Einführung in die ICF (International Classification of Functioning, Disability and Health, WHO 2001, deutsch 2005)
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- Nelly Giese
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1 Einführung in die ICF (International Classification of Functioning, Disability and Health, WHO 2001, deutsch 2005) Markus Pflüger (Manuskript für Vortrag auf Tagung CBP, Fachbeirat für Menschen mit Sinnesbehinderungen, gehalten: 22. April 2010 in Würzburg Es gilt das gesprochene Wort, Text nicht zitierfähig) Ausgangspunkt für die Entwicklung der ICF ist die gesellschaftliche Entwicklung, dass immer mehr funktionale Probleme von Menschen mit Rehabilitationsbedarf in den Focus des Interesses geraten. Zum Einen ist dies bedingt durch die Alterung der Bevölkerung und damit der mengenmäßigen Zunahme des Problems, zum anderen durch die notwendig gewordene Interdisziplinarität in der Bewältigung der Probleme die das Zusammenwirken verschiedenster professioneller Gruppen mit sich bringt, die wiederum eine gemeinsame Sprache benötigen, natürlich auch die grenzüberschreitende Bearbeitung des selben Falles. Die ICD (International Classification of Deseases) war bisher ein rein medizinisch orientierter Code. Ausgangspunkt der WHO ist der Begriff der funktionalen Gesundheit. Zwar ist funktionale Gesundheit in der ICF selbst nicht definiert, in der Kommunikation hat sich das Konzept der funktionalen Gesundheit bisher aber sehr bewährt. Funktional gesund ist eine Person dann, wenn vor dem Hintergrund ihrer gesamten Lebensbereiche ihre Körperfunktionen und ihre Körperstrukturen (inklusive geistig) den statistischen Normen entsprechen sie all das tun kann was von einem gesunden Menschen (im Sinne der ICD) erwartet werden kann und sie Zugang zu allen Lebensbereichen hat, die ihr, der Person, wichtig sind. Also das Konzept Teilhabe. Wesentlich für die ICF ist, dass sie sogenannte Kontextfaktoren in die Beurteilung von Gesundheit mit einbezieht. Die ICF unterscheidet zwei Kontextfaktoren. Umweltfaktoren (klassifiziert) Personenfaktoren (noch nicht klassifiziert) Erläuterungsbeispiel: Bei einer Depression ist mangelnder Handlungswille kein personenbezogener Faktor sondern Teil des Gesundheitsproblems. Kontextfaktoren können positiv auf den drei Achsen der funktionalen Gesundheit wirken. Dann handelt es sich um
2 Förderfaktoren. Wirken Kontextfaktoren hingegen hinderlich für das Erzielen funktionaler Gesundheit auf einer der einzelnen Achsen, dann handelt es sich um Barrieren. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Zustand funktionaler Gesundheit einer Person, das Ergebnis der Wechselwirkung zwischen einer Person mit (ggf.) einem Gesundheitsproblem (ICD) und ihren Kontextfaktoren auf Körperfunktionen, Körperstrukturen, Aktivitäten und Teilhabe an Lebensbereichen, darstellt. Diese Sichtweise ist Ergebnis des Vordringens des bio-psychosozialen Modells von Krankheit bzw. Verhalten wie es die Verhaltenswissenschaften in den 80er Jahren, insbesondere in der Verhaltensmedizin, etabliert haben. Das alte bio-medizinische Modell sah die Verursachungskette wie folgt: Krankheit Funktion Teilhabe. Das bio-psychosoziale Modell entspricht der Sichtweise der