I. Anknüpfen an die Lesung Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen auch Paulus, der von Jerusalem nach Damaskus reist (Schriftlesung:
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- Katarina Marie Böhmer
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1 Predigt im Gottesdienst am in der evang. Kreuzkirche in Reutlingen Predigttext Galater 2,16-21 (11. Sonntag n. Trin. II rev.) Pfarrer Stephan Sigloch, Pfarramt Kreuzkirche III, Reutlingen I. Anknüpfen an die Lesung Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen auch Paulus, der von Jerusalem nach Damaskus reist (Schriftlesung: Apg 9,1-18). Allerdings reist er nicht, um dort Urlaub zu machen. Sondern um gegen diese Christen vorzugehen, deren Glaube alles in Frage stellt, was ihm wichtig und heilig ist. Wer eine Reise tut, hat möglicherweise Gelegenheit, das eigene Leben zu bedenken. Aber nur selten hat jemand während einer Reise so ein sprichwörtliches Damaskuserlebnis, das alles auf den Kopf stellt. Und in der Lesung haben wir ja auch gehört, dass es die Leute drum herum sehr unsicher macht, wenn ein Mensch sich plötzlich ganz anders und unerwartet verhält. Vor etlichen Wochen habe ich in der Predigt gesagt, dass die Taufe mit einem Ausdruck aus den sozialen Netzwerken eine Statusänderung 1 ist. Das beobachten wir auch bei Paulus. Und hören dann in unserem Predigttext heute, dass er in der Folge als Apostel sehr konsequent dem entsprechend geredet, geschrieben und sich verhalten hat: Seine Theologie ist ganz und gar geprägt und bestimmt von dieser umwälzenden und (im Sinn des Wortes) grund-legenden Erfahrung dort vor Damaskus, nach der es ihm schließlich wie Schuppen von den Augen fiel (Apg 9,18): 1
2 Jesus Christus nimmt uns Menschen bedingungslos an! Martin Luther hat diese Erfahrung griffig im Kleinen Katechismus auf den Punkt gebracht: "Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann, sondern der Heilige Geist hat mich durchs Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten..." 2. II. Überleitung zum Text Diese Erfahrung des Apostels Paulus und die daraus gewachsene Theologie ist unter dem Titel Rechtfertigung aus Glauben ein Kernstück für evangelische, für protestantische Christen. Allerdings ist es eine beschwerliche Aufgabe, diesen Gipfel der Theologie gedanklich zu erklimmen. Trotzdem: Unser Predigttext heute dreht sich genau darum. Während also manche unserer Verwandten, Freunde, Gemeindeglieder im Urlaub den einen oder anderen Gipfel in den Bergen besteigen, richten wir hier unseren Blick auf ein theologisches Bergmassiv und können genau so neue Aussichten und Perspektiven erwarten: III. Text Doch weil wir wissen, dass der Mensch durch Werke des Gesetzes nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir zum Glauben an Christus Jesus 2
3 gekommen, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch Werke des Gesetzes wird kein Mensch gerecht. Sollten wir aber, die wir durch Christus gerecht zu werden suchen, auch selbst als Sünder befunden werden - ist dann Christus ein Diener der Sünde? Das sei ferne! Denn wenn ich das, was ich abgebrochen habe, wieder aufbaue, dann mache ich mich selbst zu einem Übertreter. Denn ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt. Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben. Ich werfe nicht weg die Gnade Gottes; denn wenn die Gerechtigkeit durch das Gesetz kommt, so ist Christus vergeblich gestorben. IV. Überraschung: Eine Geschichte Es wird Sie überraschen, liebe Schwestern und Brüder, liebe Gemeinde, dass wir es hier nicht mit einer abstrakten Abhandlung zu tun haben, sondern mit einer spannenden Geschichte! Zwar argumentiert Paulus in einer Auseinandersetzung in den Gemeinden in Galatien, aber er erinnert dabei ein Geschichte, die einige Zeit zurückliegt. Und es ist eine Geschichte, die Paulus das hören wir heraus auf die Palme bringt. Sein Damaskuserlebnis wird um das Jahr 33 gewesen sein 3. Die Geschichte hinter unserem Text hat sich etwa 15 Jahre danach abgespielt, in denen Manches passiert ist. Unter ande- 3
