Pfarrer Dr. Volker Jung Dezember 2013

Transkript

1 Predigt des Kirchenpräsidenten der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau Pfarrer Dr. Volker Jung Dezember 2013 Predigt 1. Weihnachtstag, , über Galater, Kapitel 4, Verse 4-7, St. Katharinen, Frankfurt am Main Es begab sich aber so fängt die wunderbare Geschichte von der Geburt Jesu an, wie Lukas sie erzählt. Da, an einem Punkt im Lauf der Zeit, als ein Befehl vom Kaiser Augustus ausging, machten sich auch Maria und Joseph auf den Weg. Und mittendrin in der Weltgeschichte, aber fernab vom großen Weltgeschehen, wird im Stall vom Bethlehem ein Kind geboren. Mit ihm, mit seiner Person und mit seinem Leben, ist eine himmlische Botschaft verbunden. Fürchtet euch nicht! Denn euch ist heute der Heiland geboren! Aber was bedeutet dies für uns, für unser Leben und unseren Glauben? So hat ein anderer gefragt der Apostel Paulus. Beide, Lukas und Paulus, sind große Theologen. Aber sie sind auch ganz unterschiedliche Typen. Lukas ist ein wunderbarer Erzähler, Paulus ein tiefgründiger Denker. Seine Deutung der Geburt Jesu klingt so: Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen. Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater! So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott. (Galater, Kapitel 4, Verse 4-7) Liebe Gemeinde! Was Paulus sagt, ist sehr konzentriert. Keine langen Umschweife. Kein Wort von Maria und Joseph, keine Engel, keine Hirten. Aber die klare Botschaft: Hier ist etwas geschehen, damit mit uns etwas geschieht! Zweimal damit! Damit wir erlöst werden und damit wir Kindschaft empfangen. Lasst uns mit dieser Anleitung über die Weihnachtsbotschaft nachdenken. I.

2 - 2 Zunächst: Erlöst werden - was bedeutet das? Erlösung bedeutet, frei zu werden von einer Angst, von einer Last, von einer Not. Wer kennt sie nicht solche Situationen wie diese: eine ärztliche Untersuchung, einige Tage der Ungewissheit und des Wartens, vielleicht auch der Angst und dann der Anruf: Es ist nichts. Sie müssen sich keine Sorgen machen. Das ist Erlösung. Zumindest für den Moment. Denn indem wir uns eine solche Situation vergegenwärtigen, merken wir auch: Die Nachricht kann auch anders sein. Ein Gesetz unseres Lebens ist es, dass unser aller Leben begrenzt ist. Und so sind wir mittendrin, in dem was Paulus meint, wenn er von denen redet, die unter dem Gesetz waren. Unter dem Gesetz sein das ist für Paulus das Bild für den Druck, der immer auf menschlichem Leben lastet. Zu wissen: meine Lebenszeit ist begrenzt. Aber auch alles andere, was Menschen Druck macht. Ich muss schauen, dass ich meinen Platz in diesem Leben finde. Ich muss etwas lernen. Ich muss gut sein, um eine ordentliche Position zu bekommen. Ich muss mich durchsetzen gegen andere. Ich muss für mein Alter sorgen. Unter dem Gesetz sein. Das sind die Anforderungen, die tagtäglich an mich herangetragen werden. Das sind aber auch meine eigenen Ansprüche, die Bilder, die ich von mir selbst in mir habe. Das ist mein Bedürfnis nach Anerkennung. Und manches mehr. Unter dem Gesetz sein. Das heißt für viele Menschen auf dieser Welt aber auch, dass sie tagtäglich ums Überleben zu kämpfen haben. Das ist der Kampf gegen den Hunger. Das ist der Kampf gegen Terror und Gewalt. Paulus denkt so: Wir haben als Menschen nicht die Kraft, uns selbst zu erlösen. Selbst die Gebote und die Gesetze haben nicht die Kraft Menschen zu erlösen. Sicher: Sie sind gut und wichtig. Sie sind da, um uns zu helfen, dass kein Chaos unter uns herrscht. Aber sie haben nicht die Kraft in sich, Menschen zu erlösen, nämlich von der tiefsitzenden Angst zu befreien, vor Menschen und vor Gott zu versagen und im Dunkel des Todes zu versinken. Diese Angst soll aber nicht herrschen und uns beherrschen mit all ihren Folgen. Deshalb hat Gott seinen Sohn in diese Welt gesandt und im Dunkel der Nacht mit seiner Geburt die Botschaft verbunden: Fürchtet Euch nicht! Und wenn Paulus über die Geburt des Jesus von Nazareth nachdenkt, dann sieht er das ganze Leben dieses Kindes vor sich. Wie dieser Jesus von Nazareth auf Menschen zugegangen ist, wie er sie alle ermutigt hat, auf Gottes Nähe zu vertrauen die Armen und die Reichen, die Gesunden und die Kranken, die Lebenden und die Sterbenden. Er hat Menschen ermutigt, loszulassen, was sie gefangen nimmt und sie knechtet Hass und Feindschaft, Bosheit und Neid, Gewalt und Gier. Mit ihm ist Erlösung geschehen, denn er hat den Tod erlitten und besiegt.

