Technische Mechanik für Wirtschaftsingenieure

Transkript

1 Technische Mechanik für Wirtschaftsingenieure Bearbeitet von Ulrich Gabbert, Ingo Raecke 3., aktualisierte und erweiterte Auflage Buch. 324 S. Hardcover ISBN Format (B x L): 16,2 x 22,8 cm Gewicht: 575 g Weitere Fachgebiete > Technik > Werkstoffkunde, Mechanische Technologie Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, ebooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.

2 Technische Mechanik für Wirtschaftsingenieure Ulrich Gabbert, Ingo Raecke ISBN Leseprobe Weitere Informationen oder Bestellungen unter sowie im Buchhandel

3 2 Festigkeitslehre Ziel der Festigkeitslehre Im Kapitel 1 Statik wurden mechanische Systeme im Zustand der Ruhe und unter der Annahme starrer (undeformierbarer) Körper untersucht. Mit Hilfe des Schnittprinzips konnten so Lager- und Gelenkreaktionen sowie resultierende innere Belastungen (Schnittgrößen) berechnet werden. Da in der Realität die Körper aber deformierbar sind, kommt es zu Körperverformungen und zu inneren Beanspruchungen, den so genannten Spannungen (auf ein Flächenelement bezogene Kräfte). Mit der Berechnung dieser Verformungen und Spannungen wollen wir uns in der Festigkeitslehre beschäftigen. Das Ziel der Festigkeitslehre kann somit wie folgt zusammengefasst werden: In der Festigkeitslehre werden innere Beanspruchungen (Spannungen) und Verformungen von Körpern berechnet, um damit die Eignung des Körpers (Tragwerkes) hinsichtlich der Festigkeit, Steifigkeit, Stabilität, Dauerfestigkeit usw. für den gedachten praktischen Einsatz einschätzen zu können. 2.1 Grundlagen der Festigkeitslehre Einleitung Die in der Statik getroffene Annahme eines starren Körpers, muss in der Festigkeitslehre durch die Annahme eines deformierbaren Körpers ersetzt werden (Bild 2.1). Statik Festigkeitslehre starr deformierbar Bild 2.1 Starrer und deformierbarer Körper unter der Wirkung von Kräften

4 116 2 Festigkeitslehre Aus den in der Statik ermittelten Lagerreaktionen und Schnittgrößen allein lassen sich noch keine Aussagen über die Beanspruchungen bzw. die Verformungen eines Körpers, Tragwerks oder einer Konstruktion ableiten. Erst durch das Einführen geeigneter Beanspruchungsgrößen (Spannungen) und Deformationsgrößen (Verschiebungen bzw. Dehnungen und Gleitungen die so genannten Verzerrungen) sowie deren Verknüpfung mit in der Regel experimentell gewonnenen Materialkenngrößen über ein Materialgesetz (auch als Stoffgesetz bezeichnet) lassen sich die Beanspruchungen und Verformungen ermitteln. Beachte: Durch die Annahme eines deformierbaren Körpers wird jetzt auch die Berechnung statisch unbestimmter Probleme möglich. Ausgehend von den Zielen der Festigkeitslehre lassen sich folgende typischen Grundaufgaben formulieren, wobei wir annehmen wollen, dass die Materialeigenschaften (in der Regel aus Experimenten in der Werkstofftechnik ermittelt) bekannt sind. 1. Festigkeitsnachweis (Spannungsnachweis): Gegeben: Geometrie, Material und Belastung Nachweis: Die Spannungen im Bauteil müssen kleiner sein als die für das Material zulässigen Spannungen, die aus experimentellen Untersuchungen bestimmt werden. 2. Steifigkeitsnachweis (Verformungsnachweis): Gegeben: Geometrie, Material und Belastung Nachweis: Die Verformungen des Bauteils müssen kleiner sein als die zulässigen Verformungen. 3. Dimensionierung: bezüglich Festigkeit: Die Geometriefestlegung erfolgt so, dass die maximalen Spannungen im Bauteil kleiner werden als die zulässigen Spannungen. bezüglich Steifigkeit: Die Geometriefestlegung erfolgt so, dass die Verformungen an jeder Stelle des Bauteils kleiner werden als die zulässigen Verformungen.

5 2.1 Grundlagen der Festigkeitslehre Belastbarkeitsrechnung: bezüglich Festigkeit: Die Berechnung der maximalen äußeren Belastung erfolgt so, dass die zulässigen Spannungen an keiner Stelle des Bauteils überschritten werden. bezüglich Steifigkeit: Die Berechnung der maximalen äußeren Belastung erfolgt so, dass die zulässigen Verformungen an keiner Stelle des Bauteils überschritten werden. Hinweis: Häufig müssen die Grundaufgaben 1. bis 4. kombiniert durchgeführt werden! Allgemeine Annahmen Zur Lösung der oben aufgeführten Grundaufgaben werden im Rahmen dieses Lehrbuches folgende Annahmen eingeführt, die für viele Standardaufgaben der Ingenieurpraxis zu ausreichend genauen Ergebnissen führen: Die Verformungen sind klein. Gleichgewicht kann am unverformten System aufgestellt werden (Theorie 1. Ordnung). Ausnahme: Stabilitätsuntersuchungen; dort wird das Gleichgewicht am verformten System aufgeschrieben (siehe Kapitel 2.8) Die Verformungen gehen bei Wegnahme der Belastungen wieder vollständig zurück. ideal elastisches Materialverhalten Die Verformungen und Spannungen sind linear voneinander abhängig. lineares Materialverhalten Das Material ist homogen (d. h. an jeder Stelle gelten die gleichen Materialeigenschaften) und isotrop (Materialeigenschaften sind unabhängig von der Richtung). Weiterhin werden wir vorzugsweise Bauteile bzw. Systeme betrachten, bei denen die Längenabmessungen wesentlich größer als die Querschnittsabmessungen sind (Stab- und Balkensysteme). In Verbindung mit diesen Annahmen stellt sich folgende Frage.

