B. Abstandsflächengebot
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- Dörte Geier
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1 B. Abstandsflächengebot I. Grundsatz 1. Allgemeines 5 Abs. 1 Satz 1 LBO ordnet an, dass vor Außenwänden 1 von (oberirdischen) 2 baulichen Anlagen ( 2 Abs. 1 LBO) grundsätzlich Abstandsflächen liegen müssen (Abstandsflächengebot). Zu unterscheiden ist in diesem Zusammenhang zwischen baulichen Anlagen, die Außenwände haben (und dies im weitesten Sinne), wozu vor allem Gebäude ( 2 Abs. 2 LBO) und auch Gebäudeteile, d. h. bautechnisch-konstruktive Bestandteile von Gebäuden, etwa Erker und Balkone, aber auch selbstständige großflächige Werbetafeln als Wände gehören, und baulichen Anlagen, die keine Außenwände haben, wozu insbesondere Stellplätze ( 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 6, Abs. 8 Satz 1 LBO) und Lagerplätze ( 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 LBO) gehören. 23 Denn bauliche Anlagen, die weder Gebäude sind noch Außenwände im weitesten Sinne haben, sind von vornherein abstandsflächenrechtlich unbeachtlich. Hingegen sind bauliche Anlagen, die zwar keine Gebäude sind, die aber Außenwände im weitesten Sinne haben, abstandsflächenrechtlich beachtlich; sie haben indessen eigene Abstandsflächen nur nach Maßgabe der Sonderregelung des 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 LBO. Beispiele: (1) Anlagen des Tiefbaues, wie z. B. Lagerplätze 3, Stellplätze u. Ä. m., gelten zwar als bauliche Anlagen ( 2 Abs. 1 Satz 3 LBO), sie haben aber weder Außenwände noch überhaupt Wände. Sie sind deshalb von vornherein abstandsflächenrechtlich unerheblich. Hingegen haben Aufschüttungen, die gleichfalls als bauliche Anlagen gelten, einen ( Wand- )Abschluss im weitesten Sinne. Sie sind deshalb an sich abstandsflächenrechtlich erheblich. Die Frage, ob sie als abstandsflächenrecht- 1 Vgl. Rn Eine bauliche Anlage ist oberirdisch, wenn sie die Geländeoberfläche ganz oder teilweise überragt (vgl. dazu Rn 118ff.). 3 Allerdings können Lagerplätze, auf denen etwa Holz gelagert wird (Holzlagerplätze), Wände und daher nach Maßgabe des 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 LBO eigene Abstandsflächen haben. 43
2 B. Abstandsflächengebot lich beachtliche bauliche Anlagen eigene Abstandsflächen haben, ist aufgrund von 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 LBO zu beantworten. (2) Die unmittelbar mit dem Erdboden verbundene großflächige Werbetafel ist zwar eine bauliche Anlage, aber kein Gebäude. Sie hat eine Außenwand im weitesten Sinne und ist deshalb abstandsflächenrechtlich erheblich. Die Frage, ob sie allerdings als abstandsflächenrechtlich erhebliche bauliche Anlage eigene Abstandsflächen hat, beantwortet sich gemäß 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 LBO. Abstandsflächengebot ( 5 Abs. 1 Satz 1 LBO): Vor den Außenwänden von baulichen Anlagen müssen Abstandsflächen liegen Der Grundsatz des 5 Abs. 1 Satz 1 LBO gilt, soweit das Bauordnungsrecht im 6 Abs. 1 LBO keine Ausnahmen für Gebäude (teile), Garagen, Gewächshäuser und andere bauliche Anlagen bestimmt, weil die dort genannten Anlagen keine eigenen Abstandsflächen haben; das Städtebaurecht (Bebauungsrecht; 29 ff. BauGB), vor