Bildung und Geschlecht in Österreich aktuelles Datenmaterial
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- Monica Richter
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1 Bildung und Geschlecht in Österreich aktuelles Datenmaterial Johann Bacher Johannes Kepler Universität Linz Angelika Paseka PH Wien & Universität Linz Linz/Wien
2 1. Die Debatte um die Buben 2. Bildungsbeteiligung nach Geschlecht: österreichische Daten und internationaler Vergleich 3. Ursachen für die geringere Bildungsbeteiligungen von Buben: Thesen und internationale Befunde 4. Benachteiligung von Buben als Thema der Genderpolitik 5. Offene Fragen an die Forschung, die Bildungspolitik und einfach zum Nachdenken 2
3 1. Die Debatte um die Buben SCHLAUE MÄDCHEN, DUMME JUNGEN Sieger und Verlierer in der Schule Schüler im Klassenraum: Den Mädels deutlich unterlegen SPIEGEL THEMA: Montag, DER SPIEGEL 24/07 Die Alpha- Mädchen Wie eine neue Generation von Frauen die Männer überholt Gleichberechtigung Jungs sind die Verlierer Jungen gewinnen höchstens noch beim Fußball auf dem Pausenhof. Im Klassenzimmer punkten die Mädchen. Männliches Rollenverhalten ist ein Auslaufmodell, signalisiert das Familienministerium. FOCUS vom
4 2. Bildungsbeteiligung nach Geschlecht: Daten aus Österreich geringe Geschlechterunterschiede nach dem Übergang in die Sekundarstufe I deutliche Geschlechterunterschiede vor und insbesondere nach dem Übergang in die Sekundarstufe II durchgehend höhere Anteile von Buben in der Allgemeinen Sonderschule geringere Maturaquote von Burschen aber nach wie vor auch kürzere Ausbildungsdauern bei Mädchen und zunehmende horizontale Segregation 4
5 Abbildung 1: Entwicklung der Burschenanteile auf der 5. Schulstufe 100,0 90,0 80,0 70,0 60,0 50,0 40,0 30,0 20,0 10,0 0,0 1980/ / / / / / / / / / / /03 Burschenanteil (in %) 2004/05*) SoSch HS gesam t AHS Quellen: Statistik Austria, ISIS-Datenbank, Statistisches Taschenbuch des BMBWK; Berechnungen des öibf, *) vorläufige Zahlen, Schulen mit eigenem Organisationsstatut (die keine gesetzlich geregelte Schulartbezeichnung führen) sind nicht inkludiert 5
6 Abbildung 2: Entwicklung der Burschenanteile auf der 9. Schulstufe 100,0 90,0 80,0 70,0 60,0 50,0 40,0 30,0 20,0 10,0 0,0 1980/ / / / / / / / / /99 Burschenanteil (in %) 2000/ / /05*) SoSch Poly AHS BMS BHS gesamt hlue**) Quellen: Statistik Austria, ISIS-Datenbank, Statistisches Taschenbuch des BMBWK; Berechnungen des öibf 6
7 Abbildung 3: Entwicklung der Burschenanteile auf der 10. Schulstufe 100,0 90,0 80,0 70,0 60,0 50,0 40,0 30,0 20,0 10,0 0,0 1980/ / / / / / / / / /99 Burschenanteil (in %) 2000/ / /05*) BPS AHS BMS BHS gesamt hlue**) mlue***) Quellen: Statistik Austria, ISIS-Datenbank, Schulwesen in Österreich, Statistisches Taschenbuch des BMBWK; Berechnungen des öibf 7
8 Tabelle 1: Geschlechterproportion und Segregationstendenzen bei Maturant/inn/en Strukturkennzahl (*) 2006(*) Anzahl gesamt Anteil Mädchen in % 38,0 49,3 52,6 56,3 56,7 55,3 Segregationsindex in % 26,5 28,2 30,6 30,7 34,1 35,5 Quellen: BMBWK (2007), BMBWK (2002a) 8
9 Buben sind insofern benachteiligt, als dass sie weniger häufig eine maturaführende Schule besuchen. Umgekehrt verbleiben sie aber länger im Schulsystem, während Mädchen häufiger nach der Pflichtschulzeit die Schule beenden oder nur kurze Ausbildungen absolvieren. Von einer allgemeinen Benachteiligung kann somit nicht gesprochen werden. Hinzukommen horizontale Unterschiede innerhalb einer Bildungsstufe. Mädchen besuchen häufiger einen Ausbildungsgang mit geringerem Prestige und geringeren Karrieremöglichkeiten. Bacher, Beham & Lachmayr 2008: 149 9
10 Befunde aus Deutschland und England geben ein sehr ähnliches Bild Ergebnisse der internationalen Bildungsforschung (PIRLS, PISA) Mädchen durchgehend im Lesen besser, Burschen (fast) durchgehend in Mathematik Differenzen in der frühen Schullaufbahn gering, nehmen dann zu Große Differenzen innerhalb der Geschlechter Deutliche Unterschiede zwischen den Ländern (z.b. UK geringe Differenzen) Ungleichheiten nach sozialer Herkunft und Migrationshintergrund größer 10
