Warum sind Investor-Staat-Schiedsverfahren (ISDS) gefährlich?

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1 Warum sind Investor-Staat-Schiedsverfahren (ISDS) gefährlich? Neelke Wagner Mehr Demokratie e. V. Greifswalder Str Berlin Tel Fax info@mehr-demokratie.de

2 Inhaltsverzeichnis Wie funktioniert ISDS?...2 Welche Tatbestände können dazu führen, dass ein Staat sich vor einem ISDS-Tribunal verantworten muss?...2 Nach welchen Regeln läuft ein solches Schiedsverfahren ab?...2 Was unterscheidet ISDS von ordentlichen Gerichtsverfahren?...3 Warum gefährdet ISDS Demokratie und Rechtsstaatlichkeit?...3 Ist das nicht verfassungswidrig?...4 Ist es nicht sinnvoll, den Investorenschutz zu verbessern, damit mehr in die deutsche Wirtschaft investiert wird?...4 Warum gehen Sie davon aus, dass ISDS die demokratischen Rechte der Bürger/innen einschränken würde? Parlamente können doch weiterhin frei Gesetze beschließen...5 Gibt es bereits Statistiken oder Studien über die Auswirkungen von ISDS?...5 Sie behaupten, Konzerne könnten mit Hilfe von ISDS die Politik beeinflussen. Können Sie das belegen?... 6 Es kann ja sein, dass ISDS zwischen den USA, Kanada und der EU nicht unbedingt notwendig sind. Aber deshalb gleich ein vielversprechendes Handelsabkommen platzen lassen?...6

3 Wie funktioniert ISDS? Investor-Staats-Schiedsverfahren finden sich in vielen Handels- und Investitionsverträgen. Die Vertragspartner sind Staaten, die sich mit ISDS einer internationalen privaten Gerichtsbarkeit unterwerfen. Gesetze, Verordnungen oder sonstige Entscheidungen von Parlament, Regierung, Verwaltung und sogar von Gerichten stehen damit auf dem Prüfstand, sobald sie Investitionen oder Gewinnerwartungen daraus gefährden. Dann können Unternehmen, die in dem einen Vertragspartnerstaat einen Sitz haben und in dem anderen Staat investieren, ein ISDS-Verfahren einleiten. Der Staat muss sich dann vor einem Sondergericht verantworten, das aus drei Schiedsrichtern, meistens Rechtsanwält/innen, besteht. Einen wählt der Staat, einen der klagende Investor und einen beide gemeinsam. In ISDS-Verfahren geht es nicht direkt darum, ob eine Entscheidung rückgängig gemacht wird das können ISDS-Tribunale nicht durchsetzen. Sie können jedoch Schadensersatzzahlungen teilweise in Milliardenhöhe anordnen, gegen die der Staat keine Berufung einlegen kann. Welche Tatbestände können dazu führen, dass ein Staat sich vor einem ISDS-Tribunal verantworten muss? Das hängt vom Vertrag ab, auf den sich das klagende Unternehmen beruft. Unfaire und ungerechte Behandlung, Diskriminierung und indirekte Enteignung sind gängige Vorwürfe. Die schwammige Formulierung, nach der jedem Investor eine gerechte und billige Behandlung zuteil werden müsse und seine legitimen Erwartungen nicht enttäuscht werden dürften, ist besonders gefährlich, da sie breiten Raum für Interpretationen öffnet. Viele derzeit laufende Verfahren von Konzernen gegen Staaten beruhen auf dem Vorwurf der ungerechten und unbilligen Behandlung, zum Beispiel die Klage von Philip Morris gegen Australien wegen einer neuen Verordnung für Zigarettenpackungen. Ähnliches gilt für indirekte Enteignung. Sie meint Maßnahmen oder eine Serie von Maßnahmen, die einen Effekt haben, der der direkten Enteignung vergleichbar ist 1. Darunter fallen praktisch alle