Europarecht I (Grundzüge des Europarechts)
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- Jutta Wetzel
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1 (Grundzüge des Europarechts)
2 Gliederung I. Grundlagen II. Entwicklung und Wegmarken der Europaidee III. Die Europäische Menschenrechtskonvention IV. Verfassungsrechtliche Grundlagen der Europäischen Union V. Die Rechtsnatur der europäischen Union VI. Europarecht und Völkerrecht VII. Die Rechtsquellen des Unionsrechts VIII. Die Organe der europäischen Union IX. Die Kompetenzverteilung zwischen Union und Mitgliedstaaten X. Das Unionsrecht und das Recht der Mitgliedstaaten XI. Die Integrationsermächtigung des Art. 23 GG und ihre Schranken XII. Rechtsschutz und Verfahrensarten vor dem EuGH XIII. Die Unionsbürgerschaft XIV. Die Grundfreiheiten 2
3 Die Bedeutung der Grundfreiheiten Die Grundfreiheiten des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union die Warenverkehrsfreiheit, die Personenfreizügigkeit, die Dienstleistungsfreiheit und der Freie Kapital- und Zahlungsverkehr bilden die Grundlage und den normativen Kern des europäischen Binnenmarkts. Sie beanspruchen Geltung nur in Angelegenheiten mit grenzüberschreitendem Bezug (Binnenmarktbezug). Grundlage dieses Binnenmarkts ist eine Zollunion (Art. 28 ff. AEUV), Leitbild eine offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb (Art. 119 Abs. 1 AEUV). Ergänzt werden die Grundfreiheiten daher durch Vorkehrungen gegen Verfälschungen des Wettbewerbs im Binnenmarkt, namentlich durch das Verbot bzw. die Kontrolle staatlicher Beihilfen (Art. 107 ff. AEUV) und privater Kartelle (Art. 101 ff. AEUV). 3
4 Die Bedeutung der Grundfreiheiten Grundfreiheiten sind ähnlich wie Grundrechte subjektive Rechtspositionen der Marktteilnehmer. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union unterstreicht diesen Ansatz in Absatz 4 ihrer Präambel sowie in Art. 15 f. Die Grundfreiheiten sind damit einklagbar und können wie Grundrechte nach dem dreiteiligen Prüfschema: Schutzbereich, Eingriff und Schranken behandelt werden. Adressaten der Grundfreiheiten sind die Mitgliedstaaten, aber auch die Organe und Einrichtungen der Union. Diese müssen Maßnahmen unterlassen, welche die Grundfreiheiten beeinträchtigen können, und unterliegen gewissen Schutzpflichten. 4
5 Die Bedeutung der Grundfreiheiten Eine "Drittwirkung" der Grundfreiheiten bejaht der EuGH gegenüber Privaten mit besonderer wirtschaftlicher Machtstellung ( Bosman ). Darüber hinaus sind die Grundfreiheiten ähnlich wie Grundrechte als Elemente der objektiven Primärrechtsordnung auch Auslegungsmaximen und können ggf. staatliche Schutzpflichten gegenüber den Marktteilnehmern begründen (EUGH, Rs. C-265/95, Französische Agrarblockaden). 5
6 Die Bedeutung der Grundfreiheiten Um die Grundfreiheiten zu realisieren, war und ist vielfach eine Harmonisierung der Gesetze notwendig. Die geteilte Zuständigkeit für die Rechtsangleichung im Europäischen Binnenmarkt nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. a), Art. 26 und Art. 114 AEUV ist daher die wohl wichtigste Gesetzgebungskompetenz der Union. Ungeachtet solcher Angleichungsmaßnahmen hat der EuGH jedoch für alle vier Grundfreiheiten nach Ablauf der ursprünglichen Übergangsfristen die unmittelbare Anwendbarkeit anerkannt. Sie können also von ihren Trägern unmittelbar gerichtlich geltend gemacht werden. 6
7 Grundfreiheiten Sach- und Tätigkeitsbereiche Die Grundfreiheiten umfassen die Freizügigkeit des Warenverkehrs (Art AEUV) Personenverkehrs mit den Gruppen der Arbeitnehmer (Arbeitnehmerfreizügigkeit Art AEUV) Selbstständigen (Niederlassungsfreiheit Art AEUV) und Dienstleister bzw. deren Kunden (Dienstleistungsfreiheit, Art AEUV) Kapital- und Zahlungsverkehrs (Art AEUV) Überhöht werden diese Freiheiten mittlerweile durch die allgemeine Freizügigkeit der Unionsbürger nach Art. 21 AEUV. 7
8 Grundfreiheiten Funktionen und Berechtigungen Grundfreiheiten wirken gleichheitsrechtlich als Diskriminierungsverbot (Problem der Inländerdiskriminierung) und freiheitsrechtlich als Beschränkungsverbot. Das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV verbietet im Anwendungsbereich der Grundfreiheiten grundsätzlich jede Ungleichbehandlung wegen der Staatsangehörigkeit. Weitere spezielle Diskriminierungsverbote normieren u.a. Art. 45 Abs. 2, 54, 55 AEUV. Das Beschränkungsverbot hingegen wirkt freiheitsrechtlich und führt zu einer Verhältnismäßigkeitsprüfung aller Maßnahmen, die die Inanspruchnahme der Grundfreiheiten erschweren. 8
9 Beschränkungsverbot das Beispiel der Warenverkehrsfreiheit EuGH Dassonville (Slg. 1974, 837): Maßnahme gleicher Wirkung i.s.v. Art. 30 AEUV sei jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern. EuGH, Cassis de Dijon (Slg. 1979, 62) verbietet Handelshemmnisse grundsätzlich auch bei einer Gleichbehandlung mit Inlandsware. Innertatbestandliche Ausnahmen greifen nur bei verhältnismäßigen Eingriffen wegen zwingender Erfordernisse des Gemeinwohls. Zur Regel wird damit die gegenseitige Anerkennung (vgl. Art. 53 AEUV), Ausnahmen hiervon sind begründungspflichtig. EuGH Keck (Slg. 1993, 6097) begrenzt den Anwendungsbereich des Verbots durch Ausnahme von Verkaufsmodalitäten. 9
10 Grundfreiheiten Schranken und Bereichsausnahmen Die Schranken des Art. 36 oder des Art. 52 AEUV gelten damit nur noch für Maßnahmen, die von vornherein ausländische Waren ungleich behandeln (also prima facie diskriminieren) und haben einen sehr engen Anwendungsbereich. Tatbestandliche Einschränkungen wie auch eigentliche Schranken sind wiederum von Bereichsausnahmen zu unterscheiden: Arbeitnehmerfreizügigkeit: Art. 45 Abs. 4 AEUV Niederlassungsfreiheit: Art. 51 AEUV Dienstleistungsfreiheit: Art. 61 i.v.m. Art. 51 AEUV 10
11 Wichtige Entscheidungen zu den Grundfreiheiten - Rs. C-415/93 (Bosman) Anwendbarkeit der Keck- Rechtsprechung auch auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit, damit nicht nur reines Diskriminierungsverbot, sondern auch ein auf unterschiedslos wirkende Maßnahmen bezogenes Beschränkungsverbot - Rs. C-55/94 (Gebhard) Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit können nur Bestand haben, wenn sie in nicht diskriminierender Weise anwendbar sind und aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt und verhältnismäßig sind 11
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