Zweiter Christtag 26. Dezember 2015

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1 1 Zweiter Christtag 26. Dezember 2015 Klosterkirche zu Cottbus - es gilt das gesprochene Wort Predigttext: Hebräer 1, 1-3 (4-6) Nachdem Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn, den er eingesetzt hat zum Erben über alles, durch den er auch die Welt gemacht hat. Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens und trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort und hat vollbracht die Reinigung von den Sünden und hat sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe (und ist so viel höher geworden als die Engel, wie der Name, den er ererbt hat, höher ist als ihr Name. Denn zu welchem Engel hat Gott jemals gesagt (Psalm 2,7):»Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt«? Und wiederum (2.Samuel 7,14):»Ich werde sein Vater sein und er wird mein Sohn sein«? Und wenn er den Erstgeborenen wieder einführt in die Welt, spricht er (Psalm 97,7):»Und es sollen ihn alle Engel Gottes anbeten.«predigt Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! Amen.

2 2 Zwei Engel sind hereingetreten, kein Auge hat sie kommen sehn; sie gehn zum Weihnachtsbaum und beten und wenden wieder sich und gehn. Glanzmomente einer ansonsten nicht so glänzenden Kinderzeit. Von wegen, früher war alles besser Einer dreht es um. Das Beste kommt noch, ich bin sogar sicher, sagt er: Das Beste aller Weihnachtsfeste steht noch aus. Der das so umdreht, ist nicht bekannt. Er schreibt an die Hebräer und er lässt uns mit seiner Weihnachtsbotschaft kurz und knapp und zärtlich wissen: Wir stehen schon an der Tür, drinnen brennen schon die Kerzen am Weihnachtsbaum Einer legt uns an diesem Weihnachtsfest, das heute, an seinem dritten Tag, so ganz und gar nicht seinem Ende entgegengeht, eine himmelöffnende und seelenweitende Symponie der Herzenswärme ins Ohr. Es geht erst richtig los. Und die Klarheit des Weihnachtsabends weitet sich aus. Hören wir noch einmal die ersten vier Verse des Hebräerbriefs: Nachdem Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, hat er in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn, den er eingesetzt hat zum Erben über alles, durch den er auch die Welt gemacht hat. Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens und trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort und hat vollbracht die Reinigung von den Sünden und hat sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe. In dem weihnachtlichen Text aus dem Hebräerbrief sehen wir durch die geöffnete Tür geradewegs in den Himmel. Was für ein Kontrast zum armen Stall mit dem Kind in der Krippe! Der Blick in den offenen Himmel zeigt uns wie manches Weihnachtslied: Das Kind in der

3 3 Krippe ist der Herr der Welt. Zu Weihnachten gehört nicht nur das wunderbare Paul-Gerhardt-Lied Ich steh an deiner Krippen hier, sondern auch Kommt uns lasst uns Christus ehren und Lobt Gott, ihr Christen alle gleich. In diesem Jahr 2015 erinnern sich viele alte Menschen daran, dass sie vor 70 Jahren wieder das erste Weihnachtsfest im Frieden gefeiert haben. Vorgestern nach der Christvesper sprach mich beim Verabschieden ein Mann darauf an. Vor 70 Jahren, sagte er haben wir das erste Mal wieder im Frieden Weihnachten gefeiert. Da war ich auch hier in der Klosterkirche. Sieger und Besiegte, Verletzte und Trauernde feierten zusammen Weihnachten. Vermutlich nicht immer schon als Versöhnte. Diese Erinnerung und die folgende Geschichte aus den Jahren nach dem Krieg zeigt uns die Weihnachtsbotschaft in einer Welt, die so gar nicht weihnachtlich ist. Viele Menschen haben erlebt, dass sie auch in solchen Zeiten trägt. Während der Jahre, die wir nach der Flucht verbrachten, in zwei Zimmern unterm Dach, viel Angst und Gram, kam einmal im Jahr Glanz in die Bude: Ein Koffer voller Silbergerätschaften wurde auf den wackeligen Küchentisch gehoben, geöffnet und gesichtet, achtsam jedes Teil aus Geschirrtüchern gewickelt, betrachtet, über seine Verwendung fabuliert und hingebungsvoll poliert. Um danach wieder für ein Jahr unters Bett geschoben zu werden. Als Kind erlebte ich dieses heiß ersehnte Ritual wie Weihnachten, wie aus dem schwarz angelaufenen Silber wundersamer Glanz herauspoliert und von herrlichen Zeiten geschwärmt wurde. Das war eine Ressource im doppelten Sinne, ein Schatz, der mich beeindruckt hat: Der Glanz im Silber, in den Augen und in den Geschichten. Die unerschöpflichen Geschichten von