11 Durchschnittliche Korrelationen der Testleistungen in PISA2006 mit sozialstrukturellen Merkmalen Korrelation von mit MATH READ TOP RISK BERUF 0,331 0,321 0,232-0,248 BURSCHEN MIGRA 0,075-0,191 0,026 0,057-0,145-0,138-0,065 0,133 Belgien (BEL), Dänemark (DNK), Deutschland (GER), Griechenland (GRE), Großbritannien (UK), Irland (IRL), Italien (ITA), Lettland (LVA), Luxemburg (LUX), Niederlande (NLD), Norwegen (NOR), Österreich (AUT), Portugal (POR), Schweden (SWE), Schweiz (SUI), Tschechische Republik (CZE). 11
12 3. Ursachen der Geschlechterunterschiede: Befunde aus Österreich 12
13 Ergebnisse Hypothesen Eltern sehen für Söhne mehr alternative Karrieremöglichkeiten. / Buben sehen für sich mehr alternative Karrieremöglichkeiten. An Buben werden geringere Leistungsanforderungen gestellt bzw. Buben stellen an sich geringere Leistungsanforderungen. Buben erbringen schlechtere Schulleistungen. Ergebnis zutreffend, aber nicht entscheidungswirksam nicht zutreffend durchgehend bestätigt, vor dem Übergang in die Sekundarstufe II differenzieller Wirkungszusammenhang 13
14 Buben in weiblichen Alleinerzieherhaushalten erbringen schlechtere Schulleistungen. Buben mit Vätern, die sich für Schulangelegenheiten interessieren und Verantwortung übernehmen, erbringen bessere Schulleistungen. Für das Geschlecht bestehen differenzielle Wirkungszusammenhänge (z.b. soziale Schicht wirkt bei Buben stärker (Phönix/Frosh,2005)). nein, aber differentieller Wirkungszusammenhang für vorausgehenden / aktuellen Schulbesuch in Sek. I / II ja, insgesamt aber wenige gefunden 14
15 Weitere differenzielle Wirkungszusammenhänge: Schulnoten Geschlecht des Kindes Geschlecht Lehrkraft Familienform Geschlecht Schulbesuch Burschen erzielen bei männlichen Lehrkräften in der Sekundarstufe I schlechtere Noten Burschen in weiblichen Alleinerzieherinnenhaushalten verlassen häufiger die AHS- Unterstufe Soziale Schicht wirkt bei Burschen stärker Soziale Schicht Geschlecht Schulbesuch Alter Geschlecht Schulnoten Notenunterschiede nach Geschlecht in der Volksschule bei jüngeren Kindern größer Beispiel für Zusammenhangsmuster siehe Anhang 15
16 Zwischenfazit und -fragen: Erfasste außerschulische Faktoren nur geringe Relevanz möglicherweise bessere Erfassung erforderlich: Rollenbilder, Freizeitverhalten Zusatzmodul in PISA 2009 Geschlechterunterschiede treten primär in der Sekundarstufe I auf entwicklungsbezogener Zusammenhang Identitäts- und Statussuche Geschlecht der Lehrkraft möglicherweise in der Sekundarstufe I relevant, in der VS keine Relevanz gefunden. 16
17 3. Ursachen der Geschlechterunterschiede: Thesen und internationale Befunde These 1: Buben haben ein niedriges Selbstkonzept und dies führt zu schlechteren Noten. Buben haben ein höheres Selbstkonzept als Mädchen und trotzdem schlechtere Noten. Das Selbstkonzept der Mädchen ist niedriger als es ihre Noten erwarten ließen. Generelle kognitive und emotionale Selbstbilder haben keinen Einfluss auf die Schulleistung. ABER: Hinweise, dass fachspezifische Selbstkonzepte, vor allem in Mathematik und den Naturwissenschaften, mit der Schulleistung korrelieren. 17
18 These 2: Durch die Feminisierung der Lehr- und Erziehungsberufe ist eine feminine schulische Subkultur (Kuhn 2008) entstanden. Lehrerinnen nehmen Buben besonders stereotyp wahr und fördern sie nicht entsprechend ihren Fähigkeiten. Zur weiblichen Pädagogik : keine systematischen Untersuchungen Zu stereotypen Annahmen von Lehrpersonen: Sowohl Lehrerinnen als auch Lehrer haben stereotype Annahmen über Buben, aber auch über Mädchen. Jungen sind nicht so gut bei all den schriftlichen Sachen, aber alle Arten naturwissenschaftlicher Aufgaben bewältigen sie viel besser als Mädchen. Jungen präsentieren eine originellere Arbeit, während Mädchen Sätze aus dem Lehrbuch übernehmen, mehr schreiben, eine größere Sorgfalt an den Tag legen (Lehrer, zit.n. Warrington & Younger 2000). Es gibt aber auch Lehrerinnen und Lehrer, die vielfältige Differenzierungen erkennen und anerkennen. 18
