Aussagepsychologie bei kindlichen Opferzeugen

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1 Aussagepsychologie bei kindlichen Opferzeugen Ass.-Prof. in Mag. a Dr. in Sabine Völkl-Kernstock Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, MedUni Wien

2 Aussagepsychologie bei kindlichen Opferzeugen Sabine Völkl-Kernstock 4. Dezember 2018

3 GEWALT ist generell ein Thema, das auch im wissenschaftlichen Kontext von Widersprüchen, unterschiedlichen Definitionen und subjektiven sowie konjunkturell beeinflussten Wahrnehmungen geprägt ist und zum überwiegenden Teil im Dunkelfeld vorkommt.

4 Ausgangssituation 2017: Gefährdungsmeldungen (vgl. 2014: ) (Wiener Kinder- und Jugendhilfe) davon 5% durch Spitäler oder niedergelassene Ärzte Bei etwaigen nachfolgenden Gerichtsverhandlungen in vielen Fällen keine ausreichend gerichtsverwertbare Dokumentation der behaupteten Verletzung

5 Ausgangssituation Kinder und Jugendliche haben vor allem wenn sie Opfer von Gewalttaten sind keine Lobby. Bedarf an einer Untersuchungsstelle, die Opfer von Misshandlung, Missbrauch aber auch Vernachlässigung unmittelbar nach dem gewaltsamen Übergriff untersucht.

6 Forensische Psychologie Forensikambulanz der Univ.klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie seit 1995 seit 2016 Forensik- und Traumadiagnostik-Ambulanz Kooperation mit Forschungsprojekt FOKUS an der Univ.klinik für Kinderund Jugendheilkunde (Team bestehend aus Kinderärztinnen, Gerichtsmediziner und Klinischer Psychologin

7 sind vor allem PatientInnen der Forensik- und Traumadiagnostikambulanz Opfer sexueller, physischer und psychischer Gewalt Körperliche Misshandlung Psychische Misshandlung Sexuelle Gewalt Familiäre Gewalt Zeugenschaft von Gewalthandlungen Vernachlässigung jugendliche Täter

8 Hinweise auf sexuellen Missbrauch und andere Gewaltformen Es gibt kein psychisches Symptom, das nur bei sexuellem Missbrauch auftritt und für diesen den Beweis gibt, ebenso wenig für andere Gewaltformen. (Trieb-)täter leugnen in der Regel ihre Tat und gerichtliche Beweisverfahren sind für die Opfer mit großen Belastungen verbunden. Körperliche Hinweise Verhaltenshinweise Psychische Hinweise Hinweise in der Familie gerichtsmedizinisch relevante Spuren

9 Verdachtsmomente? Missbrauchssyndrom? Häufig berichtete/ beobachtete Indikatoren bei Kindern ( Signaldeutung ) Masturbatorisches Verhalten Vulgärsprache, etc. Wesentlich zu beachten: Berücksichtigung von psychosozialen Einflüssen Ein charakteristisches Missbrauchssyndrom existiert nicht Regression, sozialer Rückzug, Schlaf- und Essstörungen, Leistungsverschlechterung, etc., sowie sämtliche Verhaltensveränderungen können ein Anzeichen sein.

10 Forensische Psychologie als Teilbereich der Klinischen Psychologie Die Klinischen Psychologie umfasst die klinisch-psychologische Diagnostik, Behandlung und Beratung. Sie beschäftigt sich insbesondere mit psychischen Störungen, körperlichen Störungen (bei denen psychische Einflüsse eine große Rolle spielen), Extremsituationen für die Psyche, psychischen Folgen akuter Belastungen und psychischen und Entwicklungskrisen. Die Forensische Psychologie ist die Anwendung psychologischer Theorien, Methoden und Erkenntnisse auf Probleme des Rechtswesens.

11 EXKURS: Aufgaben des Sachverständigen (nach Kölch, Allroggen und Fegert, 2013) Der Sachverständige ist dem Gericht verpflichtet und hat die im Auftrag genannten Fragen zu beantworten; muss prüfen, ob er den Auftrag erfüllen und die Fragestellung beantworten kann; ist frei in der Wahl seiner Mittel, derer er sich bei der Erstellung des Gutachtens bedient; muss sich an fachliche Standards halten und sein Gutachten nachvollziehbar erstellen; hat sich wie ein Richter unparteiisch zu verhalten; hat eine etwaige Befangenheit dem Gericht mitzuteilen. Fegert, J., Kölch, M. (2013). Klinikmanual Kinder- und Jugendpsychiatrie und psychotherapie. 2. Aufll. Springer Verlag

