Verletzungen der HWS. Die traumatisierte Wirbelsäule im Wachstumsalter. F. F. Fernandez. Epidemiologie

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1 Die traumatisierte Wirbelsäule im Wachstumsalter F. F. Fernandez 17. UpDate 2015 Orthopädie und Unfallchirurgie Thema 2015: Probleme rund um die Wirbelsäule Nov. 2015, Neuss Epidemiologie Sehr unterschiedliche Angaben zur Inzidenz 1-10 % Das Alter der Kinder bestimmt die prädominante Verletzungshöhe und Verletzungsursache: Halswirbelsäulenverletzungen treten hauptsächlich bei Kleinkindern (bis 4 J.) auf. - Geburtstraumata, Kindesmisshandlung, Verkehrsunfälle Brustwirbelsäulenverletzungen treten hauptsächlich bei Kindern bis zum 10. L.j. auf - Sportunfälle, häusliche Unfälle, Verkehrsunfälle Verletzungen am thorakolumbalen Übergang treten hauptsächlich bei Adoleszenten auf. - Sportunfälle, Verkehrsunfälle Garton et al. 2008, Carreon et al 2004, Dowd et al. 2002; Nitecki et al Verletzungen der HWS HWS-Verletzungen sind bei Kindern (< 4 J.) doppelt so häufig wie beim Erwachsenen. Dies ist bedingt durch anatomische Besonderheiten der kindlichen HWS: - Überproportional grosser Kopf - Flache Facettengelenke - Erhöhte Laxizität von Kapsel / Bändern - Unvollständige Verknöcherung der Wirbelelemente - Schwache Nackenmuskulatur Kinder mit Halswirbelsäulenverletzungen haben im Vergleich zu Erwachsenen eine höhere Morbidität und Letalität, meist infolge der assoziierten Verletzungen. Garton et al. 2008,Dowd et al. 2002; Nitecki et al

2 - Zunahme der Frakturen mit dem Alter - Verschiebung der Verletzungshäufigkeit von der oberen zur unteren HWS (Nach Garton et al. 2008, Kokoska et al. 2001) Da diese Verletzungen schwerste Konsequenzen für den Patienten nach sich ziehen, sind, wenn eine neurologische Schädigung besteht, Diagnostik und Abklärung von Wirbelsäulenverletzungen entscheidend, um insbesondere sekundäre Schädigungen zu vermeiden. Wer ist gefährdet? Wer muss abgeklärt werden? Wie kann man bei Patienten diese an sich seltenen Verletzungen mit genügender Sicherheit erfassen? Die Kosten überflüssiger Abklärungen einerseits und die Strahlenbelastung insbesondere bei der Computertomographie andererseits sind Argumente für eine gezielte Indikationsstellung. Welche Kriterien helfen, die potenziell verletzten Kinder zu erkennen? Die sog. Canadian C-Spine Rules (CCR) und die National Emergency X- Radiography Utilization Study (NEXUS) haben sich in der Praxis bewährt Die NEXUS- und die CCR-Kriterien zeigen für eine pädiatrische Patientengruppe eine Spezifität von 96% resp. 94% und eine Sensitivität von 86% bzw. 94%. Cave: Bei Kindern < 8 Lj. Nur zum Screening sinnvoll (begrenzte Aussagekraft) (Ehrlich et al. 2009; Garton et al. 2008; Viccellio et al. 2001) 2

3 Die klinische Beurteilung ist richtungsweisend. - Schmerzfreie Patienten - Wach, kooperativ (ohne Hinweise für eine Intoxikation) - Keine andere ablenkende Verletzung - Keine neurologischen Ausfälle = > Freigeben der Halswirbelsäule Die Diagnostik der Wahl bei einem Kind mit entsprechenden Hinweisen: - konventionelles Röntgenbild a.p. und seitlich (+ bei Adoleszenten zusätzlich eine transorale Densaufnahme) - CT der HWS (höhere Auflösung für knöchernen Strukturen) - NMR der HWS (bei zusätzlicher neurologischer Symptomatik muss eine notfallmäßige MR-Untersuchung erfolgen, um das Myelon und die Weichteilsituation zu beurteilen) - funktionelle Untersuchung mit dem Bildverstärker - Bei Schädel-Hirn-Trauma muss aufgrund der hohen Inzidenz von assoziierten Halswirbelsäulenverletzungen immer eine NMR oder ein Multislice-CT durchgeführt werden. 12 Mon. altes Kind 12-jähriger Junge Besonderheiten bei der Beurteilung der kindlichen Wirbelsäule - die anatomischen Strukturen sind noch nicht vollständig verknöchert, - das physiologische Bewegungsausmaß ist viel größer als beim Adulten, - die Abgrenzung zum Pathologischen ist nicht so eindeutig. Bei Kindern unter 8 Jahren findet sich bei ca. 40% auf Höhe C2 C3 und bei ca. 14% auf Höhe C3 C4 eine Pseudosubluxation. Die Pseudosubluxation kann bis zu 4 mm betragen bzw. maximal 40% der Wirbeltiefe ausmachen. (Cattell et al. 1965; Swischuk 1977; White et al. 1975). P. F. Heini: Wirbelsäulenverletzungen Spinal cord injury without radiographic abnormality (SCIWORA) Hohe Elastizität: - der mächtigen Bandscheibe - der dicken, knorpeligen Endplatten - des elastischen Bindegewebes => Erlaubt beim Kleinkind eine logitudinale Dehnung von bis zu 5 cm, ohne dass morphologische Schädigungen (im CT oder im Röntgenbild) nachweisbar sind Deutlich geringere Zugbelastung des Rückenmarks Schwerwiegende Schädigung des Rückenmarks ohne strukturelle Schädigung der WS MR-Untersuchung: strukturelle Läsionen im Rückenmark (Blutung, Ödem, extraneurale Läsionen wie Diskushernie, epidurales Hämatom) SCIWONA spinal cord injury without neuroimaging abnormality Bei Kindern mit einer neurologischen Symptomatik ohne strukturell nachweisbare Läsion im MRT wird eine 100%-ige Chance für eine vollständige Erholung postuliert. (Bosch et al. 2002; Dare et al. 2002). (Pang et al. 1982). 3

