1 Die logistische Gleichung X t+1 = λx t (1 X t )
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- Anna Gerber
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1 1 Die logistische Gleichung X t+1 = X t (1 X t ) Bisher haben wir Rekursionen mit mehr oder weniger einfachem Verhalten betrachtet; wir konnten entweder eine explizite Lösungsformel aufstellen oder ohne eine sich aus den Simulationen ergebenden Vermutungen bezüglich des Verhaltens dieser Folgen beweisen. Die logistische Gleichung X t+1 = X t (1 X t ) zeigt, dass ein solches leicht vorhersagbares Verhalten keineswegs typisch für Dierenzengleichungen der Form X t+1 = f(x t ) ist. Zunächst einige Beispiele: Abbildung 1: Logistische Gleichung für X 0 = 0.7 und diverse (0, 4) (a) {0.5, 1.1, 1.7, 2.3, 2.9} (b) {3.1, 3.5, 3.9} {blau,grün,rot} Besonders interessant ist die Tatsache, dass sich das Verhalten der durch X t+1 = X t (1 X t ) (1.1) denierten Folge in sehr einfacher Art und Weise vom Parameter der Gleichung > 0 abhängig ist. Zunächst jedoch eine Interpretation im Rahmen der Populationsdynamik: Herkunft der logistischen Gleichung: Das Wachstum einer Bakterienkultur in einer Petrischale hatten wir näherungsweise durch die Rekursion X t+1 = (1 + r)x t bzw. X t+1 X t = rx t modelliert. Ein Kritikpunkt dieses Modells bestand darin, dass die von der Kultur bedeckte Fläche ins Unendliche wächst. Eine relativ naheliegende Vorgehensweise wäre, den Zuwachs der Bakterienkultur X t+1 X t bei annähernd bedeckter Petrischale X t M klein zu halten, etwa durch X t+1 X t = rx t (M X t ) 1
2 Eine Variablentransformation 1 der Form Z t = ax t + b führt dies dann in die logistische Gleichung Z t+1 = Z t (1 Z t ) über. Wir werden stets 0 < X 0 < 1 bzw. 0 < Z 0 < 1 für den Anfangswert der logistischen Folge voraussetzen. 1.1 Der Fall 0 < < 1 Abbildung 2: Beispiele für X 0 = 0.5 und (0, 1) (a) {0.1, 0.3, 0.5, 0.7, 0.9} (b) Ausschnitt von (a) Zu zeigen ist die Konvergenz der Folge gegen 0. Wegen 0 < X 0 < 1 und X t+1 = X t (1 X t ) liefert ein schneller Induktionsbeweis die Aussage 0 < X t < 1: Für t = 0 gilt die Aussage per Voraussetzung an X 0 und gilt die Behauptung für ein t N, so erhalten wir X t+1 = }{{} X t (1 X }{{}}{{} t ) (0, 1) (0,1) (0,1) (0,1) Hieraus folgt X t+1 = X t (1 X t ) < X t k N = X t < t X 0 (per Induktion üer t) = X = lim t X t = 0 Zum Nachweis der letzten Schlussfolgerung sei auf Übungsblatt 4 verwiesen. 1 Ein entsprechender Nachweis ndet sich auf dem Übungsblatt. 2
3 1.2 Der Fall = 1 Im Falle = 1 lautet die Gleichung X t+1 = X t (1 X t ) bzw. X t+1 X t = X 2 t < 0, die Folge fällt also monoton. Wie oben zeigt man X t [0, 1]; d.h. es liegt eine beschränkte und monotone Folge vor. Diese ist nach einem Satz aus der Analysis konvergent mit Grenzwert X, der die Grenzwertgleichung X = X (1 X ) erfüllt, d.h. X = 0 oder X = 1. Da die Folge monoton fällt mit Anfangswert X 0 < 1, kann nur die erste Möglichkeit der Wahrheit entsprechen und wir erhalten: Im Fall 0 < 1 konvergiert die logistische Folge monoton fallend gegen Der Fall 1 < < 2 Im Fall 1 < < 2 scheint wieder Konvergenz vorzuliegen, doch diesmal nicht notwendig monoton! Abbildung 3: X 0 = 0.8 und 's äquidistant zwischen 1.01 und 1.99 Für den Beweis der Konvergenz verwenden wir einen Trick: Statt X t betrachten wir eine Hilfsvariable Y t = ax t + b 3