12 Sekundär und tertiäre Belastungen durch Interventionen im Kinder- und Opferschutz Hohe Belastungen durch Vernehmungen, Begutachtung, Verhandlungen und Psychiatriesierung (Runyan et al. 1994) Stark belastete Kinder bekommen die meisten und intensivsten Interventionen Gefahr von Delegationsketten (D: durchschnittlich 7 Institutionen bzw. Befragungen ein- und desselben Kindes) Belastungen durch nicht nachvollziehbare Interventionen Wechselwirkung mit psychischer Belastung der KM (Fegert et al., 2001) Fegert, J. M., Berger, C., Klopfer, U., et al.: Umgang mit sexuellem Miss-brauch. Institutionelle und individuelle Reaktionen. Forschungsbericht. Votum Verlag, 2001.

13 Forensisch-psychologische Untersuchung Es erfolgt Abklärung akuter Gefährdung Abklärung einer eventuell vorliegenden Traumatisierung sowie anderer psychisch relevanter Symptomatik und Abklärung der Grundvoraussetzungen der Aussagetüchtigkeit

14 Wahrheitsfindung und Sprachrelevanz Forensische Psychologie Befragung von Opfern dient der Wahrheitsfindung im Sinne, ob ein Kind den angezeigten Vorfall tatsächlich persönlich erlebt hat. (spezifische Befragung) Klinische Psychologie Wahrheitsfindung im Hinblick auf Diagnose und Sicherstellung vorhandener (Grund) Bedürfnisse des Kindes (zb. Kindeswohlgefährdung) (mehrheitlich sensitiv) Psychotherapie Wahrheitsfindung hinsichtlich individuell empfundener Notwendigkeit von Therapie und Unterstützungsbedarf (sensitiv)

15 Psychologisch-forensische Untersuchung Aussagetüchtigkeit = Fähigkeit einer Person, einen spezifischen Sachverhalt zuverlässig wahrzunehmen, diesen im Gedächtnis zu bewahren und die Geschehnisse in einer Befragungssituation verbal wiederzugeben, sowie tatsächlich Erlebtes von anders generierten Vorstellungen zu unterscheiden. Es geht dabei um die Fähigkeit generell eine zuverlässige Aussage machen zu können, und nicht darum, ob es sich um eine glaubhafte oder um eine im Einzelnen fehlerfreie Darstellung eines Ereignisses handelt. Aus der Feststellung der erhaltenen Aussagetüchtigkeit lassen sich also noch keine Aussagen über die Glaubhaftigkeit oder über die Richtigkeit der Angaben eines Zeugen ableiten.

16 Relevante Vorraussetzungen für Aussagetüchtigkeit (nach Volbert, 2005) Grundvoraussetzungen - Adäquate Situationswahrnehmung - Speicherung über längeren Zeitraum - Angemessenes Quellenmonitoring - Weitgehend selbständiger Abruf Forensische Befragungssituation Fähigkeit, eine für Dritte nachvollziehbare Schilderung zu produzieren: - Sprachliches Ausdrucksvermögen - Vorhandensein von Kontrollmöglichkeiten gegenüber Suggestiveinflüssen - Beherrschung relevanter kommunikativer Kompetenzen Aussagetüchtigkeit ist ab etwa 4 Jahren gegeben!

17 Psychologisch-forensische Untersuchung Weiters gilt es im diagnostischen Prozess abzuklären: Entstehungsgeschichte der Aussage Motivation zur wahren Aussage Suggestibilität und Kontrollmöglichkeit gegenüber Suggestiveinflüssen Emotionale-soziale Befindlichkeit / Vorliegen einer krankheitswertigen psychischen Störung nach ICD-10 (ICD-11)

18 Zeit heilt nicht alle Wunden Traumatische Erlebnisse müssen im Laufe der Entwicklung immer wieder neu bearbeitet werden Dies gelingt nur über stabile und korrigierende Beziehungserfahrungen Therapeutische Interventionen müssen einem multimodalem Konzept folgen Unterstützung des sozialen Umfelds von wesentlicher Bedeutung

19 Was Patienten im forensischen Bereich von helfenden Systemen benötigen Klare, verbindliche Struktur im Rahmen der Abklärungsdiagnostik. Gut fundiertes Wissen über allgemeine und genderspezifische Belastungen sowie psychische Störungen die aus familiärer Gewalt resultieren und welche Interventionen daraus abgeleitet werden sollen und müssen. Wissensvermittlung in das Rechtssystem im Rahmen von Begutachtungen und damit verbundene Maßnahmen im Bereich des Opferschutzes. Weitere Forschung im Bereich Traumafolgestörungen; Traumagedächtnis und Wiedergabefähigkeit von erlebten Inhalten, insbesondere bei jungen Kindern

20 DANKE FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT