Standortbestimmung Akupunktur

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1 Dr. med. Hein Reuter ARZT FÜR ALLGEMEINMEDIZIN HOMÖOPATHIE - AKUPUNKTUR - PASTORALMEDIZIN Standortbestimmung Akupunktur 1. Definition Die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) ist eine Regulationstherapie. Die Akupunktur steht nur für einen Teil der TCM, welche eine Vielzahl weiterer Disziplinen kennt, vor allem eine differenzierte Phytotherapie, sowie übende Verfahren wie das Qi-gong und das Tai-Qi 1. Mit der Nadeltherapie untrennbar verbunden ist die sogenannte Moxibustion, eine lokale Wärmeanwendung, die im chinesischen Wort für Akupunktur "Zhen-jiu" (Stechen und Brennen) enthalten ist. Diagnostik: Um Aufschluß über die Funktion eines Organsystems zu bekommen, bedient sich der Arzt verschiedener diagnostischer Verfahren. Er kann dies mithilfe einer sehr verfeinerten Pulstastung tun; auch gibt die unterschiedliche Schmerzempfindlichkeit an den "Mu-Punkten" (Alarmpunkten), sowie die unterschiedliche Hitzeempfindlichkeit an den distalen Punkten Aufschluß über den Zustand eines Organs 2. Moderne Verfahren zur Punktlokalisation nutzen den veränderten Hautwiderstand im Akupunkturpunkt zu einer elektronischen Lokalisation. Therapie: Mithilfe von Nadeln, Wärmeapplikation, aber auch durch Druck und Massage und durch Anwendung von elektrischem Strom kann man eine Therapie der erkrankten Systemen durchführen. Besondere Techniken ermöglichen es, einen Ausgleich zwischen verschiedenen Systeme zu erreichen, dem Körper Energie zuzuführen oder eine Überfülle der Energie zu vermindern. 2. Traditionelle Vorstellungen Seit ca Jahren kennt man in der Chinesischen Medizin 12 wichtige Organe 3. Diese werden eingeordnet in ein Schema von YIN und YANG und den Wu-Xing (5 Wandlungsphasen), einem logischen System, welches für die gesamte chinesische Kulturgeschichte von größter Bedeutung ist 4. Mit ihm wurde ein Gedankenmodell entwickelt, das auch in der Medizin Gültigkeit hat: WU-XING YIN YANG Holz Leber Gallenblase Feuer Herz Dünndarm (Feuer II) Perikard Sanjiao Erde Milz Magens Metall Lunge Dickdarm Wasser Niere Blase Wu-xing, das System der 5 Wandlungsphasen Diese Begriffe entsprechen nicht unseren materiellen Organen, sondern sind Synonyma für funktionelle Einheiten. Deswegen gelingt es auch nicht immer, den chinesischen Organbegriff mit dem westlichen zur Deckung zu bringen. So stehen Perikard und Sanjiao für den Kreislauf, wobei Perikard den Blutdruck des gesamten Körpers regelt und Sanjiao die Blutversorgung, d.h. die Durchblutung der einzelnen Organe und der Extremitäten bestimmt. Zu jedem Organ gehört ein assoziierter» praxis@heinreuter.de Homepage Höhestraße 19 D Bad Homburg Telefon Telefax

2 streifenförmiger Bereich der Körperoberfläche, der "Meridian" (chin. Jing) genannt wird. Auf diesem liegen spezifische Punkte (Shu), über die man das Qi beeinflussen kann. Außer den 12 Organmeridianen, die symmetrisch auf beiden Körperseiten vorkommen, gibt es unpaarige Meridiane, die auf der vorderen und hinteren Mittellinie liegen: Du-mai, hinten, "regiert" alle YANG-Meridiane. Ren-mai, vorne, "regiert" alle YIN-Meridiane. Auf diesen 14 Meridianen sind 361 klassische Punkte gelegen. Weitere liegen zwischen diesen und auch außerhalb der Meridiane (insgesamt ca. 1000). In der Ohrakupunktur werden von manchen Autoren Flächen statt Punkte mit den verschiedenen Körperarealen assoziiert Stand der Forschung Die Meridiane entsprechen einem Gefäßsystem, in dem nach traditioneller Vorstellung Blut und Qi (Wärme, Gefühl, Energie) fließen. Die Gesamtheit des Meridiansystems Jing-luo ist gleichzusetzen mit der Gesamtheit unserer topographischen Leitbahnen. Es gibt kein Gefäßsystem der chinesischen Medizin, welches zusätzlich zu den uns bekannten Gefäß-Nerven-Bahnen existiert. Diese stellen nur einen Weg des geringsten Widerstandes dar, entlang dem sich der Akupunkturreiz elektrisch ausbreitet. Wissenschaftliche Modelle zur Erklärung der schmerzstillenden Wirkung der Akupunktur sind so gut durch Versuche belegt, daß nach Aussage von Prof. Bruce Pomeranz, Institut für Neurophysiologie an der Universität Toronto, das Wissen über diese Wirkung sicherer und größer ist als das, welches über Schmerzmedikamente vorliegt 6! In einem Review-Artikel 7 des kanadischen Neurophysiologen werden über 200 wissenschaftliche Arbeiten zur Wirkweise und Wirksamkeit der Akupunktur zitiert. Ein weiterer umfassender Review-Artikel von Richardson und Vincent 8 faßt minuziös die klinischen Ergebnisse zusammen und zeigt eine Wirksamkeit von 50-92% der Akupunktur in kontrollierten und nichtkontrollierten Untersuchungen bei schmerzhaften Erkrankungen. Migräne, Kopfund Rückenschmerzen sind die am häufigsten untersuchten Krankheitsbilder. 4. Therapeutisches Vorgehen 4.1 Dauer einer Behandlung Eine Einzelbehandlung nimmt ca. 60 Minuten in Anspruch. Nach der Aktualisierung der Anamnese und der vegetativen Untersuchung erfolgt die Therapieplanung und die eigentliche Behandlung. Danach bleibt der Patient noch ca Minuten ruhen (nach Maßgabe des Arztes), bevor die Nadeln gezogen werden. Obwohl die Akupunktur bei akuten Erkrankungen die Therapie der Wahl ist und verblüffend schnelle Resultate bringt, darf man keineswegs von einer einzigen Sitzung eine dauerhafte Heilung aller Beschwerden erwarten. Die Akupunkturbehandlung erstreckt sich je nach Indikation über ca Sitzungen. In den meisten Fällen ist es angezeigt, die ersten 4-8 Sitzungen in dreitägigem Abstand durchzuführen, um dann, wenn die Wirkung der einzelnen Sitzung länger als drei Tage anhält, Seite 2 von 6

