sehr viel ältere Vorlagen tradieren. Diese Papyri sind die ältesten erhaltenen Quellen zur Medizin. [Hoffmann-Axthelm 1995]

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1 1 1. Einleitung 1.1. Zur Geschichte der Genioplastik Das Kinn phylogenetisch eine sehr junge Entwicklung ist von herausragender Bedeutung für das menschliche Gesichtsprofil und damit für die soziale Akzeptanz des Individuums: Menschen 'lesen' (wie immer bewusst) Gesichter [Luhr 1989]. Das taten offensichtlich schon babylonische Priester: "Der, dessen Oberlippe die Unterlippe überragt, wird die Menschen der Welt erfreuen". In dieser Quelle, die etwa 2000 v. Chr. entstand, ist eine mandibuläre Retrognathie beschrieben [Wünsche 1990, 20]. Besonders klar wird die soziale Deutbarkeit des Profils [Schüle 1974], wenn etwa in der Aufklärung systematisch und mit wissenschaftlichem Anspruch Gesichtsprofilen bestimmte Charaktereigenschaften zugeordnet wurden, so in den vier Bänden "Physiognomische(r) Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe" Johann Kaspar Lavaters, erschienen 1775 bis Künstler suchen seit Jahrhunderten nach 'dem' menschlichen Gesicht; etwa zeichnete Leonardo da Vinci Gesichter mit 'idealen' Proportionen [Tillmann 1995]. Die Drittelung in der Vertikalen spielte dabei ebenso eine Rolle wie die Harmonie in der Transversalen durch die Teilung in fünf gleich große Felder [Steinhäuser 1989]. Und auch die Idee, das Gesichtsprofil zu verändern, ist sehr alt. Allerdings geschah das kaum aus ästhetischen Gründen: etwa lässt sich dem "Papyrus Smith", dem sog. 'Wundenbuch' 1 entnehmen, dass im 17. Jahrhundert v. Chr. in Ägypten gebrochene und dislozierte Unterkiefer behandelt wurden [Wallace 1982]. So etwas wie plastische Chirurgie ist frühestens um 1500 v. Chr. in den großen indischen Epen und Hymnen, den Veden, nachweisbar [Denecke und Meyer 1964]. "Die im abendländischen Schrifttum erste Schilderung einer gesichtsplastischen Operation" [Hoffmann-Axthelm 1995] steht bei dem römischen Enzyklopädisten Aulus Cornelius Celsus und ist in der ersten Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr. entstanden. 2 Einer der ersten, die systematisch plastische Chirurgie im Kiefer- und Gesichtsbereich trieben, war Simon P. Hullihen. Er gründete 1845 in West-Virginia die erste Spezialklinik für Kiefer- und Gesichtschirurgie etablierte Garretson in den USA die Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie als selbständiges Fach [Wallace 1982]. 1 einem von einem Dutzend Papyri, die Mitte des 16. Jahrhunderts v.chr. aufgezeichnet wurden, aber wohl sehr viel ältere Vorlagen tradieren. Diese Papyri sind die ältesten erhaltenen Quellen zur Medizin. [Hoffmann-Axthelm 1995] 2 In den beiden wichtigsten medizinischen Texten des Abendlandes, im Corpus Hippocraticum von Kos (an der Wende des 5. zum 4. Jahrhundert v. Chr.) und in Ibn Sînâs (Avicenna) Canon medicinae dagegen findet sich zwar Zahnheilkundliches, doch nichts davon weist ins Gebiet der plastischen Chirurgie.

2 2 Das moderne Verfahren der Kinnosteotomie wurde 1942 zum ersten Mal von Hofer [1942] beschrieben. Hofer postulierte allerdings noch einen extraoralen operativen Zugang. Trauner und Obwegeser hingegen beschrieben 1957 eine modifizierte Technik mit intraoraler Schnit t- führung. Seither wurde das Operationsverfahren vielfach weiterentwickelt und modifiziert. Die knöcherne Genioplastik gilt heute als eine sehr sichere Operationsmethode [Bull 1997, Talebzadeh 2001]. Sie findet Anwendung entweder zur Korrektur von angeborenen bzw. erworbenen Kinnfehlstellungen oder im Zuge von Dysgnathieoperationen. Dabei wird das Kinn nach Osteotomie sowohl in der Horizontalen als auch in der Vertikalen augmentiert oder reduziert. Die Korrektur einer Asymmetrie ist so ebenfalls möglich. Von dem vor allem in den Vereinigten Staaten immer noch praktizierten Einsetzen alloplastischer Implantate sollte grundsätzlich Abstand genommen werden [Bull 1997] Indikationen zur operativen Kinnverlagerung Allgemeine Indikationen nach Bull [1997] Die Notwendigkeit einer Kinnverlagerung ergibt sich in erster Linie bei Dysgnathieoperationen. Aber auch als Kompromiss bei Patienten mit skelettalen Dysgnathien, die eine Dysgnathieoperation ablehnen, jedoch eine ästhetische Verbesserung des Profilverlaufs wünschen, ist eine Kinnplastik indiziert. Weiter ist bei Patienten, die mit anderen Operationswünschen kommen (z.b. mit dem nach einer Nasenkorrektur, einem Facelift oder einer submandibulären Liposuktion), bei denen die Hauptursache der ästhetischen Störung aber auf einer Kinnfehlstellung und/oder einer skelettalen Dysgnathie beruht, eine Genioplastik möglich. Schließlich kann im Rahmen der rekonstruktiven Chirurgie (z.b. nach Tumoroperationen) eine Kinnverlagerung notwendig sein. Allgemeine Indikationen nach Gattinger [1979] Indikationen für eine operative Kinnverlagerung sind ein in der Sagittalebene zurück- /vorliegendes Kinn, ein in der Vertikalebene zu hohes/zu niedriges Kinn und ein in der Transversalachse asymmetrisches Kinn.