19 These 3: Buben werden beim Übergang von der Volksschule in die Sekundarstufe I benachteiligt. Buben erhalten zwar im Durchschnitt eine niedrigere Schullaufbahnempfehlung nach der Grundschule ausgesprochen, für Österreich ist dieses Ergebnis jedoch statistisch nicht signifikant. Deutschland: Studie LAU 5 (Aspekte der Lernausgangslage & Lernentwicklung) Von einer Benachteiligung kann jedenfalls nicht die Rede sein, und zwar auch dann nicht, wenn man weitere denkbare Einflüsse in die statistische Analyse einbezieht. Allenfalls gelingt es, den Effekt über die mädchenfreundlichere Notengebung und schulkonformere Einstellungen der Mädchen statistisch zu erklären (Lehmann, Peck & Gänsfuß 1997). 19
20 These 4: Buben haben einen anderen Lernstil als Mädchen und dieser wird in der Schule nicht berücksichtigt. Untersuchung von Jo Boaler (1997, 1998) zu Lernbedingungen im Mathematikunterricht (England) Ergebnis: TENDENZIELL gilt: Buben bevorzugen einen lehrgangsorientierten Unterricht und Mädchen einen projektorientierten Unterricht. ABER: Das gilt nicht für alle Buben und alle Mädchen!!! Es gibt unterschiedliche Gruppen von Schülern und Schülerinnen. Schlechte Leistungen lassen sich z.t. dadurch erklären, dass der Lernstil nicht mit dem Unterrichtskonzept übereinstimmt. These muss daher geändert werden in: Manche Buben haben einen anderen Lernstil als manche Mädchen. 20
21 These 5: Schuladaptives und schulfreundliches Verhalten passt nicht zum Bild von Männlichkeit, das Buben in der peer group entwickeln und zeigen (müssen). Es gibt nicht nur eine Form von Männlichkeit! Männlichkeitsbilder müssen in ihrer Verschränkung mit sozialer Schicht, ethnischer Zugehörigkeit und strukturellen bzw. regionalen Besonderheiten (z.b. Wohnsituation, Arbeitslosigkeit) analysiert werden. Connell (Australien, 1999): hegemoniale, komplizenhafte, marginalisierte und untergeordnete Männlichkeit Untersuchung von Budde über Jungen in der Adoleszenz (Deutschland, 2005) Mac an Ghaill & Redman (England, 1994, 1997): Macho lads, Academic achievers, New enterprisers, Real englishmen, Muscular intellectualness. Michalek & Fuhr, Thomas (Deutschland, 2008): Jungen zeigen sich gegenseitig, was es bedeutet, ein Junge zu sein. Ein weites Spektrum möglicher Formen von Jungensein ist zulässig. 21
22 4. Bubenbenachteiligung als Thema der Genderpolitik Paradigmenwechsel erkennbar: von der Mädchenförderung hin zu geschlechtssensiblem oder geschlechtergerechtem Unterricht, allerdings unterschiedliche Gewichtungen. Initiativen Broschüren und Materialien Projekte und Programme GeKoS Genderdays IMST Berufsorientierung Allgemeine Einschätzung 22
23 5. Offene Fragen an Bildungsverwaltung, Schulen und Lehrer/innenbildung Basis für pädagogische Konzepte: Differenzfähigkeit und Reflexionsfähigkeit als wesentliche Aspekt von Lehrer/innen-Professionalität Gender Mainstreaming Blick auf die Kategorie Geschlecht und damit auf Buben und Mädchen. Forderung nach einer geschlechtergerechten oder geschlechtersensiblen Schule ohne normativ fertige Bilder zu präsentieren Gefahr von Essentialisierungen durch Jungenpädagogik oder Mädchenpädagogik 23
24 5. Offene Fragen und einfach zum Nachdenken Debatte um die underachieving boys, die armen Jungs oder die männlichen Bildungsverlierer darf den Blick nicht verstellen,... darauf, dass on the long term Mädchen die Verliererinnen sind wenn sich der Blick auf den Arbeitsmarkt und die finanzielle Situation erweitert,... darauf, dass Buben nicht gegen die Mädchen ausgespielt werden dürfen,... darauf, dass die Probleme mancher Buben oder Jungs bzw. der Männer auf strukturelle und gesellschaftliche Probleme hinweisen. 24
25 Anhang: Einflussfaktoren auf den Übergang in eine maturaführende Schule am Ende der Sekundarstufe I entnommen aus: Bacher / Beham / Lachmayr (2008: 120) 25
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