Vorschriften, die den Investor in der Nutzung und Ausbeutung seines Besitzes einschränken. Wird zum Beispiel einer Goldmine das Schürfrecht entzogen, weil ihr Betrieb das Grundwasser der Region vergiftet, kann sich der Besitzer der Goldmine als indirekt enteignet betrachten und vor einem ISDS-Gericht Schadensersatz verlangen. Damit wird dem Staat nicht direkt verboten, solche Gesetze zu erlassen solange er einen angemessenen Schadensersatz zahlt. Im Investitionskapitel des CETA wird konstatiert, nicht-diskriminierende Maßnahmen, die legitime Gesundheits-, Sicherheits- und Umweltschutzziele schützen sollen seien keine indirekten Enteignungen. Ob eine Maßnahme legitim und nicht diskriminierend war, entscheidet das ISDS-Tribunal, das zur Klärung des Falls beauftragt ist, kein demokratisch gewähltes Gremium und kein ordentliches Gericht. 1 CETA Consolidated Text, Chapter 10 (Investment), Annex X.11, Paragraph 3 (eigene Übersetzung) Warum sind ISDS gefährlich? Seite 2

4 Nach welchen Regeln läuft ein solches Schiedsverfahren ab? Verschiedene internationale Organisationen bieten ISDS-Verfahren an und haben dafür eigene Regelwerke entwickelt, zum Beispiel die Weltbank, die Kommission der Vereinten Nationen für internationales Handelsrecht oder die Internationale Handelskammer, die gleichzeitig einer der wichtigsten Unterstützer dieser Verfahren ist. Sie geben den Ablauf vor, setzen Fristen fest und bestimmen, welche Dokumente veröffentlicht werden dürfen. Welche Organisation das Verfahren ausrichtet, ist je nach Vertrag entweder vorgeschrieben, der Entscheidung des Klägers überlassen oder Kläger und beklagter Staat müssen sich einigen. Das Verfahren wird in der Regel von drei Personen geleitet: einem Anwalt des Klägers, einem des beklagten Staates und einem Schiedsrichter, der von beiden Parteien gemeinsam bestimmt wird. Sie bilden das Schiedsgericht, das in dieser Konstellation nur für dieses eine Verfahren zusammentritt. Die Entscheidung erfolgt auf der Grundlage des internationalen Vertrages, der auch Grundlage der Klage ist. Der Vertrag kann auch zusätzliche Regeln für das Verfahren enthalten, an die sich die Schiedsrichter halten müssen. Wenn der Staat, in dem der Kläger seinen Sitz hat, und der beklagte Staat mehrere Verträge mit ISDS-Klauseln miteinander haben kann sich das klagende Unternehmen einen davon aussuchen, je nachdem welcher Vertrag ihm die meisten Erfolgschancen einräumt. Was unterscheidet ISDS von ordentlichen Gerichtsverfahren? Es gibt keine unabhängigen Richter/innen. Es gibt keine Möglichkeit der Berufung. Die Schiedsgerichte sind keiner Menschenrechtscharta, keinem Gesetz, keinem Allgemeinwohl verpflichtet, sie müssen lediglich die Anwendung des jeweiligen Investitionsvertrages sicherstellen. Zudem erhalten sie für ihre Tätigkeit als ISDS-Richter hohe Honorare, weswegen sie und ihre Kanzleien ein Interesse daran haben, dass möglichst viele Verfahren stattfinden. Das wiederum erreichen sie am besten durch investorenfreundliche Urteile, weil nur Investoren ISDS-Verfahren beantragen können, Staaten nicht. Außerdem sind die Verfahren weitgehend intransparent. Warum gefährdet ISDS Demokratie und Rechtsstaatlichkeit? ISDS schafft eine Paralleljustiz, die internationalen Investoren Sonderrechte einräumt. Sie können anders als ihre lokalen