folgenden Graphik: (Folie) Die ICF betrachtet zwar nicht zwingend innerhalb ihrer Klassifizierung, aber doch in der Logik des Systems von Person und Umwelt, zwei weitere Prozesse: Sekundärprozesse: Damit sind Förderfunktionen oder Barrieren gemeint, die in Folge defizitärer funktionaler Gesundheit entstehen. (Aktivität eingeschränkt - Muselathrophie - weiterer Verlust an Aktivität - Verlust an Teilhabe - Depression). Induzierte Prozesse: Hiermit sind Geschehnisse gemeint, die die funktionale Gesundheit bei Angehörigen bzw. umgebenden Personen beeinflussen (Erschöpfung bei Pflegeperson). Zusammenfassend kann definiert werden: Eine Person ist in ihrer funktionalen Gesundheit beeinträchtigt, wenn unter Berücksichtigung der Kontextfaktoren mindestens in einer der drei Ebenen/Achsen eine Beeinträchtigung vorliegt. Im Gegensatz zu einer Klassifizierung nach ICD folgt aus dieser Definition, dass für die Beeinträchtigung von funktionaler Gesundheit:
3 jemand nicht krank im akuten Sinne sein muss die Beeinträchtigung schwerwiegendere Folgen haben kann als die zugrundeliegende Krankheit nach Ausheilung einer ICD-klassifizierten Erkrankung nicht zwingend Gesundung vorliegt eine Erkrankung nicht zwingend manifest sein muss. Es lässt sich sogar sagen, dass funktionale Beeinträchtigung ohne jegliche ICD-Klassifizierung vorliegen kann: Alte Dame ohne Führerschein fährt mit dem Zug regelmäßig Mittwoch abends zu ihrem Gebetskreis in die Nachbargemeinde mit Pfarrkirche, danach immer noch gesellige Runde bis Uhr. Neuerdings ist der Fahrplan zusammengestrichen, der letzte Zug fährt um Uhr. Behinderung Ist eine Person behindert oder wird eine Person behindert? Mit Hilfe der ICF kann man sich eine Antwort der Frage nähern, in dem zunächst der aktuelle Zustand auf den drei Achsen und die aktuelle Situation der Kontextfaktoren ermittelt wird. Im nächsten Schritt werden im Gedankenexperiment die Kontextfaktoren variiert und zwar in eine Richtung, dass mögliche Barrieren abgebaut werden. Beispiel: Ein Arbeitnehmer kann auf Grund einer ausbehandelten oder weiter zu behandelnden Krankheit nur noch Teilzeit arbeiten. Der Arbeitnehmer will dies auch. Durch den Arbeitgeber werden aber keine Teilzeitarbeitsplätze ermöglicht. Die Einstellung des Arbeitgebers bzw. der Wirtschaft gegenüber Teilzeitarbeitsplätzen wird hier zum Kontextfaktor in Form von Barriere. Der Zustand der Funktionsfähigkeit bzw. der Behinderung ist damit immer eine Funktion aus bestehenden Gesundheitsproblemen und als variabel zu betrachtenden Kontextfaktoren. Oder unser Beispiel der alten Dame. Finden Sie eine Beispiel dafür, dass eine Person ausschließlich behindert IST? (Folie Gesundheit als Funktion von Beeinträchtigung und Umgebungsfaktoren) Im Folgenden kommen wir auf die einzelnen Achsen zu sprechen und nähern uns so dem eigentlichen Klassifizierungsschema. Der erste Bereich der ICF-Klassifikationen umfasst Körperfunktionen und Körperstrukturen. Sowohl Körperfunktionen als auch Körperstrukturen orientieren sich in ihrer Gliederung an Organen resp. Organsystemen. Körperfunktionen: physiologische Funktionen der Körpersysteme inkl. psychologischer Funktionen Körperstrukturen: anatomischer Teil wie etwa Organe oder Gliedmaßen.
