Juristische Fakultät. Konversatorium zum Bürgerlichen Recht I Wintersemester 2015/16. Fall 11: Saftladen

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1 Fall 11: Saftladen A ist Inhaber eines Feinkostgeschäfts. Er beauftragt den V, für ihn Fruchtsäfte beim Großhändler G einzukaufen. A schreibt dem G, dass er den V bevollmächtigt habe, für ihn einzukaufen. Bevor V tätig wird, kommt es zu Streit zwischen A und V. A erklärt dem V, er sei nicht berechtigt, für ihn Verträge abzuschließen. Dennoch kauft V bei G im Namen des A Säfte für EUR ein. Kann G von A Zahlung verlangen? 1

2 Lösung G hat möglicherweise gegen A einen Anspruch auf Zahlung von EUR aus Kaufvertrag, 433 II BGB. Dieser Anspruch setzt den Abschluss eines wirksamen Kaufvertrages zwischen A und G voraus. A selbst hat dem G gegenüber keine Willenserklärung abgegeben. Möglicherweise wirkt aber eine von V abgegebene Willenserklärung gemäß 164 I BGB unmittelbar für und gegen A. Dies setzt voraus, dass V wirksam als Vertreter des A aufgetreten ist. Vorauss. der wirksamen Stellvertretung gemäß 164 I BGB 1. Voraussetzungen für das Vorliegen von Stellvertretung: a. Zulässigkeit der Stellvertretung b. Eigene Willenserklärung des Handelnden c. Handeln im Namen des Vertretenen 2. Voraussetzung für die Wirksamkeit der Stellvertretung: d. Vertretungsmacht des Handelnden Rechtsfolge: Die Willenserklärung des Vertreters wirkt unmittelbar für und gegen den Vertretenen. 2

3 1. Stellvertretung a. Die Zulässigkeit der Stellvertretung ist hier unzweifelhaft gegeben, es liegt insbesondere kein höchstpersönliches Geschäft (z. B. Heirat, vgl BGB) vor. b. V ist nicht nur als Bote des A ( Brief auf Beinen ) aufgetreten, sondern hat aus Sicht des G eine eigene Willenserklärung abgegeben. c. V hat den Kaufvertrag im Namen des A abgeschlossen. Offenkundigkeit der Stellvertretung liegt damit vor. d. Zwischenergebnis: Handeln des V als Stellvertreter des A ist zu bejahen. 2. Fraglich ist die Wirksamkeit der Stellvertretung. Zu prüfen ist das Erfordernis der Vertretungsmacht. Vorliegend kommen zum einen eine wirksame Bevollmächtigung im Innen- oder im Außenverhältnis (a und b), zum anderen Fortgeltung der Vollmacht kraft Rechtsscheins in Betracht (c). a. Innenvollmacht? aa. Erteilung: A hat den V zunächst wirksam bevollmächtigt. A hat den V beauftragt, für ihn Fruchtsäfte einzukaufen ( 662 oder 675 BGB). Der Auftrag beinhaltet konkludent auch die Bevoll- 3

4 mächtigung, rechtsgeschäftlich im Namen des A tätig zu werden (sog. Innenvollmacht). bb. Widerruf: Möglicherweise ist die erteilte Innenvollmacht jedoch später durch Widerruf des A erloschen. Die Möglichkeit des Widerrufs der Vollmacht folgt aus 168 BGB. A durfte die Vollmacht auch widerrufen. Eine vertragliche Einschränkung des Widerrufsrechts wäre zwar möglich (vgl. 168 S. 2 BGB), der Sachverhalt enthält aber keinen dahingehenden Hinweis. Indem A dem V gegenüber erklärt, er, V, sei nicht mehr berechtigt, für ihn, A, Säfte einzukaufen, hat A den Widerruf erklärt. Gemäß 167 I BGB, auf den 168 S. 3 BGB verweist, konnte A den Widerruf auch gegenüber V (seinem Vertreter) erklären. Rechtsfolge des Widerrufs ist, dass die Vertretungsmacht des V erlischt. Die Voraussetzungen des 164 I BGB sind damit nicht (mehr) gegeben. b. Außenvollmacht? Laut Sachverhalt hat A die Vollmacht zunächst durch Erklärung gegenüber V erteilt und G lediglich hierüber Mitteilung gemacht (vgl. 171 I 1. Alt. BGB). Eine Bevollmächtigung im Außenverhältnis liegt hier nicht vor. 4

5 c. Rechtsscheinvollmacht? Möglicherweise greifen zugunsten des G aber die Regeln über die Rechtsscheinvollmacht ein. Folge wäre die Fortgeltung der Vollmacht kraft Rechtsscheins. In Betracht kommen hier die Regelungen in 170 BGB (Außenvollmacht) und 171 I 1. Alt. BGB (Mitteilung der erfolgten Bevollmächtigung im Innenverhältnis), wonach der Geschäftspartner in seinem guten Glauben an die Vertretungsmacht geschützt wird. 5

6 Voraussetzungen der Rechtsscheinvollmacht gemäß BGB 1. Rechtsscheintatbestand a. 170 BGB: Erteilung der Vollmacht gegenüber Dritten (Außenvollmacht) oder b. 171 I 1. Alt. BGB: Mitteilung an Dritten, dass Innenvollmacht erteilt wurde oder c. 171 I 2. Alt. BGB: Öffentliche Bekanntmachung, dass Vollmacht erteilt wurde oder d. 172 BGB: Aushändigen einer Vollmachturkunde an Vertreter, der sie dem Dritten vorlegt. 2. Erlöschen der Vollmacht 3. Keine Anzeige des Erlöschens gegenüber Dritten 4. Keine Kenntnis od. fahrlässige Unkenntnis des Dritten bzgl. des Erlöschens der Vollmacht, 173 BGB RF: Vollmacht bleibt im Außenverhältnis d. h. gegenüber dem Dritten bzw. im Fall des 171 I 2. Alt. BGB gegenüber jedermann wirksam. 6

7 (1) Hier hat A durch sein an G gerichtetes Schreiben dem G Mitteilung über die dem V erteilte Innenvollmacht gemacht ( 171 I 1. Alt. BGB). Damit kommt es zur Begründung eines dem A zurechenbaren Rechtsscheins. (2) Die Vollmacht wurde zwischenzeitlich widerrufen, ist also erloschen. (3) A hat den G vor Abschluss des Vertretergeschäfts nicht darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Vollmacht zwischenzeitlich widerrufen wurde. (4) G hat auf die Vertretungsmacht des V vertraut. Ihm lagen auch keine Anhaltspunkte vor, die Vertretungsmacht des V in Zweifel zu ziehen. G war also gutgläubig. Damit ist auch der Ausschlussgrund des 173 BGB nicht gegeben. (5) Zwischenergebnis: Die Voraussetzungen der Rechtsscheinvollmacht gemäß 170 bzw Alt. BGB sind erfüllt. A muss sich die in seinem Namen von V dem G gegenüber abgegebene Erklärung trotz des zwischenzeitlichen Erlöschens der Innenvollmacht zurechnen lassen. Im Verhältnis A und G gilt der Kaufvertrag als wirksam zustande gekommen. 5. Ergebnis: Ein Anspruch des G gegen A auf Zahlung des Kaufpreises von EUR aus 433 II BGB besteht. 7