Konkurrenten, die keinen Sitz im Ausland haben Schadensersatz für unfaire und ungerechte Behandlung oder indirekte Enteignung verlangen. Diese Begriffe kennen weder das deutsche und noch das europäische Recht. Sie unterstellen, Eigentum sei mehr als der Besitz einer Sache, nämlich der Besitz an der (möglichst profitablen) Zukunft einer Sache, ein Grundrecht auf Profit. Diese profitable Zukunft müsse der Staat genauso schützen wie die Sache selbst. Jedes Gesetz, das diese profitable Zukunft gefährdet, sei eine indirekte Enteignung oder aber ungerecht und unfair. So argumentieren viele Konzerne, die ISDS-Verfahren angestrengt haben. Die meisten Gesetze, die den Umweltschutz verbessern oder gesundheitsgefährdende Produkte verbieten, greifen in diese profitable Zukunft ein. Ob und wie das passiert, entscheidet das Parlament. Wenn der Staat jedoch ein ISDS-Abkommen unterzeichnet mit einem Staat, in dem eines Warum sind ISDS gefährlich? Seite 3

5 der betroffenen Unternehmen seinen Sitz hat, entscheidet nicht mehr das Parlament, sondern falls das Unternehmen es wünscht ein internationales Sondertribunal, das sich exklusiv den Forderungen dieses einen Klägers widmet. Verliert der Staat, bekommt nur der klagende Investor Geld; andere Unternehmen, die kein ISDS-Verfahren anstrengen können oder wollen, gehen leer aus. Die Gefahr, von einem ISDS-Tribunal zu millionenschwerem Schadensersatz verurteilt zu werden, übt Druck auf Parlamente und Regierungen aus. Selbst wenn der Staat das Verfahren am Ende gewinnt, hat er fünf- bis sechsstellige Beträge für Anwälte und Reisekosten ausgegeben. Prozess- und Anwaltskosten werden weit seltener erstattet als bei staatlichen Gerichten. Gesetzgeber nehmen Abstand von schärferen Regelungen oder warten ISDS-Verfahren in anderen Staaten ab, um einschätzen zu können, wie viel Schadensersatz sie ein bestimmtes Gesetz kosten könnte. Auf diese Weise hilft ISDS, Gesetze zu verhindern oder zu verschleppen, die Gesundheits- oder Umweltschutz gegen Konzerninteressen durchsetzen könnten und wenn das Gesetz trotzdem kommt, müssen die Steuerzahler/innen es teuer erkaufen. Ist das nicht verfassungswidrig? In unseren Augen ist das zumindest verfassungsrechtlich bedenklich. Mehr Demokratie-Mitglied Prof. Dr. Axel Flessner hat in einem Aufsatz zentrale Argumente skizziert: Fremde Richter würden über das Handeln des deutschen Staates urteilen, die Rechtsprechung würde von deutschen Gerichten weg auf andere, nicht-ordentliche und nicht an deutsches Recht gebundene Stellen ausgelagert. Zweitens gelte dann für Inländer, die nicht vor den Schiedsgerichten klagen können, anderes Recht als für Ausländer. 2 In einem Rechtsgutachten für attac stellen Johan Horst und Andreas Fischer-Lescano ähnliche Probleme mit dem EU-Recht heraus. ISDS-Schiedssprüche könnten zu EU-Recht in Widerspruch geraten. Ein Beispiel: Muss ein Mitgliedstaat eine Beihilfe zurückfordern, weil sie gegen Europarecht verstößt, kann ein Investitionsschiedsgericht ihn deshalb zur Zahlung von Schadensersatz verurteilen. Dazu gibt es bereits mehrere Schiedssprüche. Dann bekäme das klagende Unternehmen die Beihilfe am Ende doch, nur eben in Form eines Schadensersatzes und nicht als direkte Beihilfe. Damit würde EU-Recht gebrochen ein Recht, zu dem sich alle EU-Mitgliedsstaaten verpflichtet