Unterricht mit chronisch kranken Kindern und Jugendlichen

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1 Unterricht mit chronisch kranken Kindern und Jugendlichen Inklusion von neurologisch kranken Kindern und Jugendlichen in den normalen Schulbetrieb Beispiele: Epilepsie Cerebralparese Hereditäre Neuropathie Friedreich- Ataxie Spinale Muskelatrophie

2 Epilepsie 2 Häufige chronische Erkrankung, ca. 1% der Bevölkerung. Beginnt zumeist im Kindes- und Jugendalter. Definition: wiederkehrende epileptische Anfälle (mindestens 2). Ursache: Übererregbarkeit des zentralen Nervensystems durch synchrone Entladung vieler Nervenzellen. Klinisches Bild der Anfälle sehr vielfältig. In der Mehrzahl der Fälle keine kognitiven Einschränkungen. Therapie medikamentös, in ca. 80% der Fälle erfolgreich. In den letzten Jahren zunehmend Epilepsiechirurgie bei fokalen Epilepsien, die auf Medikamente nicht ausreichend ansprechen.

3 Das Bild der Epilepsie in der Gesellschaft Heilige Krankheit : Der Epileptiker sei von bösen oder guten Geistern besessen (Bibel, alte Mythen etc.). Diese Vorstellung prägt die Wahrnehmung der Krankheit Epilepsie seit jeher, bis in die heutige Zeit. Geistige Behinderung: Epileptiker werden reflexartig als geistig behindert betrachtet. Geisteskrankheit: Ebenso verbreitete Vorstellung wie die der geistigen Behinderung. Ansteckende Erkrankung Gefährliche bzw. tödliche Erkrankung: Angesichts des dramatischen Bildes von Grand-mal-Anfällen eine gut nachvollziehbare Vorstellung. Die wirkliche Gefährdung ist weitaus geringer.

4 Infantile Cerebralparese 4 Häufigkeit ca. 0,1 % Nicht progredient: In der Schwangerschaft oder der frühen Kindheit entstandene Hirnschädigung. Häufig Bild einer Spastik, die mehr die Beine als die Arme betrifft. Häufig Probleme mit der Handmotorik (Schreiben). Kognitive Defizite können, müssen aber keineswegs parallel dazu bestehen. Oftmals umständliche Versorgung mit Hilfsmitteln (Rolli, Orthesen etc.) Großes Problem der Langsamkeit, schwieriges Zeitmanagement. Kampf um möglichst viel Autonomie.

5 Genetische neurologische Erkrankungen 5 Selten: SMA am häufigsten, ca. 1:6000 Progredient, durch Medikamente nicht beeinflussbar Die 3 genannten Erkrankungen SMA, Neuropathie und Friedreich Ataxie beeinträchtigen nicht die kognitiven Fähigkeiten. Kinder bzw. Jugendliche erleben bewusst den Verlust körperlicher Funktionen und Fähigkeiten. Die Patienten und ihre Eltern sind oftmals umfassend informiert über ihrer Erkrankung, z.b. über Selbsthilfegruppen, z.t. besser als ihre betreuenden Ärzte. Die Patienten kämpfen um möglichst viel Autonomie und Selbstbestimmung.

6 Daniel 6 Daniel ist 7 ½ Jahre alt, bei mir wegen Epilepsie in Behandlung seit Sommer Sog. Rolando-Epilepsie, d.h. eine relativ gutartige Form der Epilepsie mit v.a. nächtlichen Krampfanfällen aus dem Schlaf heraus. Im Sept wird eine Einschulung in der 1. Klasse der Regelschule von der Schulleitung verweigert, wegen des Anfallsrisikos. Nach ausführlichen, für die Eltern sehr belasteten Auseinandersetzungen besucht er nun dennoch diese Schule, kommt gut mit. 1 weiterer nächtlicher Krampfanfall.

7 Anna 7 Pat. 7 ½ Jahre alt, mit therapieresistenter fokal- motorischer Epilepsie seit dem ersten Lebensjahr. Therapieresistenz für alle verfügbaren Medikamente. Dennoch normale kognitive Entwicklung. Eintritt 1. Klasse Sept. 13, begleitet von einer FSJ lerin. Zahlreiche Anfälle, auch im Unterricht, häufiges Fehlen. Im Juli 2014 chirurgischer Eingriff im Epilepsiezentrum. Leider hat Anna weiterhin viele Anfälle. Sie besucht trotzdem die Schule, soll wahrscheinlich im Winter nochmals operiert werden mit dem Resultat einer Halbseiten-Lähmung rechts.

