Handschrift im Klassenzimmer

Transkript

1 1 Leonardo - Wissenschaft und mehr Sendedatum: 08. Juni 2015 Handschrift im Klassenzimmer von Eleonora Pauli und Armin Himmelrath Atmo: Messelärm O-Ton (Bokian, Verkäufer): Das ist überhaupt kein Problem. Das geht genauso, oder ich mache es dann halt mit dem Whiteboard, weil ich dann direkt nach vorne gehen kann und kann dann mit nem Fingerzeig das drehen. Auf der anderen Seite, hier sehen Sie das ja, wir haben unsere Materialien hier alle auch auf dem ipad, auf dem Desktop, man kann mit dem Touchscreen da natürlich auch sehr gut in klein arbeiten. Neu, modern, digital wer auf Bildungsmessen nach Informationen darüber sucht, wie in Zukunft gelernt wird, der stößt in aller Regel auf begeisterte Verkäufer technischer High-End-Lösungen. Soft- und Hardware, Tastaturen oder Spracherkennungsprogramme als Eingabemedien alles ganz einfach, ganz automatisch und voll vernetzt. Über Stift und Papier wird fast gar nicht mehr geredet. Und wenn, dann höchstens als ausgefeilte technische Spielerei. Stephanie Kleta- Bohmann arbeitet bei Schooltab, einem Unternehmen, das Leasingmodelle für Tablets anbietet. Wir begleiten die Schule und die Lehrer auf dem Weg zur Tablet-Klasse und auch weiter. Also manche nehmen dann ein Tablet mit Tastatur, das heißt, sie tippen. Es gibt auch viele, die nehmen es ohne Tastatur man kann mit bestimmten Stiften auch schreiben es wird auch normal geschrieben in manchen Apps und man muss auch sagen, das Tablet ist kein Allheilmittel und wird nicht hundertprozentig im Unterricht eingesetzt. Aber es sei eben ein interessantes Zusatzwerkzeug, das Gruppenarbeit fördert und zu neuen Unterrichtsmodellen führt, meint Stephanie Kleta-Bohmann. Mehr Tippen

2 2 und weniger Schreiben darauf setzt auch PISA-Sieger Finnland: Ab 2016 ist das Schreibschrift-Lernen in finnischen Grundschulen nicht mehr Pflicht. Stattdessen werden die Schüler ihre Texte häufiger auf Tablets und Computern eingeben. Geschäftlich sind das glänzende Aussichten für Stephanie Kleta-Bohmann. Dennoch ist sie skeptisch. Wir sagen immer: Alles miteinander kann wunderbar existieren und soll es auch. Und Radio und Fernsehen gibt es auch parallel und sie haben beide ihre Berechtigung und so ist das auch mit dem Schreiben und dem Sehen und dem Hören und dem Lesen und allen Sinnen. Mit allen Sinnen lernen, das leuchtet ein. Besonders beim Sprachenlernen. Die führenden Schulwörterbücher sind längst digitalisiert. Mit 2 Euro 50 ist jeder Schüler dabei: So viel kostet die Nutzung der Apps, mit denen man auf dem Smartphone oder Tablet nicht nur Vokabeln nachschlagen, sondern auch papierfrei lernen kann. Und zwar ganz ohne selbst noch etwas schreiben zu müssen, erklärt Sören Röderbaum vom PONS-Verlag. Sie können jetzt hier wählen. Das ist Französisch, Französisch - Deutsch, Sie können auch, wenn Sie hier den Eintrag sehen, da sind mehrere Bedeutungen. Und wenn Sie sehen, Sie haben da Schwierigkeiten, die Vokabel zu behalten, dann können Sie die hier als Karteikarte anlegen über dieses Symbol und können dann die verschiedenen Bedeutungen, eine davon auswählen. Weil es kann ja sein, dass Sie jetzt beau als schön schon wissen, aber das beau auch gut sein kann, damit tun Sie sich noch schwer. Die Apps nehmen dem Schüler Arbeit ab. Er muss die Vokabeln beim Lernen nicht mehr mühsam auf Karteikarten schreiben oder in große Tabellen mit Verben eintragen n der digitalen Variante wird alles per Klick heruntergeladen. Aber kann man sich Vokabeln nicht besser merken, wenn man sie selbst aufschreibt? Eine Frage, die Sören Röderbaum anscheinend nicht beschäftigt.