haben und das deshalb für alle gleichermaßen gelten muss. 3 Ist es nicht sinnvoll, den Investorenschutz zu verbessern, damit mehr in die deutsche Wirtschaft investiert wird? Die Staaten, die TTIP und CETA verhandeln, schützen Investitionen sehr gut. Eigentum hat Verfassungsrang (Art. 14 GG). Enteignungen sind nur in seltenen Fällen und nur gegen Entschädigung möglich. Wer in einem der EU-Mitgliedsstaaten, in den USA oder Kanada Besitz erwirbt, kann sich sicher sein, nicht plötzlich mit leeren Händen dazustehen. Genehmigungen 2 Den Aufsatz finden Sie unter _Grundgesetz by_axel_flessner_.pdf 3 Das Gutachten finden Sie unter Warum sind ISDS gefährlich? Seite 4

6 und Förderzusagen werden verbindlich nach festen Regeln erteilt, Willkür ist verboten. Die meisten Auslandsinvestitionen fließen schon heute in die USA und die EU. Empirisch gibt es keinen Beleg dafür, dass Investitionsschutzverträge mehr Auslandsinvestitionen generieren. Wie sollten ISDS die demokratischen Rechte der Bürger/innen einschränken? Parlamente können doch weiterhin frei Gesetze beschließen. Die Gefahr, von einem ISDS-Tribunal zu millionenschwerem Schadensersatz verurteilt zu werden, übt Druck auf Parlamente und Regierungen aus. Selbst wenn der Staat das Verfahren am Ende gewinnt, hat er sechs- bis siebenstellige Beträge für Anwälte und Reisekosten ausgegeben. Dies kann eine Bremswirkung für neue Regulierungen auslösen (chilling effect). Gesetzgeber nehmen Abstand von schärferen Regelungen oder warten ISDS-Verfahren in anderen Staaten ab, um einschätzen zu können, wie viel Schadensersatz sie ein bestimmtes Gesetz kosten könnte. Auf diese Weise hilft ISDS, Gesetze zu verhindern oder zu verschleppen, die Gesundheits- oder Umweltschutz gegen Konzerninteressen durchsetzen könnten und wenn das Gesetz trotzdem kommt, müssen die Steuerzahler/innen es teuer bezahlen. Staaten sollen doch nur verklagt werden können, wenn sie sich unfair verhalten haben und ein Unternehmen deshalb geschädigt wurde. Da wird man doch Schadensersatz verlangen dürfen? Klagen gegen staatliche Entscheidungen kann man schon heute, vor den ordentlichen Gerichten des betreffenden Staates oder vor internationalen Gerichtshöfen. In Deutschland kann man sogar gegen Gesetze klagen, nämlich Verfassungsbeschwerde einlegen. Eine zusätzliche Klagemöglichkeit exklusiv für internationale Investoren ist daher überflüssig. Gibt es bereits Statistiken oder Studien über die Auswirkungen von ISDS? Bis Ende 2013 wurden insgesamt 568 ISDS-Klagen geführt, die meisten von großen Konzernen aus den USA oder der EU gegen Entwicklungs- oder Schwellenländer. Von den bisher abgeschlossenen Fällen haben die Kläger 31 Prozent der Fälle gewonnen, 26 Prozent endeten mit einem Vergleich, der in der Regel bedeutet, dass der beklagte Staat eine Teilzahlung leistet und/oder die beklagte Maßnahme aufhebt oder einschränkt. In 43 Prozent der Fälle gewann der beklagte Staat. 4 Die Investoren wehren sich gegen Verwaltungs-, Parlaments- und Gerichtsentscheidungen, zum Beispiel gegen Anti-Tabak-Gesetze, Subventionskürzungen, Fracking- Moratorien, Mindestlohnvereinbarungen, Schuldenschnitte, Entzug von Bergbaukonzessionen, Annullierung von Patenten für (wirkungslose) Medikamente, Verbote von Chemikalien oder neue Steuern. Eine der bisher höchsten Entschädigungen mit 2,4 Milliarden US-Dollar (rund drei Prozent des BIP Ecuadors) muss Ecuador an den US-Konzern Occidental zahlen, weil das Land Ölförderverträge beendet hatte. Das spektakulärste Missverhältnis zwischen Investition und Klagesumme 4 Siehe UNCTAD Recent Developments in ISDS, April 2014, abrufbar auf Englisch unter Warum sind ISDS gefährlich? Seite 5