4 rem hat Paulus in Jerusalem die entscheidenden Männer der Ur-Gemeinde in Jerusalem kennen gelernt: Petrus und Jakobus, der als Herrenbruder, als Bruder von Jesus, bezeichnet wird (Gal 1,19). Von Anfang an hat Paulus sich verstanden als Apostel, der den sog. Heiden, also den Menschen, die nicht jüdischer Herkunft sind, das Evangelium von Christus verkündigt. Das hat er dann jahrelang getan immer kritisch beäugt und von Misstrauen begleitet. Und immer gab es auch Auseinandersetzungen deswegen. Die zentrale Frage war 4 : Müssen Heiden, um zur Kirche (ekklesia) zu gehören, zunächst Juden werden? Und müssen für sie auch die in der jüdischen Tora, den fünf Büchern Mose, beschriebenen Gesetze und Vorschriften gelten? Paulus verneint das. Denn die Art und Weise seines Damaskuserlebnisses hat ihm gezeigt: Dass Gott in Christus Menschen annimmt, ist nicht an Bedingungen geknüpft. Bei einem späteren Treffen mit den maßgebenden Leuten (Gal 2,6 BasisBibel) in Jerusalem 5 kommen Paulus, Petrus und Jakobus überein: Wir sollten zu den Heiden gehen, sie zu den Menschen jüdischer Herkunft (Gal 2,9 BasisBibel). Was Paulus dann in Rage bringt, spielt sich kurz darauf in Antiochia ab 6 : Petrus kommt aus Jerusalem nach Antiochia (in Syrien). Selbstverständlich trifft er sich mit den Christen dort, gleichgültig ob Judenchristen oder Heidenchristen essen sie miteinander. 4
5 Als dann einige Leute aus dem Kreis um Jakobus (2,12) in Antiochia ankommen, geht Petrus auf Distanz zu den Christen der Gemeinde, die nicht Juden waren, die nicht beschnitten sind, sich nicht an die jüdischen Speisevorschriften halten: Mit ihnen will er jetzt nicht mehr an einem Tisch sitzen. Und genauso heuchlerisch verhielten sich auch die anderen Christen jüdischer Abstammung (2,13 BasisBibel). Paulus erzählt das, weil ihn die aktuellen Auseinandersetzungen in Galatien an diese Geschichte mit Petrus erinnern. Und weil es für ihn dabei um den Kern des Evangeliums geht, um die Wahrheit des Evangeliums und um die Freiheit, die der christliche Glaube uns Christen eröffnet. Denn das passiert in Galatien: es sind falsche Brüder bei uns eingedrungen. Sie hatten sich eingeschlichen, um uns auszuspionieren. Sie wollten wissen, wie wir mit der Freiheit umgehen, die Christus uns gebracht hat. Denn ihr Ziel war es, uns ihren Vorschriften zu unterwerfen (Gal 2,4 Basis Bibel). V. Konkretionen? Abgesehen davon, dass uns dieser Predigttext regelrecht erschlagen kann und wir möglicherweise beim Lesen oder Hören nur Bahnhof verstehen: Die von Paulus angesprochenen Fragen sind auf den ersten Blick nicht die zentralen Themen in unseren Kirchengemeinden. Sicher: Mit dem Jubiläum der Reformation wird uns die Frage beschäftigen, ob das für uns denn stimmt, was Paulus 5
6 schreibt: wir wissen, dass der Mensch durch Werke des Gesetzes nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus wissen wir das? Ist das nach zweitausend Jahren [ ] zum festen Bestandteil des Selbstbewusstseins der Christen geworden 8? Und wir werden uns spätestens bei diesem Jubiläum auch die Frage stellen, ob es stimmt, dass das Thema Rechtfertigung wie manchmal behauptet wird mit unserer Lebenswirklichkeit nichts zu tun hat. Ich will eine Antwort darauf heute nur andeuten mit der Behauptung, dass wir alle geradezu unter einem dauernden Rechtfertigungszwang leben und den auch täglich erfahren: Was hast Du getan? Warum hast Du das getan? Warum hast Du es so und nicht anders getan? Was hast Du dabei gedacht? Hättest Du es nicht anders tun können? Wer kennt nicht diese und ähnliche Fragen, mit denen wir einander kommentieren und begleiten? Können wir uns denn der Beurteilung durch uns selber oder durch andere Menschen entziehen? Müssen wir nicht immer neu unser Leben, unser Dasein rechtfertigen? Und unser Sosein, dass wir gerade so sind und nicht anders? Unser Tun oder Lassen? Wir entkommen dem nicht und wir werden es für uns immer wieder bedenken und beantworten müssen bis hin zu der Frage, ob wir in unserer Gesellschaft und in unserer Welt einander nach unserer Würde oder nach dem Wert bemessen und ob Leistung, Wert und Verwertbarkeit die richtigen Maßstäbe sind, gerade für uns als Christen, Gemeinden und als 6