4 und hoen, auf Y t die Ergebnisse des ersten Falls anwenden zu können. Es gilt: Y t+1 = ax t+1 + b = a X t (1 X t ) + b = a Yt b a (1 Y t b a = a (Y t b)(a + b Y t ) + b = a [ Y 2 t ) + b + (a + 2b)Y t b(a + b) ] + b Ziel: Y t+1 = µy t (1 Y t ) mit 0 < µ < 1, also Y t = µ ( Y 2 t + Y t ) Ein Koezientenvergleich liefert die folgenden Bestimmungsgleichungen für a, b, µ: µ = a Berechnung von a, b, µ a + 2b = 1 ( ) b(a + b) + b = 0 a Division der dritten Gleichung durch b (b = 0 liefert kein brauchbares Ergebnis) und Einsetzen von a = 1 2b liefert: ( ) a b + 1 = 0 = ( a b) + a = 0 a = ( (1 2b) b ) + 1 2b = 0 Hieraus ergibt sich mit a = 1 2b die Beziehung und schlieÿlich µ = a = 2 Die zugehörige Transformation lautet = (b 1) + 1 2b = 0 = b( 2) + 1 = 0 = b = 1 2 a = ( 1) = = = 2 (0, 1) Y t = 2 X t (1.2) 4
5 Allerdings benötigen wir die zusätzliche Bedingung Y 0 (0, 1), um die bereits nachgewiesene Konvergenz nachweisen zu können. Dies ist doch wegen Y 0 = nur im Falle 1 1 < X 0 < 1 gegeben! Der Fall 1 1 < X 0 < 1 : 2 X Gemäÿ der Ergebnisse für 0 < < 1 wissen wir, dass die Folge Y t monoton fallend gegen Y = 0 strebt. Wegen X t+1 X t = 2 }{{} >0 (Y t+1 Y }{{} t ) < 0 <0 konvergiert auch die Folge (X t ) monoton fallend gegen einen Grenzwert X, der wegen Gleichung (1.2) Lösung der folgenden Gleichung ist. also X = 1. 0 = Y = 2 X + 1 2, Abbildung 4: Beispiele für X 0 = 0.8 und (1, 2) (a) = 1.2 (X t blau, Y t grün) (b) = 1.5 (X t blau, Y t grün) Die Konvergenz gegen 1 lässt sich auch im allgemeinen Fall nachweisen; sie ist jedoch erst ab einem gewissen Zeitpunkt monoton, wie in Bild (b) zu sehen ist 2. Im Fall 1 < < 2 konvergiert die logistische Folge gegen 1. 2 In Übereinstimmung mit unseren Beobachtungen gilt in diesem Fall Y 0 / (0, 1). 5
6 1.4 Der Fall = 2 In diesem Spezialfall existiert eine explizite Lösung der logistischen Gleichung, die wir auf dem Übungsblatt herleiten werden. 1.5 Der Fall 2 < < 3 Es liegt Konvergenz vor, die ähnlich wie im Fall 1 < < 2 bewiesen werden kann. Abbildung 5: Beispiele für (2, 3) (a) X 0 = 0.3, (2.01, 2.99) (b) X 0 = , (2.001, 2.3) 1.6 Der Fall = 3 Im Fall = 3 liegt ein weiteres Mal Konvergenz vor, doch ist diese äuÿerst langsam. Die folgende Graphik illustriert dies anhand des Startwerts X 0 = 0.5. Im Fall 2 < 3 konvergiert die logistische Folge gegen 1. 6
