Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Institut für Öffentliches Wirtschaftsrecht Lehrstuhl für Öffentliches Recht
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- Catrin Hauer
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1 Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Institut für Öffentliches Wirtschaftsrecht Lehrstuhl für Öffentliches Recht Univ.-Prof. Dr. Florian Becker, LL.M. Die Macht des Volkes 1 - Lösungsskizze Der Antrag der Landesregierung hat Erfolg, wenn er zulässig und soweit er begründet ist. A. Zulässigkeit I. Zuständigkeit des BVerfG (+), nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG und 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG für abstrakte Normenkontrollen. II. Antragsberechtigung (+), die Landesregierung ist nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2, 76 Abs. 1 BVerfGG antragsberechtigt. III. Antragsgegenstand (+), das GzV ist ein formelles Gesetz. IV. Antragsbefugnis (+), die Landesregierung hält das Gesetz für verfassungswidrig. Damit liegen die (strengen) Voraussetzungen des 76 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG vor und ein Streitentscheid ist entbehrlich. V. Form und Frist (+), nach 23 Abs. 1 BVerfGG schriftlich und begründet. Eine Frist ist nicht zu beachten. VI. Zwischenergebnis Der Antrag der Landesregierung ist zulässig. B. Begründetheit Der Antrag der Landesregierung ist begründet, soweit das Gesetz formell und/oder materiell verfassungswidrig ist. 1 Sachverhalt und Lösungsskizze sind angelehnt an die Fallbearbeitung von Kielmansegg in JuS 2006, 323.
2 Univ.-Prof. Dr. Florian Becker, Kiel 2 I. Formelle Verfassungsmäßigkeit 1. Gesetzgebungskompetenz (P) Woraus ergibt sich die Gesetzgebungskompetenz für das GzV? Nach Art. 70 Abs. 1 GG liegt die Gesetzgebungszuständigkeit nur beim Bund, wenn dies im Grundgesetz ausdrücklich angeordnet wird. In den Kompetenzkatalogen der Art. 73 ff. GG findet sich jedoch kein Titel bzgl. des Gesetzgebungsverfahrens. Es gibt jedoch Angelegenheiten, die bereits begriffsnotwendig nur durch den Bund geregelt werden können. Es handelt sich dabei um ungeschriebene Gesetzgebungskompetenzen kraft Natur der Sache. Bei dem Gesetzgebungsverfahren für Bundesgesetze handelt es sich um Regelungen, die bereits sachlogisch nur durch den Bund und nicht durch die Länder festgelegt werden können. Dem Bund steht damit die Gesetzgebungskompetenz kraft Natur der Sache zu. 2. Gesetzgebungsverfahren Hinsichtlich des Verfahrens im Bundestag gibt es keine Zweifel an der formellen Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes. Einzig die Beteiligung des Bundesrates wirft Fragen auf. a) Zustimmung des Bundesrates Das Gesetz konnte eine Mehrheit im Bundesrat nur mit den Stimmen des Landes B erhalten. (P) Wie hat das Land B abgestimmt? Ein Land kann nach Art. 51 Abs. 3 GG durch eine einzige Person - hier den Innenminister des Landes B - vertreten werden, da es sich bei dieser Vorschrift nur um eine Höchstgrenze für die Mitgliederbestellung handelt. 2 Fraglich ist, wie es sich auf die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes auswirkt, dass der Ministerpräsident den Innenminister angewiesen hat, für das Gesetz zu stimmen. o Grundsätzlich sind die Mitglieder des Bundesrates weisungsgebundene Vertreter der Landesregierungen. o Allerdings gilt die Weisungsgebundenheit nur im Innenverhältnis zwischen der Landesregierung und dem Vertreter. Aus Gründen der Rechtssicherheit und - 2 Dörr, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG 38. Ed., Art. 51 Rn. 16.
3 Univ.-Prof. Dr. Florian Becker, Kiel 3 klarheit im Gesetzgebungsverfahren sind die Vertreter im Außenverhältnis unbeschränkt. o Mithin ist das tatsächliche Stimmverhalten des Vertreters maßgeblich. Der Innenminister des Landes B hat wirksam gegen das GzV gestimmt. b) Rechtsfolge der fehlenden Zustimmung Das Fehlen der Zustimmung des Bundesrates führt zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes, wenn das Grundgesetz eine Zustimmung ausdrücklich verlangt. Im Grundgesetz findet sich keine Zustimmungspflichtigkeit für das GzV. Insbesondere handelt es sich bei den Regelungen zur Volksabstimmung auch nicht um eine Grundgesetzänderung i.s.v. Art. 79 Abs. 2 GG. Es handelt sich beim GzV um ein Einspruchsgesetz, das nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Der Bundesrat hätte gegen das Gesetz nach Art. 77 Abs. 3 GG Einspruch einlegen können. (P) Kann die Verweigerung der Zustimmung in einen Einspruch umgedeutet werden? Teilweise wird vertreten, dass es sich bei einem Einspruch um ein Minus zur verweigerten Zustimmung handelt und dass der Bundesrat mit der versagten Zustimmung zumindest Einspruch habe einlegen wollen. Allerdings muss sich diese Auffassung entgegenhalten lassen, dass der Eindeutigkeitsgrundsatz nach 30 Abs. 1 GOBR eine derartige Umdeutung verbietet. Außerdem hat einem Einspruch des Bundesrates nach Art. 77 Abs. 3 Satz 1 GG die Anrufung des Vermittlungsausschusses vorauszugehen. 3 Das Fehlen der Zustimmung führt daher nicht zur formellen Verfassungswidrigkeit des Gesetzes. 3. Zwischenergebnis Das Gesetz zur Volksbeteiligung ist ordnungsgemäß zustande gekommen und daher formell verfassungsmäßig. 3 Vgl. dazu Kersten, in: Maunz/Dürig, GG 83. EL, Art. 77 Rn. 97.