3 - 3 Mit ihm ist Leben erschienen, jenseits des Todes. Dieses Leben hat das Kind bei sich das Kind in der Krippe im Stall von Bethlehem. Deshalb verkünden die Engel: Fürchtet euch nicht! Martin Luther hat das so gesagt: Hörst du das Gesetz, wird es dir sagen: Mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben. Wie wir seit altersher singen. Das Evangelium und der Glaube aber wandeln das Lied und singen: Mitten im Tode sind wir vom Leben umgeben! (WA 43,219,3 n. PSt 01/02, 80) II. Und so kommen wir zum zweiten Punkt. Jesus ist geboren, damit wir die Kindschaft empfangen. Nun könnte man sagen: Kinder, Gottes Kinder, sind Menschen allein durch das Geschenk des Lebens. Das ist aber nicht alles. Es geht nicht nur darum, dass wir als Menschen leben, sondern es geht auch darum, wie Menschen leben. In den Bildern des Paulus gesprochen, heißt das: Du bist kein Knecht mehr! Du bist keine Magd mehr! Das sind nun nicht mehr unsere Bilder. Das klingt nach Zeiten, die längst vergangen sind. Wörtlich heißt es sogar: Sklave oder Sklavin! Aber was gemeint ist, ist klar: Ihr seid durch Christus erlöste und damit freie Menschen. Es entspricht nicht der Würde der Kinder Gottes als Sklave oder Sklavin zu leben nicht in Abhängigkeit von Mächten und Menschen. Als Kinder Gottes seid ihr Erben seiner großen Verheißung, der Verheißung des Lebens in Fülle! Wenn wir die Weihnachtsgeschichte so - von Paulus angeleitet - lesen, dann heißt dies: Die Geschichte legt uns ans Herz, im Kind in der Krippe die Würde jedes einzelnen Menschen zu erkennen. Dabei geht es nicht nur darum, das Geschenk des Lebens zu erkennen, sondern auch zu begreifen, dass Gott Menschen dazu bestimmt hat, in Würde und Freiheit zu leben. Die Weihnachtsgeschichte sagt uns dabei zunächst nicht, was wir tun sollen, sondern wer wir sind nämlich Kinder Gottes bestimmt nicht zum Tod, sondern zum Leben. Gott wird Kind, damit wir erkennen, dass wir seine Kinder sind! III. Schön und gut, mögen jetzt manche denken. Aber wir leben nun einmal mitten in dieser Welt mit allen ihren Abhängigkeiten und Gesetzen und mit der Macht des Todes. Und niemand von uns ist da einfach rausgelöst. Ja, das ist so. So wie die Hirten in der Weihnachtsgeschichte nicht an der Krippe bleiben, so kehren wir auch wieder zurück in unseren Alltag. Und da sind natürlich auch die vielen Anforderungen, da sind natürlich auch unsere Ängste.

4 - 4 Die Frage ist aber, ob all dies unser Leben beherrscht und knechtet. Oder ob wir uns leiten lassen von dem, wozu Gott uns bestimmt hat: zum Leben in der Freiheit der Kinder Gottes! Ich bin überzeugt: Wer sich so beschenkt weiß, wird allerdings auch anders auf diese Welt schauen. Wer für sich erkennt, dass Gottes eigentliche Bestimmung für alle Menschen das Leben ist, wird anders auf diese Welt schauen. Kind Gottes, das bin nicht nur ich, sondern das sind alle Menschen auf dieser Welt. Ihnen allen gilt die Friedensbotschaft des Kindes in der Krippe. Menschen sind nicht dazu da, einander zu knechten, sondern füreinander da zu sein und einander zu helfen in Freiheit zu leben. Und umso bedrückender ist gerade im Licht dieser Botschaft alles, was Menschen ihre Würde nimmt, was sie knechtet und ihnen das Leben bedroht. Ich denke an den entsetzlichen Krieg in Syrien und an die vielen Menschen, die vor diesem Krieg fliehen. Ich denke aber auch an die vielen Flüchtlinge aus anderen Ländern dieser Welt und dass wir es in Europa noch nicht geschafft haben, gute Wege zu ebnen, um Flüchtlingen zu helfen, so dass sie sich und ihr Leben nicht an verbrecherische Banden verkaufen müssen. Mich bedrückt auch die Situation in Israel und Palästina, die weit weg ist von wirklicher Sicherheit und Freiheit. Für die Menschen im Geburtsort Jesu gibt es keine wirkliche Freiheit. Mir macht aber auch vieles Sorgen, was hier in unserem Land geschieht. Dass es uns in unserem reichen Land nicht gelingt, zu verhindern, dass Menschen in Armut fallen und das bei manchen, obwohl sie arbeiten. Mir macht es Sorgen, dass der ökonomische Druck viele Bereiche unseres Lebens so durchdringt. Oft hat man den Eindruck, dass wir leben, um zu wirtschaften, und nicht wirtschaften, um zu leben. Ja, und mir macht es auch Sorgen, dass die digitale Welt ja in vielem ein wirklicher Freiheitsgewinn ist, aber auf der anderen Seite auch die Gefahr sehr groß ist, dass Menschen kontrolliert, funktionalisiert und damit auf neue Weise geknechtet werden. Ich frage mich oft, was wir tun können. Ganz bestimmt das eine: Uns vom Geist Gottes leiten lassen, der uns ermutigt mit Jesus zu beten: Abba, lieber Vater! Damit vertrauen wir Gott all das, was uns das Herz schwer macht. Eben auch jene Fragen, die so ausweglos scheinen. Dann aber auch jenes andere: Dass wir nicht wie Knechte leben, sondern wie Kinder Gottes, die erfüllt sind von der Würde und der Freiheit, zu der Gott die Menschheit bestimmt hat. Vielleicht ist es so, dass wir als Kinder mehr von der Größe dieser Botschaft verstanden haben als heute gerade am Weihnachtsfest. Das wunderbare Gefühl: Da öffnet sich eine Tür, weil etwas Wunderbares geschehen ist. Das Herz schlägt bis zum Hals. Du bist Kind und du wirst beschenkt. So schön kann das Leben sein!

5 - 5 Und der Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen Dr. Volker Jung