Sucht im Alter. Anhörung vor dem Sozialausschuss der Stadt Hannover am Dr. med. Michael Hettich
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- Steffen Peters
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1 Sucht im Alter Anhörung vor dem Sozialausschuss der Stadt Hannover am Dr. med. Michael Hettich Chefarzt der Psychosomatik und Suchtmedizin im Klinikum Wahrendorff Folie 1
2 Sucht im Alter ein unterschätztes Problem Bisherige Ansicht: Sucht im Alter ist eine Rarität. Menschen mit Suchterkrankungen haben eine reduzierte Lebenserwartung. Alkoholkonsum geht im Alter zurück. Folie 2
3 Sucht im Alter ein unterschätztes Problem Aktuelle Studien zeigen: Alkoholmissbrauch in der Altersgruppe über 60 Jahren Männer % Frauen 5 10 % Alkoholabhängigkeit in der Altersgruppe über 60 Jahren Männer 2,3 % Frauen 1 % Folie 3
4 Alkoholexzesse und Alter Alkoholintoxikation bei Patienten, die 55 Jahre und älter waren Jahr Patienten Jahr Patienten (Steigerung um 116%) Folie 4
5 Sucht im Alter Problem Benzodiazepine Zwei Drittel der Abhängigen sind Frauen Die Wahrscheinlichkeit einer Verordnung steigt mit weiblichem Geschlecht. Alter. Zahl der körperlichen Erkrankungen. Dauerkonsum von Benzodiazepinen findet sich besonders bei: Alten Menschen mit körperlichen Krankheiten, oft mit Schmerzen. Angstpatienten. Patienten mit chronischen Schlafstörungen. Vorbestehender Suchterkrankung. Folie 5
6 Sucht im Alter ein Problem, das in der Zukunft zunehmen wird Aufgrund der demographischen Entwicklung wird die Gesamtzahl der suchtkranken Älteren steigen. Die jetzige Wohlstandsgeneration ist mit einem erheblich höheren Konsum an psychoaktiven Substanzen aufgewachsen, als die Menschen, die heute in einem höheren Lebensalter sind. Folie 6
7 Drei Gruppen von älteren Alkoholkranken Early Onset Alkoholkranke, die frühzeitig begonnen haben zu trinken und trotz erheblicher Gesundheitsrisiken ein höheres Alter erreichen. Late Onset alkoholerkrankte Menschen, die in ihrem Leben sozial integriert waren und im höheren Alter anfangen zu trinken, z. B. nach Verlust des Partners. Rezidivalkoholiker: Menschen, die bereits an einer Alkoholabhängigkeit erkrankt waren, erfolgreich abstinent wurden und im höheren Alter wieder rückfällig werden. Folie 7
8 Ältere Menschen haben eine erhöhte Empfindlichkeit gegen Alkohol Stoffwechselveränderungen im Alter führen zu einer deutlich stärkeren Wirkung des Alkohols. Alkoholmissbrauch führt wesentlich schneller zu körperlichen Folgeerscheinungen. Folie 8
9 Folgen von chronischem Alkoholkonsum im Alter Vermehrte Sturz- und Unfallgefahr, Zunahme psychischer und physischer Gesundheitsstörungen. Verminderte Selbständigkeit. Zunahme sozialer und finanzieller Folgekosten. Körperliche Komplikationen (Organschäden, Ernährungsmangel, verminderte Krankheitsresistenz, Krampfanfälle). Psychische Komplikationen (Verwirrtheitszustände, Affektlabilität, Enthemmung, Suizidalität, wahnhafte Entwicklung, Demenz). Soziale Komplikationen (riskantes Fahrverhalten, Verwahrlosung, Belastung der Angehörigen, Nachbarschaftskonflikte). Folie 9
10 Psychosoziale Risikofaktoren nehmen im Alter zu Beendigung des Beruflebens, Anpassungsprobleme im neuen Lebensabschnitt. Das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden. Leere, Langeweile. Zunehmend weniger Sozialkontakte, Einsamkeit, Isolation. Verlusterleben (Verwitwung, Verlust der Selbständigkeit). Heimaufnahme und damit Rollen- und Kompetenzverlust. Nachlassende körperliche und intellektuelle Leistungsfähigkeit. Häufung von Krankheit, Zunahme von körperlichen Beschwerden, Multimorbidität. Folie 10
11 Die allgemeinen Ziele einer Suchtbehandlung gelten ebenso für alte Menschen: Sichern des Überlebens. Reduzieren des Konsums und der Exzesse. Verlängern der suchtstofffreien Perioden. Lebensgestaltung und Lebensbewältigung. Hinarbeiten auf eine dauerhafte Abstinenz. Folie 11
12 Primärintervention motivierende Gesprächsführung Wahrnehmen: Auffälligkeiten, körperliche Symptome, Verhalten, soziale Folgen. Ansprechen. Besorgnis begründen. Informieren über Hilfsangebote: Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen, Fachklinik. Folie 12
13 Problem: therapeutischer Nihilismus bei älteren Suchtkranken Praktisch alle älteren Suchtkranken stehen im Kontakt zum medizinischen oder sozialen Hilfesystem. Häufige Auffassung bei Ärzten und Pflegepersonal, dass es sich nicht lohnt, ältere Suchtkranke zu behandeln oder, dass man diesen Menschen wegen ihrer begrenzten Lebenserwartung die Anstrengung eine Therapie ersparen sollte. Konsequenz: Zu allererst muss das medizinische Hilfesystem von der Wirksamkeit und der Bedeutung einer Suchterkrankung für die Lebensqualität der Betroffenen überzeugt werden. Folie 13
14 Scham als das Haupthindernis bei der Genesung Suchtkranke Ältere leiden unter starken Schuldgefühlen wegen ihrer Sucht. Dies erschwert Hilfe zu suchen und anzunehmen. Wichtigster Motor der Veränderung ist für die Betroffenen der Wunsch, die eigene Würde wieder zu gewinnen. Sich selbst respektieren zu können, hat für ältere Menschen eine besondere Bedeutung. Das Erlebnis, wieder eine gute Lebensqualität erreicht zu haben, sichert die Abstinenz. Folie 14
15 Ambulante Betreuung und Behandlung älterer Suchtkranker Der Anteil der über 60jährigen innerhalb der ambulanten Suchthilfeangebote liegt unter 5% Barrierefrei und wohnortnah! Günstige Tageszeit beachten/tagesstruktur. Aufsuchende Betreuung. Vernetzung mit ambulanter Pflege. Vernetzung mit Altenhilfe. Folie 15
16 Spezifische Themen der psychosozialen Suchthilfe mit Älteren Einsamkeit. Trauerbewältigung. Angst vor Sichtung und Tod. Nachlassen körperlicher Fähigkeiten. Verlust des beruflichen Status. Verlust des bisherigen Freizeitverhaltens. Kriegs- und Nachkriegserlebnisse. Folie 16
17 Suchtspezifische Therapieprogramme für ältere Patienten Lebenssituation und Lebensthemen alter Menschen aufgreifen (z. B. Vereinsamung und Verlust). Fester Tagesrhythmus, geregelte Wochenstruktur, Pausen. Körperliche, intellektuelle oder kreative Beschäftigungsangebote. Nicht konfrontativ, sondern stützender und annehmender Therapiestil. Folie 17
18 Notwendige Maßnahme in Hannover Bedarfserhebung, Maßnahmen planen und Umsetzung. Ausbau der Vernetzung und Organisation der Zusammenarbeit, z. B. Runder Tisch. Optimierung der Information bzgl. bestehender Angebote für die Einwohnerinnen und Einwohner. Information und Sensibilisierung älterer Menschen zum Umgang mit Alkohol und Medikamenten, z. B. im Rahmen von Seniorinnen- oder Seniorennachmittagen oder anlässlich von moderierten Alterstischen. Folie 18
19 Maßnahmen für Institutionen (Alten- und Pflegeheime, Pflegedienste, Allgemeinkrankenhäuser, caritative Organisationen) Entwickeln einer betriebseigenen Haltung zur Sucht im Alter. Erarbeitung eines Handlungsplans, Prozessablaufes, der u. a. die Abläufe bei einer Intervention festlegt. Befähigung der Mitarbeiter, Suchtprobleme bei älteren Menschen zu erkennen und adäquat darauf zu reagieren. Schulungen und Referate für Mitarbeiter zu den Themenbereichen Sucht und Prävention, Früherkennung und Intervention. Sensibilisierungsinputs für Personal und Betroffene. Veranstaltungen direkt für Seniorinnen und Senioren, Angehörige und Interessierte. Folie 19
20 Maßnahmen für Suchtpräventionsstellen Die Suchtpräventionsstellen sollen befähigt werden, Schulungen zum Thema Sucht im Alter durchzuführen. Schulungsunterlagen zu Suchtproblemen im Alter erarbeiten. Veranstaltungen direkt für Seniorinnen und Senioren, Angehörige und Interessierte. Schulung anderer Beratungsstellen, mit den erarbeiteten Unterlagen zu Suchtproblemen im Alter. Folie 20
21 Weitere Präventionsmaßnahmen Infobroschüren zum Thema Alkohol und älter werden. Screeninginstrumente und Checklisten für Hausärzte. Folie 21
22 Fazit Demographische Weiterentwicklung des Suchthilfesystems (d. h. gerontologisches Know-how erwerben). Kein therapeutischer Nihilismus, sondern Sensibilisierung des Altenhilfesystems für Suchtfragen (d. h. Sucht-Knowhow erwerben). Kostenträgerproblem lösen: Rentenversicherung tritt nicht ein, Krankenversicherung verlangt positive Rehaprognose. Vernetzen der Altenhilfewelt mit der Suchthilfewelt. Modelle für eine kritische Verschreibe- und Vergabepraxis entwickeln. Folie 22
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