allem die zulässigen und wirksamen Festsetzungen von Bebauungsplänen (Q-, V- und E- Plänen), namentlich die Festsetzungen über die Bauweisen ( 22 BauNVO) und auch über die überbaubaren Grundstücksflächen ( 23 BauNVO), sowie in faktischen Bebauungsbereichen die Planersatzvorschrift des 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB (Einfügen eines Vorhabens in die Umgebungseigenart nach den bereits vorhandenen Bauweisen und überbauten Grundstücksflächen) nichts anderes regeln (vgl. 5 Abs. 1 Satz 2 LBO). Aus Letzterem ergibt sich, dass insoweit das bundesrechtliche Städtebaurecht Vorrang vor dem landesrechtlichen Abstandsflächenrecht genießt. 1 1 Vgl. dazu grundsätzlich BVerwG NVwZ 1994, 1008 = BauR 1994, 494 = ZfBR 1994,
3 I. Grundsatz Dies bedeutet, dass gerade die Gemeinden in der Bauleitplanung durch Bebauungspläne und andere städtebaurechtliche Satzungen (vgl. 34 Abs. 4 BauGB) auf das bauordnungsrechtliche Abstandsflächenrecht Einfluss nehmen können; dies gilt auch, soweit es um die Tiefenmaße der Abstandsflächen aufgrund von städtebaurechtlichen Festsetzungen geht, die vom Bauordnungsrecht ( 5 Abs. 7 LBO) abweichen dürfen ( 74 Abs. 1 Nr. 7 Satz 2 und Satz 3 LBO; vgl. 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB). Beispiele: (1) Ist in einem Bebauungsplan die offene Bauweise (o) festgesetzt, dann haben die in der offenen Bauweise zugelassenen Hausformen (Einzel- und Doppelhäuser sowie Hausgruppen, jeweils mit Längen bis zu 50 m) kraft bundesrechtlichem Baunutzungsrecht zu den (äußeren) seitlichen Grundstücksgrenzen (Nachbargrenzen) ( 22 Abs. 2 BauNVO) 1 und kraft landesrechtlichen Abstandsflächenrechtes ( 5 Abs. 1 LBO) auch zu den anderen Grundstücksgrenzen Abstände einzuhalten. 2 (2) Darf nach bebauungsrechtlichen Vorschriften nicht an die Grenze gebaut werden, etwa im Falle der Festsetzung der offenen Bauweise, dann kann das landesrechtliche Abstandsflächenrecht nicht gleichwohl bestimmen, dass an die Grenze gebaut wird, und zwar selbst dann nicht, wenn dort auf dem Nachbargrundstück schon ein Grenzbau sich befindet. Die Zulässigkeit eines Grenzanbaues setzt in Fällen der vorliegenden Art eine Befreiung von der Festsetzung der offenen Bauweise voraus ( 31 Abs. 2 BauGB). 3 (3) Ist in einem Bebauungsplan die geschlossene Bauweise (g) festgesetzt, dann müssen die Gebäude kraft Baunutzungsrecht grundsätzlich ohne seitlichen Grenzabstand errichtet werden ( 22 Abs. 3 BauNVO), im Übrigen gilt Abstandsflächenrecht. (4) In einem Bebauungsplan kann eine von der offenen oder geschlossenen Bauweise abweichende Bauweise (a) festgesetzt ( 22 Abs. 4 Satz 1 LBO) und dabei auch bestimmt werden, inwieweit an die vorderen, rückwärtigen und seitlichen Grundstücksgrenzen herangebaut werden darf oder muss ( 22 Abs. 4 Satz 2 BauNVO). 4 (5) Ist im Bebauungsplan keine Bauweise festgesetzt, sind nicht automatisch die Vorschriften über die offene Bauweise anzuwenden. Sofern ein Bebauungsplan kei- 1 Die seitliche Grundstücksgrenze ist von der das Grundstück erschließenden öffentlichen Verkehrsfläche aus zu beurteilen (VGH BW VBlBW 2008, 272). 2 Ist im Bebauungsplan offene Bauweise festgesetzt, ergeben sich die Maße der Abstände zu den seitlichen Grundstücksgrenzen (vgl. Rn 42) grundsätzlich aus dem Bauordnungsrecht (BVerwG BRS 57 Nr. 7), es sei denn, im Bebauungsplan sind aufgrund von 9 Abs. 1 Nr. 2a BauGB aus städtebaulichen Gründen vom Bauordnungsrecht abweichende Maße der Abstandsflächentiefen festgesetzt (vgl. auch 74 Abs. 1 Nr. 7 Satz 2 und Satz 3 LBO). 3 Vgl. BVerwG NVwZ 1994, 1008 = ZfBR 1994, 192 = BauR 1994, Boeddinghaus, Abweichende Bauweisen, BauR 2007, 1160ff. 45
