Fall 2 Klosterplatz. Themen dieser Übung. lic. iur. Arlette Meienberger
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- Justus Rothbauer
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1 Fall 2 Klosterplatz Übungen im Öffentlichen Recht I FS 2016 Gruppe A-C und N-P lic. iur. Arlette Meienberger arlette.meienberger@rwi.uzh.ch Seite 1 Themen dieser Übung Zum Vorgehen bei einer Falllösung im öffentlichen Recht Prüfung, ob ein Grundrecht tangiert wird Prüfung der Voraussetzungen für eine Grundrechtseinschränkung Seite 2
2 Sachverhalt Parteien: VTS und Bezirksammann Bewilligung zur Demonstration auf dem Klosterplatz wird verweigert mit folgenden Argumenten: Besondere Zweckbestimmung des Platzes Polizeiliche Erwägungen Kloster Einsiedeln nur indirekt betroffen Keine ausdrückliche gesetzliche Grundlage Kantonale Instanzen bestätigen Entscheid, Beschwerde in öffentlichrechtlichen Angelegenheiten ans BGer Seite 3 «Prüfschema» I für Grundrechtseingriffe 1. Zuständigkeit der erlassenden Behörde? 2. Grundrecht tangiert? ( Wahl des Grundrechts / Konkurrenzen) persönlicher Schutzbereich sachlicher Schutzbereich Zwischenfazit: Welche Grundrechte sind betroffen/tangiert? 3. Grundrecht verletzt? ( Frage, ob eine Einschränkung i.c. zulässig ist) 4. Voraussetzungen für die Einschränkung von Grundrechten gesetzliche Grundlage öffentliches Interesse und Schutz von Grundrechten Dritter Verhältnismässigkeit (Eignung, Erforderlichkeit, Zumutbarkeit) 5. Kerngehalt Übungen Öffentliches Recht I, MLaw Michael E. Meier Seite 4
3 «Prüfschema» II für Grundrechtseingriffe Art. 36 Einschränkungen von Grundrechten 1 Einschränkungen von Grundrechten bedürfen einer gesetzlichen Grundlage. Schwerwiegende Einschränkungen müssen im Gesetz selbst vorgesehen sein. Ausgenommen sind Fälle ernster, unmittelbarer und nicht anders abwendbarer Gefahr. 2 Einschränkungen von Grundrechten müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein. 3 Einschränkungen von Grundrechten müssen verhältnismässig sein. 4 Der Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbar Übungen Öffentliches Recht I, MLaw Michael E. Meier Seite 5 Frage 1 Welche Grundrechte sind im vorliegenden Fall betroffen? Seite 6
4 «Prüfschema» I für Grundrechtseingriffe 2. Grundrecht tangiert? ( Wahl des Grundrechts / Konkurrenzen) persönlicher Schutzbereich sachlicher Schutzbereich Zwischenfazit: Welche Grundrechte sind betroffen/tangiert? Übungen Öffentliches Recht I, MLaw Michael E. Meier Seite 7 Auswahlmöglichkeiten Art. 22 Versammlungsfreiheit 1 Die Versammlungsfreiheit ist gewährleistet. 2 Jede Person hat das Recht, Versammlungen zu organisieren, an Versammlungen teilzunehmen oder Versammlungen fernzubleiben. Art. 16 Meinungs- und Informationsfreiheit 1 Die Meinungs- und Informationsfreiheit ist gewährleistet. 2 Jede Person hat das Recht, ihre Meinung frei zu bilden und sie ungehindert zu äussern und zu verbreiten. 3 Jede Person hat das Recht, Informationen frei zu empfangen, aus allgemein zugänglichen Quellen zu beschaffen und zu verbreiten Übungen Öffentliches Recht I, MLaw Michael E. Meier Seite 8
5 Art. 22 BV Versammlungsfreiheit (vgl. auch Art. 11 EMRK, Art. 21 UNO-Pakt II ) 1.) Persönlicher Schutzbereich Geschützt sind Versammlungen von Menschen = nat. Personen Auch juristische Personen als Grundrechtsträger 2.) Sachlicher Schutzbereich Minimale Organisation (tiefe Anforderungen) Kommunikativer Zweck (in sehr weitem Sinn) mehrere Personen (min. 2) Nur Versammlungen mit friedlichem Zweck geschützt Bezirksammann befürchtet «Auseinandersetzungen»? (Nur, wenn Veranstaltung als Ganzes einen unfriedlichen Zweck verfolgt) Abwehranspruch! Positive Leistungspflicht des Staates? Bedingter Anspruch auf Benutzung des öffentlichen Grundes Übungen Öffentliches Recht I, MLaw Michael E. Meier Seite 9 Art. 16 BV