Heilig Abend, Christvesper 19 Uhr Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche Pfarrer i.r. Peter Freybe Predigttext: Jes. 9, 1+5

Transkript

1 Heilig Abend, Christvesper 19 Uhr Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche Pfarrer i.r. Peter Freybe Predigttext: Jes. 9, 1+5 Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht. Und über denen, die wohnen im finsteren Lande, scheint es hell. Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben. Und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter. Und er heißt: Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst. Liebe Christfestgemeinde am Heilig Abend! Der Engel bleibt! Ja, was wäre Weihnachten ohne Engel! Seit einem Vierteljahr feiern wir hier in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis- Kirche das 50. Jubiläum dieser blauen Kirche. Am vergangenen Sonntag war der Höhepunkt dieser Tage der Festgottesdienst war die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche in Schutt und Asche zerbombt. Alles Trümmer. Die Halle der Kirche war eingestürzt. Schreckliche Spuren der Gewalt und des Krieges. Aber oben am Gewölbe des Alten Turmes kann man es sehen: Der Engel ist noch da! Freilich, auch der Engel hat noch seine Wunden. Aber der Engel ist noch da! (auch hier vorn auf Ihrem Liedblatt) Und da steht nebenan in der Gedenkhalle das Nagelkreuz aus Coventry. Am Anfang der Woche waren Gäste aus Coventry in unserer Gemeinde. Und wir haben uns erinnert: 1940 zerbombten deutsche Kampfflieger die Kathedrale in Coventry in Schutt und Asche. Und schon bald nach dem Krieg brachten die englischen Christen das Nagelkreuz zum Zeichen der Versöhnung und 1

2 des Friedens nach Deutschland auch hier her in die alte Ruine. (Ja, diese Engländer waren wahre Engel denn Engel sind immer Boten Gottes mit einer Botschaft der Versöhnung und des Friedens!) Und in dem Coventry- Gebetsruf beten wir jeden Freitag das: Vater, vergib! Und der Engel über uns in dem Gewölbe nebenan ist immer dabei. Und der Engel bleibt und geht mit! Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht! Es ist die uralte Verheißung des Propheten Jesaja für das von Krieg und Schrecken bedrohte und bedrückte Volk. Damals war es Syrien, das die jüdischen Nachbarn so in Angst und Schrecken versetzte. Und es erschien die Botschaft des Propheten wie ein Licht am Ende des Tunnels, als sie hörten: Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht. Und über denen, die da wohnen im finsteren Lande, scheint es hell. So wird es immer, wenn der Engel seine Botschaft bringt. Und so muss es ihnen schon damals wie eine Engelsbotschaft ins Herz gegangen sein. Und der Engel bleibt und geht mit. Denn es ist wie Weihnachten uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben. Und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter. Und wir sehen uns wieder hier in unserer neuen Kirche 66 Jahre im Frieden nun schon nach all diesen Kriegsschrecken. Dort hinten an der Rückwand erinnert uns der alte spanische Gekreuzigte, wie Christus all das Leid der Welt auf seine Schultern genommen und getragen hat. Es ist zum Gedenken an die christlichen Märtyrer der Jahre dort angebracht. Und daneben lesen wir: Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. 2

