Hausaufgaben/Lernen und Freizeit mit ihrem Kind neu bestimmen? Wie werden Regeln in der Familie aufgestellt? Gibt es Familienkonferenzen oder Ähnliches?
12 Herangehensweise im Erstgespräch: Fragen nach dem Konflikt Führt das Thema Zeit des Kindes vorm PC / mit Medien zu Konflikten und Machtkämpfen? Wollen Sie dass das Kind sich nach Ihnen richtet, Ihren Regeln folgt? Wunsch nach Kontrolle, Lenkbarkeit, dass das Kind meine Werte übernimmt Idee, dass Kind müsse doch vernünftig werden es gibt keine Kontrolle über andere ich kann nur mich kontrollieren und mich nicht in Machtkämpfe hineinziehen lassen wie gelingt mir das? Was kann ich ändern? Was leben wir als Eltern dem Kind vor? Wie ist unser Medienverhalten? das Kind hat oft einen niedrigeren oder gar keinen Leidensdruck es hat Spaß warum sollte es damit aufhören?
13 Herangehensweise im Erstgespräch: Fragen nach dem System Was erzählt das Verhalten des Kindes über das System, die Familie - wofür könnte es ein Symptom sein? Geht das Kind aus dem Kontakt, weil der Kontakt in der Familie insgesamt nicht mehr gut ist? Wie ist es um die Paarbeziehung der Eltern bestellt? Sind beide Eltern für das Kind / den/die Jugendliche/n da? oft übernehmen Kinder durch ihr Verhalten unbewusst die Aufgabe, die Eltern oder Familie in eine Beratungsstelle zu bringen Kann es eine Familiensitzung geben? Wie können wir als Eltern tun, um als Familie mehr miteinander in Kontakt zu kommen? Wie können wir uns mehr Zeit für unser Kind nehmen? Sollten wir eine Paarberatung machen?
14 Herangehensweise im Erstgespräch: Fragen nach dem Kind Wie lang ist die tatsächliche Dauer, die das Kind vorm PC, am Smartphone, vorm Fernseher o.ä. verbringt? Wie lange geht das Verhalten, seit wann hat es sich vermehrt? Welchen zeitlichen Zusammenhang zu einem anderen Ereignis (Schulwechsel, Trennung der Eltern, Tod eines Angehörigen, ) könnte es geben? Wird etwas vermieden? Welches Vermeidungsverhalten ist okay, welches schädigt? Wie häufig ist das Kind alleine? Wie selbstbewusst ist das Kind? Ist das Kind kontaktfreudig oder eher ängstlich? Was sagt die Schule? Welche anderen Hobbies hat das Kind? Wie regelmäßig geht es dem nach? Hat es Ideen? Wie können die Eltern das Kind unterstützen Hobbies nachzugehen?
15 mögliche Lösungen (A) Familiensitzung mit Kind/Jugendlichen darin kann mit der Familie z.b. das Aushandeln von Regeln oder Kommunikation geübt werden oft gibt es kein Verstehen zwischen Eltern und Kind/Jugendlichen als ob sie zwei Sprachen sprächen dann sind die Berater/-innen Übersetzer Wahrnehmung schärfen für den Prozess des Erwachsenwerdens z.b. durch Skalierung:
16 Skala: Verantwortung = Kleinkind, abhängig, auf Hilfe angewiesen 10 = Erwachsen, autonom, selbständig
17 1. Schritt: der/die Jugendliche schätzt sich ein Der/Die Jugendliche soll überlegen, was man als Erwachsener können sollte, welche Bereiche wichtig sind z.b. Mit Geld umgehen können, Bankgeschäfte, was kann ich selbst schon kaufen (z.b. Bekleidung) Körperhygiene Verantwortung übernehmen für den Bereich Schule Zeiteinteilung/Selbstorganisation/Pünktlichkeit Haushalt (welche Tätigkeiten kann ich, übernehme ich?) für jeden Bereich gibt er/sie sich einen Wert, der/die Berater/-in trägt es auf die Skala ein
18 2. Schritt: die Eltern schätzen den/die Jugendliche/n ein Nacheinander schätzen beide Elternteile ein, was sie denken, wo ihr Kind bzgl. der einzelnen Bereiche auf der Skala heute steht (der/die Berater/-in benutzt für den/die Jugendliche/n und für jedes Elternteil eine andere Farbe) Betonung: ist nur eine Momentaufnahme
