BBK II - Dr. Wolfram Geier
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- Manfred Schmidt
- vor 8 Jahren
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1 BBK II - Dr. Wolfram Geier Szenarien krisenhafter Ereignisse und Verkettungen am Beispiel der Kritischen Infrastruktur Stromversorgung - Forum Berlin der Friedrich-Ebert-Stiftung e.v. Sehr geehrte Damen und Herren, lassen Sie mich mit Blick auf das Thema "krisenhafte Ereignisse und Verkettungen" sowie mit Blick auf das "Grünbuch" des Zukunftsforums Öffentliche Sicherheit im Folgenden ein kurzes kombiniertes und interdependentes Szenario entwickeln, das an die Bewältigungskapazitäten unserer Gesellschaft extreme Herausforderungen stellen würde. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, z. B. einem GAU in einem Kernkraftwerk oder einem Meteoriten- oder Kometeneinschlag, ist es eher unwahrscheinlich, dass Deutschland alleine durch ein originär singuläres und isoliertes Ereignis in eine schwere nationale Katastrophe oder Krise stürzt. Eher ist davon auszugehen, dass die Verkettung mehrerer Ereignisse und die Folgen von schleichenden natürlichen, technischen, ökonomischen, politischen und sozialen Prozessen in Verbindung mit gravierenden Einzelereignissen eine "Kritische Masse" erreichen können, die die Qualitäten einer solchen Katastrophe besitzen. Zu den natürlichen, sozialen, ökonomischen, technischen und politischen schleichenden Prozessen mit großem Risikopotential zähle ich unter anderem: den weltweiten Klimawandel, die globale Verbreitung von Krankheiten, insbesondere von Infektionskrankheiten, die weitere Internationalisierung, Privatisierung und Liberalisierung der Wirtschaft ohne ausreichende Sicherheitsstandards, die wachsende Durchdringung sämtlicher Arbeits- und Lebensbereiche mit mikroelektronisch basierten Techniken und Dienstleistungen ohne robuste Redundanzen, politischen und religiösen Extremismus, mangelnde Ressourcen zur effizienten Krisenbewältigung, den demographischen Wandel mit seinen Auswirkungen auf die Arbeitswelt und die Verfügbarkeit von Spezialisten aller Art, und schließlich das potentielle Unvermögen, komplexe krisenhafte Prozesse zu erkennen und gegenzusteuern,
2 Zu den singulären und rasch eintretenden sowie sich schnell auswirkenden Ereignissen, die in Verbindung mit den o. g. schleichenden Prozessen eine nationale Katastrophendimension annehmen können, gehören meiner Meinung nach unter anderem: ganz konkrete Epidemien / Pandemien, schwere, großflächig Infrastruktur zerstörende atmosphärische Ereignisse (Stürme, wie "Kyrill", "Martin" oder "Lothar" ), Extremniederschläge und Überschwemmungen, Länger anhaltende Hitzeperioden und Dürre, Industrieunfälle mit katastrophalen Folgen für das Ökosystem, lange anhaltende, großflächige Stromausfälle, Terroranschläge mit erfolgreicher Freisetzung nuklearer, radioaktiver, biologischer und chemischer Stoffe (CBRN). Ich glaube, dass national - wie auch international - sehr bedeutsame Krisenoder Katastrophendimensionen vermutlich in der Folge sowie als Folge schleichender natürlicher, sozialer, ökonomischer, politischer und technischer Prozesse entstehen, wobei eines oder mehrere der o. g. singulären Ereignisse - zum Teil Folge des Prozesses selbst - gleichsam wie ein Katastrophenkatalysator wirken können. Die internationale Finanzkrise kann dafür auch ein Beispiel sein. Spielen wir nun gedanklich ein bisschen weiter und versuchen, aus den mittelund längerfristigen Prozessen und den gravierenden Einzelereignissen ein Szenario entstehen zu lassen, das Katastrophen-Dimensionen erreicht. Nehmen wir: a) den Klimawandel an, der mittel- und langfristig neben Rohstoffknappheiten wie z. B. Trinkwasser, zu einer deutlichen Zunahme von extremen, vor allem atmosphärischen Naturereignissen, zu Migration und daraus folgenden verschärften internationalen Konflikten führen wird, aber auch die Verbreitung von Krankheiten einschließlich schwerer Pandemien begünstigen kann. 2
