Thema III: Rechtsquellen und Gestaltungsfaktoren des Arbeitsverhältnisses
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1 1 Juristische Fakultät HDin Dr. iur. Eva Hein Vorlesung Arbeitsrecht WS 2006/2007 Thema III: Rechtsquellen und Gestaltungsfaktoren des Arbeitsverhältnisses Übungsfälle: 1. X arbeitet bei der Bank(B). Er ist Mitglied der Partei Die Linke. Er hat sein Arbeitsverhältnis zum fristgerecht gekündigt. Im Zusammenhang mit der Landtagswahl verteilte X bei einer Wahlveranstaltung im August ein Flugblatt. Darin wurde die Tätigkeit der Banken im allgemeinen und der B im besonderen angegriffen und u.a. auch die Verstaatlichung der Banken gefordert. Ein Unternehmer, der ein guter Kunde der B ist, informierte davon den Vorstand der B. Daraufhin fand Anfang September ein Gespräch zwischen X und dem Personalchef der Bank statt, in dem X seine Position verteidigte. Mit Schreiben vom kündigte B X deshalb formgerecht fristlos. X hält die Kündigung für unwirksam, da sie gegen seine Grundrechte verstoße. Ist die fristlose Kündigung wirksam? 2. U zahlt seit 2002 eine Weihnachtsgratifikation in Höhe eines Monatseinkommens. Schriftliche Erklärungen darüber existieren nicht. Weil sich die Geschäftslage verschlechtert hat, zahlte U 2005 nicht. Steht den ArbN ein Anspruch auf die Weihnachtsgratifikation nach wie vor zu? (BAG, SAE 1997, 341 mit krit. Anm. Franzen; BAG AP Nr. 55 zu 242 BGB Betriebliche Übung). 3. X stand bis zum im Dienst des A. Sein Gehalt betrug 2000 monatlich. A hat durch Festlegung vom die Löhne und Gehälter aller Mitarbeiter mit Wirkung vom um 2% angehoben. In den Genuss der rückwirkenden Lohnerhöhung sollen alle ArbN kommen, die am im Dienst des A stehen. X ist der Meinung, auch ihm sei nachträglich für seine Arbeit im Rückwirkungszeitraum das erhöhte Gehalt zu zahlen. Ist der Anspruch begründet? 4. X ist Mitglied der Gewerkschaft IG-Chemie. Sein AV sieht einen Urlaubsanspruch von 27, der Verbands-TV von 28 und die BV von 30 Werktagen vor. Das Bundesurlaubsgesetz enthält einen Urlaubsanspruch von 24 Werktagen. Welchen Urlaubsanspruch hat X?
2 2 Hinweise: Zu unterscheiden ist zwischen Rechtsgrund und Gestaltungsfaktoren des Arbeitsverhältnisses. Rechtsgrund: AV Gestaltungsfaktoren: Gesetz, TV, BV, Einzel- AV, arbeitsvertragliche Einheitsregelungen, Gesamtzusagen, betriebliche Übungen, arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz, Direktionsrecht des ArbG. Grundgesetz Zu den Verfassungsnormen, die im AR Bedeutung erlangen, gehören in erster Linie, Art. 1,2,3,4,5,6,9 III und 12 GG. Das BAG (AP Nr. 2 zu 13 KSchG) hatte sich zunächst zu einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte im Arbeitsverhältnis bekannt. Wird heute überwiegend abgelehnt und eine mittelbare Drittwirkung der Grundrechte zwischen den Subjekten des Privatrechtsverkehrs vertreten. Grundrechte entfalten sich als verfassungsrechtliche Grundentscheidungen vor allem über die Generalklauseln sowie die auslegungsfähigen und bedürftigen Begriffe des Privatrechts (BAGE 48,122; BVerfGE 7,198; ). Weiterentwicklung der Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte durch Lehre von der Schutzgebotsfunktion der Grundrechte. Problem: Intensität