4 Univ.-Prof. Dr. Florian Becker, Kiel 4 II. Materielle Verfassungsmäßigkeit Hinweis: Es bietet sich an, im Rahmen der materiellen Verfassungsmäßigkeit zwischen den einzelnen Regelungen des GzV und damit der Verfassungsmäßigkeit der Volksbeteiligung und der Mitgliederbefragungen zu differenzieren und diese getrennt zu prüfen. 1. Verfassungsmäßigkeit der Einführung von Volksabstimmungen ( 2 GzV) Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von 2 GzV bestehen hinsichtlich der Frage, ob Volksabstimmungen generell mit dem Grundgesetz in Einklang gebracht werden können (a) und ob ein Quorum von nur 15 % mit dem Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 2 GG zu vereinbaren ist (b). a) Verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Volksabstimmungen In Art. 20 Abs. 2 GG ist von Wahlen und Abstimmungen die Rede. o Daraus lässt sich jedoch nur ableiten, dass das Grundgesetz Volksabstimmungen und damit auch der direkten Demokratie prinzipiell nicht entgegensteht. o Eine ausdrückliche Anordnung einer Volksabstimmung enthält das Grundgesetz nur in Art. 29 Abs. 2 Satz 1 GG für den Fall der Neugliederung der Bundesländer. Dabei handelt es sich um eine Ausnahmevorschrift, aus der sich die generelle Zulässigkeit von Volksabstimmungen nicht ableiten lässt. o Anders als das Grundgesetz enthalten die Landesverfassungen zum Teil ausdrückliche Regelungen zu Volksbegehren und -entscheiden, vgl. Art. 48, 49 SHVerf. Eine Normierung auf Verfassungsebene ist jedoch zwingend notwendig, da andernfalls das verfassungsrechtlich genau vorgegebene Gesetzgebungsverfahren unterlaufen würde. Dieses ist in den Art 76 ff. GG ausdrücklich als rein parlamentarisches Verfahren ausgestaltet und ist Ausdruck der repräsentativen Demokratie. Verfassungsrechtlich zulässig sind daher nur solche Volksabstimmungen, die das Grundgesetz selbst vorsieht. Ohne eine Grundgesetzänderung (Art. 79 GG) ist es dem Gesetzgeber nicht möglich, Volksabstimmungen einzuführen. 2 GzV ist daher verfassungswidrig. b) Verfassungsmäßigkeit des Quorums Dem Quorum von nur 15 % könnte das in Art. 20 Abs. 2 GG verankerte Demokratieprinzip entgegenstehen.
5 Univ.-Prof. Dr. Florian Becker, Kiel 5 Unter Umständen könnte durch diese Regelung ein Gesetz bereits von 8 % der stimmberechtigten Personen beschlossen werden. Die Entscheidung würde Wirkung für das gesamte Volk entfalten und diesem zugerechnet werden. Dies ist nach Maßgabe des Demokratieprinzips nur zulässig, wenn die Entscheidung auch als eine Entscheidung der (schweigenden) Mehrheit einzustufen wäre. Dies ist nicht der Fall, wenn das Quorum so niedrig ist, dass kleine Randgruppen für eine Abstimmungsmehrheit ausreichen können. o Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass es für Bundestagswahlen keine Mindestbeteiligung gibt, da die Gefahr einer Nichtbeteiligung bei Sachfragen deutlich größer ist und es für Volksabstimmungen - anders als für Wahlen - die Alternative des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens gibt, das eine größere Repräsentativität gewährleistet. Das Quorum in 2 GvZ ist daher verfassungswidrig. c) Zwischenergebnis Die Einführung von Volksabstimmungen in 2 GzV ist materiell verfassungswidrig. 2. Verfassungsmäßigkeit der Mitgliederbefragungen ( 5 GzV) Die Bindung der Abgeordneten an die Mitgliederbefragungen der Parteien könnte gegen den Grundsatz des freien Mandats nach Art. 38 Abs. 1 Satz 2 verstoßen. o Allerdings ist nicht jede Form der Einflussnahme auf die Bundestagsabgeordneten rechtswidrig. o Es ist insofern zwischen unzulässigem Fraktionszwang und zulässiger Fraktionsdisziplin zu unterscheiden. o Die Grenze verläuft dort, wo ein von der Fraktionslinie abweichender Abgeordneter durch die Androhung von erheblichen Sanktionen unter Druck gerät. o Bei den Mitgliederbefragungen der Parteien handelt es sich um rechtsverbindliche Verpflichtungen, über die sich der Abgeordnete nur hinweg setzen kann, wenn er finanzielle Einbußen in Kauf nimmt. o Der Druck auf den Abgeordneten verlässt damit den politischen Diskurs und stellt einen Fall des unzulässigen Zwangs dar. 5 GzV verstößt daher gegen Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG und ist verfassungswidrig. 3. Zwischenergebnis Das Gesetz zur Volksbeteiligung ist materiell verfassungswidrig.
6 Univ.-Prof. Dr. Florian Becker, Kiel 6 C. Gesamtergebnis Der Antrag der Landesregierung ist zulässig und begründet.
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