19 3. Schritt: Vergleichen der Ergebnisse durch den/die Jugendliche oft sind die Jugendlichen überrascht, wie positiv ihre Eltern sie einschätzen oft schätzen sich Jugendliche schlechter ein als ihre Eltern die Berater/-innen versuchen wertzuschätzen, was an positiven Dingen gesehen wird
20 Diskussion Was muss passieren, damit Du z.b. im Bereich Zeiteinteilung oder im Bereich Verantwortung für den Bereich Schule von einer 4 auf eine 5 kommst? Wer kann was dafür tun? Was schaffst Du schon alleine, wo brauchst Du noch die Hilfe Deiner Eltern? Wo müssen die Eltern einen Schritt weitergehen und dem Kind / dem/der Jugendlichen mehr zutrauen, Aufgaben abgeben, sich weniger kümmern? Welche Verabredungen könnt Ihr miteinander treffen, einen Schritt auszuprobieren? Konkrete Probephase terminieren (mit Auswertungstermin in der EFB) evtl. Verabredungen auch für weitere Bereiche, damit der/die Jugendliche erlebt, dass ihm/ihr eine positive Entwicklung zugetraut wird
21 mögliche Lösungen (B) Einzelberatungen für das Kind / den/die Jugendliche/n kann sich aus einer Familiensitzung ergeben dieses Beratungssetting dient dem Kind es wird nicht an den Aufträgen der Eltern gearbeitet, sondern an den Themen des Kindes / des/der Jugendlichen evtl. ergibt sich aus der Einzelberatung wieder eine Familiensitzung oder eine Sitzung mit einem oder beiden Elternteilen
22 das Kind / der/die Jugendliche lässt sich nicht in die Beratung einbeziehen (bzw. den Eltern gelingt es nicht das Kind mitzubringen) die Eltern werden zunehmend hilflos sie haben es nicht geschafft, das Kind / den/die Jugendliche/n mitzubringen was nun?
23 Wer hat die Verantwortung für eine Veränderung? das Verhalten des Kindes/Jugendlichen macht für ihn/sie Sinn es stellt eine Lösung dar für die Situation, in der er/sie steckt oder er/sie hat einfach Spaß wenn die Eltern sich Sorgen machen, müssen sie etwas tun auch gegen den Widerstand des Kindes zu warten, bis das Kind irgendwann einmal endlich vernünftig wird, ist keine Option im Sinne der Eltern wird es voraussichtlich nicht vernünftig werden Eltern haben nicht nur ein Sorgerecht sondern auch die Sorgepflicht
24 Vorbildfunktion von Eltern Wie viel Zeit verbringen die Eltern selbst vor dem Fernseher oder PC? Wie entspannen die Eltern? Was machen die Eltern, wenn sie von der Arbeit kommen: setzen sie sich gleich an den Lohnsteuerjahresausgleich oder schalten sie erst einmal ab? Welche Hobbies pflegen die Eltern? Sind die Eltern nur mit Arbeit und Haushalt beschäftigt? Zeigt das Kind ihnen das es auch noch etwas anderes gibt?
25 mögliche Lösungen (C) Elterliche Präsenz Konzept nach Haim Omer, israelischer Familientherapeut Nach der Alten Autorität und der Antiautoritären Erziehung ein neuer Weg: die Neue Autorität knüpft an bei der Hilflosigkeit der Eltern sie fühlen sich an den Rand gedrängt, bestimmen nicht mehr, sind ohnmächtig angesichts des Verhaltens des Kindes Ziel: mit absolut gewaltlosen Mitteln wieder im Alltag des Kindes präsent werden
26 Elterliche Präsenz: Haltung Haltung des Gewaltlosen Widerstands -Entscheidung zu kämpfen, nicht nachzugeben Ich bin hier! Ich bin Dein Vater / Deine Mutter und werde es bleiben! Du kannst Dich nicht von mir scheiden lassen! Ich werde Dir nicht nachgeben, aber ich werde Dich auch nicht aufgeben! Ich kämpfe um Dich und um meine Beziehung zu Dir, nicht gegen Dich!