7 zeigt der Fall Libyen gegen Al-Kharafi. Dem Unternehmen wurden 935 Millionen US-Dollar zugesprochen, nachdem es fünf Millionen US-Dollar in ein Tourismusprojekt investiert hatte. Die erste ISDS-Klage gegen Deutschland reichte 2012 der schwedische Energiekonzern Vattenfall ein. Er will Entschädigung für den Atomausstieg. Das Verfahren hat die Bundesrepublik bis heute 3,23 Millionen Euro gekostet, bei einem Streitwert von 4,7 Milliarden Euro. Selbst wenn Deutschland diesen Fall gewinnen sollte, wird er die Steuerzahler/innen rund neun Millionen Euro gekostet haben, schätzt die Bundesregierung. 5 Lässt sich belegen, dass Konzerne mit Hilfe von ISDS die Politik beeinflussen? Ein gutes Beispiel dafür bietet der Tabakkonzern Philip Morris. Er hat über verschiedene ISDS- Verträge und verschiedene Tochterfirmen zwei Staaten verklagt, die strengere Vorgaben für Zigarettenschachteln eingeführt haben: Uruguay und Australien. Von Uruguay verlangt der Konzern zwei Milliarden US-Dollar, der Klagewert mit Australien ist unbekannt. Australiens Handelsabkommen mit Hongkong ermöglicht es der dortigen Niederlassung von Philip Morris, den Enteignungsvorwurf noch einmal zu spielen, obwohl der Rechtsweg in Australien erschöpft ist. Philip Morris' australische Tochterfirma klagte 2011 vor dem australischen Verfassungsgericht mit dem Argument, Australien enteigne den Konzern, wenn es einheitliche Schachteln ohne Logo vorschreibe, denn es zerstöre damit den kommerziellen Wert des Logos. Das Gericht wies die Klage zurück. 6 Australien hat bereits angekündigt, künftig keine Verträge mehr abzuschließen, die ISDS enthalten. Selbst wenn der Konzern am Ende keinen Schadensersatz erhält, hat er etwas gewonnen: Neuseeland hat sein Anti-Tabak-Gesetz auf Eis gelegt, weil es abwarten will, wie sich der Fall Australien entscheidet. Je nach Dauer des Verfahrens bedeutet das mehrere Jahre Verzögerung. Mehreren Staaten hat der Konzern ISDS-Klagen angedroht. 7 Bereits in den Neunziger Jahren stellte Kanada seine Bemühungen um schärfere Regeln für Tabakwerbung ein, unter anderem weil es ISDS-Verfahren im Rahmen der nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA fürchtete. 8 Es kann ja sein, dass ISDS zwischen den USA, Kanada und der EU nicht unbedingt notwendig sind. Aber deshalb gleich ein vielversprechendes Handelsabkommen platzen lassen? Aus Sicht der Bürger/innen sind ISDS nicht überflüssig, sondern schädlich. ISDS unterlaufen demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien. Internationale Investoren bekommen Sonderrechte. ISDS hilft ihnen, Einschränkungen, die ihnen durch demokratische Entscheidungen und das Allgemeinwohl auferlegt werden, zu brechen. Selbst wenn CETA und TTIP gewisse positive ökonomische Effekte brächten, wären diese selbst nach optimistischen Schätzungen gering und sollten nicht mit Einschränkungen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit erkauft werden html Warum sind ISDS gefährlich? Seite 6