3 3 Spezielle Indikationen nach Epker [1996] Indikationen zur Augmentation in horizontaler Richtung - in der Frontalansicht das Fehlen einer deutlichen Unterkieferrand- Abgrenzung zum Hals (Abgrenzung des unteren Gesichtsdrittels zum Hals) - weichgewebsbedingte Marionettenfurchen (vor allem bei älteren Patienten) - eine mangelhafte Kinnstruktur/Kinnform (vor allem ein 'spitzes Kinn') im Verhältnis zu anderen Gesichtsstrukturen (unter anderem zur Breite der Jochbeine und zum Kieferwinkel) - eine mangelhafte anterior-posteriore Kinnposition (von Geschlecht und Alter beeinflusst) Indikationen zur Augmentation in vertikaler Richtung Starke Abweichungen des kaudalen Gesichtsdrittels innerhalb der allgemein als ästhetisch empfundenen Gesichtsdrittelung: - kraniales Drittel: Haaransatz Weichteil-Nasion - mittleres Drittel: Weichteil-Nasion Subnasale - kaudales Drittel: Subnasale Weichteil-Menton (Das Verhältnis Subnasale Stomion zu Stomion Weichteil-Menton sollte 1:2 und das Verhältnis Subnasale unteres Lippenrot zu unteres Lippenrot Weichteil-Menton 1:1 betragen.) Indikationen zur Reduktion in horizontaler Richtung Eine im Verhältnis zu Nase und Lippen anterior-posteriore Prominenz des Kinns ohne das gleichzeitige Bestehen einer skelettal bedingten Malokklusion.

4 Indikationen zur Reduktion in vertikaler Richtung - Das untere Gesichtsdrittel ist, durch eine vertikale Verlängerung der Symphyse bedingt, zu lang. - Das untere Gesichtsdrittel ist deutlich länger als das mittlere. - Die kaudalen zwei Drittel des Untergesichts gehen über ein 1:2- Verhältnis von Subnasale Stomion zu Stomion Weichteil-Menton hinaus. - Die kaudale Hälfte des kaudalen Gesichtsdrittels ist vergrößert (Sn St < Li Me) Indikationen zur Begradigung, Nivellierung und Rotation - ein unabhängig von einer funktionellen skelettalen Gesichtsdeformität durch eine echte dreidimensionale Skelettfehlbildung gekrümmtes Kinn - asymmetrische Abstände der Unterkieferränder zu oberen Referenzpunkten wie den unteren Augenliedern - eine Asymmetrie der Unterlippe - ungleiche Seiten des unteren Gesichtsdrittels - die Mittellinie des Kinns stimmt deutlich nicht mit der tatsächlichen Gesichtsmitte überein - ungleiche Höhen des rechten/linken Unterkieferrandes im parasymphysealen Bereich Weitere spezielle Indikation nach Epker [1996] Eine Genioplastik ist indiziert, wenn im Rahmen einer kieferorthopädischkieferchirurgischen Operation die eigentlich durchaus ästhetisch-harmonische Position des Kinns so verändert werden würde, dass daraus eine Kinnfehlstellung resultierte; wenn z. B. bei bestehender mandibulärer Prognathie

5 5 mit Klasse III - Verzahnung aber korrekter Kinnstellung und daraus resultierendem harmonischen Profilverlauf die operative Korrektur allein der Fehlbisslage eine Retrogenie hervorriefe Fragestellung In der Literatur finden sich nur wenige Angaben über die Komplikationen, die eine knöcherne Genioplastik verursachen kann. Deshalb sollen die bisher dokumentierten Komplikationen zusammengetragen und mit denen in dieser Studie gefundenen verglichen werden. Grundsätzlich kann die Kinnplastik im Rahmen kieferorthopädisch-kieferchirurgischer Eingriffe während der Dysgnathieoperation (einzeitiges Vorgehen, primäre Genioplastik) oder als Folgeoperation zusammen mit der Materialentfernung aus der Dysgnathieoperation (zweizeitiges Vorgehen, sekundäre Genioplastik) erfolgen. Es stellt sich die Frage, ob es durch die zusätzliche Kinnplastik während der Dysgnathieoperation (einzeitiges Vorgehen) zu einer Erhöhung der Komplikationsrate kommt, so dass die Kinnplastik besser zweizeitig durchgeführt werden sollte. Die ästhetischen, röntgenologischen und funktionellen Resultate nach Genioplastik werden für 24 Patientenfälle einzeln dargestellt und auf die Frage hin bewertet, ob die Kinnplastik auch aus der retrospektiven Analyse heraus als gerechtfertigt erscheint. Neben den Erkenntnissen, welche Komplikationen aufgetreten sind, interessiert auch, wie die Patienten die Veränderungen psychologisch verarbeitet haben und ob sie mit den Ergebnissen zufrieden sind.