4 B. Abstandsflächengebot ne Aussage über die Bauweise macht, kommt es darauf an, welche Bauweise aufgrund des Abstandsflächenrechtes zulässig ist Städtebaurechtlich vorgeschriebene Grenzbebauung ( 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 LBO): 1. geschlossene Bauweise Anbau an beide seitlichen Grundstücksgrenzen 2. offene Bauweise, nur Hausgruppen zulässig Anbau an eine (Endhaus) oder beide seitlichen Grundstücksgrenzen (Mittelhaus) 3. offene Bauweise, nur Doppelhäuser zulässig Anbau an die innere seitliche Grundstücksgrenze 1 BR-Drucks. 402/68, S. 16; BVerwG ZfBR 1991, 35 = NVwZ-RR 1991,
5 I. Grundsatz 2. Anordnung der Gebäude a) Begriff des Gebäudes Das Abstandsflächengebot ( 5 Abs. 1 Satz 1 LBO), das Abstände gleichsam in der Form einer vor jeder Außenwand eines Gebäudes herausgezogenen Schublade vorschreibt (Schubladenprinzip), 1 ist zu beachten, wenn es um die Anordnung (Lage, Situierung) der Außenwände von Gebäuden 2 auf den einzelnen Baugrundstücken geht. Die Regelung gilt auch in Bezug auf die straßenseitigen Grundstücksgrenzen. 3 Der Begriff des Gebäudes ist für den Bereich des Bauordnungsrechtes im 2 Abs. 2 LBO definiert. Danach sind unter Gebäuden bauliche Anlagen ( 2 Abs. 1 Satz 1 LBO) zu verstehen, die bestimmte Zusatzmerkmale aufweisen: Sie müssen selbstständig benutzbar sein, unabhängig davon, ob sie auch tatsächlich selbstständig benutzt werden. 4 Sie müssen eine Überdeckung (einen oberen baulichen Abschluss durch Dächer oder Decken) haben; die betretbare hüttenmäßige Einhausung eines Holzstapels reicht aus. 5 Sie müssen gegen das Freie durch Wände, Pfeiler oder Stützen seitlich abgegrenzt sein, also einen Raum umschließen; eine Überdachung, die lediglich von Innenstützen getragen wird und im Übrigen frei auskragt, umschließt keinen Raum und ist deshalb auch kein Gebäude. Sie müssen betretbar sein, also eine Tür, ein Tor oder eine sonstige für das Betreten von Menschen geeignete Öffnung haben; Einstiegsluken sind nicht ausreichend. 6 Sie müssen letztlich geeignet sein, dem Schutz von Menschen (z. B. Wohngebäude, Betriebsgebäude), von Tieren (z. B. Stallgebäude) oder von Sachen (z. B. Lagergebäude, Carport ) zu dienen (funktionales Element) Das Schubladenprinzip bewirkt, dass es vor den Ecken eines rechteckigen Gebäudes keine Abstandsflächen gibt, wodurch eine Verdichtung der Bebauung ermöglicht wird. Sind die Außenwände des Gebäudes rund, ist auch die Schublade rund mit der Folge, dass die Abstandsflächen das Gebäude gleichsam rund umlaufen. 2 Zur Differenzierung zwischen Anordnung (Situierung, Lage) einerseits und Errichtung andererseits vgl. auch 3 Abs. 1 Satz 1 und 15 Abs. 1 LBO; undifferenziert VGH BW NVwZ-RR 2010, 387 = BauR 2010, VGH BW VBlBW 2002, BayVGH BayVBl. 1989, BVerwG BauR 2000, VGH BW, Urt. vom S 1599/81. 47
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