Brauchen wir neben Hollywood noch ein Mollywood?

Transkript

1 Brauchen wir neben Hollywood noch ein Mollywood? ein Vortrag von Aygul Murtazina > Aushang > Vortrag 331

2 Einladung 332

3 Aygul Murtazina Die erfundene Wortschöpfung Mollywood steht für den Moskauer Ehrgeiz, der US-Filmindustrie auf dem Markt etwas Gleichwertiges entgegenzusetzen. Mit eigenen Studios und russischen Themen will Mollywood jetzt geschickt kontern. Der neue russische Mainstream schwappte bereits mit dem Filmerfolg Wächter der Nacht über die in der Kinematografie bisher schwer überwindbaren Ost-West-Grenzen über. Moskaus Medienzar Nikita Michalkow nannte den Film die russische Antwort auf Tarantino. Und das war erst der Anfang. Das Vorbild Hollywoods ist in Russland kein Novum. Schon in den zwanziger Jahren orientierte man sich nicht nur allgemein am technischen Fortschritt Amerikas, sondern bewunderte auch die dortige Kinematografie waren amerikanische Journalisten erstaunt, dass 80% der Filme in Moskauer Kinos aus Hollywood stammten. Ein Teil der Einnahmen wurde zur Finanzierung der Klassiker von Eisenstein und Pudowkin verwendet. Zur Premiere des Dieb von Bagdad reisten im Juli 1926 die Stars Mary Pickford und Douglas Fairbanks in die Sowjet-Metropole. In den dreißiger Jahren schuf dann der vormalige Eisenstein-Assistent Grigorij Aleksandrow nach eingehenden Studien in den USA eigenständige Musikkomödien wie Lustige Burschen, Zirkus und Wolga, Wolga. Der Film Lustige Burschen mit Leonid Utesow in der Hauptrolle ist heutzutage immer noch beliebt. Dieser Film gehörte 1934 auf dem Filmfestival von Venedig zu den sechs besten Filmen. Gleichzeitig mit der Proklamierung des Sozialistischen Realismus erfolgte die Hinwendung zur Unterhaltung im Kino. Das kam nicht von ungefähr: Für das Volk war es angesichts der zunehmenden Repressionen und Versorgungsproblemen eine willkommene Ablenkung. Stalin begriff die Filmkunst als die wichtigste aller Künste auf eine spezifische Weise ähnlich wie Goebbels, der sich vergeblich einen nationalsozialistischen Panzerkreuzer Potemkin wünschte und während des 333

4 Krieges gezielt die Kinounterhaltung als Ablenkungsmittel verordnete. Im Sommer 1935 schickte Stalin seinen Filmminister Schumjatski nach Hollywood. Dieser kehrte mit der Idee zurück, in Sotschi eine sowjetische Variante Hollywoods zu schaffen ein ebenso unerfüllter Traum wie der von den Festivalorganisatoren 60 Jahre später, den Kurort am Schwarzen Meer zu einem eurasischen Cannes zu machen. Die russische Kunst galt immer als Wahrheitssuche, als Bühne für große Ideen. Hohe Ansprüche haben die russischen Zuschauer der mittleren und älteren Generation sozusagen im Blut. Nicht zuletzt deshalb atmete das Kino in den 60er Jahren modernen Geist, den auch politische Ereignisse der Ära Chruschtschow begünstigt haben. In der Filmproduktion der UdSSR entstanden kritische und experimentierfreudige Filme. Neben Regisseuren wie Donskoj und Romm, die noch vor dem Krieg ihre Karrieren begannen, gab es viele junge Regisseure, die das günstige kulturelle Klima zu nutzen verstanden. Allen voran ist Andrej Tarkowskij zu nennen, der 1966 zusammen mit Andrej Rublow den meist beachteten sowjetischen Film der 60er Jahre drehte: 1972 führte er nämlich Regie bei Solaris, dessen US-Remake unlängst mit George Clooney unter der Regie von Steven Soderbergh in die Kinos kam (2000). Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Perestrojka Ende der 80er Jahre verschlechterte sich die Situation der russischen Filmkultur zusehends. Bis Ende 2000 ging sowohl die Anzahl der Filmprojekte als auch die Kinozahl dramatisch zurück vollzog sich aber eine Wende im russischen Filmwesen. Die Zahl der neu eröffneten Kinos explodierte geradezu, und viele junge Regisseure versuchten, der russischen Filmkunst eine neue Richtung vorzugeben, in der Tradition und Zukunft verknüpft werden konnte. In den Jahren 2003 und 2004 wurden in Russland millionenschwere Filme gedreht. Sie hatten hauptsächlich die Funktion, Millionen einzuspielen: So brachte der Reißer über die Auseinandersetzung zwischen einem Milizionär und dem Paten des Terrorismus (Antikiller 2: Antiterror) von Jegor 334