8 Markus 8 Fast 18 jähriger Patient mit fokaler Epilepsie. In der Vergangenheit ausgeprägte pubertäre Verhaltensstörung, Verweigerung der Medikamenteneinnahme, deshalb zahlreiche Anfälle, v.a. Nachts. Erhebliche Schulprobleme. Betreuung durch den Integrations- Fachdienst unseres Landratsamtes. Unter engmaschiger Betreuung konnte die WRS erfolgreich abgeschlossen werden. Bei nun regelmäßiger Medikamenteneinnahme ist er anfallsfrei und kann eine berufliche Ausbildung zum Lager- Facharbeiter beginnen. Der Erwerb des Führerscheins unter gewissen Auflagen ist nach über 1 jähriger Anfallsfreiheit möglich.

9 Tim 9 Tim ist 9 Jahre alt, als Zwillings- Frühgeborenes auf die Welt gekommen, 28 SSW, 1230 g. Komplikation einer Hirnblutung Daraus resultierend schwere spastische Tetraparese, d.h. spastische Lähmung von Armen und Beinen. Dagegen besteht eine fast uneingeschränkte kognitive Kompetenz. Problem: Langsamkeit, Schreiben, Rechnen. Einfache Verrichtungen, wie der Gang zur Toilette, gehen nur mit Unterstützung und nehmen viel Zeit in Anspruch. 3. Klasse Regelschule, die dafür eigens umgebaut wurde.

10 Sven jähriger Patient mit Friedreich- Ataxie: Erbliche Erkrankung (autosomal-rezessiv) mit zunehmender Zerstörung der im Rückenmark aufsteigenden Bahnen, die für die Körperwahrnehmung zuständig sind. Daraus resultiert eine zunehmende Ataxie, d.h. Gangstörung (Laufen wie ein Betrunkener), später Rollstuhlabhängigkeit. Störung von Feinmotorik und Gleichgewicht, polternde Sprache. Sven war wegen Schulschwierigkeiten und Mobbing vom Gymnasium in die Realschule gewechselt. Dort ebenfalls zunehmende Probleme mit Akzeptanz und Schulverweigerung. Im verhangenen Jahr Wechsel in die St. Hawking- Schule in Neckargemünd. Dort geht es Sven sehr gut.

11 Celine ½ jährige Patientin mit hereditärer sensorisch-motorischer Neuropathie. Eine sehr seltene, genetisch bedingte Erkrankung mit zunehmendem Funktionsverlust sensibler und motorischer Nerven. Schmerzhafte Missempfindungen, Gefühlsstörungen, Gangstörungen sind die Folge, zunehmend, ohne therapeutische Beeinflussbarkeit. Celine besuchte die Realschule. Zunehmende Probleme mit Depression und Schulverweigerung. Auch sie wechselte in die St. Hawking- Schule in Neckargemünd. Dort geht es ihr gut.

12 Samuel Jahre, spinale Muskelatrophie (erbliche Krankheit) mit Auswirkung auf Nervenzellen Erheblich eingeschränkte motorische Fähigkeiten Im Alltag auf Hilfe angewiesen 2014 allgemeinbildendes Abitur (Albertus-Magnus-Gymnasium) Studium der Wirtschaftsinformatik Assistenz durch FSJ/Studienassistenz

13 Fazit 13 Körperbehinderte Kinder und Jugendliche sollten am Wohnort eine Regelschule besuchen, die ihren kognitiven Fähigkeiten gerecht wird. Das reiche Angebot an modernen technischen Hilfsmitteln wird oftmals nicht ausreichend genutzt. Mitleid ist kontraproduktiv Mitbetreuung durch sonderpädagogische und evtl. medizinische Fachkräfte Ständiger Austausch zwischen Betroffenen, Schule und medizinischen Fachkräften Adäquate Leistungsbewertung und -Überprüfung

14 Wir danken für Ihre Aufmerksamkeit 14