Welche strategische Weiterentwicklung für die Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften?
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- Michaela Koch
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1 Welche strategische Weiterentwicklung für die Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften? Prof. Dr. Antonio Loprieno Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft Wien, 14. September 2015
2 Zum akademischen Status der GSK in der gegenwärtigen (deutschsprachigen) Hochschullandschaft Trotz des zeitgenössischen interdisciplinary turn bleibt die Trennung zwischen «Geistes-» und «Naturwissenschaften» (Dilthey > Snow) eine akademisch identitätsstiftende Realität an unseren Universitäten > strukturelle Reformen sind ersterer Gruppe grundsätzlich suspekt und unwillkommen und werden utilitaristisch ausgelegt Angelsächsische Welt: Auftreten einer third culture als kommunikativ wirksame Vermittlung naturwissenschaftlicher Ergebnisse für eine breitere Öffentlichkeit (J. Brockman) > Verschiebung gesellschaftlicher Aufmerksamkeit und Deutungshoheit zugunsten empirischer Disziplinen Deutschsprachige Welt: Auftreten einer «Dritten Kultur» der empirischen Sozialwissenschaften in konzeptionellem Dialog zwischen Geistes- und Naturwissenschaften (R. Stichweh), aber ungenügende Rezeption dieser Entwicklung in der Gestaltung universitärer Einheiten in D, A, CH > «Vergeisteswissenschaftlichung» der Sozialwissenschaften ( USA, GB) Prof. Dr. Antonio Loprieno 2
3 Zur strategischen Steuerbarkeit der Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften in D, A, CH «Leitbild» vs. «Strategie»: Die GSK orientieren sich in der Regel eher an allgemein gültigen, intellektuellen Programmen als an zielgerichteten, kompetitiven Projekten > ein bottom-up gestifteter Strategie-Prozess wird grundsätzlich zur Strukturerhaltung tendieren («Man darf mein Institut nicht schliessen!») «Eminenz» vs. «Evidenz»: Die GSK pflegen einen individuellen Zugang zur akademischen Arbeit und zeigen sich skeptisch gegenüber der Macht der quantitativen Argumente > die Möglichkeiten gross angelegter disziplinärer Zusammenarbeit sind beschränkt («Ich kollaboriere schon mit meinen Kollegen!») «Fach» vs. «Institution»: Die GSK pflegen ein holistisches Fachmodell und erkennen eine institutionelle strategische Deutungshoheit nicht an > die Referenzgrösse bleibt das disziplinäre Ideal («Die Basler Ägyptologie sieht sich in kollegialem Wettbewerb mit der Wiener Ägyptologie») Prof. Dr. Antonio Loprieno 3
4 Das Studium der Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften in D, A, CH an der Schnittstelle zweier Studienmodelle Das kumulative Studienmodell: die Spitze der Pyramide als Kulmination Das konsekutive Studienmodell: die Spitze der Pyramide als Ziel Prof. Dr. Antonio Loprieno 4
5 Bologna-Reform = kumulativ > konsekutiv Kumulatives Studienmodell kontinentaleuropäisch fragmentiert fachspezifisches Studium Zugang basiert auf Anspruch horizontale Mobilität Eminenz-basierte Selektion prüfungsscheu Konsekutives Studienmodell angelsächsisch modular fachübergreifendes Studium Zugang basiert auf Bewerbung vertikale Mobilität Evidenz-basierte Selektion prüfungsaffin Prof. Dr. Antonio Loprieno 5
6 Institutionelle Verortung der zwei Modelle Das kumulative Studienmodell fördert eine Kohärenz zwischen drei unterschiedlichen Sphären: (a) das Fach als akademische Disziplin (z.b. Europäische Ethnologie) (b) das Fach als Studiengang (z.b. Bachelor of Arts in Europäischer Ethnologie) (c) das Fach als administrative Einheit (z.b. Seminar/Institut für Europäische Ethnologie) Das modulare Studienmodell fördert eine Trennung zwischen drei unterschiedlichen Sphären: (a) die akademische Sphäre der Disziplin (b) die curriculare Sphäre des Studiengangs (c) die administrative Sphäre des Instituts ev. (d) die wissenschaftliche Sphäre des Forschungsvorhabens Prof. Dr. Antonio Loprieno 6
7 Merkmale der gegenwärtigen Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften in D, A, CH in Lehre und Forschung Umsetzung einer neuen Studienarchitektur, aber weitgehender Verzicht auf eine curriculare Reformen Inhaltliche Orientierung an der bestehenden Studienarchitektur (M.A., Mag., lic.phil.) > arbiträre Trennung von BA- und MA-Studienprogrammen Aufrechthaltung der Kohäsion von Disziplin und Curriculum ( Fach ) > Entwicklung frei kombinierbarer, kleiner fachlicher Einheiten Forschung ist grundsätzlich individuell > verbreitete Skepsis gegenüber der verzahnten Forschung Aufkommen der digital humanities zwischen Hilfsdisziplin und autonomem Fachgebiet Prof. Dr. Antonio Loprieno 7
8 Strategie-Prozess: Supplement vs. Komplement (I) Angesichts dieser drei Merkmale (primär fachlich basierte Studiengänge, Hervorhebung der individuellen Forschung, Auftreten der digital humanities) empfehlen sich folgende strukturelle Massnahmen: Diversifizierung der Studiengänge als Möglichkeit der institutionellen Profilbildung > Entwicklung intrainstitutioneller Alleinstellungsmerkmale sowie interinstitutionelle Verzahnungen nach dem Supplementarität Prinzip (Schaffung einer kritischen Masse) Rolle der kritischen Masse für die Entwicklung von Studiengängen: Was für die Germanistik gilt, gilt nicht für die Semitistik > Orchideenfächer als wissenschaftliche Disziplinen schützen, ihre curriculare Einbindung in breitere (B.A.) Studiengänge fördern Curriculare Initiativen in der Lehre fördern, die sich an den digital humanities orientieren > Forschungsarbeit (Editionen, usw.) Prof. Dr. Antonio Loprieno 8
9 Strategie-Prozess: Supplement vs. Komplement (II) Im Bereich der Forschung soll vermehrt auf interinstitutionelle Kooperation nach dem Prinzip der Komplementarität unterschiedlicher Forschender oder Ausrichtungen gesetzt werden: (a) Thematisch, nicht fachlich definierte Partnerschaften nach dem Leading House-Prinzip > gesteuerte Interdisziplinarität entlang institutionellen Stärken (b) Vermeidung eines fachlichen intrainstitutionellen Wettbewerbs > Identifizierung wirklicher (d.h. Evidenz-, nicht Eminenz-basierter) Forschungsstärken (c) Professionelle, koordinierte und proaktive Begleitung von Forschungsprojekten auf europäischer Ebene > für die GSK gilt die Maxime: bottom-up thematisch, aber top-down organisatorisch Prof. Dr. Antonio Loprieno 9
10 Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Prof. Dr. Antonio Loprieno Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft Wien, 14. September 2015
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