5 Kontschalowski 2,68 Mio. Dollar im Vertrieb ein; und das Kriegsdrama 72 Meter von Wladimir Chotinenko über den Untergang eines U-Bootes spielte 2,54 Mio. Dollar ein. Karen Schachnasarows historischer Actionfilm Der Reiter, genannt Tod, dessen Handlung die Memoiren des Terrorkönigs Boris Sawinkow zugrunde lagen, hat bislang 1,3 Mio. eingebracht. Dennoch können diese Kassenschlager mit den amerikanischen Großproduktionen bei weitem noch nicht konkurrieren. Die Mainstream-Filme richten sich hauptsächlich an Jugendliche und setzen weder auf tiefe Gemütsbewegungen noch auf intellektuelle Auseinandersetzung bei den Zuschauern. Die reiferen Semester interessieren sich auch selten für die Hollywood-Produktion, aber diejenigen, die es tun, wird der Vertrieb in den nächsten drei bis vier Jahren sicherlich noch nicht zufrieden stellen können. Und das obwohl die Produzenten ihre Kapazitäten mobilisieren: Mosfilm arbeitet an rund hundert Projekten im Jahr, andere Filmstudios haben ihre Produktion ebenfalls belebt, im Jahre 2003 kamen 75 neue Filme d. h. sieben Filme mehr als im Jahr davor heraus. In den letzten Jahren haben russische Filme bei internationalen Festivals eine ganz ansehnliche Zahl von Preisen bekommen. Genannt seien Die Irrenanstalt von Andrej Kontschalowski, Der Liebhaber von Valeri Todorowski und Der Krieg von Alexej Balabanow. Begabte Regisseure, die Filme für Jugendliche drehen, sind ebenfalls hervorgetreten. Über den 28-jährigen Regisseur Pjotr Buslow (Bimmer) hat bereits die amerikanische und über den 34-jährigen Andrej Proschkin (Schmetterlingsspiele) die europäische Presse geschrieben. Selbst Kinderfilme, die nie zu den Kassenschlagern gehörten, werden prämiert. Die Zahl der Filmfestspiele steigt in Russland kontinuierlich an. Dennoch sieht der Zuschauer einheimische Streifen nach wie vor fast nie in den Kinos. Ihr Anteil am Vertrieb macht nur 16% aus. 335

6 Bekannte russische Filme 1908 Stenka Rasin, Regie: Wladimir Romaschkow 1911 Die Verteidigung von Sewastopol, Wassili Gontscharow und Alexander Chanschonkow 1925 Panzerkreuzer Potemkin, Sergej Eisenstein 1926 Die Mutter, Wsewolod Pudowkin 1934 Tschapajew, Sergej und Georgi Wassiljew 1944/46 Iwan der Schreckliche Teil 1,2 und der nicht erhaltene 3. Teil, Sergej Eisenstein 1956 Mutter, Mark Donskoi 1957 Der stille Don, Teil 1-3, Sergej Gerassimow 1957 Wenn die Kraniche ziehn, Michail Kalatozow 1959 Ein Menschenschicksal, Sergej Bondartschuk 1966 Krieg und Frieden, Teil 1 3, Sergej Bondartschuk 1967 Anna Karenina, Alexander Sarchi 1979 Stalker, Andrej Tarkowski 1980 Mexiko in Flammen (russisch-italienischmexikanische Koproduktion), Sergej Bondartschuk Tage die die Welt erschütterten (russisch-italienisch-mexikanische Koproduktion), Sergej Bondartschuk 1989/1996 Jermak ein Kosakenataman erobert Sibirien, 1991 Urga, Nikita Michalkow 1994 Die Sonne, die uns täuscht, Nikita Michalkow 1999 Der Barbier von Sibirien (russisch-französische Koproduktion), Nikita Michalkow 2002 Russian Ark (russisch-deutsche Koproduktion), Alexander Sokurow 2002 Der Kuckuck, Alexander Rogoschkin u. a. Wichtige russische Regisseure Sergej Bondartschuk Bachtier Chudojnasarow Andrej Michalkow-Kontschalowski Lew Kuleschow Nikita Michalkow Alexander Ptuschko Alexander Sokurow Andrej Tarkowski u. a. 336

7 THE RETURN DIE RÜCKKEHR Ein Film von Andrej Swjarginzew Preis der Russischen Filmkunst-Akademie: Nika Andrej Swjaginzew, der Regisseur des Filmes, wurde 1964 in Nowosibirsk geboren. Seit 1986 lebt er in Moskau absolvierte er das Studium an der Moskauer Schauspielschule GITIS. Swjaginzew war an verschiedenen Off-Theaterproduktionen beteiligt und arbeitete auch als Filmschauspieler, beispielsweise im Film Otraschenije (1998). Als Regisseur debütierte er im Jahr 2000 mit drei Kurzfilmen für die Fernsehserie Schwarzes Zimmer. Die Rückkehr ist sein erster Langspielfilm. Über seinen Film hat er einmal gesagt: Als ich diesen Film gemacht habe, betrachtete ich die Geschichte nicht als eine alltägliche oder eine soziale Story. Der Film ist zum großen Teil der Versuch einer mythologischen Sicht auf das menschliche Leben. Ich wünschte mir, das Publikum würde sich dessen bewusst sein, wenn es ins Kino geht. Abschließend möchte ich noch ein paar Zitate aus verschiedenen Zeitungen anführen: 1. Ein leuchtend schöner und rätselhafter Film The New York Times 2. Ein bildgewaltiger, metaphorischer Thriller mit einem verblüffenden Schluss. Variety 3. Fesselnd ( ), hat alles, was ein Hollywood-Film nicht hat Screen International 4. Der Goldene Löwe für die The return Rückkehr eine mutige Entscheidung und eine richtige dazu: Denn kaum ein Film hatte solchen Stilwillen, solche Bildkraft. Die Welt Der Film handelt von zwei Brüdern, die bei ihrer Mutter und Großmutter in einer Kleinstadt leben und sich durchs Leben schlagen. Nach zehn Jahren taucht ihr Vater plötzlich wieder 337

8 auf, unvermittelt und ohne Erklärungen, aber mit der festen Absicht, die Ordnung wiederherzustellen. Ivans Widerstand äußert sich in Kleinigkeiten, die Reaktionen des Vaters dagegen sind drastisch und für die beiden Kinder oft nicht nachzuvollziehen. So lässt er etwa den unzufriedenen, nörgelnden Ivan zur Strafe stundenlang im Regen stehen. Weitere Schikanen und Abenteuer möchte ich Ihnen nicht nacherzählen, ich lade Sie stattdessen herzlich ein, uns den Film gemeinsam anzuschauen. 338