3 Eine solche gravierende Pandemie - z. B. Influenza mit resistenten Virenstämmen - führt bei unvorbereitetem Auftreten in hiesigen Gesellschaften zu einer schwerwiegenden Erkrankung von ca. 30% - 50% der Bevölkerung und mehr. Nehmen wir also an, in Europa rollte eine schwere Influenza-Pandemie. Durch eine solche Erkrankungsrate werden bereits heute schon enge Personalressourcen von Spezialisten in wichtigen Versorgungseinrichtungen hart getroffen, da diese aufgrund zunehmender Ökonomisierungsprozesse bereits im Normalbetrieb ohne oder aber nur mit geringen Redundanzen und Reservekapazitäten arbeiten; dies trifft auch auf die Spezialisten in den Energieversorgungsunternehmen zu. Denken wir weiter und nehmen: b) in Verbindung mit einem weiteren singulären Extremereignis, möglicherweise in Folge des Klimawandels, einen sehr starken, Infrastruktur zerstörenden Wintersturm an. Winterstürme und Manifestationen der Influenza fallen zeitlich meist zusammen. Starke Winterstürme können, wie uns die Wirklichkeit bereits physikalisch demonstriert hat, zu einem lange anhaltenden und großflächigen Stromausfall führen, in dessen Folge die gesamte Informations- und Kommunikationstechnik sowie weite Teile der bereits durch die Pandemie schwer eingeschränkten Versorgungsinfrastrukturen zusammenbrechen. Bringen wir a) und b) mit c), mit der Bevölkerung zusammen, die mangels nicht vorhandener Selbsthilfekompetenzen von den Ereignissen massiv getroffen wird und die in kurzer Zeit auch aufgrund der noch viel zu wenig untersuchten Besonderheiten unserer Logistikketten über keine ausreichenden Nahrungsmittel- und Energieressourcen sowie Medikamente und andere wichtige Bedarfsmittel mehr verfügt. Öffentliche Strukturen brechen zusammen und werden nur dort einen einigermaßen funktionierenden Notdienst anbieten können, wo Vorsorge - z. B. ausreichende Notstromversorgung, Pandemieplanung, Redundanzen - getroffen wurde. Dies trifft gleichermaßen auf Behörden wie auf private Dienstleister zu. 3
4 "Gerüchte" und Halbwahrheiten machen die Runde und können nicht entkräftet werden: es fehlen die alle Haushalte erreichenden öffentlichen Informationsstränge wie Radionachrichten, "Tagesschau", "heute" oder "Landesschau"; die Krise verschärft sich durch Informationsunsicherheit, Natürlich blüht d) durch die Versorgungsengpässe der "Schwarze Markt"; die Organisierte Kriminalität breitet sich aus, z. B. beim Schwarzhandel mit lebenswichtigen Medikamenten sowie anderen wichtigen Gütern. Die Rechtsordnung beginnt Risse zu bekommen, da Sicherheit und Ordnung nicht mehr überall gewährleistet werden können. Und - nicht zuletzt - sind e) die Personalressourcen der Krisenbewältigungskräfte, d.h. von Polizei, Armee, Feuerwehren, THW, privaten Hilfsorganisationen, Ärzteschaft und anderen Heil- und Hilfsberufsgruppen durch dieses Mischszenario massiv eingeschränkt. Personal fehlt und die Materialressourcen sind auf ein solches Szenario zum Teil nicht ausgelegt, da die Fokussierung bislang auf singuläre, lokal begrenzte Kurzzeitereignisse erfolgte. Sehr geehrte Damen und Herren, Sie merken es bereits: die "Kritische Masse" und damit eine echte Katastrophendimension werden spätestens beim Zusammentreffen solcher zweier eher als singulär empfundener Ereignisse, die jedoch die Folge von gravierenden schleichenden Prozessen sind, erreicht. Die Katastrophe schwer verschärfend, kommen weitere schleichende Prozesse und deren Folgen hinzu, wie die defizitäre Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung, die ökonomisch bedingte Mangelsituation in den Infrastrukturunternehmen hinsichtlich Redundanzen und Vorsorgeleistungen sowie die strukturelle Abhängigkeit der Gesellschaft von 4
5 lebenswichtigen Versorgungseinrichtungen. Ein solches Szenario kann nur durch eine umfassende frühzeitige Vorsorgeleistung erfolgreich gemanaged werden. Dem Risikomanagement und der Risikosteuerung in Unternehmen, Behörden und anderen Institutionen kommen daher lange vor Ereigniseintritt immense Bedeutung zu. Unsere Chance, mit den neuen Risiken richtig umzugehen, besteht meiner Meinung nach darin, die tatsächliche Komplexität der Welt von Heute und Morgen und die damit verbundenen prozessual schleichenden Risiken, ihre explosionsartigen Manifestationen und existenziellen Gefahren ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Diese Komplexität und ihre Folgen wurden in weiten Teilen von Menschen erzeugt und werden von ihnen beeinflusst; sie sind nicht schicksalhaft; Fehlentwicklungen können korrigiert, verhindert oder gemildert werden. Die richtige Auswahl der richtigen Szenarien, ihre analytische Erklärung und ihr Verständnis tragen so schon die richtigen Lösungsansätze in sich: es gilt sie bewusst wahrzunehmen, weiterzuentwickeln und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. An dieser Stelle, sehr geehrte Damen und Herren, setzt auch die Arbeit des Bevölkerungsschutzes im Allgemeinen und der Bundesbehörden im Besondern an. 5
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