3 Und gleich daneben wieder ein Gedächtnis: Die Stalingrad-Madonna. Der Theologe und Arzt Kurt Reuber hat im Kessel von Stalingrad eine Mutter mit dem Kind in ihren Armen auf die Rückseite einer russischen Landkarte gezeichnet. Und wir lesen: Weihnachten 1942 Licht, Leben, Liebe. Und wieder der Engel bleibt und geht mit. Die Botschaft von Licht, Leben und Liebe mitten in allem Dunkel bleibt. Und sie feiern Gottesdienst dort im Bunker in Stalingrad. Und wir feiern hier in der Stille dieses Abends mit dem Engel und mit dem Kind. Und die Farben dieser blauen Kirche lassen uns zur Ruhe und zur Besinnung kommen. Blau die Farbe des Friedens, der Einkehr und der Transzendenz. Und dazwischen immer wieder die anderen Farben des Lebens: Das Rot als Farbe der Liebe. Das Grün als Farbe der Hoffnung. Das Gelb als Farbe der Ewigkeit. Das alles bleibt die volle bunte Engels- Botschaft in der Stillen Nacht. Und das ist so viel mehr als ein Licht am Ende des Tunnels. Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht schon hier und jetzt ein großes Licht. Und nun möchte ich noch einen Zeugen unseres Glaubens erinnern. Wir haben in der vergangenen Woche auch hier in dieser Kirche an Jochen Klepper gedacht. Irgendwie gehört dieser Berliner Dichter auch in diese Gedächtnis-Kirche erschien seine kleine Liedsammlung: Kyrie, also Du, Herr; Herr, erbarme dich! Und darin das inzwischen so vielen vertraute Advents- und Weihnachtslied: Die Nacht ist vorgedrungen der Tag ist nicht mehr fern. Es ist die Nacht der Bedrängnisse und Bedrohungen. Aber es ist eben auch die Nacht, die den 3

4 Morgen, das Licht des Tages ankündigt. Und immer wieder ist es beides, so dicht und nah beieinander: das Dunkel und das Licht. So heißt es immer nebeneinander: Die Nacht ist vorgedrungen der Tag ist nicht mehr fern. Die Nacht ist schon im Schwinden macht euch zum Stalle auf. Noch manche Nacht wird fallen auf Menschen Leid und Schuld doch wandert nun mit allen, der Stern der Gotteshuld. Und Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt! Und so hat es Jochen Klepper erlebt und hat davon gelebt, dass Gott uns in allem Dunkel unserer Nächte nicht allein lässt. Der Engel bleibt. So hat er mit der stillen Stimme seiner Lieder angesungen gegen die Ängste seiner Zeit. Und es war wahrlich eine böse finstere Zeit, die menschenverachtende Herrschaft des Nationalsozialismus (möge so etwas nie wieder über uns kommen!). Jochen Kleppers jüdische Frau und die Tochter Renate waren ständig um ihr Leben bedroht. Als sie keinen Ausweg mehr sahen und um der Verhaftung und Ermordung im KZ zu entgehen, hat die Familie schließlich in der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember 1942 frei willig den Weg in den gemeinsamen Tod gewählt. In den Tagebuchaufzeichnungen Unter dem Schatten deiner Flügel lesen wir von diesen letzten Tagen: Wir sterben nun auch das steht bei Gott. Wir gehen heute Nacht gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des segnenden Christus, der uns trägt. In diesem Augenblick endet unser Leben. Liebe Gemeinde zur stillen Nacht, der segnende Christus was für eine Gewissheit, was für eine Freiheit schenkt er auch und gerade zum Christfest. Wer schuldig ist auf Erden, verhüll nicht mehr sein Haupt. Er soll errettet werden, wenn er dem Kinde glaubt. 4

5 Und dieses Kind heißt nun bei Jesaja: Wunder-Rat das große Christuswunder mitten in der Welt des Augenscheins, wo nur zählt, was man zählt an Erfolg und Gewinn. Der Gott-Held, der eben niemanden übersieht und sich denen zu-bückt und zuwendet, die heute noch ganz unten sind. Der Ewig-Vater, denn wir leiden unter den Grenzen unseres Alltags. Wir brauchen das Licht, das über den Tod hinausweist. Und der Friede-Fürst, der uns zum Frieden anstiftet und zur Versöhnung zwischen Menschen und Völkern. Liebe Gemeinde am Heilig Abend. Der Engel bleibt und geht mit. Und nun kann uns in dieser Kirche hier dieser große segnende Christus vor uns und über uns zu d e m großen Engel werden zu dem Botschafter der Liebe und des Friedens Gottes für uns und unsere Welt. Der Engel bleibt. Und der Engel geht mit. Nehmen Sie ihn mit für heute Abend und für die Feiertage und für ein neues Jahr! Sein Licht, aufscheinend wie die Sonne am Himmel, hat uns berührt. Es leuchtet auch denen, die in Finsternis sind und im Schatten des Todes. Und lenkt unsere Schritte zum Frieden. Amen 5