7 Kirche Jesu Christi. Wir werden in dem Zusammenhang dann sicherlich auch den Galaterbrief und unseren Predigttext studieren und meditieren und auslegen. VI. Zweiter Blick Aber heute will ich auch festhalten, dass diese klassischen Themen der evangelischen Theologie und Kirche nicht zwingend das wiedergeben, worum es Paulus hier geht 9. Es geht ihm darum, wie der Mensch, allgemeingültig, vor Gott gerecht wird. Wie der Mensch eine gelungene Beziehung zu Mitmensch und zu Gott erfährt und erlebt. Und aufgrund seiner persönlichen Erfahrung ist für ihn klar: Das Gesetz, die Tora kann nicht die Bedingung dafür sein. Übersetzt: Auch nicht, was sich gehört, kann Bedingung sein. Und schon gar nicht das, was (in unserer Kirche) schon immer so war. Was Paulus bekämpft, ist, dass die Judenchristen damals durch die Tora andere Christen ausgrenzen. Darin taucht für uns die Frage auf, wodurch wir denn und sei es unbewusst andere Menschen ausgrenzen. Wenn es um das Heil für alle Menschen geht und das tut es!, dann müssen wir uns fragen, ob wir bewusst oder unbewusst nicht doch hin und wieder etwas aufbauen, was durch das Evangelium abgebrochen (2,18) ist, und dadurch Menschen ausschließen, denen die gute Nachricht von Jesus Christus ebenso gilt wie uns. Weil Paulus dieses Abgrenzen kritisiert, wird er angegriffen. Und er verteidigt sich in unserem Text gegen diese Angriffe: 7
8 Wie so er erste Vorwurf, wie kommst Du, Paulus, als Jude, für den die Tora nach wie vor gilt, dazu, dich über die Tora hinwegzusetzen? Er antwortet: Es geht nicht nur um mich oder um uns als Juden, sondern um die ganze Menschheit. Und er nimmt die traditionelle rabbinische Regel auf, dass die Tora für einen Gestorbenen keine Gültigkeit mehr hat (Fleckenstein 262). Vor dem Hintergrund (vgl. Römer 6), dass wir bei der Taufe mit [Christus] gestorben sind (Röm 6,4), trifft ihn auch der Vorwurf nicht, dass er sich einem Sünder aus den Heiden (Gal 2,15) gleich macht, wenn er sich über das Gesetz hinweg setzt. Der zweite Blick auf den Text zeigt: Weil das Evangelium von Jesus Christus bedingungslos allen Menschen gilt, widerspricht Paulus Petrus und Jakobus darin, dass sie Zusatzbedingungen wie Beschneidung oder die Einhaltung bestimmter Regeln des Gesetzes für wesentlich halten. Wesentlich ist nur eines: wir wissen, dass der Mensch durch Werke des Gesetzes nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus (2,16). VII. Fragen Von dem Allem her stellen sich uns nun ein paar Fragen: Welche (Zusatz-) Bedingungen gibt es in unseren Gemeinden? Sind es Geld sein oder Bildung!? Wie und wodurch grenzen wir andere aus oder sondern uns ab? Sind wir tatsächlich im positiven Sinn des Wortes Volkskirche? Sind wir offen für alle? 8
9 Und wenn wir es sind: Sollen, können wir tatsächlich für alles offen sein? Wie begegnen wir der von Dietrich Bonhoeffer 10 eindringlich beschriebenen Gefahr der billigen Gnade, die in der Faulheit derer besteht, die von dem allen Menschen geltendem Heil beglückt werden? Schon zu der Zeit von Paulus gab es die Einstellung, dass es auf das Verhalten und die Lebensführung der Christen nicht mehr ankommt, wenn durch Christus alles schon getan ist und alles allein am Glauben hängt und also alle ohne Rücksicht drauf los leben könnten. Sie merken es: Es ist ein schmaler Grat und es geschieht leicht, dass wir auf der einen oder auf der anderen Seite hinunterfallen. Gut, wenn uns die alten Texte zeigen, welchen Fragen wir uns ernsthaft stellen müssen, damit das nicht geschieht. VIII. Abendmahl Keine Bedingungen. Kein Ausgrenzen. Eine unbedingte Einladung. Ein unbedingtes Miteinander dafür steht für mich das Abendmahl das uns alle ohne Unterschiede einlädt und uns allen zusagt: Du lebst, doch nun nicht Du, sondern Christus lebt in Dir (vgl. Gal 2,20). Die Christen wurden am Anfang der Lesung Anhänger des neuen Weges genannt (Apg 9,2). Der neue Weg besteht im Glauben an Christus. Und darin, dass wir diesem geänderten Status entsprechend Jesus Christus Raum lassen: Glaubst Du, so hast du! 11. Amen. 9
10 1 Predigt über 1. Petrus 2,2-10 am 12. Juli 2015 in der evang. Kreuzkirche: umente/ _1 Petrus_2_2-10_6. Sonntag_nach_Trinitatis.pdf 2 vgl. EG (Ausgabe Württ.) Nr. 834, S vgl. Carsten Fleckenstein, 11. Sonntag nach Trinitatis Gal 2,16-21, in: Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext, hrsg. v. Wolfgang Kruse. Zur Predigtreihe IV, S das sog. Apostelkonzil, vgl. Gal 2,6ff. und Apg Galater 2, Anlass: 500 Jahre Anschlag der Thesen Martin Luthers in Wittenberg. Vgl. 8 Wolfgang Kelm, 11. Sonntag nach Trinitatis Gal 2,16-21, in: Textspuren. Konkretes und Kritisches zur Kanzelrede / hrsg. von Peter Härtling, Bd. 4. Zur vierten Predigtreihe. 1993, S Zum Folgenden: Carsten Fleckenstein, 11. Sonntag nach Trinitatis Gal 2,16-21, in: Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext, hrsg. v. Wolfgang Kruse. Zur Predigtreihe IV, S Dietrich Bonhoeffer, Nachfolge (DBW Bd. 4, 1989), S Martin Luther in, Von der Freiheit eines Christenmenschen. 10
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