8 Ob TTIP und CETA dazu beitragen, dass es den Menschen in der EU, Kanada und den USA insgesamt besser geht, ist fraglich. Diese Annahme ist mehr eine Hoffnung als eine belegbare Folge von CETA und TTIP. Sie basiert auf theoretischen Annahmen und vereinfachten ökonomischen Modellen, deren Wert und Validität umstritten ist. Jagdish Bhagwati, Professor der Wirtschaftswissenschaften an der New Yorker Columbia University und selbst ein Befürworter von Freihandel, erklärte in einem Interview, die Studien, die dem TTIP einen positiven Effekt nachweisen wollen, seien eher reine Meinungsäußerungen als wissenschaftlich valide Aussagen. 9 Selbst in den Publikationen der EU-Kommission lässt sich ein positiver Effekt eines möglichen TTIP auf die Wirtschaft nur eingeschränkt belegen. Ein Bericht der EU-Kommission vom März 2013, der die Auswirkungen eines möglichen Handelsabkommens mit den USA zusammenfasst, stellt mehrere Szenarien vor, je nachdem, ob und in welchem Umfang TTIP abgeschlossen wird. 10 Diese Szenarien basieren auf einer Studie des Centre for Economic Policy Research (CEPR), die im Auftrag der EU-Kommission verfasst wurde. Für den Fall, dass ein umfassendes Handelsabkommen abgeschlossen wird, stellt sie zwei Szenarien vor. Eine konservative Schätzung geht davon aus, bis 2027 werde das BIP der EU um 0,27 Prozent höher liegen als ohne TTIP, das ambitionierte Szenario erwartet ein um 0,48 Prozent höheres BIP. Wohlgemerkt, diese Steigerung ist nicht jährlich ab Inkrafttreten des Abkommens zu verstehen, sondern bezeichnet das zusätzliche Wachstum, das einmalig im Jahre 2027 zu erwarten wäre. 11 Die Kommission unterstellt, auch in den Jahren zuvor würde sich das BIP bereits um einen bestimmten Wert erhöhen, ohne diese Annahme zu belegen. Eher wird es direkt nach Inkrafttreten eines ambitionierten TTIP zu Wohlstandseinbußen kommen. Das legt sogar der oben erwähnte Bericht der EU-Kommission nahe. Es sei mit einem Schock zu Beginn der Marktliberalisierung zu rechnen, der in manchen Sektoren zu Umsatzeinbußen führen werde, heißt es dort. Die negativen Effekte in diesen Bereichen, etwa der Elektroindustrie, werden in der Studie einfach mit positiven Effekten in anderen Branchen, etwa der Lebensmittelindustrie, verrechnet. Die Produktion werde sich nach und nach auf die stärksten Branchen konzentrieren. 12 Eine solche Betrachtungsweise lässt zwei entscheidende Faktoren außer Acht. Zum Einen werden über die Qualität der dann verfügbaren Waren keine Aussagen getroffen. Zum Anderen hat ein solches Szenario verheerende Auswirkungen auf Arbeitnehmer/innen. Um von den Jobversprechen zu profitieren, müssten sie erstens universell einsetzbar und zweitens bereit und in der Lage sein, ihren Arbeitsplätzen quer durch die EU hinterher zu ziehen. Dass dies nicht ganz realistisch ist, sieht auch die EU-Kommission ein. Sie schlägt deshalb vor, Gelder aus den Europäischen Strukturfonds dafür auszugeben, um die negativen Effekte in bestimmten Sektoren und Regionen abzumildern. 12 Im Klartext heißt das: Die sozialen Kosten von TTIP werden auf die Steuerzahler abgewälzt und auf diejenigen, die das Pech haben, in einer der benachteiligten Branchen zu arbeiten oder in der falschen Region zu leben. 