4 Für die Klassifizierung wird die Person dahingehend untersucht, ob Schädigungen von Funktion oder Struktur im Sinne einer Beeinträchtigung vorliegen. (body-functions, body-structures). Bei der Klassifizierung werden keine Krankheitsnamen im Sinne der ICD genannt. Mit Einschränkungen ist hier nur die Kategorie Schmerz eine Ausnahme. Im Rahmen einer ICF- Klassifikation wird also nicht festgestellt, dass eine Person eine Erkältung hat, es kann aber sehr wohl festgestellt werden, dass eine Beeinträchtigung mit dem Klassifzierungscode b Funktion des Riechens - vorliegt. Es geht bei der ICF-Klassifikation von Körperfunktion und Körperstrukturen im Wesentlichen um die Art und Weise wie gleichsam der Zweck der hinter Funktion und Struktur steckt, erfüllt werden kann. Es geht nicht um Therapie. (Im medizinischen Sinne würde Therapie Diagnose und Indikation voraussetzen). Auch wenn wir weiter oben festgestellt haben, dass die ICF auf drei Achsen arbeitet und bei diesen Achsen Aktivität und Teilhabe unterschieden wird, wird doch in der Klassifikation Aktivität und Teilhabe zu einem Konzept zusammengefasst. Um das Konzept besser verstehen zu können ist es wichtig, sich Grundzüge einer Handlungstheorie zu vergegenwärtigen. Zu einer Handlung als soziologische, sozialpsychologische oder philosophische Kategorie gehören je nach Theorieschule mehr oder weniger die folgenden Elemente: intendiert, willentlich subjektiv als sinnhaft gesehen die "Umwelt beeinflussend" an Anderen orientiert. Zum Beispiel mein Input für euch heute. Die ICF entwickelt für die Kategorisierung der Achse Aktivität und Teilhabe das Konzept der Lebensbereiche. Was sich hinter dem Konzept verbirgt ist am ehesten zu verstehen wenn die Hauptkapitel der Klassifikation betrachtet werden.
5 (Folie) Im englischen Original werden diese neuen Bereiche als sogenannte Lifedomains bezeichnet. In der ICF wird dann eine Kategorisierung mit dem kleinen Buchstaben "d" vorgenommen. Je nach Fragestellung im individuellen Fall kann ein Bereich dieser Lebensbereiche unter dem Aspekt Aktivität oder unter dem Aspekt Teilhabe betrachtet werden. Um nun die spätere Klassifizierung besser verstehen zu können, ist es notwendig sich zunächst das handlungstheoretische Konstrukt, das der ICF unterstellt werden kann, zu vergegenwärtigen. Für Handlung müssen nach der Logik der ICF drei Bedingungen erfüllt sein: Leistungsfähigkeit: Körperfunktionen bzw. Körperstruktur müssen die Person prinzipiell in die Lage versetzen Handlung auszuführen. Gegebenheiten: Die materiellen und auch die sozialen Umweltfaktoren dürfen dem Handeln nicht verhindernd entgegenstehen. Wille: Erst durch den Willen der Person kommt es zur Performance. Diese Handlungstheorie ist nach dem Grundmodell von Nordenfeld entwickelt worden. Die ICF trennt bei der Analyse die Aspekte Leistungsfähigkeit Leistung. Streng voneinander ab. (ganz eindeutig im Unterschied zur ICD) Leistungsfähigkeit meint hier die maximale der Person mögliche Kompetenz ggf. unter Test- /Laborbedingungen.(Diagnostisches Setting wie ICD) Der Begriff Leistung meint hingegen die tatsächliche Performance der Handlung unter realistischen Bedingungen.
6 Eine Beurteilung nach ICF gewinnt nur dann Substanz wenn insbesondere der Aspekt der Leistung unter den vorhandenen Gegebenheiten (environmental factors) Gegenstand der Beurteilung wird. Es kann also weder Leistungsfähigkeit aus der Leistung geschlossen werden, noch umgekehrt Leistung aus der Leistungsfähigkeit. Die ICF verwendet zwar das Konzept Teilhabe, klassifiziert oder kategorisiert es aber nicht in einem eigenen Abschnitt. Daraus ergibt sich die folgende Frage: Führt eine Person alle Handlungen und Aufgaben eines Lebensbereichs unter gegebenen Bedingungen aus, ist sie dann nicht in diesem Lebensbereich und diese Gegebenheiten vollständig einbezogen? Damit wäre Teilhabe gegeben und tatsächlich äußert sich die Mehrzahl der Mitglieder der Arbeitsgruppe der WHO in diesem Sinne und stellt fest, dass eine Differenzierung zwischen Leistung und Teilhabe zu kompliziert und zu theoretisch für die Praxis sei. Das könnte sich nachteilig auf die Akzeptanz der ICF auswirken. Es wird jedoch festgehalten, dass hier weitere Forschung notwendig sei. An dieser Stelle bin ich persönlich zu der Überzeugung gekommen, dass eine Teilhabewissenschaft, bzw. Operationalisierung von Teilhabe zumindest ein sehr ehrgeiziges Vorhaben darstellt. Schuntermann führt zwei alternative Betrachtungsweisen an: 1.) Betrachtet man zunächst den Zugang zu allen Lebensbereichen (Erwerbsleben, Selbstversorgung ) sowie die Möglichkeiten an Selbstbestimmung und das Ausmaß an Gleichberechtigung und verknüpft diese Betrachtungsweise mit der subjektiven Erfahrung der Person in Form von Zufriedenheit bzw. Erleben von Anerkennung und Wertschätzung, so ist aus dieser Betrachtung heraus gelungene Teilhabe zu beurteilen.
