Was möchten Menschen am Lebensende und warum? Prof. Dr. Gian Domenico Borasio Lehrstuhl für Palliativmedizin Universität Lausanne
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- Martin Lichtenberg
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1 Was möchten Menschen am Lebensende und warum? Prof. Dr. Gian Domenico Borasio Lehrstuhl für Palliativmedizin Universität Lausanne
2 Dame Cicely Saunders Sie sind wichtig, weil Sie eben Sie sind. Sie sind bis zum letzten Augenblick Ihres Lebens wichtig. Wir werden alles tun, damit Sie nicht nur in Frieden sterben, sondern auch bis zuletzt leben können.
3 Palliativmedizin dient der Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung konfrontiert sind. Dies geschieht durch Vorbeugung und Linderung von Leiden mittels frühzeitiger Erkennung, hochqualifizierter Beurteilung und Behandlung von Schmerzen und anderen Problemen physischer, psychosozialer und spiritueller Natur. WHO, 2002
4 Palliativmedizin: alte Vorstellung Kurative / lebensverl. Maßnahmen Diagnose Tod Symptomlinderung (comfort care)
5 Palliativmedizin: neue Vorstellung Kurative / lebensverl. Maßnahmen Diagnose Tod Lebensqualität (Palliative Care)
6 Palliative Care ist Betreuung für die letzte Lebensphase, nicht nur in der letzten Lebensphase Palliative Care ist Aufgabe aller im Gesundheitswesen Tätigen
7 Lebensqualität Pflege Symptomkontrolle Psychosoziale und spirituelle Betreuung Multiprofessionelles Team
8 1. Patienten wollen länger leben
9 aber nicht alle gleich lang Bei Patienten mit Lungenkrebs und dem Angebot einer Chemotherapie reicht für einige Patienten 1 Woche Lebensverlängerung aus für andere reichen nicht einmal 2 Jahre und die echte Erwartung betrug 3 Mon. Silvestri et al, BMJ 1998;317:771 5
10
11 Ergebnisse Randomisierte Studie Patienten mit frühzeitiger Einbindung der Palliativmedizin hatten: Weniger Depression Höhere Lebensqualität Weniger aggressive Therapien Geringere Kosten Signifikant höhere Lebenserwartung (ca. 3 Monaten)
12 Median survival Early palliative care vs. Standard care 11.6 vs. 8.9 months, P = 0.02 Überlebensunterschied: 2.7 Monate
13 Überlebensunterschied: 2.8 Monate
14 Vergleich Nivolumab Palliativmedizin Lebensverlängerung 2,8 Monate 2,7 Monate Nebenwirkungen Fatigue Dyspnoe Muskuloskel. Schmerzen Pneumonitis Colitis Hepatitis Nephritis Hypo/Hyperthyroidismus Verringerung aggressiver Behandlungen am Lebensende Reduktion depressiver Symptome Verbesserung der Lebensqualität Kosten > US $ -117 US $ /d NICE Temel et al., NEJM 2010; Greer et al., J Palliat Med 2016
15
16 2. Patienten wollen über das Lebensende reden
17 aber regional unterschiedlich (Schweizer Bevölkerung >55 J.) Sprachregion D I F PV bekannt 91% 57% 43% p=.000 PV od. Vollmacht ausgefüllt 29% 18% 10% p<.001 PV ausgefüllt 26% 17% 7% p<.001 Vollmacht ausgefüllt 20% 9% 7% p<.001 Vilpert et al., submitted
18 Gründe für das Nicht-Ausfüllen einer Patientenverfügung (Schweizer Bevölkerung >55 J.) Gewicht. % Ich habe vor, es zu tun 49 % Es ist zu früh für mich 33 % Ich glaube, dass ich keine PV brauche 30 % Mir war die Existenz von PV nicht bewusst 14 % Ich habe Angst, mit einer PV eine schlechtere Versorgung zu bekommen 4 % Multiple Antworten möglich Vilpert et al., submitted