Meinungsfreiheit (vgl. auch Art. 10 EMRK und Art. 19 UNO-Pakt II) 1.) Persönlicher Schutzbereich Natürliche und juristische Personen 2.) Sachlicher Schutzbereich Weiter Begriff der Meinung (auch Tatsachendarstellungen) Meinung äussern und verbreiten (Abs. 2) Freie Wahl der Kommunikationsform und mittel Z.B. Wort, Schrift, Bild, Tanz, Tragen von Symbolen, Fahnen, nonverbale Kommunikation wie Hungerstreik oder Sitzblockaden sofern damit dem Zielpublikum eine Meinung überbracht wird. Positive Leistungspflicht? Bedingter Anspruch auf Benützung des öffentlichen Grundes Übungen Öffentliches Recht I, MLaw Michael E. Meier Seite 10
6 Konkurrenz der betroffenen Grundrechte BGer anerkennt keine eigentliche «Demonstrationsfreiheit» Demonstrationen sind Versammlungen mit Appellfunktion Sie sind daher sowohl durch die Versammlungsfreiheit als auch die Meinungsfreiheit geschützt Die beiden Grundrechte werden daher nachfolgend gemeinsam geprüft. Seite 11 Subsumtion des Sachverhalts unter Schutzbereiche VTS ist ein Verein (Sachverhalt), damit vom persönlichen Schutzbereich erfasst und Träger beider Grundrechte Die Kundgebung soll darauf aufmerksam machen, dass im Kloster Fahr nach Meinung des VTS die Tiere in unzulänglicher Weise gehalten werden. Diese Art der Meinungsäusserung ist sowohl vom sachlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit wie auch der Versammlungsfreiheit erfasst und damit geschützt. Seite 12
7 Kleiner Exkurs: Bewilligungspflicht? Wie ist die Bewilligungspflicht mit der Grundrechtsausübung zu vereinbaren? Warum braucht es überhaupt eine Bewilligung für eine Kundgebung? Seite 13 gesteigerter Gemeingebrauch Demonstrationen auf öffentlichem Grund zeichnen sich aus durch ihre Appellwirkung und die Inanspruchnahme räumlich ausgedehnter Gebiete. Diese qualifizierte Nutzung des öffentlichen Raumes (gesteigerter Gemeingebrauch) ist nicht mehr gemeinverträglich und/oder bestimmungsgemäss, da die gleichzeitige Mitbenutzung durch Dritte erheblich behindert wird. Dies rechtfertigt die Bewilligungspflicht, da die Behörden die verschiedenen Nutzungsinteressen koordinieren und allenfalls priorisieren müssen. Die Bewilligungspflicht ermöglicht den Behörden, bei einer Nutzung des öffentlichen Grundes, die über dem gemeinverträglichen Mass liegt, die verschiedenen Nutzungsinteressen zu koordinieren. Zudem liegt die Bewilligungspflicht auch im Interesse einer vorhersehbaren und rechtsgleichen Verwaltungspraxis (BGE 121 I 279 E. 2b). Das öffentliche Interesse in Bezug auf die Bewilligungspflicht ist gegeben. Seite 14
8 Frage 2 Wie beurteilen Sie das Argument des Bezirksammans, das Kloster Einsiedeln sei vom Zweck der Kundgebung nur indirekt betroffen? Seite 15 Zweck der Kundgebung Bezirksammann macht geltend, die Demonstration richte sich gegen das Kloster Fahr und nur indirekt gegen das Kloster Einsiedeln Was sagen Sie zu diesem Argument? Einschränkungen von Grundrechten müssen im öffentlichen Interesse liegen und die Behörden müssen die verschiedenen Interessen gegeneinander abwägen Keine Rolle kann spielen, ob die verbreiteten Meinungen der Behörde wertvoll erscheinen Es ist allein an den Veranstaltern zu entscheiden welches Anliegen sie wo vertreten wollen Seite 16
9 Frage 3 Handelten die Schwyzer Behörden im Übrigen in Übereinstimmung mit der BV? Seite 17 «Prüfschema» I für Grundrechtseingriffe 3. Grundrecht verletzt? ( Frage, ob eine Einschränkung i.c. zulässig ist) 4. Voraussetzungen für die Einschränkung von Grundrechten gesetzliche Grundlage öffentliches Interesse und Schutz von Grundrechten Dritter Verhältnismässigkeit (Eignung, Verhältnismässigkeit i.e.s., Zumutbarkeit) 5. Kerngehalt Übungen Öffentliches Recht I, MLaw Michael E. Meier Seite 18