7 1.7 Der Fall > 3 Abbildung 6: Beispiele für X 0 = 0.7 und (3, 4) (a) = 3.5: 4 Häufungswerte (b) = 3.55: 8 Häufungswerte (c) = 3.65: Chaos... (d) = 3.85:... und Ordnung Wir sehen unmittelbar: Für > 3 konvergiert die Folge im Allgemeinen nicht. Eine Ausnahme bilden die Anfangswerte X 0 {0, 1, 1 }. Die unterschiedlichen Phasen der logistischen Folge für variierende lauten: 1. 3 < < 3.45: Es existierenen 2 Häufungswerte < < 3.54: Es existieren 4 Häufungswerte. 3 Häufungswerte sind Zahlen, bei denen sich die Werte der Folge häufen, d.h. unendlich viele Folgenglieder benden sich in der Nähe dieses Wertes. 7
8 : Es kommt in immer kleiner werdenden Intervalllängen das Doppelte an Häufungswerten hinzu, d.h. 8, 16, 32, 64,... Häufungswerte. Es gibt keine obere Grenze!! : Es treten 3, dann 6,12,24,... Häufungswerte auf; aber auch ab und zu einige Bereiche mit schönem Verhalten. Das Phänomen immer zahlreicher auftretender Häufungswerte wird in einem sogenannten Bifurkationsdiagramm 4 erfasst: Für jeden Wert von werden die auftretenden Häufungswerte aufgetragen. Bis zum Wert = 3 ist daher nur ein Wert zu sehen, nämlich der Grenzwert 1. Bei = 3 tritt dann die erste Bifurkation ein, denn aus dem Grenzwert verzweigen sich mit der Zeit immer deutlicher zu unterscheidende Häufungswerte. Ab 3.45 kommt es zu immer weiteren Vergabelungen und damit zu immer mehr Häufungswerten, was man auch als chaotisches Verhalten bezeichnet. Bemerkenswert sind hierbei die Bereiche bei 3.72 oder auch 3.83, in denen die logistische Folge ein vergleichsweise geordnetes Verhalten an den Tag legt 5. Zumindest das Phänomen des Auftretens zweier Häufungswerte ab > 3 können wir erkennen. Die Simulationen zeigen uns, dass die Folge der geraden Folgenglieder X 0, X 2, X 4,... und die Folge der ungeraden Folgenglieder X 1, X 3, X 5,... gegen den entsprechenden Häufungswert zu konvergieren scheinen. Untersuchen wir darum X t+2 und nicht X t+1 in 4 Bifurkation entspricht dem deutschen Wort Verzweigung oder Zweigabelung. 5 vgl. auch Bild (d) 8
9 Abhängigkeit von X t : Es gilt X t+2 = X t+1 (1 X t+1 ) = 2 X t (1 X t ) ( 1 X t (1 X t ) ). Konvergiert nun X 0, X 2, X 4,... bzw. X 1, X 3, X 5,... gegen einen gewissen Wert X, so gilt... X = 2 X (1 X )(1 X (1 X )) 0 = 3 X (X 1 )(X2 + 1 X ) Die Diskriminante des quadratischen Terms lautet ( + 1) = = = 1 ( ) = 1 ( + 1)( 3) 2 D.h. nur im Fall > 3 ist die Diskriminante gröÿer als 0 und das Phänomen von Häufungswerten ungleich 1 kann auftreten. In diesem Fall sind die entsprechenden Häufungswerte gegeben durch X = ( + 1)( 3) 2 ± 2 Theoretisch lässt sich dieses Verfahren auch auf den Fall von drei oder zahlreicheren Häufungswerten verallgemeinern; praktisch sind dem jedoch Grenzen gesetzt. Zur Bestimmung der Häufungswerte einer Teilfolge X 0, X k, X 2k,... müssten sämtliche Nullstellen eines Polynoms vom Grade 2 k bestimmt werden. Dies ist für groÿe k im Allgemeinen nicht möglich. Andererseits ist die explizite Bestimmung sämtlicher Häufungswerte nicht die brennenste mathematische Frage im Kontext der logistischen Gleichungen. 9
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