4 HWS-Verletzungen Atlantookzipitale Instabilität Okzipitale Kondylenfrakturen Frakturen des Atlas Atlantoaxiale Subluxation Frakturen des Dens axis Hanged-man-Fraktur Mittlere und untere HWS (HWK 3 bis HWK 7) Disco-ligamentäre Läsionen Axis (C2) Der Axis entwickelt sich aus 4 Knochenkernen: Körper - Dens - beide Neuralbögen Ossiculum terminale Bergmann Neugeborenes 4-jähriger Junge 12-jähriger Junge H-förmige Synchondrose Synchondrose fusioniert zwischen dem 3. und 6. Lebensjahr Bis zum 10. /12. Lj. noch als feine Linie erkennbar Frakturen des Dens axis Dens axis-fraktur ist eine der häufigsten Frakturen bei kindlichen HWS- Verletzungen, Häufung um das 4 Lj. Ursache sind meist Autounfälle oder Stürze aus größerer Höhe mit Gewalteinwirkung auf den Kopf. Schmerzen im Nacken angegeben, schmerzhafter Torticollis, fehlende Kopfkontrolle. Die Kinder vermeidenes, den Kopf aktiv zu extendieren. Wehren sich bei Funktionsüberprüfungen. Die Fraktur in diesem Alter verläuft meistens im Bereich der Synchondrose, etwas kaudal der Basis des Dens. Der Dens ist meist nach anterior verschoben. Der ventrale Periostschlauch bleibt intakt, sorgt für eine Reststabilität und eine gute Konsolidierungstendenz. 4

5 Frakturen des Dens axis Die noch nicht verknöcherte Synchondrose darf nicht als Frakturlinie fehlgedeutet werden Bei Frakturen durch die Synchondrose, bei denen eine spontane Reposition stattgefunden hat, kann die Röntgenaufnahme aber auch täuschen. Ein NMR ist dann notwendig, um die Diagnose zu sichern. - Neurologische Ausfälle sind bei dieser Verletzung selten - Meist Folge einer gleichzeitigen Zerrung des Myelons - Die nervale Läsionshöhe ist dann meistens kaudaler im Bereich des zervikothorakalen Übergangs Therapie: Bei Reposition und Ruhigstellung in einem Halo-Ringfixateur oder Minerva-Gips ist eine knöcherne Fusion innerhalb von 3 Monaten die Regel. Indikationen zur operativen Intervention (dorsale Fusion C1/C2 oder direkte Verschraubung) können sich bei seltenen hochgradig instabilen Frakturen ergeben oder wenn eine anatomische Reposition nur durch eine extreme Kopfhaltung zu erreichen ist. Frakturen des Dens axis Dislozierte Densverletzung in Höhe der Synchondrose (Sagittales CT- Rekonstruktion ) Traktion, Reposition, Ruhigstellung mit Halo-Fixateur Ausheilungsbild nach Abnahme des Halo-Fixateur M. Schrödel H. Hertlein, Unfallchirurg : Mittlere und untere HWS (HWK 3 bis HWK 7) HWS-Verletzungen von HWK 3 bis HWK 7 finden sich meist bei jugendlichen Patienten. Im Gegensatz zu den Frakturen von Erwachsenen können die Frakturen von Kindern und Jugendlichen im mittleren und unteren HWS-Bereich durch die knorpelige Endplatte verlaufen. Diese treten dann im Sinne von Salter-I- oder auch Salter-II-Frakturen in Erscheinung. Flexions- oder Distraktionsverletzungen können zu einer traumatischen Ablösung der Bandscheibe von der Grund- oder Deckplatte mit Ruptur des hinteren Längsbandes führen. => Diskoligamentäre Zerreißungen stellen instabile Verletzungen dar, können aber durch die fehlenden knöchernen Verletzungszeichen leicht übersehen werden. 5

6 M. Schrödel H. Hertlein, Unfallchirurg : M. Schrödel H. Hertlein Unfallchirurg : MRT Einsatz? 9-jähriges Mädchen, Sturz auf der Treppe BWK -Frakturen 3,4 und 6,7 - Durch den Einsatz des MRT werden multiple Verletzungen der WS nachgewiesen. - Durch das NMR verdreifachte sich deren Nachweis - Klärung der Beschwerden - Führt meist nicht zur Änderung des Therapiekonzeptes 6

7 Vielen Dank für Aufmerksamkeit! 7