3 3 Hier wird angezeigt, was alles in diese Shell reingeladen werden kann. Es gibt Schulwörterbücher, es gibt Verbtabellen, es gibt auf einen Blick, das haben wir auch im Print und haben das jetzt als App adaptiert. Sich zum Lernen eine App zu besorgen auf die Idee wäre Elin Baumeister nie gekommen. Die 17-Jährige ist Schülerin am Joseph-König-Gymnasium in Haltern. Natürlich gehören Smartphone und Computer zu ihrem Alltag. Aber Elin hat sich in den vergangenen Monaten auch immer mal wieder von der Tastatur gelöst: Für ein lokalhistorisches Forschungsprojekt im Geschichtsunterricht, dessen Ergebnis sie auch beim Bundeswettbewerb Geschichte einreichte. Dafür hat sie mit viel Geduld eine neue Sprache und eine neue Schrift gelernt. Für den Wettbewerb hab ich mir die Handschrift Sütterlin angeeignet. Das ist eine altdeutsche Handschrift, die wurde damals in Preußen eingeführt. Und da die Frau, mit der ich mich beschäftigt habe, die Marianne Strauß- Ellenbogen, in den Wiedergutmachungsklagen, die sie handschriftlich verfasst hat, Sütterlin schreibt und ich diese später auswerten wollte, hab ich versucht, eine neue Handschrift zu erlernen und die später auch lesen zu können. Allzu schwer war das nicht, sagt Elin. Sie habe nur ein paar Nachmittage geübt, die zunächst fremden Buchstaben langsam und dann immer schneller nachgemalt und schließlich sogar ihre Hausaufgaben in Sütterlin geschrieben. Mittlerweile nutzt sie die alte, für sie ganz neue Handschrift auch im Schulalltag. Ich werd oft drauf angesprochen, was das ist was das denn für eine Sprache sei? Und dann kommt natürlich die Antwort: Das ist Deutsch! Die meisten, die es nicht lesen können, sind ein bisschen perplex zunächst, aber eine gute Freundin von mir kann das auch lesen. Und wenn man sich dann mal über ein paar Ereignisse austauscht, die gelaufen sind, die nicht jeder wissen sollte, da funktioniert das ganz gut.

4 4 Auch ganz generell, sagt Elin Baumeister, findet sie das Schreiben mit der Hand wichtig gerade auch in der Schule. Und zwar für alle Beteiligten. Ich glaub schon, dass das sehr wichtig ist, wenn man das so mitbekommt wenn die Lehrer an der Tafel nicht ordentlich schreiben oder wenn man selber irgendwie auf einem Plakat was gestalten muss. Und ich glaub auch, dass es angenehmer ist, wenn man eben schnell eine Notiz macht oder so und die abgeben muss statt erst wieder mit dem Handy was aufzuschreiben. Entsprechend vehement, sagt die Gymnasiastin, meldet sie sich auch im Unterricht, wenn etwas an der Tafel nicht lesbar sei. Ich meckere definitiv, wenn Lehrer unschön schreiben. Ich find das ganz wichtig, dass man das lesen kann. Wenn da irgendwelche kryptischen Zeichen an der Tafel stehen und man das nicht derart übernehmen kann, finde ich das eigentlich sehr schade. So viel Protest haben Katja Holländer und Judith Müller nicht zu erwarten. Die beiden sind Grundschullehrerinnen in Berlin und an ihrer Schule gibt es noch grüne Kreidetafeln. Nicht immer ist Judith Müller mit dem zufrieden, was sie an der Tafel fabriziert. Also es ist eigentlich wichtig, aber man merkt so im Eifer des Gefechts, dass man nicht immer so sauber schreibt, wie man schreiben sollte. Als Katja Holländer noch an der Uni war, kaufte sie sich selbst ein Schreiblernheft für die Arbeit an der Tafel. Um sich in Erinnerung zu rufen