10 Einschränkungen von Grundrechten (Art. 36 BV) Gesetzliche Grundlage (Abs. 1) Öffentliches Interesse/Schutz Grundrechte Dritter (Abs. 2) Verhältnismässigkeit (Abs. 3) Kerngehalt (hier nicht tangiert) (Abs. 4) Seite 19 Gesetzliche Grundlage Erfordernis des Rechtssatzes: Generell-abstrakte Norm (Verordnung, Gesetz, Verfassung), bezieht sich auf offenen und unbestimmten Adressatenkreis, regelt unbestimmte Vielzahl von Fällen Genügende Normdichte: Genügend bestimmt, sodass der Einzelne sein Verhalten danach ausrichten kann Erfordernis der Gesetzesnorm: Schwerwiegende Eingriffe verlangen eine Norm in einem Gesetz im formellen Sinn. Problem im vorliegenden Fall: gestützt auf langjährige Praxis werden keine politischen Kundgebungen bewilligt Entscheid stützt sich auf keinen Rechtssatz, sondern auf eine behördliche Praxis Relativierungen der Voraussetzung einer gesetzlichen Grundlage? Seite 20
11 Abweichungen vom Erfordernis der gesetzlichen Grundlage Ausübung der Grundrechte auf öffentlichen Strassen und Plätzen Nach bisheriger Praxis des BGer ist für die Einschränkung von gesteigertem Gemeingebrauch an öffentlichen Strassen und Plätzen keine gesetzliche Grundlage nötig Sachherrschaft des Gemeinwesens ersetzt die gesetzliche Grundlage Wird als gewohnheitsrechtliche Grundlage betrachtet Herrschende Lehre fordert zumindest eine generell-abstrakte Norm, BGer hat die Frage zuletzt offengelassen (BGE 135 I 302, E. 3.2) Abnehmende Relevanz der gewohnheitsrechtlichen Grundlage (z.b. für Zürich: Art. 13 APV) Polizeiliche Generalklausel (vgl. Art. 36 Abs. 1 Satz 3) Ernste, unmittelbare, nicht anders abwendbare Gefahr Seite 21 Öffentliches Interesse/Grundrechte Dritter Schutz der Polizeigüter Z.B. Öffentliche Ordnung, Sicherheit, Gesundheit Weitere öffentliche Interessen Z.B. soziale, kulturelle, ökologische, wissenschaftliche Interessen Schutz von Grundrechten Dritter Demonstrationen zielen auf eine möglichst grosse Publizitätswirkung. Sie werden in der Regel auch grundrechtlich geschützte Positionen der Nichtdemonstranten tangieren. Dies liegt besonders nahe, wenn der konkrete Verdacht auf Gewaltakte vorliegt. So können z. B. Anwohner, Fussgänger und Fahrradfahrer in ihrer persönlichen Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) sowie Geschäftsinhaber in der Wirtschaftsfreiheit (Art. 27 BV) und Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) berührt sein. Koordination ist Aufgabe des Gesetzgebers und der rechtsanwendenden Behörden Seite 22
12 Öffentliches Interesse/Grundrechte Dritter Welche öffentlichen Interessen sind im vorliegenden Fall einschlägig? (Einordnung der Argumente des Bezirksammanns) Bezirksammann befürchtet Auseinandersetzungen Die Organisation und Durchführung der Kundgebung fällt in den sachlichen Schutzbereich von Art. 22 BV. Der konkrete Verdacht, es könnte im Verlauf der Kundgebung punktuell zu Gewaltakten kommen, reicht nicht aus, der Demonstration einen unfriedlichen Charakter zu attestieren (BGE 111 Ia 322 E. 6a). Klosterplatz soll aufgrund seiner besonderen Bestimmung geschützt werden Ändert sich etwas am Ergebnis, wenn auf dem Klosterplatz alljährlich der Weihnachtsmarkt stattfindet und auch häufiger ein Theater aufgeführt wird? Seite 23 Verhältnismässigkeit Geeignetheit Mittel geeignet, den Zweck zu erreichen? Subsumtion Erforderlichkeit Mildere Massnahme vorhanden, um den Zweck zu erreichen? Subsumtion Zumutbarkeit Verhältnis von Eingriffszweck und Eingriffswirkung im konkreten Fall Subsumtion Seite 24
13 Fazit Das vom Bezirksammann ausgesprochene Kundgebungsverbot auf dem Klosterplatz Einsiedeln hält vor der BV stand, sofern die Behörden dem VTS einen anderen geeigneten Ort für seine Kundgebung anbieten. Seite 25 Weiterführende Hinweise Der Fall basiert auf BGE 124 I 267. Besprochen von Yvo Hangartner, AJP 1999, S. 101 ff. Standpunkt des Beschwerdeführers: Seite 26
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