7 2.) Alternativ gibt es den Vorschlag von Rensch und Bucher, Teilhabe am Prozess der Rehabilitation festzumachen, nämlich in dem Umfang wie es gelingt Aktivität von der künstlichen Lernsituation, etwa in der Rehaklinik, weiter zu entwickeln bis hin zur Performance im üblichen sozialen Setting ggf. mit technischer oder sozialer Assistenz in dem Umfang ist Teilhabe verwirklicht Struktur und Aufbau des Klassifikationsschemas Komponenten: 1. Körperfunktionen b 2. Körperstruktur s 3. Aktivität und Teilhabe d 4. Umweltfaktoren e 5. Personfaktoren (nicht klassifiziert) 1 bis 4 sind in Kapitel untergliedert und bei b ist erstes Kapitel: Mentale Funktionen b1 Mentale Funktionen Kapitel sind in Blöcke aufgeteilt, die aber wiederum keinen eigenen Code besitzen: b110 b139 Globale mentale Funktion b140 - Spezifische Mentale Funktionen Innerhalb der Blöcke dann Kategorien wieder mit eigenen Codes z. B 14 bei mentale F für Orientierung: b114. Orientierung Hier endet die Gliederungstiefe der Kurzversion (FOLIE)
8 Die Langversion gliedert noch tiefer: Im Bereich der Orientierung kennen wir alle die Unterscheidung Ort, Zeit Person. Zur Person bekommt 2, dann also: b Orientierung zur Person Es wir nun im Beispiel noch unterschieden in eigene und andere Person. Zur eigenen Person bekommt die 0 b11420 Orientierung zur eigenen Person. Residualkategorie 8 und 9 (sonstige und andere) (Folie) Inklusion und Exklusion zeigen Ohne eine Codierung der Ausprägung eines Items ist die Klassifikation Unsinn. Alle Items jeder Kategorie bekommen zunächst durch ein Punkt getrennt allgemeine Einstufung der Ausprägung. Es geht von 0 bis 4 ohne dass diese gesondert operationalisiert werden. Es gibt nur einen Hinweis durch eine Prozentverteilung ähnlich Normalverteilung Bei den Umweltfaktoren gibt es. für Barriere und + für Förderfaktor ( exxxx. _ oder exxx+ _ ) Das erste Merkmal kennzeichnet also generell die Beeinträchtigung (Förderung) Bei Körperfunktion gibt es nur die erste Stelle der allgemeinen Bewertung Bei Körperstrukturen folgen zwei weitere Stellen (Folie aufdecken!)
9 Art der Schädigung von 0 bis 9 Lokalisation der Schädigung 0 bis 9 so ist 2 links und 3 beidseitig Bei Aktivität und Teilhabe sind nur die ersten beiden Stellen nach dem Punkt obligatorisch. Die Stellen 3 bis 5 sind optional: 1. Beurteilung der Leistung in der gegenwärtigen Lebenssituation 2. Beurteilung der Leistungsfähigkeit ohne Assistenz 3. Beurteilung der Leistungsfähigkeit mit Assistenz 4. Beurteilung der Leistung ohne Assistenz 5. Beurteilung der Lebenszufriedenheit Die 5. Stelle ist aus Sicht des Probanden gedacht. Es gibt noch keine Codierung, diese ist in Entwicklung.
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