9 So zum Beispiel im Interview mit der WDR-Sendung Monitor: www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/freihandelsabkommen146.html 10 Veröffentlicht unter trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2013/march/tradoc_ pdf 11 Joseph Francois (Leitung): "Reducing Transatlantic Barriers to Trade and Investment. An Economic Assessment", Centre for Economic Policy Research, London, 2013, S. 46, abrufbar unter 12 EU-Kommission: "Impact Assessment Report on the future of EU-US trade relations", Commission Staff Working Document, Straßburg 2013, S. 52 ff, abrufbar unter trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2013/march/tradoc_ pdf Warum sind ISDS gefährlich? Seite 7

9 Die Erfahrungen der USA mit NAFTA zeigen zudem, dass Jobversprechen von Freihandelsabkommen auch generell scheitern können: Laut einer Untersuchung des Washingtoner Economic Policy Institute sind in den ersten zwölf Jahren des Abkommens mehr als eine Million Arbeitsplätze in den USA verloren gegangen. Weitere Millionen Arbeitskräfte mussten signifikante Lohnsenkungen hinnehmen. 13 Ähnliche Auswirkungen prognostiziert die CEPR-Studie für das TTIP. In ihrem ambitionierten Szenario würden mindestens 1,3 Millionen Menschen aufgrund von TTIP zunächst ihren Job verlieren, im konservativen Szenario wären es noch In den USA würde dies beziehungsweise Menschen betreffen. So viele neue Jobs müssten also mindestens neu geschaffen werden, damit TTIP nicht zum Job-Desaster gerät. 14 Da das CEPR seine Modellrechnung unter der Prämisse durchgeführt hat, die absolute Zahl der Arbeitnehmer/innen bliebe stabil, kann es eine echte Vermehrung von Jobs gar nicht berechnen. 15 Die einzige Studie, die einen Netto-Zuwachs von Arbeitsplätzen vorausgesagt hat, stammt vom Münchner ifo-institut. Die spricht von neuen Jobs allerdings nicht als mögliche Folge des TTIP, sondern im Falle einer vollständigen Integration der USA in den europäischen Binnenmarkt. Der Hauptautor der Studie, Gabriel Felbermayr, kritisiert deshalb das Bundeswirtschaftsministerium, das die Zahl wiederholt als Beweis dafür zitiert hatte, dass durch TTIP Arbeitsplätze entstehen. 16 Eine weitere populäre Zahl, die die Wohltaten des TTIP beweisen soll, sind die pauschalen 545 Euro Mehreinkommen, mit denen ein durchschnittlicher Vier-Personen-Haushalt durch TTIP im Jahr 2027 rechnen könne. Auch diese Zahl stammt aus der CEPR-Studie. Sie basiert auf der unrealistischen Annahme, der errechnete Wohlstandszuwachs würde absolut gleich verteilt. Wodurch das zusätzliche Einkommen generiert wird, erwähnt die Studie nicht. Da ein Großteil der versprochenen Wachstumseffekte durch eine Angleichung von Standards zustande kommen soll wird das statistische Mehr in der Tasche durch schlechtere Arbeitsbedingungen und Produkte, sowie größere Umweltschäden erkauft. Zudem führt höherer Konkurrenz- und Kostendruck in der Regel zu Lohnsenkungen. Selbst wenn Konsument/innen von durch den Freihandel gesunkenen Preisen profitieren, könnte dieser Vorteil auf der anderen Seite durch Lohnkürzungen wieder aufgefressen werden. 13 Ben Beachy: NAFTA s 20-Year Legacy and the Fate of the Trans-Pacific Partnership", Washington DC, Februar 2014, abrufbar unter 14 John Hilary: "TTIP: No Public Benefits, But Major Costs", September 2014, abrufbar unter 15 Siehe FN Siehe FN 8 Warum sind ISDS gefährlich? Seite 8