6 118 2 Festigkeitslehre Frage: Wie groß sind kleine Verformungen? Wann sind die Längenabmessungen wesentlich größer als die Querschnittsabmessungen? Diese Frage soll mit Hilfe der Beispiele im Bild 2.2 beantwortet werden. 10 cm 2 m (groß!) 10 cm 10 cm 20 cm (klein!) 10 cm 20 cm (groß!) 100 m 1 m 20 cm (klein!) Bild 2.2 Maßverhältnisse ( groß, klein ) von Bauteilen Die Angaben klein bzw. groß an einigen Maßen in Bild 2.2 sind also jeweils in Relation zu den anderen Hauptabmessungen des Bauteils zu sehen! Antwort: Absolute Werte für die Größe von kleinen Verformungen und für Längenabmessungen, die wesentlich größer als die Querschnittsabmessungen sind, können nicht angegeben werden! Empfehlungen bzw. Richtwerte sind von der Bauteilgeometrie und den Anforderungen an die Genauigkeit der Ergebnisse abhängig. 1 In Abhängigkeit von der äußeren Belastung tretenden in den Bauteilen typische Beanspruchungen und Verformungen auf. Eine Auswahl der technisch wichtigsten Beanspruchungsarten, die wir im weiteren näher untersuchen wollen, werden nachfolgend kurz vorgestellt. 1 Falls diese und die weiter oben angeführten Annahmen nicht erfüllt sind, kommen erweiterte Theorien zur Anwendung, z. B.: Theorie 2. und 3. Ordnung (für Stabilitätsuntersuchungen und für große Verformungen); Theorie für nichtlineares Materialverhalten (Plastizitätstheorie, Viskoelastizitätstheorie usw.); Theorien bzw. Berechnungsverfahren für Scheiben, Platten, Schalen usw.

7 2.1 Grundlagen der Festigkeitslehre 119 Beanspruchungsarten Zug/Druck F L Ursache: Längskraft F L Typische Verformung: Längsdehnung (konstant über die Querschnittsfläche) F L Verlängerung/Verkürzung Reine Biegung M bx Ursache: Biegemomente M bx, M by Typische Verformung: Längsdehnung (linear veränderlich über den Querschnitt in y-richtung bei einer Belastung durch M bx (siehe Bild rechts) bzw. in x-richtung bei einer Belastung durch M by ) y M bx x z Biegung der Längsachse z um die x- bzw. y-achse ϕ Torsion ϕ Ursache: Torsionsmoment M t Typische Verformung: Gleitung in der Querschnittsebene M t M t Verdrehung der Querschnitte um die Längsachse Stabilität (Knicken) Ursache: Kritische Druckkraft F K Typische Verformung: plötzliches Ausknicken beim Erreichen der kritischen Last F K F K Biegung (Knickung) der Längsachse F < F K Bild 2.3 Beanspruchungsarten mit typischen Verformungen (von oben): Zug/Druck, reine Biegung, Torsion, Stabilität

8 120 2 Festigkeitslehre Querkraftschub bei Biegung (vgl. Beispiel 2.12, Seite 173) Ursache: Querkräfte F Qx, F Qy Typische Verformung: Gleitungen der Querschnittsebenen (vgl. Bild 2.59, Seite 174) Gleitungen überlagert mit Biegung der Längsachse Hinweis: Reine Querkraftschubbeanspruchung kommt praktisch kaum vor. Sie ist in der Regel an eine Biegebeanspruchung gekoppelt (vgl. Bild 2.4). Die Beanspruchungen (Spannungen und Verformungen) infolge des Querkraftschubs können bei Balken mit großer Länge gegenüber den Querschnittsabmessungen in der Regel vernachlässigt werden, da sie im Vergleich zu den Biegebeanspruchungen klein sind. Scherbeanspruchung x y Verformungsanteil aus der Biegung z zusätzlicher Verformungsanteil aus Querkraftschub (meist gering!) Bild 2.4 Verformung infolge Querkraftschub (mit Biegeanteilen) Ursache: Dicht (theoretisch unendlich dicht) nebeneinander liegende entgegengesetzt gerichtete parallele Kräfte( Bild 2.5 oben). klein! Typische Verformung: Sehr große Gleitungen in der Querschnittsebene Gefahr der Zerstörung durch Abscheren Flächenpressung Ursache: Druckbelastung an einer ebenen oder gekrümmten Fläche (z. B. zwischen Niet und Blech an der gemeinsamen Kontaktfläche; vgl. Bild 2.5 unten). Gefahr der Oberflächenschädigung (insbesondere bei einer Relativbewegung der Kontaktflächen, siehe Kapitel 1.9) Resultierende aus Flächenpressung (Blech - Niet) Flächenpressung im Blech infolge der Belastung durch den Niet Bild 2.5 Scherbeanspruchung (oben), Flächenpressung zwischen Niet und Blech (unten)