3 die Abstände zwischen den Behandlungen zu vergrößern. Nach 12 Sitzungen wird man meist eine Behandlungspause einlegen, um die Langzeitwirkung der Akupunkturen zu beobachten. Bei entsprechender Indikation wird dann eine zweite Serie von Behandlungen (meist in wöchentlichem Abstand) durchgeführt. 4.2 Moxatherapie Moxazigarren dienen der lokalen Wärmetherapie. Das Moxakraut (jap. mogusa, Beifuß) hat eine spezifische Abstrahlcharakteristik mit einem Infrarot- Spektrum, welches es ermöglicht, tiefe Gewebeschichten in einer Ausdehnung von ca. 2-3 cm intensiv zu erwärmen, ohne gleichzeitig die Haut zu irritieren. Die Moxibustion wird während der Akupunkturbehandlung vom Patienten erlernt und dann selbständig zuhause fortgeführt. Zu diesem Zweck müssen die Therapie-Punkte vom Arzt markiert werden Durchführung der Moxibustion Jeder Punkt wird mit der Moxa-Zigarre solange erhitzt, bis seine Reizschwelle erreicht ist. Dies erlaubt eine sehr individuelle, wirksame und risikoarme Wärmetherapie, die mit keinem Verfahren der physikalischen Therapie vergleichbar ist. Die Moxa-Therapie ist das einfachste und preisgünstigste Verfahren zur Wärmetherapie überhaupt. Die Moxatherapie ist Voraussetzung zur Durchführung einer Akupunktur nach den Richtlinien der Traditionellen Chinesischen Medizin und wichtigstes therapeutisches Instrument bei der Behandlung chronischer Erkrankungen Moxa-Zigarren sollen nicht angewendet werden: - bei akuter Blutung (Menstruation) - bei Fieber - bei Schlaflosigkeit, Unruhe - bei Kleinkindern - über behaarten Stellen (Kopf, Schamgegend) - über frischen Verletzungen 5. Indikationen zur TCM Die TCM dient keineswegs ausschließlich der Schmerztherapie. Als Ganzheitstherapie wird sie zur Behandlung aller funktioneller Störungen eingesetzt. Dabei wird in der Traditionellen Chinesischen Medizin keineswegs auf Medikamente verzichtet, und man wird vor allem bei chronischen Krankheiten häufig Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen einsetzen. Für alle Therapieformen gilt: "Gestörtes kann man heilen - Zerstörtes nicht " Aber selbst bei Zuständen, die ein operatives Vorgehen erfordern, kann die TCM zur schnelleren Rehabilitation, einer Linderung der Beschwerden und dadurch auch zu einer Einsparung von Schmerzmitteln beitragen. So kann z.b. eine krankengymnastische Bewegungstherapie durch TCM nahezu schmerzfrei durchgeführt werden und so eine viel frühere Mobilisation erreicht werden. In einer aktuellen Studie 9 der Universität Düsseldorf wurden ca Patienten zur Wirksamkeit der Akupunkturbehandlung befragt. Sie ggaben eine erfolgreiche Behandlung in 70-80% aller Fälle bei folgenden Beschwerdebildern an: Kopfschmerz/Migräne, Nikotinabusus, Rücken-/Beinschmerz, HWS- Syndrom. Seite 3 von 6

