Verunsichertes Japan. Das außenpolitische Journal

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1 Nr. 138 April 2018 Das außenpolitische Journal Verunsichertes Japan Meiji Blitzstart in die Moderne Angst vor aktiver Außenpolitik? Das Verhältnis zu den USA Dominanz der Liberaldemokraten WeltBlick Südafrika nach Zumas Rücktritt Türkischer Feldzug in Afrin Ecuador nach dem Referendum Kommentare Von Vegetariern & Fleischfressern Polnisches Holocaustgesetz ISSN ,80 ISBN

2 Inhalt 4 WeltBlick 4 Südafrika nach Zumas Rücktritt Henning Melber 8 Der türkische Feldzug in Afrin Murat Cakir 13 Ecuador nach dem Referendum Eva Gertz 18 Das polnische Antiverleumdungsgesetz Ein Gastkommentar von Laurence Weinbaum 22 Brief aus Mostar 26 Thema: Verunsichertes Japan 28 Blitzstart in die Moderne: die Meiji-Restauration Wolfram Wallraf 34 Dominanz der Liberaldemokratischen Partei Ralf Havertz 40 Angst vor einer aktiven Außenpolitik Paul Kevenhörster 44 USA-Japan: ein alternativloses Bündnis? Céline Pajon 49 Selbstbild und Vorurteile in Japan Christoph Neidhardt WeltTrends Das außenpolitische Journal 116 Juni Jahrgang S. 2 3

3 VIP: Der gefährlichste Politiker Japans? 56 Angela Unkrüer Kasachstan und die russische Revolution 60 Bulat Sultanov Bücherschau 64 Leserbrief 68 Impressum 69 Zur Münchner Sicherheitskonferenz Ein Kommentar von Alexander Neu Wort und Strich 72

4 Kommentar Fleischfresser in turbulenten Zeiten Eindrücke von der SiKo 2018 in München Alexander Neu Die Münchner Sicherheitskonferenz (SiKo) 2018 war nicht langweilig. Im Gegenteil! Die westlichen Akteure redeten Tacheles, allen voran Deutschland. Weniger Geschwafel über Menschen- und Minderheitenrechte, sondern klare Machtworte im Stil des 19. und 20. Jahrhunderts. Waren die politischen Entscheider bislang gegenüber der Öffentlichkeit zurückhaltender, so wird diese jetzt an die harte Realpolitik gewöhnt: Als einziger Vegetarier werden wir es in einer Welt der Fleischfresser sehr schwer haben, so Außenminister Gabriel in seiner Rede in München. Die EU solle ebenfalls zum Fleischfresser werden. Hier zeigt sich, dass friedenspolitische Errungenschaften seit den 1970er-Jahren, wie die Konzeption einer gemeinsamen Sicherheitspolitik, Rüstungskontrolle und Dialogforen, keine Rolle mehr spielen. Verweise, Deutschland und der Westen wollten eine regelbasierte internationale Politik, sind hohl, bedenkt man die Völkerrechtsbrüche des Westens. Man fordert ein Europa (gemeint ist natürlich die EU), das schnell mit einer Stimme spricht und auch effektiv militärisch handelt wie alle Fleischfresser dieser Welt. Glaubte man im Westen in den 1990er-Jahren, dass eben dieser Westen die globale Hegemonie besitze und dieses unipolare System ewig sei, so kommt heute das Eingeständnis, dass dies vorüber sei: Europe in this sense is a pole of its own in a multipolar world with real but limited power projection capabilities, so Gabriel in der The Security Times (Februar 2018). Tatsächlich befinden wir uns in einem weltpolitischen Interregnum: Die Epoche der unipolaren Weltordnung ist vorbei, die Epoche einer multipolaren Weltordnung in Umrissen erkennbar. Epochenbrüche sind jedoch besonders konfliktträchtig und befördern militärische Konfrontationen. Der Hegemon der alten Epoche und seine Vasallen wollen ihren Machtverlust nicht akzeptieren, während neue, jedoch sich erst herausbildende Kraftzentren ihre Ansprüche geltend machen. Genau in dieser Phase befindet sich die Weltpolitik heute. In diesem Kontext sind auch die Aufrüstungspläne der NATO-Mitgliedsstaaten Stichwort zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu sehen. WeltTrends Das außenpolitische Journal 138 April Jahrgang S

5 Kommentar 71 Es geht um die Übernahme von globaler Verantwortung. Frankreich und Deutschland fordern strategische Autonomie : Es geht um ein Europa, das auch militärisch mehr Gewicht in die Waagschale werfen kann. Das damit mehr Eigenständigkeit und Eigenverantwortung tragen kann, so von der Leyen in München. Der Vasall wird erwachsen und möchte im imperialen Weltordnungskampf auf Augenhöhe mitspielen. In gewissem Sinne befinden wir uns in einer ähnlichen Situation wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Das mündete bekanntlich in den Ersten Weltkrieg. Die USA sind mit der pubertierenden EU-Militarisierung nicht wirklich zufrieden: Zwar verlangen sie ein stärkeres militärisches Engagement von der EU, dies aber im Sinne US-amerikanischer Interessen und in den von den USA dominierten NATO-Strukturen. Dieses Spannungsverhältnis zwischen transatlantischem Vasallenstatus der EU-Mitgliedsstaaten und einer strategischen Autonomie führt jedoch nicht zu einer Entspannung mit der Russischen Föderation. Im Gegenteil! Auch wenn Gabriel eine stufenweise Lockerung der antirussischen EU-Sanktionen befürwortete die Transatlantiker in den EU-Mitgliedsstaaten werden dies blockieren. Viele ost(mittel)europäische Länder sind zu stark an Washington gebunden und in Paris und Berlin betrachtet man Russland und China als Gegner im Machtkampf um Einflussräume. Unter deutsch-französischer Führung soll die EU ein eigenständiger imperialer Akteur werden. Dies trägt sicherlich nicht zur Stabilisierung des euro-asiatischen Raumes bei. Aus friedenspolitischer Sicht ist zwar eine Emanzipation von der imperialen Politik der USA wünschenswert. Die Alternative kann jedoch nicht eine militarisierte EU sein! Mit dem Interregnum kommen unruhige Zeiten auf Europa und den Globus zu. Das soll nicht heißen, dass eine unipolare Weltordnung besser wäre. Nur eine multipolare Weltordnung bietet heute die Chance, dass das Völkerrecht von allen Staaten respektiert wird. Dr. Alexander S. Neu geb. 1969, Politikwissenschaftler, MdB, stellvertretendes Mitglied im Auswärtigen Ausschuss und Mitglied der Parlamentarischen Versammlung der NATO alexander.neu@bundestag.de