der Grundrechtsbindung. Besonderheiten im AR: Unmittelbare Drittwirkung Art.9 III GG. Europarecht Große Teile des nationalen AR werden durch europäisches Recht beeinflusst und gestaltet. Unmittelbare Geltung haben die Normen des EG- Vertrags sowie die Verordnungen (vgl. Art. 189 EG-Vertrag). EU-Richtlinien wenden sich an die einzelnen Mitgliedstaaten, indem sie die Verpflichtung begründen, bestimmte Regelungsziele innerhalb eines bestimmten Zeitraums durch Erlass geeigneter Rechtsnormen zu verwirklichen. Die nationalen Gerichte sind zur richtlinienkonformen Auslegung verpflichtet (st. Rspr. EuGH NJW 1996, 3141, EuGH, NZA 2005, 213- Junk; EuGH NZA 2005, 1345 Mangold). Wichtigsten Bereiche des europäischen AR betreffen: Gleichbehandlung, Recht des Betriebsübergangs, technischen Arbeitsschutz, ArbN- Beteiligung. Arbeitsrechtliche Gesetze Als Gestaltungsfaktoren untergeordnete Rolle, keine geschlossene Kodifikation des staatlichen AR im Sinne eines Arbeitsgesetzbuches. Kernstück des staatlichen AR (Individualarbeitsrecht) = BGB, vielfach jedoch modifiziert, aufgrund des sozialen Sachverhalts. Vorschriften des Dienstver-
3 3 tragsrechts gelten grundsätzlich sowohl für selbständige Dienstverträge als auch für AV. Ausnahmen: nur für selbständige Dienstverträge: 621,627 BGB, Daneben existieren nach Sachgebieten (z.b. Bundesurlaubsgesetz, Arbeitszeitgesetz, Kündigungsschutzgesetz) bzw. Personengruppen (z. B. Mutterschutzgesetz) zu differenzierende arbeitsrechtliche Spezialgesetze. AR bis auf wenige Ausnahmen Bundesrecht, idr einseitig zwingend. Dispositives Recht Ausnahme, 616 BGB Arbeitsrechtliche Besonderheit: Tarifdispositivität arbeitsrechtlicher Gesetze, z.b. 622 BGB. TV Werden entweder zwischen Verbänden (Gewerkschaft und ArbG-Verband = Flächentarifverträge) oder zwischen Gewerkschaft und Unternehmen (Firmen/Haus-TV) geschlossen. In TV werden Rechtsnormen vereinbart, die für die Einzel-Arbeitsverhältnis gelten sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen geregelt, 1 TVG. TV- Normen haben unmittelbare und zwingende Wirkung ( 4 I 1 TVG), soweit der TV nicht für allgemeinverbindlich erklärt wurde, grundsätzlich nur auf die Arbeitsverhältnis der beiderseits tarifgebundenen Parteien, 3 I,4 I TVG. TV-Normen setzen Mindeststandards, die Tarifgeltung wird durch das Günstigkeitsprinzip begrenzt, 4 III TVG. BV Gesetzliche Grundlage: BetrVG. Vertrag zwischen dem ArbG und einem von den ArbN des Betriebs gewählten BR. Vorschriften von BV gelten unmittelbar und zwingend für den ArbG und die ArbN des Betriebs, mit Ausnahme der leitenden Angestellten, 77 IV BetrVG. Verhältnis BV - TV, 77 III BetrVG. Arbeitsvertragliche Einheitsregelungen Gleichlautende Regelung von Arbeitsbedingungen ohne Berücksichtigung des Einzelfalls. Bindungswirkung: durch Willensübereinstimmung, idr konkludentes Akzeptieren. Inhaltskontrolle: 305ff BGB. Gesamtzusage Einseitige Zusage bestimmter Leistungen durch den ArbG an einzelne ArbN oder eine bestimmte Gruppe, sofern die von ihm abstrakt festgelegten Voraussetzungen erfüllt werden. Bindungswirkung: durch konkludente Annahme unter Verzicht des ArbG auf den Zugang der Annahmeerklärung nach 151 BGB. Inhaltskontrolle: 305ff BGB.