4 5.1 WHO-Indikationen für die Akupunktur Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat die Akupunkturbehandlung von folgenden Krankheiten ausdrücklich empfohlen: Respirationstrakt Akute Sinusitis (Nebenhöhlenentzündung) Akute Rhinitis (Schnupfen) Allgemeine Erkältungskrankheiten Akute Tonsillitis (Mandelentzündung) Bronchopulmonale Erkrankungen Akute Bronchitis Asthma bronchiale Augenerkrankungen Akute Konjunktivitis (Bindehautentzündung) Zentrale Retinitis (Netzhautentzündung) Myopie bei Kindern (Kurzsichtigkeit) Katarakt (grauer Star) Erkrankungen der Mundhöhle Zahnschmerzen Schmerzen nach Zahnextraktion Gingivitis (Zahnfleischentzündung) Akute und chronische Pharyngitis (Rachenentzündung) Gastrointestinale Erkrankungen Ösophagus- und Kardiospasmen (Schlingkrämpfe) Singultus (Schluckauf) Gastroptose (Magensenkung) Akute und chronische Gastritis (Magenschleimhautentzündung) Hyperacidität des Magens (Übersäuerung) Chronisches Ulcus duodeni (Zwölffingerdarmgeschwür) Akute und chronische Kolitis (Dickdarmentzündung) Akute bakterielle Dysenterie (Brechdurchfall) Obstipation (Verstopfung) Diarrhoe (Durchfall) Paralytischer Ileus (Darmlähmung) Neurologische und orthopädische Erkrankungen Kopfschmerzen Migräne Trigeminusneuralgie (Gesichtsschmerzen) Fazialisparese (Gesichtslähmung) Lähmung nach Schlaganfall Periphere Neuropathien (Nervenerkrankungen) Poliomyelitislähmung (Kinderlähmung) Morbus Menière (Drehschwindel) Neurologische Blasendysfunktion Enuresis nocturna (Einnässen) Interkostalneuralgie Schulter-Arm-Syndrom Periarthritis humeroscapularis Tennisellbogen Ischialgie, Lumbalgie Rheumatoide Arthritis Seite 4 von 6

5 6. Grenzen der TCM Die diagnostischen Möglichkeiten der Traditionellen Chinesischen Medizin sind sehr fein und differenziert. Allerdings lassen sie nur Aussagen im Sinne der Chinesischen Medizin zu. Man kann also keineswegs durch Pulsdiagnose eine Krebserkrankung feststellen, welche keine Beschwerden macht. Auch Infektionserkrankungen wird man vor allem mit den Mitteln der westlichen Medizin diagnostizieren und therapieren. Allenfalls ist eine unterstützende Akupunktur-Therapie angezeigt. Bei Asthma, Herzinsuffizienz oder Bluthochdruck wird man die Medikamente keinesfalls sofort absetzen. Erst im Verlauf der Therapie wird man diese langsam reduzieren. Eine relative Kontraindikation stellen die Cortisontherapie und die radiologische Therapie dar. Die dadurch bewirkte Immunschwächung beeinträchtigt die Reizantwort auf diese Therapie. 1 PALOS, Akabane-Test 3 Schnorrenberger C, Lehrbuch der Chinesischen Medizin für westliche Ärzte, Stuttgart, Hippokrates-Verlag 1978, 25f 4 Wilhelm, Nogier 6 Internationaler Akupunkturkongreß der Deutschen Ärztegesellschaft für Akupunktur in Mainz Stux G, S Richardson PH, Vincent CA, Acupuncture for the treatment of pain: a review of evaluative research. Pain 24, (1985) 9 Molsberger 10 Stux G, Literaturempfehlungen 1. Fisch G, Akupunktur, DVA Stuttgart Fisch G, Chinesische Heilkunde in unserer Ernährung, Synthesis Verlag Essen Huard P, Wing M, Chinesische Medizin, Fischer Frankfurt Meng Chao-Lai A, Zeitler H, Chinesische Atmungs- und Konzentrationsübungen, Haug Heidelberg Molsberger A, Hermes D, Akupunktur und öffentliche Meinung, Deutsches Ärzteblatt, 80.Jhg. S. 651, Seite 5 von 6

6 6. Nogier P, in Aurikulomedizin in Einzeldarstellungen, Bd. 1, Fischer Heidelberg (1974), s. 21ff 7. Pálos S, Chinesische Heilkunst, Delp'sche Verlagsbuchhandlung München Stux G, Stiller N, Pomeranz B, Akupunktur - Lehrbuch und Atlas, 3. Auflage Springer WILHELM R, I-Ging, das Buch der Wandlungen, Diederichs Verlag, Köln (1983) Frankfurt, den Dr. med. Hein Reuter Lehrbeauftragter der Deutschen Akupunkturgesellschaft, Düsseldorf. (Diese Standortbestimmung wurde von der Arzneimittelkommission der Hufelandgesellschaft für biologische Medizin verabschiedet und veröffentlicht in [Reuter H]: Standortbestimmung Chinesische Medizin, Gesundheitspolitische Umschau, 10/91, S ) Seite 6 von 6