4 damals : Das waren einerseits die guten Zeiten von Wohlstand und Blüte und andererseits ebenso abendfüllend die schlechteren Zeiten von Flucht und Schmach. Vielleicht ist die beste Ressource meiner Flüchtlingsfamilie, dass das Geschichtenerzählen eine Notwendigkeit war, ein Motor des Überlebens. Immer wieder alles miteinander durchzusprechen, eine unversiegbare Quelle der Gemeinschaft. 1 4 Das Auspacken und Polieren des Silbers in dieser Geschichte war für die Erzählende oder den Erzählenden wie Weihnachten. Allerdings ist das ein Weihnachten, wie es viele Menschen heute erleben. Wunderbarer Glanz, aber ein einmaliges Ereignis im Jahr. Danach wurde das Silber wieder unter das Bett geschoben und war für ein Jahr verschwunden. Die Gefahr, dass ein solches Weihnachten folgenlos bleibt, ist groß. Wir, die wir heute hier sind, gehören vermutlich zu den wenigen, die wissen und eben heute hören: Weihnachten geht über Krippe und Stall hinaus. Das Kind in der Krippe ist von Anfang der Sohn, der Sohn Gottes, der alle Dinge mit seinem kräftigen Wort trägt. Das Silber darf nicht wieder unters Bett. Es muss noch einige Wochen lang, bis zum Ende der Epiphaniaszeit, einen Ehrenplatz haben. Und auch dann darf es nicht unter dem Bett verschwinden, sondern muss in Reich- und Blickweite bleiben, damit wir nicht vergessen, was Gott zu Weihnachten für uns getan hat. Der Schriftsteller Heinrich Böll plädiert dafür, diese Zusammengehörigkeit zwischen dem Kind in der Krippe 1 Michael Schneider, Joachim Süss (Hg.), Nebelkinder, Kriegsenkel treten aus dem Traumaschatten der Geschichte, Berlin 2015, S. 234

5 5 und dem Herrn der Welt, zwischen der Notunterkunft und dem herrlichen Ehrenplatz zur Rechten Gottes im Himmel nicht aufzulösen. Er schreibt: Mir erscheint die Trennung des Jesus vom Christus wie ein unerlaubter Trick, mit dem man dem Menschgewordenen seine Göttlichkeit nimmt und damit auch allen Menschen, die noch auf ihre Menschwerdung warten. Da ich mich nicht mehr Christ nennen möchte und auch nicht mehr so genannt werden möchte angesichts der Tatsache, dass alle institutionellen Verwendungen des Wortes christlich (bei der CDU/CSU etwa, in der sogenannten Amtskirche) es mehr und mehr zu einem Schimpfwort machen, kann ich nicht einfach auf Jesus ausweichen, der zwar Mensch war, aber menschgeworden... An der Gegenwart des Menschgewordenen werde ich nie zweifeln. Aber Jesus allein? Das ist mir zu vage, zu sentimental, zu storyhaft, zu sehr eine rührende Geschichte... So kann ich mich weder Christ nennen noch Anhänger des Jesus von Nazareth sein. Ich kann nur an die Präsenz des Menschgewordenen glauben. Nicht mehr und nicht weniger. Abgesehen von der Kritik der Institutionen, die sicherlich auch in seine Zeit damals einzuordnen ist, finde ich an diesem Zitat faszinierend, wie der kritische Katholik und Schriftsteller Heinrich Böll sich so klar zu dem Menschgewordenen bekennt. Die Herausforderung an der Botschaft diese Christtages ist unsere Erfahrung, die oft gegen den Satz steht: Er trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort. Es schmerzt, dass wir von dieser Herrschaft so wenig sehen. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass wir angesichts unabsehbaren Schreckens an so vielen Orten der Welt an dieser universalen Hoffnung festhalten. Der Glaube, dass Christus alle Dinge mit seinem kräftigen Wort

6 6 trägt, ist schon in sich ein Akt des Mutes, ein Akt des Vertrauens und er ist ein Geschenk. So sind wir in dieser Weihnachtszeit, die noch vor uns liegt, Empfangende und Tätige zugleich. Wir stehen an der Krippe und sehen in den offenen Himmel. Die Klarheit des Herrn leuchtete in der heiligen Nacht um uns wie um die Hirten auf den Feldern von Bethlehem und der Christus, der alle Dinge mit seinem kräftigen Wort trägt, hält solche Klarheit für alle Tage unseres Lebens bereit. Das ist die weihnachtliche Hoffnung für alle Menschen. Gäbe es sie nicht, gäbe es nur Hoffnung für dich oder mich, für die eine oder andere Gruppe von Menschen, dann gäbe es letztlich nichts zu hoffen. Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird. Die Weihnachtsbotschaft gilt allen Menschen. Sonst wäre sie hohl und leer. In unserer zerrissenen, friedlosen Welt gibt es verschiedene Quellen der Hoffnung. Die christliche Quelle ist die Botschaft von dem menschgewordenen Gott, von Jesus Christus. Diese Quelle wird nicht versiegen. Trinken kann ich aus einer Quelle nur, indem ich zur Quelle gehe. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Alle gemeinsam: Amen.