27 Elterliche Präsenz: Grundlagen Gewaltlosigkeit (keine Strafen, keine Drohungen, keine Schläge, keine Machtkämpfe) Beharrlichkeit Unterstützer suchen: Freunde/innen, Nachbarn/-innen, andere Eltern verzögerte Reaktion, Schweigen statt Diskussion, sich nicht hineinziehen lassen in die Eskalation ( das Eisen schmieden wenn es kalt ist ) Kind / Jugendliche/r wird in die Lösungssuche einbezogen von ihm/ihr werden Lösungsvorschläge erwartet (Ankündigung) Gesten der Versöhnung
28 Elterliche Präsenz: 2 Methoden Sit In (im Kinderzimmer) Präsenz an Orten des Kindes / des/der Jugendlichen (Nachgehen und Aufsuchen, Telefonrunde) Ziel nicht: die/der Jugendliche ändert sich Ziel: Ich fühle mich als Elternteil nicht mehr ohnmächtig, ich befreie mich aus der Isolation, ich tue etwas um meinem Kind zu helfen
29 Elterliche Präsenz: Methode 1 Ankündigung: wir akzeptieren Dein Verhalten nicht länger, wir machen uns Sorgen und werden etwas unternehmen, um Dir zu helfen und wir möchten, dass Du mit uns nach einer Lösung suchst Sit In: Eltern setzen sich für 1h ins Kinderzimmer (Unterstützer/- innen sind im Haus) Ansage: Wir möchten dass Du uns sagst, wie sich Deine Zeit am PC reduzieren lässt auf ein Maß, das genug Zeit für Schlaf und Hausaufgaben bleibt Schweigen nach 1h gehen Wdh. nach zwei, drei Tagen in der Zwischenzeit wird normal weitergelebt
30 Elterliche Präsenz: Methode 2 Präsenz zeigen: Eltern tauchen an den Orten auf, wo das Kind Medien konsumiert z.b. bei Freunden, bei denen das Kind spielt Eltern rufen die Freunde des Kindes an, wenn das Kind nicht nach Hause kommt und bitten diese, ihrem Kind Bescheid zu sagen, dass es nach Hause kommen soll Eltern rufen die Eltern von Freunden an Ziel nicht: Kind kommt sofort nach Hause sondern: wir sind präsent im Leben unseres Kindes und signalisieren: Du bist uns nicht egal!
31 Elterliche Präsenz es gibt noch weitere Methoden Eltern werden präsenter, irritieren damit dass Kind es wird reagieren die Eltern sind gestärkt weil sie etwas tun und weil sie Unterstützung haben auch die Berater/-innen können im Hintergrund unterstützen (z.b. telefonisch) Kinder/Jugendliche merken: es geht den Eltern um mich und unsere Beziehung Konzept auch auf Schule und Gemeinwesen übertragbar
32 Fazit Diagnosen haben auch immer etwas mit der Zeit zu tun, in der wir leben: es gibt Mode-Diagnosen (ADHS, Borderline, ) Vor neuen Medien wurde immer gewarnt Erinnerung an Das Verschwinden der Kindheit Neil Postman Sucht wird nicht von den Medien verursacht (und also muss man die Medien verteufeln), sondern es gibt immer einen Anteil Jugendlicher, die über Sucht Dinge kompensieren in der EFB landen wenig Eltern, deren Kinder tatsächlich als medienabhängig im Sinne einer Abhängigkeitserkrankung zu bezeichnen sind
33 Fazit hinter dem exzessiven Medienverhalten steht immer der Versuch einer Lösung (auf ein drängendes oder für unaushaltbar gehaltenes Problem oder Gefühl) Das gilt es zu ergründen: was wird kompensiert, wovor wird in eine virtuelle Welt geflohen, was soll an unaushaltbaren Gefühlen weggemacht werden unser Ansatz: bei den Eltern Verständnis für das Verhalten des Kindes zu wecken und sie zu befähigen, ihren Kinder Grenzen zu setzen und sie gut zu begleiten Eltern sind gehalten, den Kontakt zu ihren Kindern wider allen pubertierenden Verhaltens zu halten, sich nicht allzu sehr beeindrucken zu lassen vom Abwehrverhalten und das Kind nicht aufzugeben oder fallenzulassen
34 zum Weiterlesen Haim Omer / Arist von Schlippe: Autorität durch Beziehung Stärke statt Macht Autorität ohne Gewalt Arist von Schlippe / Michael Grabbe Werkstattbuch Elterncoaching
35 ENDE vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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