4 4 Betriebliche Übung Regelmäßige vorbehaltlose Wiederholung gleichförmiger Verhaltensweisen im Betrieb. ArbG stellt durch eine tatsächliche Handhabung eine Regel auf, nach der eine nicht geschuldete Leistung entweder allen ArbN des Betriebs oder einer bestimmten ArbN-Gruppe gewährt wird und erweckt damit die Erwartung, er werde auch in Zukunft dieses Verhalten fortsetzen. Rechtsdogmatische Einordnung: Vertragstheorie gegen Vertrauenshaftungstheorie. Vertragstheorie: (dominierend in der Rechtsprechung des BAG (BAG AP Nr. 5, 11, 22 zu 242 BGB Betriebliche Übung) = Bindungswirkung folgt aus einer stillschweigenden Vereinbarung zwischen ArbG und ArbN. Schranken für die Entstehung einer Bindungswirkung: Gewährung der Leistung ist mit einem Freiwilligkeitsvorbehalt versehen (BAG AP Nr. 4 zu 611 BGB Gratifikation), für die Regelung von Arbeitsbedingungen besteht ein zwingendes Schriftformerfordernis (BAGE 39, 271). Arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz Anspruchsbegründende Wirkung. Geht der ArbG jenseits individueller Gestaltung regelnd vor, darf er ArbN einer bestimmten Ordnung nicht aus sachfremden Gründen (willkürlich) unterschiedlich behandeln = Gebot sachgerechter Regelbildung, konsequenten Vollzugs der aufgestellten Regel (BAG AP Nr.4 zu 242 BGB; BAG, NZA 2001, 782). Dogmatische Begründung: str. Gegenstand: Maßnahmen, die der einseitigen Gestaltungsmacht des ArbG unterliegen. Nicht anwendbar, wo Arbeitsbedingungen individuell ausgehandelt werden. Vertragsfreiheit Vorrang vor Gleichbehandlung. Voraussetzungen für die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes: 1. Bestehende Rechtsbeziehungen zwischen ArbG und ArbN, 2. Kollektiver Charakter der Maßnahme des ArbG, 3. Ungleichbehandlung gegenüber der überwiegenden Mehrheit der Belegschaft oder der überwiegenden Mehrheit einer bestimmten vergleichbaren ArbN-Gruppe, 4. Keine Rechtfertigung aus sachlichen Gründen. Rechtsfolgen der Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes: Kein Verbot isv 134 BGB. Rechtsgeschäfte, die unter Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zum Nachteil bestimmter ArbN ergehen, sind unwirksam. Rechtsgeschäfte, die unter Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ArbN begünstigen, sind grundsätzlich wirksam. Die benachteiligten ArbN haben Anspruch auf Beseitigung der Rechtsbeeinträchtigung für die Zukunft.
5 5 Lösung von Regelungskollisionen Rechtsquellen gleicher Rangstufe: Es gelten die allgemeinen Prinzipien, Ablöseprinzip = Ordnungsprinzip, soweit es sich um eine autonome (nicht staatliche) Rechtsquelle handelt, Spezialitätsprinzip. Rechtsquellen verschiedener Rangstufen: Grundsätzlich: Rangprinzip (ranghöherer Gestaltungsfaktor verdrängt den rangniedrigeren). Durchbrochen durch Günstigkeitsgrundsatz = Anwendung findet die Regelung, die für den ArbN günstiger ist. Der Günstigkeitsgrundsatz gilt nicht: wenn die ranghöhere Norm insgesamt nachgiebiges Recht ist; wenn den Partnern der niederrangigeren Vereinbarung von der höheren Norm gestattet wird, auch zu Ungunsten des ArbN abzuweichen (tarifoffenes, BV-offenes Recht); für bestimmte Bereiche im Verhältnis TV - BV, 77 III BetrVG.
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