5 5 wie die Schreibschrift zu lernen ist, damit ich das den Kindern richtig vermitteln kann es wird nicht überprüft nochmal. Und es ist bei mir auch tatsächlich so, an der Tafel, ich benutze hauptsächlich die Druckschrift und dann rutschen manchmal so Buchstaben rein, Oh, Frau Holländer, da hast du ja jetzt die Schreibschrift benutzt. Aber die Kinder können es lesen, sie wissen was das für ein Buchstabe ist. Ich achte darauf, wie ich schreibe. Nicht nur, damit alle Schüler ihre Schrift gut lesen können, sondern auch, weil ihre Schrift ja als Beispiel dient. Es ist schon so, dass ich mich drauf konzentriere, wenn ich an die Tafel schreibe und versuche gerade zu schreiben, den Strich, den man an der Tafel macht, auch mit dem Lineal zu machen und nicht einfach frei Hand, weil sonst alle Kinder das im Heft auch so nachmachen. Damit es noch ordentlicher aussieht, hat die 35-Jährige sich Kreidestifte im Internet bestellt. Die sind filigraner und machen weniger Dreck. Denn den Staub, den die Kreidetafel verursacht, findet Katja schon ärgerlich. Auf das handschriftliche Schreiben an der Tafel will sie aber nicht verzichten. Das sei immerhin etwas, mit dem man von jeglicher Technik unabhängig sei. Doch solche Argumente zählen bei der Ausstattung von Klassenzimmern nur bedingt. Im Vordergrund stehen in der Regel die Digitalisierung und damit die technische Aufrüstung der Schulen. Das bedeute aber nicht zwangsläufig den Abschied von der Handschrift, sagt Thomas Carl. Er ist Lehrer an einem Gymnasium in Berlin, das schon vor einigen Jahren digital ausgestattet wurde mit Smartboards in allen Klassenräumen.

6 6 Und jetzt hat man einfach die Möglichkeit, darauf zu schreiben. Mit einem blauen Stift, mit einem schwarzen Stift oder mit einem grünen Stift, oder mit einem roten Stift. Oder mit dem Finger das klappt nicht immer. Moment, wenn mein Finger der Stift ist, kann ich auch mit dem Finger schreiben. Alles top! Die Möglichkeiten der Technik seien einfach überzeugend, sagt Thomas Carl. Berührungsängste bei den Kindern gebe es jedenfalls nicht ganz anders als bei einigen seiner Kollegen. Also als unser Chef sagte, wir hätten die grünen Tafeln abgeschafft, haben zwei Kolleginnen angefangen zu weinen, ungelogen. Für solche Emotionen ist auf Bildungsmessen kein Platz. Trotzdem haben auch die Verkäufer verstanden, dass es auf die richtige Balance ankommt zwischen technisch Machbarem und pädagogisch Sinnvollem. O-Ton (Bokian, Verkäufer): Es gibt ja unterschiedliche Strategien, wie man heutzutage mit dem Material umgeht. Wir haben hier eigentlich unsere Devise: Es gibt weder nur digital, noch Print nur. Sondern wir verbinden das eine mit dem anderen. Sie sehen das hinten an unserem Slogan auch: Da steht Gedruckt oder digital der Inhalt zählt. Das bedeutet aber auch: manche Dinge lassen sich nicht digitalisieren, wie das Schreiben mit der Hand. Denn das, was im Gehirn beim Schreiben passiert, kann durch das Klicken auf Apps nicht erreicht werden, findet Schülerin Elin Baumeister aus Haltern.

7 7 Ich glaub auch, dass es besser ist, handschriftlich noch länger zu schreiben, weil man sich auch die Grammatik und die Rechtschreibung beibehält. Wenn man was aufschreibt, denkt man darüber nach, bevor man erstmal wieder killern muss oder durchstreichen und das im Computer macht da werden mal eben wieder zwei oder drei Seiten gelöscht, wenn man die nicht braucht.