19 3. Patienten wollen nicht alle dasselbe
20
21 Was ist den Menschen am Lebensende wirklich wichtig?
22 Fallbeispiel 1
23 Wichtige Faktoren für die Entscheidung seinen Lebenswunsch seinen Wunsch, die Geburt seines zweiten Kindes zu erleben das nachdrückliche Therapieangebot der Ärzte den sozialen Druck seitens seiner Familie den religiösen Druck, alle Therapieangebote anzunehmen seine eigenen Glaubens- und Jenseitsvorstellungen die Hoffnung auf ein Wunder (vor allem seitens der Familie) seine (schwindende) Hoffnung auf Besserung durch die Therapie die kulturell bedingten patriarchalischen Entscheidungsstrukturen der Familie die akuten Beschwerden durch die Krankheit die Nebenwirkungen der Therapie seinen schlechten Allgemeinzustand den Wunsch, nicht weiter zu leiden den Wunsch, nach Hause zu gehen
24 Fallbeispiel 2
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26 Nicht physische Determinanten der Lebensqualität am Lebensende Wertvorstellungen Lebenssinn Spiritualität Hoffnung Würde Dankbarkeit
27 Persönliche Werte bei Palliativpatienten (Fegg M et al., J Pain Symptom Manage 2005) 64 Patienten (56% Krebs, 44% ALS) Personal Values Questionnaire Selbst-transzendente Werte > selbstbezogenen Werte bei allen Patienten kein Unterschied zwischen ALS- und Krebspatienten
28 Werte im Vergleich mit Gesunden Stimulation Openness to Change Self- Direction Universalism Self-Transcendence Benevolence Hedonism Achievement Power Conformity Security Tradition Conservation Self-Enhancement Significantly higher Equal Significantly lower
29 Die Menschen schlafen, solange sie leben. Erst wenn sie sterben, erwachen sie. Tausendundeine Nacht
30 Fallbeispiel 3
31 Gedanken zur Selbstbestimmung Selbstbestimmung geschieht in einem komplexen Netz aus sozialen Beziehungen, psychologischen Befindlichkeiten, kulturellen Prägungen und spirituellen/religiösen Überzeugungen. Fragen wie «Welche Erinnerung wird von mir bleiben?» oder «Wie wird es meiner Familie nach meinem Tod ergehen?» sind oft am wichtigsten. Angst und Schuldgefühle gehören zu den größten Hindernissen für die Selbstbestimmung. Echte Selbstbestimmung ist ohne wahrhaftige Kommunikation nicht möglich
32 4. Was brauchen Patienten am meisten von ihren Ärzten (nicht nur am Lebensende)?
33 Zuhören Zuhören Zuhören Zuhören
34
35 Die Medizin der Zukunft wird eine hörende sein, oder sie wird nicht mehr sein.
36
37 Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
38 Die Bedeutung des Sterbenlassens
39 Wie häufig sind therapeutische Entscheide am Lebensende? EURELD-study: 2/3 aller Todesfälle absehbar; 23-51% mit therapeutischen Entscheidungen verbunden Van der Heide et al, Lancet 2003 Schweiz 2015: Zunahme auf 58,7%. Aber: 26,8% der voll urteilsfähigen Patienten waren nicht in die Entscheidung eingebunden (2001: 21%) Bosshard et al, JAMA Int. Med. 2016; Schmid et al, SMW % aller Todesfälle auf Intensivstationen durch Sterbenlassen Sprung CL et al, JAMA 2003; Vincent JL et al, Chron Respir Dis 2004
40 Häufigkeit am Lebensende ,7 % ,9 % Assistierter Suizid Sterben lassen
41 Die wirklichen Gefahren für die Selbstbestimmung am Lebensende Ökonomisch motivierte Übertherapie Unzureichende Pflege Unzureichende Palliativversorgung Fehlanreize im Gesundheitssystem
42 Fallbeispiel
43 Ursachen der Übertherapie Mangelnde Information/Daten Mangelnde Kommunikation Innerer Druck (Versagensängste) Druck von Patienten und Familien Fehlanreize im Gesundheitssystem
44 Wichtigstes Gesetz der Volkswirtschaftslehre Die Menschen reagieren auf Anreize. Alles andere sind nur Erläuterungen. Aus: Nicholas Gr. Mankiw, Mark P. Taylor: Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 4. Aufl., Schäffer-Poeschel, Stuttgart 2008.
45 Vorgeschlagene Palliativ-DRG für die Schweiz
46
47 Menschen reagieren auf Anreize
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